Der provozierte Krieg

Der völkerrechtswidrige Angriff auf Syrien ist als Kriegserklärung an Russland zu verstehen.

Der dreifache Angriff des Trios USA, Großbritannien und Frankreich auf Syrien hat wenig mit der Wiederaufnahme der Genfer Gespräche zu tun, wie es westliche Regierungsvertreter vorgeben. Auch die Behauptung, in Syrien sei von der Regierung Giftgas eingesetzt worden, ist für die Angreifer nebensächlich. Tatsächlich geht es dem Westen darum, Russland zu provozieren und daran zu hindern, mit der Türkei und dem Iran eine politische Lösung für Syrien zu fördern. Eine Analyse von Mohammad Ballout und Walid Scharara in der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar.

Einhundert Raketen um Putin zu beleidigen
von Mohammad Ballout und Walid Scharara
Übersetzung: Issam Haddad; Bearbeitung: Karin Leukefeld

Der dreifache Angriff des Westens auf Syrien sollte Russland provozieren. Mit Sicherheit ging es nicht darum, das Kräfteverhältnis in Syrien aus der Zeit der Genfer Gespräche wiederherzustellen.
Die Erklärung von US-Präsidenten Donald Trump, die „Aufgabe ist erledigt“ bedeutet mit anderen Worten: der Angriff wird die einhundert und drei Raketen, die von dem US-britisch-französischen Trio auf Syrien abgefeuert wurden, nicht überschreiten. Bei der Lagebesprechung hatten sich komplexe Probleme ergeben. Einerseits gab es innerhalb der US-Administration Probleme zwischen Trump und dem Pentagon, andererseits gab es Probleme zwischen den USA auf der einen und den französischen und britischen Verbündeten auf der anderen Seite. Das führte am Ende dazu, dass die Erwartungen, die anfangs hemmungslos und emotional in die Welt hinausposaunt worden waren, gedämpft wurden.

Zunächst hatte man eine Strafexpedition angekündigt, die die aktuellen Verhältnisse auf dem Schlachtfeld umkehren und Syrien politisch erschüttern sollte. Was aber dann geschah, war wohl das einzige, auf das die angreifenden Parteien sich einigen konnten. Zu unterschiedlich waren deren Ziele, Überlegungen und Bedenken. Übrig blieben Einhundert Raketen, die im Morgengrauen Gebäude und Lager und - als möglichst auserlesene und repräsentative Symbole des syrischen Staates - auch Kasernen der Republikanischen Garde angriffen. Alle Einrichtungen waren zuvor evakuiert worden.

Vermutlich zum Hundertsten Mal verlief die Hoffnung der syrischen Opposition – oder dem, was von ihr und ihren Kampfverbänden übrig geblieben ist - im Sand. Die Armeen von USA, Großbritannien und Frankreich werden ihnen nicht den Gefallen tun, Syrien zu überrennen und das Regime stürzen. Die Stellungnahme der „Armee des Islam“, in der die Angriffe als „lächerlich“ beschrieben wurden, machte das Ausmaß ihrer Enttäuschung über das Geschehen besonders deutlich.

Was hat sich nun ereignet? Abgesehen davon, dass der Angriff nicht das Geringste mit den Analysen aus den Reihen der naiven Träumer zu tun hat, die immer noch daran glauben, dass der Westen in Syrien die Zivilbevölkerung verteidigen will, stellt sich natürlich die Frage, was die wirklichen Ziele der militärischen Operation waren und welche Auswirkungen die Angriffe haben?
Dabei lassen sich zwei Hauptziele erkennen, die sehr viel mit der internationalen Konfrontation auf syrischem Territorium und sehr wenig mit dem angeblichen Einsatz von Chemiewaffen zu tun haben.

Rückkehr von Russland als Weltmacht stoppen

Das erste Ziel: Es sollte ein unmissverständlich klares Zeichen in Richtung Russland gesendet werden, dass der Westen vereint zusammensteht, um eine Rückkehr Russlands als Weltmacht auf die internationale Bühne durch die syrische Tür zu stoppen. Entsprechend hatte der russische Botschafter in Washington Anatoli Antonow reagiert und „die westlichen Raketenangriffe auf Syrien als eine Beleidigung von Präsident Putin“ bezeichnet, die „Konsequenzen haben werden.“

Pentagon-Sprecherin Dana White war bemüht und betonte, dass „die Operation die Einheit des westlichen Lagers (…) in Planung, Koordination als auch bei der Durchführung“ markiere. Es war kein Zufall, dass sich sowohl vor als auch nach der Aggression der Desinformations- und Propagandaangriff gegen Russland intensivierte. Trump drohte Russland und kündigte für Syrien „intelligente Raketen“ an.

Die US-Amerikaner, Franzosen und Briten setzten bei dem Angriff ihr modernstes Raketenarsenal ein. Die USA feuerte B1-Marschflughkörper der jüngsten Generation vom Typ AGM-15B JASSM-ER, die erst seit drei Jahren im Einsatz sind. Die französische Fregatte (VREME) feuerte MdCN (Marschflugkörper, missiles de croisière naval), das Modernste was Frankreich an mobilen Raketen besitzt. Die Briten wiederum setzten Marschflugkörper vom Typ „Storm Shadow“ ein.

Der Westen behauptete, die Russen hätten während des Angriffs ihren Radar ausgeschaltet und es der syrischen Luftabwehr überlassen, die Angriffswellen abzuwehren. Außerdem gab der Westen an, seine Raketen seien auf dem Weg zu ihren Zielen keiner Gegenwehr begegnet. Die Absicht hinter solchen Behauptungen ist leicht durchschaubar. Man wollte die Überlegenheit der westlichen Militärtechnik gegenüber Russland hervorheben. Dem Westen war es offenbar wichtig, auf die Rede von Präsident Wladimir Putin zu antworten, die er zu Beginn seines Präsidentschaftswahlkampfes gehalten hatte. Putin hatte dabei das Ende der westlichen Überlegenheit angekündigt und die neuen Errungenschaften russischer Waffentechnologie hervorgehoben. Zum Beispiel nannte er die Herstellung mobiler Raketen, die die westliche Technologie überholt hätten und den Raketenabwehrschirm von Europäern und US-Amerikanern außer Kraft setzen könnten.

Zwar hatte Putin über ein neues russisches Raketenabwehrsystem gesprochen, das das international bestehende Gleichgewicht verändere, die eigentliche Botschaft seiner Rede formulierte er aber am Schluss, als er an die Adresse des Westens appellierte, mit Russland auf Augenhöhe zu agieren. Der Westen dagegen beharrt auf seiner Haltung: Russland soll nicht wieder als internationale Großmacht anerkannt werden. Der Westen lehnt es ab, Russland als real existierenden Widersacher zu definieren und entsprechend zu behandeln.

Am deutlichsten manifestiert sich diese Haltung in dem massiven Einsatz von modernster Raketentechnologie, mit der die erste sich bietende Front in einen Flächenbrand verwandelt werden kann. Damit soll unmissverständlich klar gemacht werden, dass Russland nicht mehr als eine Regionalmacht ist. Ironischerweise wurden der US-amerikanischen Feuerkraft dabei ihre real existierenden Grenzen aufgezeigt. Unmittelbar nach dem Ende des westlichen Raketenangriffs gegen Syrien teilte das russische Verteidigungsministerium mit, dass die syrische Luftabwehr, die aus der Zeit der Sowjetunion stammt, 70 der modernsten feindlichen Raketen abgeschossen und damit der westlichen Raketentechnologie stolz die Stirn geboten hatte.

Den Weg zu einer politischen Lösung sprengen

Das zweite Ziel ergibt sich aus dem ersten Ziel des westlichen Angriffs: der Weg zu einer politischen Lösung in Syrien soll zerstört werden. Dieser Weg wird von Russland und Iran vorsichtig bei den Prozessen in Astana und Sotchi – neuerdings auch unter Mitwirkung der Türkei – begleitet. Möglich geworden war das nur durch das neu geschaffene Gleichgewicht auf syrischem Territorium durch die russische Intervention. Die von den USA, Katar, Saudi Arabien, Frankreich und der Türkei geförderte syrische Opposition war dadurch politisch und militärisch zurückgedrängt worden. Ohne das enttäuschte Abwenden der Türkei von der westlichen Allianz wäre das nicht möglich gewesen. Die Türkei war enttäuscht, weil es an Unterstützung für ihren Plan eines „Regime-Change“ in Syrien gefehlt hatte; weil die USA sich den Kurden weit über das für den Kampf gegen den „IS“ erforderliche Maß angenähert und sie bewaffnet hatte und wegen der (westlichen) Unterstützung des Staatsstreichs 2016 gegen Recep Tayyip Erdogan.

Alle genannten Kräfte (der westlichen Allianz) wollen nicht einsehen, dass sich die Voraussetzungen für die Genfer Vereinbarung verändert haben. Im Juni 2012 bedrohte die syrische bewaffnete Opposition tatsächlich die zivilen syrischen Zentren. Sie baute ihre Machtstellung in Homs, Aleppo, Deraa, im Umland von Latakia, Deir El-Zor aus und sie kontrollierte den Ring um Damaskus. Sie stand an der Schwelle des Abassidenplatzes, nur knapp einen Kilometer vom Zentrum der Stadt und vom Präsidentenpalast entfernt, den man auch den „Volkspalast“ nennt.

James Mattis, der US-Verteidigungsminister leitete den Raketenangriff mit der Ankündigung ein, es sei „Zeit, den syrischen Bürgerkrieg zu beenden und eine politische Lösung auf der Grundlage der Genfer Erklärung zu erreichen“. Auch der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian griff den Diskurs über die Genfer Erklärung auf und meinte, der „Genfer Prozess muss wieder belebt werden.“ Tatsächlich hat sich mit den Gesprächen in Astana und Sotchi jede Tür für jegliche Art französischer Einflussnahme auf die Zukunft Syriens geschlossen.

Warum wird die Wiederbelebung der Genfer Gespräche und die Behauptung, Syrien hab Chemiewaffen eingesetzt so sehr betont? Der Grund ist, dass man die russisch-türkische Kooperation in Syrien als auch bei anderen strategisch wichtigen Fragen nicht nur erschweren, sondern blockieren will. Wirkliche Alternativen werden (von der westlichen Allianz) nicht angeboten. Der Westen verfolgt derzeit nur ein Ziel: die russisch-türkisch-iranische Kooperation in Syrien für eine politische Lösung soll zum Scheitern gebracht werden.

Der Kompromiss zwischen dem Weißen Haus und dem Pentagon, zwischen Trump und Mattis über die vergleichsweise bescheidenen Angriffsziele in Syrien macht deutlich, dass das eigentliche Ziel - der Konflikt mit Russland - sich auf syrischem Territorium abspielt. Dabei wollte man sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die eigene Flottenarmada und die stapelweise vorgeführten Raketen zu zeigen und einzusetzen. Und zwar genau dort, wo Russland endlich angekommen ist: an den warmen Gewässern vor der Küste der Levante.


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