Akademische Selbstgleichschaltung
Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel lässt Kriegsapologeten unter ihrem Dach lehren, schließt aber Kriegsberichterstatter aus — das hat Tradition an der Kieler Förde.
Universitäten waren einmal als Orte des freien Austausches unterschiedlicher Denkansätze gedacht gewesen — im Geiste wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit. Heute sind Professoren und Dozenten eher dienstbare Geister, auf die die Macht zurückgreift, wenn sie jemanden sucht, der ihre Narrative intelligenter auszudrücken vermag. So strebt derzeit vor allem die Kriegspropaganda nach akademischen Weihen — und bekommt sie. Ein besonders abstoßendes Beispiel liefert eine Kieler Universität, die schon früher in der Geschichte durch Hurra-Geschrei aufgefallen war, wenn es darum ging, das Land kriegsreif zu schwätzen.
Das Wort „Eskalationsphobie“ ist neu. Wer es bei Google eingibt und die Suche vor den 11. Februar 2023 datiert, findet dann: Nichts. Schöpfer dieses unschönen Begriffes ist Joachim Krause, Professor am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel. In einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine kam das Wortungetüm erstmals vor. Eskalationsphobie, so schrieb er, sei offenbar eine deutsche Krankheit. Anders gesagt: Schade, dass die Deutschen nicht mit Hurra ins Gefecht ziehen, so wie damals ab 1914 — übrigens dieser Tage beeindruckend nachgezeichnet im Oscar-gekrönten Erfolgsfilm „Im Westen nichts Neues“.
Dieselben Kommentatoren, die einem Apologeten der Eskalation ein Forum bieten, freuen sich jetzt über den Preis für den Antikriegsfilm aus deutscher Produktion. Deutschland ist wirklich ein reichlich schizophrenes Land. Ebenfalls an der CAU lehrte bis kürzlich Patrik Baab. Bis er etwas Dreistes anstellte: Er wollte vor Ort prüfen, ob es vielleicht im Osten auch nichts Neues gibt. Er ging als Journalist auf Recherchereise und kam als Geächteter zurück: Hier lässt sich mehr über seinen Fall nachlesen. Hätte er nur in der FAZ ein bisschen Öl ins Feuer gegossen. Dann wäre er weiter Lehrbeauftragter in Kiel, hoch oben im Norden, wo man immer milde mit denen war, die sich der Obrigkeit andienten.
Vom Reichskriegshafen zur Obrigkeitshörigkeit
Wer der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert nachspüren will, kann genauso gut eine Chronik der CAU in die Hand nehmen — am besten eine, die nicht im Auftrag der Universität geschrieben wurde. Dort bildet sich die ganze deutsche Geschichte mit ihren niederträchtigen und großmannssüchtigen Affekten ab. Die von Herzog Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf 1665 gegründete Universität befand sich mit Jahrhundertbeginn in unmittelbarer Nähe zu dem, was man später die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nannte: Gemeint ist damit der Erste Weltkrieg. Aber eine Facette, die in ihn mündete, war der deutschen Eskalationspolitik jener Jahre geschuldet, speziell dem Flottengesetz.
Insbesondere Konteradmiral Alfred von Tirpitz tat sich in den Jahren vor dem Jahrhundertwechsel als Falke hervor. Sein Ziel: Die deutsche Flotte aufrüsten, damit das Deutsche Reich in den Kreis der Weltmächte vorstoßen und explizit mit der britischen Flotte konkurrieren kann. Das Reich war — um es mit Bismarck zu sagen — ein saturierter Staat: Aber für manchen war das nicht Sättigung genug. Bis vor zwei Jahren hieß der Kieler Marinestützpunkt auch noch Tirpitzhafen. Doch schon vor Tirpitz‘ „Offensive“ siedelten sich Marineeinrichtungen rund um die Kieler Förde an: Denn Kiel wurde bereits 1871 zum Reichskriegshafen. Aus diesem Grund entstanden dort allerlei Werften, insbesondere die maritime Rüstungsindustrie prägte Stadt und Leute.
Als dann der Erste Weltkrieg begann, riefen auch auf der Uni Kiel viele Professoren Hurra und indoktrinierten die jungen Männer mit patriotischer Romantik. Nochmals ein Hinweis auf den oben schon genannten oscarprämierten Film: Eine solche Szene studentischen und professoralen Überschwangs wurde von Regisseur Edward Berger recht gut inszeniert. Die Szene spielt natürlich nicht in Kiel, denn zu jener Zeit glichen sich die Universitäten in ihrem nationalen Eifer überall im Reich.
Nach dem Krieg, genauer 1920 während des Kapp-Putsches, stellte die Universität zu Kiel eine antidemokratische, monarchistische und militaristische Studentenkompanie auf, die sich mit Schutzpolizei und Arbeiterwehr Feuergefechte lieferte.
Der Autor Axel Eggebrecht berichtet in seinem Werk „Der halbe Weg: Zwischenbilanz einer Epoche“ von den Ereignissen jener Zeit: Offiziere drangen ungestört in die Universität ein und machten klar, dass „in Berlin sich eine neue Regierung gebildet“ habe — die Herren Professoren sahen zu. Die Obrigkeit, so hatten sie es in der Stadt des Reichskriegshafens erlernt, habe immer recht: Egal, wer die Obrigkeit stellt, ganz gleich, wer gerade Herr über die Rüstungsgüter ist, die vor der Haustüre gefertigt werden.
Die CAU und die CIA
Die Ära des Nationalsozialismus überspringen wir galant, da selbstverständlich auch die CAU in Gedankengut und Überzeugung gleichgeschaltet war. Überall im Reich fielen Universitäten in jenen Jahren nicht durch Widerstandsgeist auf: Studenten gehörten von Anbeginn der Bewegung zu jenen soziologischen Gruppen, die besondere Nähe zu den baldigen und in der Folge neuen Machthabern aufwiesen. Überhaupt sollte man an dieser Stelle fairerweise festhalten, dass diese Geschichte bis zu jenem Punkt kein exklusives Alleinstellungsmerkmal der CAU war: Die Nähe zur Rüstungsindustrie und zur Soldateska mag manches begründen, aber so oder so ähnlich spielte es sich an vielen Orten im Lande ab.
Interessant wird es mit der Nachkriegsordnung, sprich: mit dem Kalten Krieg. Die Universität zu Kiel war, anders als manche Hochschule der jungen Bundesrepublik, kein Ort des Widerstandsgeistes, der Kapitalismus- und Faschismuskritik: In den Reihen der Professorenschaft fand sich ein „Geheimdienstagent“. Die Autorin Katia H. Backhaus hat in ihrer Studie „Zwei Professoren, zwei Ansätze. Die Kieler Politikwissenschaft auf dem Weg zum Pluralismus (1971 — 1998)“ herausgearbeitet, dass der Lehrkörper der CAU in den 1980er Jahren eng mit deutschen und auch amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeitete.
Speziell Professor Werner Kaltefleiter war nachgewiesenermaßen inoffizieller Mitarbeiter des BND und der CIA — mit letzterer war er offenbar während seiner Zeit in Harvard in Berührung gekommen. Laut Katia Backhaus wollte der BND in den 1970er Jahren auch Studenten aus Kiel anwerben. Kaltefleiter selbst war ein Kalter Krieger, der die maximale Konfrontation mit der Sowjetunion anstrebte.
Er ist auch Gründer des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel (ISPK) — es wurde 1983 „auf Beschluss des schleswig-holsteinischen Parlaments als Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angegliedert“. Doch gab es damals eine heftige Opposition in Form der Studentenvertretung. Schon 1981 ließ sie verkünden: „Wir sagen allen Bestrebungen den entschiedensten Kampf an, an der Kieler Universität eine Kaderschule für Kalte Krieger zu etablieren.“ Das Institut selbst erklärt sich hingegen heute als objektive Einrichtung: „Als unabhängige und gemeinnützige Institution ist das ISPK keiner politischen Partei, sonstigen Institutionen oder Interessengruppen verpflichtet.“
Angriffskrieg ist die beste Verteidigung?
An dieser als Objektivität verkauften Neutralität muss man stark zweifeln. Zuletzt war das ISPK, wie bereits geschrieben, unerfreulich aufgefallen, genauer dessen heutiger Direktor Joachim Krause. Der Mann haderte mit den Deutschen, mit der vermeintlich zurückhaltenden Bundesregierung ebenso wie mit dem Volk: An „Eskalationsphobie“ leidet man hierzulande — wie oben besprochen.
Professor Krause litt vor zwanzig Jahren scheinbar ebenfalls an Eskalationsphobie: Den aufgeregten Stimmen innerhalb der deutschen Gesellschaft, die den Vereinigten Staaten unter Führung von Präsident George W. Bush einen völkerrechtswidrigen Angriff nachsagten und die forderten, dass man den Republikaner dem Internationalen Strafgerichtshof zuführen sollte, entgegnete er höchst deeskalierend: All diese Vorwürfe, die man Washington seinerzeit machte, seien grotesk — so jedenfalls kann man seine Arbeit dazu interpretieren.
Seine diesbezügliche Analyse von 2003 lässt sich hier nachlesen. In den Schlussbemerkungen heißt es, „dass die Politik der USA gegenüber dem Irak (einschließlich der Androhung eines gewaltsamen Regimewechsels) im Sinne der internationalen Ordnung der Kollektiven Sicherheit außerordentlich konsequent ist und auch notwendig“ sei. Und weiter: „Primäres Motiv der US-Politik ist es, einen Staat in die Schranken zu weisen, der die derzeitige internationale Ordnung wie kein anderer herausfordert (...)“ — Der Irak als die größte globale Bedrohung? Krause folgte den gestreuten Aussagen diverser US-Falken, die schon im Vorfeld einer etwaigen Invasion im Irak ungeniert davon sprachen, dass dort Massenvernichtungswaffen gelagert würden. Später legte US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat dann gefälschte Beweise vor.
Kraus musste sich selbstverständlich nie für seine moralische Zustimmung eines auf Lügen basierenden Angriffskrieges rechtfertigen. Bis zum heutigen Tag ist er Direktor des ISPK geblieben, wird als wichtige Stimme von den Medien hofiert. Zeugt die Haltung des ISPK ganz generell von Neutralität? Krause jedenfalls ist auf NATO-Linie; die Geschichte seines Instituts ist eine Geschichte des Kalten Krieges: Wenn jemand aus so einem Stall von „Eskalationsphobie“ spricht, sollte man vorsichtig sein. Insbesondere eine Universität, die jetzt aktuell so tut, als sei sie mit allen moralischen Wassern gewaschen, wie sie es im Falle von Patrik Baab weismachen möchte. Kann man sich als moralische Bildungseinrichtung, wie es die CAU sein will, einen solchen Sicherheitsprofessor leisten, wie Krause es ist?
Vorgang der Selbstgleichschaltung
Noam Chomsky schrieb an einer Stelle, die vielleicht größte Sorgen bestehe darin, dass „die Arena des rationalen Diskurses genau dort kollabiert, wo Hoffnung bestehen sollte, dass sie verteidigt wird“. In diesem Falle haben wir so einen Ort ausfindig gemacht: Eine Universität, ein Platz, in dem — jedenfalls in der Theorie — Diskurse nicht nur vornehm genehmigt werden sollten, sondern gewissermaßen selbstverständlich und normal sein müssen. Die CAU mag vielleicht immer ein Ort gewesen sein, der nicht für Diskurse prädestiniert war: Mit Beginn dieses traurigen deutschen Jahrhunderts, das mit der Reichsgründung begann und das vielleicht bis jetzt noch nicht zu Ende ist — wirft man mal einen Blick auf die hiesige Außenpolitik —, hat sie einer ungesunden Nähe zu Macht, Rüstung und Militär gefrönt, sodass Diskursoffenheit ein schwieriges Unterfangen darstellte.
Der Historiker Kurt Sontheimer schrieb in „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ (1962):
„Die politischen Meinungen und Angriffe einer Gruppe von Publizisten und Intellektuellen würden für die politische Geistesverfassung einer Nation nicht viel bedeuten, blieben sie nur beschränkt auf kleine Zirkel Unzufriedener und intellektueller Besserwisser. Ein kurzer Blick in die politische Wirklichkeit der Weimarer Republik zeigt jedoch sofort, daß das antidemokratische Denken keine Angelegenheit von Esoterikern war. Es diente zur Ideologisierung zahlreicher politischer Gruppen und auch Parteien, die ganz bewußt auf die Überwindung der liberalen Demokratie hinarbeiteten.“
Oft wird in diesen Tagen der Vergleich zu Weimar gezogen, aus völlig verschiedenen Gründen. Häufig um die AfD zu einer Wiedergängerin der NSDAP zu erklären, die jetzt die Demokratie schleift. Aber die Grundzüge der liberalen Demokratie werden heute nicht von dort aus zerschossen. Es sind — um mit Sontheimer zu sprechen — die „Publizisten und Intellektuellen“, die ideologisieren.
Ein anderer Historiker, Karl Dietrich Bracher, notierte in seinem Werk „Die deutsche Diktatur“ (1969), dass die Selbstgleichschaltung von „Staatsrechtlern zu Nationalökonomen, von Historikern zu Germanisten, von Philosophen zu Naturwissenschaftlern, von Publizisten zu Dichtern, Musikern, bildenden Künstlern reichte“.
Bracher führt das unter anderem auf die „Sendungsidee des Reiches“ zurück. Etwas, was man heute mindestens erahnen kann, wenn eine deutsche Außenministerin die Welt als ein Betätigungsfeld ihrer moralischen Eitelkeiten einordnet — und das unter dem Applaus der Publizistik und der Intellektuellen: Nicht zuletzt jenen, die in der Universität zu Kiel seit jetzt vielen Jahrzehnten ihr Unwesen treiben.