Ambivalentes Jubiläum

In Österreich jähren sich in diesem Jahr sowohl Republikgründung, Staatsvertrag als auch der Beitritt zur EU und geben Anlass für eine kritische Rückschau.

Dieses Jahr ist ein besonderes für Österreich, denn es hat gleich drei große Jahrestage zu feiern: 80 Jahre Republikgründung, 70 Jahre Staatsvertrag und 30 Jahre EU-Mitgliedschaft. Auch wenn wirtschaftlicher Aufschwung und demokratische Konsolidierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht zu leugnen sind, bleibt die historische Betrachtung ambivalent. Der Autor betrachtet die Entwicklungen im historischen Längsschnitt, plädiert für eine kritisch-reflektierende Erinnerungskultur und beleuchtet Defizite insbesondere im Bereich der Außen- und Neutralitätspolitik sowie bei Medien und Umwelt.

Im Jahr 2025 begeht die Republik Österreich gleich drei historische Gedenktage: die Wiedererrichtung der Zweiten Republik im Jahr 1945, den Abschluss des Österreichischen Staatsvertrags 1955 sowie den EU-Beitritt 1995. Diese Jubiläen laden nicht nur zur Feier, sondern vor allem zur kritischen Reflexion über das österreichische Staatswesen, dessen politische Kultur und gesellschaftlichen Wandel in acht Jahrzehnten ein. Während demokratische Konsolidierung und wirtschaftlicher Erfolg unbestreitbar sind, offenbaren sich zugleich blinde Flecken in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, der mediale und außenpolitische Strukturwandel sowie Herausforderungen einer ökologisch nachhaltigen Zukunft.

Neubeginn 1945: Gründung der Zweiten Republik

Die Proklamation der Unabhängigkeit am 27. April 1945 markierte den Beginn der Zweiten Republik. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde Österreich unter alliierter Besatzung, jedoch mit einer funktionierenden Regierung unter Karl Renner, neu aufgebaut. Der Wiederaufbau stützte sich auf eine Große Koalition sowie auf massive Hilfeleistungen der Westalliierten, insbesondere im Rahmen des Marshallplans.

Gleichwohl war der politische Neuanfang ambivalent: Die weitgehende Übernahme der „Opferthese“ — Österreich sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen — diente der politischen Reintegration, verhinderte jedoch eine konsequente Aufarbeitung der NS-Zeit. Diese Strategie kritisierten nicht nur internationale Historiker wie Tony Judt als „Legitimität durch Verdrängung“.

Der Staatsvertrag von 1955: Souveränität durch Neutralität

Die Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 in Wien und Bad Vöslau beendete die zehnjährige alliierte Besatzung.

Österreich wurde wieder ein souveräner Staat — unter der Bedingung, dauerhaft neutral zu bleiben.

Diese Neutralität wurde 1955 in Verfassungsrang gehoben und war ein geopolitischer Kompromiss mit der Sowjetunion, die einen NATO-Beitritt Österreichs verhindern wollte. Die Rolle Moskaus war somit ebenso entscheidend wie die diplomatischen Fähigkeiten der österreichischen Verhandler — insbesondere von Leopold Figl und Bruno Kreisky.

Der Staatsvertrag wurde in der kollektiven Erinnerung zu einem Symbol des politischen Erfolgs und der Versöhnung, auch wenn der politische Konsens über seine Bedeutung in späteren Jahrzehnten zunehmend brüchig wurde.

Sozialpartnerschaft und Wirtschaftswunder

Die folgenden Jahrzehnte waren durch einen wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet, der maßgeblich durch die Sozialpartnerschaft, den Ausbau des Wohlfahrtsstaats sowie Investitionen in die Infrastruktur und Bildung begünstigt wurde. Diese Entwicklungen führten zur Herausbildung des sogenannten „österreichischen Weges“, der als Modell der Balance zwischen Marktwirtschaft und sozialer Absicherung gilt.

Es ist jedoch kritisch zu vermerken, dass die wirtschaftliche Erneuerung vielfach auf personeller und struktureller Kontinuität mit dem NS-Regime und dem österreichischen Ständestaat — außerhalb der parlamentarischen Debatten — basierte. Erst ab den 1990er-Jahren wurde dieses Thema öffentlich reflektiert.

Die Ära Kreisky: Aktive Neutralität als Außenpolitik

Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky von 1970 bis 1983 wurde die österreichische Neutralitätspolitik zu einem eigenständigen außenpolitischen Instrument: Österreich vermittelte zwischen Ost und West, beherbergte UN-Institutionen und profilierte sich als Schauplatz internationaler Friedensbemühungen.

Diese Phase kann als Höhepunkt einer aktiven, wertebasierten Neutralität gewertet werden. Nach dem Ende der Kreisky-Ära wandelte sich die Außenpolitik zunehmend zu einem pragmatisch-wirtschaftsorientierten Instrument — ein Verlust an außenpolitischem Profil, den auch internationale Beobachter registrierten.

Europäische Integration seit 1995

Mit dem EU-Beitritt 1995 begann eine neue Ära. Davon profitierte vor allem die Wirtschaft Österreichs: Binnenmarktintegration, Strukturförderungen, Mobilität und Exporterfolge stärkten die Wettbewerbsfähigkeit.

Gleichzeitig veränderte die Mitgliedschaft politische Prioritäten und reduzierte den außenpolitischen Spielraum, insbesondere im Hinblick auf die Neutralität.

Trotz des institutionellen Gewinns bleibt die europapolitische Haltung ambivalent: Große Teile der Bevölkerung stimmen regelmäßig der Europapolitik laut Eurobarometer zu, manche äußern aber auch Skepsis gegenüber zentralistischen Entwicklungen.

Zwischen Demokratisierung und Polarisierung

Die Entwicklung der österreichischen Medien ist eng mit politischen und technologischen Veränderungen verbunden. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk ORF über Jahrzehnte das Leitmedium war, entstand mit der Deregulierung seit den 1990er-Jahren eine vielfältige Medienlandschaft — jedoch auch mit wachsender Boulevardisierung und politischer Einflussnahme. Die Inseratenpolitik der Parteien untergrub mitunter die journalistische Unabhängigkeit. Mit der digitalen Wende nahmen Desinformation, Polarisierung und algorithmische Fragmentierung zu.

Umweltpolitik als gesellschaftliches Leitmotiv

Ein zentrales Feld gesellschaftlichen Wandels war die Umweltpolitik. Beginnend mit dem erfolgreichen Widerstand gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf entwickelte sich in den 1980er-Jahren eine breite ökologische Bewegung. Mit dem EU-Beitritt wurde eine Reihe umweltpolitischer Maßnahmen gemäß europäischer Vorgaben umgesetzt.

Trotz ambitionierter Ziele bleibt die Bilanz gemischt: Österreich gehört zwar zu den Vorreitern beim Ausbau erneuerbarer Energien, verfehlt jedoch regelmäßig seine Klimaziele — eine Herausforderung, die insbesondere die Vertreter der Klimabewegung thematisieren.

Fazit: Kontinuitäten, Brüche und offene Zukunftsfragen

Die Zweite Republik Österreich blickt auf acht Jahrzehnte demokratischer Entwicklung, wirtschaftlicher Prosperität und europäischer Integration zurück. Die Jubiläen im Jahre 2025 bieten den geeigneten Rahmen, um einerseits die erbrachten Leistungen anzuerkennen und andererseits eine kritische Selbstreflexion durchzuführen. Die politische Kultur sieht sich gegenwärtig mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die sich von der Gewährleistung der Medienfreiheit über die Förderung einer ökologischen Transformation bis hin zur Entwicklung einer glaubwürdigen, wertebasierten Außenpolitik im europäischen Kontext erstrecken.

Eine Analyse der Medien- und Umweltpolitik der Zweiten Republik Österreich zeigt, dass diese nicht nur in den klassischen Bereichen der Politik und Wirtschaft Spuren hinterlassen hat, sondern auch das gesellschaftliche Selbstverständnis geprägt hat. Dieses bewegt sich zwischen Aufklärung und Polarisierung, zwischen ökologischem Anspruch und pragmatischem Zögern. Das Jubiläumsjahr 2025 bietet somit auch Anlass, neue Leitbilder für das kommende Jahrhundert zu formulieren: einen demokratisch transparenten Staat mit einer aktiven Öffentlichkeit und einer glaubwürdigen ökologischen Verantwortung — sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.