An den Grenzen der Solidarität
Im Rahmen einer internationalen Protestkampagne gegen das Aushungern der Bevölkerung in Gaza startete ein Konvoi mit Hilfslieferungen in Richtung Rafah, wurde aber schon vor Erreichen der Grenze abgefangen.
Am 9. Juni setzte sich in Tunesien der „Konvoi der Standhaftigkeit“ oder „as-Sumud-Konvoi“ in Bewegung. Sein Ziel: Hilfsgüter über die Grenze nach Gaza bringen und so zumindest einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der aktuell desaströsen humanitären Situation vor Ort zu leisten. Die Blockade der israelischen Regierung hatte im Gazastreifen zu einem dramatischen Mangel an Wasser und Lebensmitteln geführt. Doch ähnlich wie die Aktivisten anderer Projekte kamen die Teilnehmer des Konvois nicht bis nach Gaza, denn Sicherheitskräfte im östlichen Libyen griffen rigoros durch.
Die anfangs rund 1.500 Teilnehmer stammten aus Tunesien, Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko, aber auch aus europäischen Ländern. Die geplante Route sollte von Tunis über Libyen nach Ägypten führen, dort über Kairo nach Rafah, dem Grenzübergang nach Gaza, um den verhungernden Palästinensern humanitäre Hilfe zu leisten — ein symbolischer Akt. Geplant war, sich mit dem Globalen Marsch nach Gaza, der mit mehreren tausend Teilnehmern am 12. Juni in Kairo starten sollte, zu vereinen.
Allerdings wurden die Aktivisten des Globalen Marsches, die sich bereits in Ägypten eingefunden hatten und aus über achtzig Ländern stammten, entweder direkt in Kairo verhaftet oder in Ismailia bei Suez festgehalten. Die Behörden beschlagnahmten Reisepässe, schoben die Teilnehmer in ihre Herkunftsländer ab oder verhafteten sie.
Der maghrebinische Sumud-Solidaritätskonvoi
Nichtsdestotrotz traf am frühen Morgen des 10. Juni der maghrebinische Sumud Solidaritätskonvoi für Gaza, bestehend aus Bussen und Autos, am tunesisch-libyschen Grenzübergang Ras Adschdir ein.
Immer mehr Menschen, es sollen teilweise bis zu 7.500 gewesen sein, schlossen sich dem Sumud-Konvoi an und begleiteten ihn. Im westlichen Libyen führte die Route durch die Städte Zuwara, Ziltan, Sabratha und Zawiya, bevor der Konvoi über Tripolis und Misrata weiter nach Sirte fuhr.
Von dort aus sollte die Route über Bengasi zum libysch-ägyptischen Grenzübergang Salum führen, und weiter über Kairo nach Rafah, dem Grenzübergang nach Gaza.
Militärmachthaber Khalifa Haftar stoppt Solidaritätskonvoi
So weit sollte es nicht kommen. Der Konvoi der Standhaften wurde am 13. Juni in Sirte von den Streitkräften des dortigen Militärmachthabers Khalifa Haftar gestoppt, das Lager der Teilnehmer von Militärkräften umstellt. Wer sich vom Konvoi entfernte, um seine Familie zu kontaktieren oder Wasser oder Medikamente zu kaufen, durfte nicht mehr zurückkehren. Die Aktivisten wurden von Kontakten zur Außenwelt abgeschnitten, das Internet war gestört, Wasser und Lebensmittel wurden knapp. Doch es kam noch schlimmer.
Der tunesische Teilnehmer Amin Abu Azizi erklärte, dass die Mitglieder des Konvois provoziert, mit vorgehaltener Waffe bedroht und verhaftet worden seien. Der offizielle Sprecher des Konvois, Wael Nawar berichtete:
„Ich wurde von Sicherheitskräften der ostlibyschen Regierung am Stadtrand von Sirte entführt, brutal angegriffen und ausgeraubt.“
Als die Teilnehmer beschlossen, dass der Sumud-Konvoi umkehren sollte, reagierten die Militärkräfte von Khalifa Haftar mit Schikanen und Übergriffen — sie drangen in Familienzelte ein. Anschließend wurden Pässe und Telefone vermisst.
Die Koordinierungsstelle der Aktion für Palästina gab die Namen von vier der verhafteten Begleiter des Sumud-Konvois durch ostlibyschen Behörden bekannt: Bilal Wartani (Algerien), Zaidan (Algerien), Alaa Ben Amara (Tunesien), Abdelrazak Hammad (Libyen).
Die Weiterfahrt des Konvois hing laut den Machthabern in Sirte von der Zustimmung der ägyptischen Behörden ab und deren Bereitschaft, den Sumud-Konvoi nach Ägypten einreisen zu lassen. Diese Zustimmung wurde verweigert.
Die Organisatoren gaben bekannt, dass sich der Gaza-Solidaritätskonvoi am 15. Juni in die Gegend von Misrata im westlichen Libyen zurückgezogen habe. Man suche das Gespräch mit den zuständigen Behörden und habe eine Liste der noch vermissten Konvoi-Teilnehmer erstellt.
Aktuell erklärte die Palästina-Koordinationsstelle, dass die Tour des Sumud-Konvois nicht fortgesetzt werde. Laut dem Sprecher des Konvois, Wael Nawar werden die Aktivisten vorerst aber im westlich von Sirte gelegenem Gebiet von Buwairat al-Hassun bleiben.
„Wir werden nicht nach Tunesien zurückkehren, bis 15 weitere libysche, tunesische und algerische Aktivisten, die von ostlibyschen Streitkräften noch immer festgehalten werden, freikommen.“
In Libyen
Bei der Durchquerung Libyens wurde der Sumud-Konvoi in den Städten und Regionen von den Bewohnern — über alle politischen Lager hinweg — freudig und solidarisch empfangen. Das Vorgehen der ostlibyschen Behörden werde dagegen als Schande wahrgenommen und zeige den Einfluss ausländischer Mächte, dem Libyen unterworfen ist.
Das Nationale Institut für Menschenrechte in Libyen verurteilte die Behinderung des Sumud-Konvois. Das „schändliche Vorgehen der Sicherheits- und Militärkräfte“ im Osten des Landes stehe nicht im Einklang mit dem libyschen Volk und seiner unerschütterlichen nationalen und öffentlichen Haltung zur palästinensischen Sache. Die Unterstützung der Bevölkerung für den Gaza-Solidaritätskonvoi sei Ausdruck des Willens des gesamten libyschen Volkes.
Khalifa Haftar und die im östlichen Libyen regierende Hammad-Regierung wurden von Libya Crime Monitor aufgefordert, die festgenommenen Aktivisten des Sumud-Konvois unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Man stehe solidarisch an der Seite des Konvois.
Weitere libysche Bewegungen schlossen sich dieser Forderung an.
Israel voll des Lobes für Khalifa Haftar
Die israelische Zeitung The Jerusalem Post berichtete lobend über das Vorgehen von Khalifa Haftar gegen die Teilnehmer des Sumud-Konvois. Khalifa Haftar habe sich gegen den Terrorismus gestellt. Den Konvoi-Teilnehmern wurde unterstellt, sie wären bewaffnet und hätten anstatt Hilfsgütern militärische Ausrüstung und Waffen nach Gaza transportieren wollen. Laut einem israelischen Beamten benötige eine libysche Regierung genau diese Art von „Führung“.