Angeschwärzte Landwirte

Für den gesundheitsschädigenden Smog in Nordindien wird oft den Bauern die Alleinschuld zugeschoben. Eher ist er das Ergebnis einer falschen Politik.

Die indische Bevölkerung atmet den Ruß ihrer eigenen ökologischen Sünden ein. Es sind nicht nur ihre Lungen, sondern vielleicht auch ihre Gehirne, die sich vernebelt haben. Sie haben übersehen, dass die Stoppelverbrennung (1) historisch gesehen nur 6 Prozent zur Umweltverschmutzung beiträgt. Doch die Öffentlichkeit macht schnell die Bauern zu Sündenböcken und nicht die politischen Entscheidungsträger.

Während die Sonne aufgeht, erwacht der graue Smog in Nordindien zum Leben. In den letzten Tagen — und Jahrzehnten — hat sich Delhi in eine giftige Gaskammer verwandelt, die signalisiert, dass all unsere Steuergelder, die wir für die Luftreinhaltung ausgegeben haben, verschwendet wurden. Die Luftqualität-Messgeräte funktionieren nicht mehr, da die Luftqualität auf jenseits 500 steht. Aber es sind nicht nur unsere Lungen, sondern vielleicht auch unsere Gehirne, die sich vernebelt haben. Wir haben übersehen, dass die Stoppelverbrennung historisch gesehen nur zu 6 Prozent zur Luftverschmutzung beiträgt, aber die Öffentlichkeit macht schnell die Landwirte zum Sündenbock und nicht die politischen Entscheidungsträger.

Man sollte nicht zu hart mit der Öffentlichkeit ins Gericht gehen, denn öffentliche Experten und die Mainstreammedien sind mit politischen Schlammschlachten beschäftigt und machen den Reisbauern aus Punjab zum Staatsfeind Nummer eins in Indien. Ohne wirkliche Lösungen anzubieten, halten die politischen Entscheidungsträger den Mund und lenken das Problem auf die Gerichte ab. Über die Grenzen der Bundesstaaten hinweg ist das Thema hochpolitisiert. Es ist also an der Zeit, die Fakten selbst zu prüfen.

Die erste praktische Überlegung ist, dass sich die Luft nicht an politische Grenzen hält.

Ob die Fabrik oder das Auto die Luft in Gurugram, Noida oder Bahadurgarh verschmutzen, die Menschen der Hauptstadtregion (National Capital Region, NCR) müssen dieselbe Luft atmen. Um eine Chance zu haben, das Problem zu lösen, müssen wir die NCR-Region als Ganzes betrachten. Die Verlagerung von Fabriken aus Delhi in die NCR-Regionen von Haryana oder Uttar Pradesh ist genauso schlimm, wenn nicht noch schlimmer.

Medizinische Experten und Forscher sagen, dass die Hauptquelle der giftigen PM2,5-Belastung die Verschmutzung durch Fahrzeuge ist. An zweiter Stelle steht die Industrie, gefolgt von baubedingten Aktivitäten, die Staub aufwirbeln. Auch die Verbrennung von Kohle und anderer Biomasse trägt zur schlechten Luft bei. In Mumbai, das direkt am Meer liegt, war die Luft an manchen Tagen sehr schlecht, ohne dass der Rauch von Stoppeln zu spüren war. Fahrzeuge und Industrie sind die Hauptverursacher der Luftverschmutzung, nicht die Landwirte.

Das Verbrennen von Stoppeln erfolgt episodisch in einem kurzen Zeitfenster zwischen der Kharif-Ernte und der Rapsaussaat bei industriellen Reisbauern und trägt zu etwa 6 Prozent zur Luftverschmutzung bei. Stoppelrauch ist dichter und mit bloßem Auge sichtbar, während Dämpfe, NO2 und Kohlenmonoxid, die von Autos und Industrieanlagen emittiert werden, nicht sichtbar sind. Obwohl diese nichtlandwirtschaftlichen Quellen tödlicheren Rauch erzeugen, werden sie aufgrund ihrer Nichtsichtbarkeit von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.

Wenn wir genau hinschauen, stellen wir fest, dass die Luftqualität in der NCR-Region jedes Jahr, auch lange nach dem Stoppelbrennen, schlecht, wenn nicht sogar sehr schlecht bleibt. Woran liegt es, dass die Luft so schlecht bleibt? Wenn wir die Verschmutzungsdaten nicht nur für Delhi, sondern für die gesamte NCR-Region vergleichen, ist es sonnenklar, dass sie den größten Teil der Luftverschmutzung selbst produziert. In den Sommer- und Monsunmonaten werden die Schadstoffe aufgrund der günstigen Winde und des Wetters aus unserem Himmel entfernt, aber wenn der Winter kommt, kondensieren alle Schadstoffe über Nordindien. Die sich zurückziehenden Monsunwinde bringen auch die Verschmutzung und den Rauch aus dem gesamten nördlichen indischen Subkontinent mit sich, nicht nur aus Indien.

Es ist also völlig falsch, die Landwirte für die Luftverschmutzung zu beschimpfen.

Nachdem nachgewiesen wurde, dass Stoppelrauch für 6 Prozent der Luftqualitätsprobleme verantwortlich ist, müssen wir versuchen, Lösungen dafür zu finden. Das Stoppelproblem ist neu. In Punjab und Haryana wird kaum Reis angebaut, da die lokale Küche nur wenig Reis enthält. Die meisten ländlichen Haushalte verwenden Weizen oder Mais als Grundnahrungsmittel.

Der Reisanbau begann im Punjab nach der Grünen Revolution und der Entwicklung von Bewässerungssystemen. Die Landwirte waren gezwungen, von den einheimischen Landsorten und Kulturen auf das Reis-Saatgut der Grünen Revolution umzusteigen. Diese neuen Sorten wurden so gezüchtet, dass sie Agrarchemikalien wie Harnstoff, Pottasche und so weiter besser aufnehmen und mehr Körner produzieren. Der Kollateralschaden betraf das Vieh, der beste Freund des indischen Landwirts. Das neuere Saatgut hatte zwar essbare Körner, aber das Stroh taugte nicht als Viehfutter.

Da sie keinen wirtschaftlichen Wert haben und nicht als Viehfutter verwendet werden können, ermutigte die Regierung die Bauern, die Reisstoppeln zu verbrennen. Mit der Zeit hat sich dieses Nachernteproblem verschärft.

Wenn es die Regierung ist, die dieses Problem verursacht hat, hat sie auch die moralische Pflicht, eine Lösung dafür zu finden. Vor allem, weil ein großer Teil des Budgets der nationalen Luftreinhalteprogramme ungenutzt bleibt.

Die einfache und effiziente Lösung besteht darin, den Landwirten eine Preisunterstützung von 2.500 Rupien (etwa 28 Euro) pro Hektar zu gewähren, damit sie die Stoppeln auf ökologisch sichere Weise roden. Auf der Grundlage von Parali (2) kann aus Reisfeldern ein ganzer Vorrat an Stoppeln oder Rohstoffen gewonnen werden. Wenn Stoppeln oder Parali für die Landwirte wirtschaftlich wertvoll werden, würde niemand mehr die Felder abbrennen.

Im Rahmen eines kombinierten Aktionsplans für mehrere Bundesstaaten kann die Regierung spezielle Märkte, sogenannte Mandis, für den Handel mit Stoppelreisstroh einrichten. Wie für Reis kann auch für das Stroh ein dem Mindeststützpreis ähnliches Programm eingeführt werden. Sie denken jetzt vielleicht, dass dies eine Subvention ist, aber das ist es nicht.

Reisstroh oder -stoppeln sind vielseitig verwendbar, und die Regierung braucht den Markt nur zu regulieren, indem sie einen Mindestpreis festlegt. Von der Biokohleindustrie (kohlenstoffhaltige Biomasse) über die Pilzzucht bis hin zu nachhaltigen Verpackungen können die Regierungen der Bundesstaaten die Initiative ergreifen, um diesen Sektor zu organisieren und Reisstroh aus Abfällen in Rohstoffe für verschiedene Branchen zu verwandeln.

Um einen ökologischen Schritt weiter zu gehen, könnte die Regierung einen speziellen Mindeststützpreis für ökologisch erzeugten Reis einführen. Damit würde sichergestellt, dass die Landwirte für den Anbau von Basmati und anderen einheimischen Landsorten belohnt werden. Das Stroh von diesen Feldern könnte dazu beitragen, das nationale Futtermitteldefizit, das jedes Jahr 10 bis 15 Prozent beträgt, auszugleichen.

Das Stoppelproblem ist ein agrarpolitisches Problem, das mit den richtigen politischen Entscheidungen leicht gelöst werden kann. Die Frage ist, ob unsere politischen Entscheidungsträger tatsächlich zuhören und dazu beitragen werden, dass 2024 keine Stoppeln mehr verbrannt werden. Es geht nicht nur um die Landwirte. Jedes Jahr atmen wir den Ruß unserer eigenen ökologischen Sünden ein.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien am 13. November 2023 zuerst unter dem Titel „Smog Isn’t Just About Farmers – We Breathe the Soot of Our Own Ecological Sins“ auf The Wire. Er wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratsteam lektoriert.