Auf Kriegsfuß mit der Pressefreiheit
Erstmals belegt die EU zwei deutsche Journalisten mit Sanktionen — ein Dammbruch im Umgang mit abweichenden Positionen.
Am 20. Mai 2025 verhängte die Europäische Union, im Rahmen ihres 17. Sanktionspakets gegen Russland, Reiseverbote und Vermögenssperren gegen zwei deutsche Staatsbürger: die Journalisten Alina Lipp und Thomas Röper. Offiziell heißt es, sie hätten „systematisch Desinformation“ verbreitet und damit russische Interessen gefördert. Was die einen als legitimen Schutz gegen hybride Bedrohungen feiern, empfinden andere als schwerwiegenden Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit und als Signal dafür, dass nicht mehr nur Taten, sondern auch Deutungen kriminalisiert werden. Es ist ein Tabubruch mit Ansage, und er betrifft uns alle.
Die Sanktionen im Detail
Mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU wurden die Sanktionen gegen Alina Lipp und Thomas Röper rechtswirksam. Beide dürfen in kein EU-Land mehr einreisen; ihre Konten, falls in der EU vorhanden, sind eingefroren. Die Begründung: „Unterstützung von Handlungen, die die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine gefährden“. Im Klartext bedeutet das: Ihre journalistische Tätigkeit gilt als politisches Delikt. Und das ist nicht mehr weit entfernt von einem Berufsverbot.
Wer sind Lipp und Röper?
Alina Lipp betreibt den Kanal „Neues aus Russland“ und berichtet seit Beginn des Kriegs aus russisch kontrollierten Gebieten in der Ukraine. Thomas Röper betreibt den Blog „Anti-Spiegel“ mit Fokus auf kritische Analysen westlicher Medienberichterstattung. Beide gelten als einflussreiche Stimmen innerhalb eines alternativen Medienmilieus mit eindeutig prorussischer Perspektive. Doch bisher bewegten sie sich innerhalb der Schranken der Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit als Sicherheitsrisiko?
Mit diesen Sanktionen verlässt die EU erstmals den Rahmen strafrechtlich relevanter Handlungen. Es geht nicht um Aufrufe zu Gewalt oder nachweisbare Falschaussagen, sondern um politische Deutungen, die dem offiziellen Kurs widersprechen.
Damit wird ein neuer Maßstab gesetzt: Wer öffentlich Positionen vertritt, die als „narrativgefährdend“ gelten, kann mit persönlichen Sanktionen belegt werden — ohne Gerichtsverfahren, ohne Anklage, ohne Verteidigung.
Das ist ein massiver Tabubruch in der politischen Kultur Europas.
Die juristische Grauzone der „hybriden Bedrohung“
Der Begriff der „hybriden Bedrohung“ dient zunehmend als Containerbegriff für Desinformation, psychologische Kriegsführung und narrative Einflussnahme. Was darunter fällt, entscheidet die politische Mehrheitsmeinung, nicht ein unabhängiges Gericht. Das öffnet die Tür für eine willkürliche Ausweitung des Begriffs auf unliebsame Journalisten, Aktivisten oder Wissenschaftler. Und es macht Angst.
Der Meinungskorridor verengt sich
Während die EU nach außen Demokratie und Meinungsfreiheit verteidigt, schrumpft der innenpolitische Raum für abweichende Meinungen. Wer die Ukraine-Politik kritisiert, die NATO hinterfragt oder auf die ökonomischen Interessen des Westens hinweist, wird zunehmend als „Putin-Versteher“, „Verschwörer“ oder gar „Gefahr für die Sicherheit“ gebrandmarkt. Die Sanktionierung deutscher Journalisten könnte zum abschreckenden Vorbild werden, für Regierungen, die ohnehin mit kritischer Presse auf Kriegsfuß stehen. Die Botschaft ist klar: Wer sich nicht beugt, wird gebrochen.
Die Reaktionen: Schweigen, Zustimmung, Entsetzen
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) schweigt bislang. Auch die größeren Medien vermeiden klare Stellungnahmen. Einzig einige alternative Plattformen, Blogger und wenige Juristen warnen vor einem Dammbruch. Die einen fühlen sich bestätigt, die anderen eingeschüchtert. In sozialen Netzwerken läuft eine Polarisierung an: Während die einen „Endlich!“ rufen, erkennen andere ein Modell politischer Repression. Und viele andere werden still. Aus Angst.
Der Preis der Einseitigkeit
Eine Gesellschaft, die nur noch eine Wahrheit zulässt, verliert ihre geistige Freiheit. Es mag unangenehm sein, Positionen wie die von Lipp oder Röper auszuhalten. Doch in einem demokratischen Rechtsstaat ist nicht die Zustimmung zur Mehrheitsmeinung der Prüfstein, sondern der Schutz des Dissens. Wer das aufgibt, opfert Meinungsfreiheit auf dem Altar der Gesinnungsethik. Und genau das geschieht gerade vor unseren Augen.
Was jetzt geschehen muss
- Es braucht eine rechtliche Klärung: Nach welchem Maßstab darf die EU eigene Bürger sanktionieren?
- Es braucht Transparenz: Welche Inhalte gelten als sanktionswürdig, wer entscheidet darüber?
- Und es braucht Journalisten, die nicht nur über Lipp und Röper schreiben, sondern über die Entwicklung, die hinter diesen Sanktionen steht: der Umbau der Demokratie unter dem Deckmantel ihrer Verteidigung.
- Und es braucht den Mut, diesen Tabubruch offen zu benennen: Wenn man in Deutschland Journalisten mit Sanktionen überzieht, wenn Konten eingefroren werden, Reiseverbote verhängt werden, dann sind wir nicht mehr weit entfernt von einem digitalen Berufsverbot. Wer wird der Nächste sein? Und wer wird dann noch den Mut haben, etwas anderes zu sagen?
Fazit: Wer heute fragt, wird morgen sanktioniert? Noch ist es nicht so weit. Aber der erste Schritt ist getan. Jetzt kommt es auf die Antwort an. Und darauf, ob wir schweigen, oder Journalismus wieder ernst nehmen: als Kontrolle der Macht, nicht als Sprachrohr für ihre Narrative.