Ausbeutung 2.0

Um das Umverteilungssystem des 21. Jahrhunderts zu verstehen und zu überwinden, ist die Kapitalismus-Analyse unzureichend, da veraltet. Exklusivauszug aus „Teufel, Krieg und Frieden“.

Eine seit Jahren bekannte und oft beklagte Tatsache ist die permanente Umverteilung von unten nach oben. Während Löhne, Gehälter, Renten und Unterstützungen von Staaten nur langsam steigen oder im Schnitt wegen der Niedriglöhne und wegen der schleichenden Inflation sogar sinken, haben sich die Vermögen im obersten Zehntel der Gesellschaft und erst recht im obersten Prozent in wenigen Jahren vervielfacht. Dieser Trend wird von keiner Regierung gestoppt, was auch schwierig ist, denn er ist systembedingt und hat mehrere Gründe. So bald wie möglich müsste er mit konkreten und harten Maßnahmen bekämpft werden. Noch wichtiger wäre es zunächst, dass die Wahrheit über das Finanzsystem nicht verschwiegen, sondern offengelegt wird, bis die Verlierer des Systems es verstehen. Und das ist die große Mehrheit. Die Voraussetzung dafür, die Umverteilung nach oben zu stoppen, wäre als Erstes, dass man das System durchschaut — aber so, wie es heute ist, nicht wie es nach einer Theorie aus dem vorigen oder vorvorigen Jahrhundert sein soll. Der Begriff des Kapitalismus im Sinne von Karl Marx hat zwar historische Bedeutung für die Arbeiterbewegung, er blockiert aber das Verständnis von der Finanzwelt, wie sie heute funktioniert. Es gibt Mechanismen der Umverteilung, die direkt aus den Eigenschaften und der Verteilung des Geldes im 21. Jahrhundert hervorgehen, ohne den Einsatz von Kapital und Arbeitskraft. Exklusivauszug aus „Teufel, Krieg und Frieden … die sanfte Radikalität der Logik“.

Erster Grund für die Umverteilung

Geld ist in der Regel nur noch eine Zahl auf einem digitalen Speicherplatz, die mit Lichtgeschwindigkeit um den Globus transferiert werden kann.

Schon aus dieser technischen Eigenschaft ergibt sich ein Mechanismus der Umverteilung nach oben: der sogenannte Hochfrequenzhandel an internationalen Börsen und Devisenmärkten.

Was bedeutet Hochfrequenzhandel? Das Wort ist, wie viele Begriffe in der Finanzsprache, ein Falschwort.

Das Wort Frequenz ist falsch in diesem Zusammenhang, denn Frequenz ist die Zahl von Wiederholungen, zum Beispiel bei der Schwingung von Saiten an einem Musikinstrument. Das ist etwas sehr Beruhigendes und oft auch Harmonisches. Geschieht die Bewegung 400-mal pro Sekunde, nennt man die Frequenz 400 Hertz.

Der Begriff Hochfrequenz bezeichnet dann Schwingungen im Bereich von Kilohertz, Megahertz und heute auch gerne Gigahertz. Der Hochfrequenzhandel ist aber keine gleichmäßige Schwingung, sondern im Gegenteil zackig, ruckartig, und er reagiert sehr schnell, wenn etwas plötzlich geschieht. Man kennt solche zickigen Kurven von den Börsenkursen.

Hochfrequenzhandel benutzt Computerprogramme, die kleine Veränderungen an Börsen- und Devisenkursen registrieren und Daten vergleichen. Wenn irgendwo auf der Welt ein Finanzgeschäft stattfindet, gibt es kleine, vorübergehende Kursdifferenzen. Das Programm führt dann, noch ehe ein Mensch reagieren kann, blitzschnelle Transaktionen aus.

Die registrierten Schwankungen sind winzig, ein Aktienkurs verändert sich vielleicht auf der zweiten Stelle hinter dem Komma. Wer diese minimalen Differenzen im gleichen Moment ausnutzt, macht einen Gewinn, den man normal kaum beachten würde. Aber wenn das Programm scharf reagiert und Tag und Nacht an allen Börsen arbeitet, kommen fast ohne Risiko beträchtliche Summen zustande. Der Gewinn ist um so größer, je mächtiger und schneller die Hardware ist und je größer die verfügbaren Geldbeträge sind, die blitzschnell eingesetzt werden können.

Das ist ein typischer Vorgang der Umverteilung von unten nach oben. Ehe ein normaler Spekulant oder eine aufgeweckte Spekulantin auch nur die Kursdifferenz an zwei Bildschirmen bemerkt und sich überlegt hat, ob und wie man da zuschlagen kann, hat eine Firma mit Großrechner und Milliarden im Budget schon den Gewinn abgegriffen.

Und diese Firma heißt dann meistens BlackRock, das Unternehmen mit dem größten Einlagevermögen und der schnellsten Großrechenanlage. So geschieht Umverteilung; wer am meisten hat, bekommt vom Teufel einen Zuschlag oben drauf.

Wir wollen auch nicht verschweigen, was man von Staats wegen dagegen machen könnte, wenn ein Staat diesen systembedingten Vorteil des Reichtums, der sich selbst vermehrt, begrenzen oder abschaffen will:

Eine Transaktionssteuer im Bereich von Zehntel-Prozenten auf jede Transaktion, auch wenn sie in Millisekunden oder noch schneller erfolgt. Das ist leicht an der Börse zu kontrollieren und einzukassieren. Ähnlich der Mehrwertsteuer an der Ladenkasse. Die Transaktionssteuer wurde nie eingeführt. Man hat sie wegdiskutiert. Es heißt, sie sei nicht machbar. Der Hochfrequenzhandel ist machbar, also ist eine Hochfrequenztransaktionssteuer machbar, wenn sie von Leuten eingeführt wird, die das System kennen und die Umverteilung stoppen wollen.

Zweiter Grund für die Umverteilung

Die Geldmenge ist viel zu groß, sie übersteigt den Wert aller Handelsgüter um ein Vielfaches. Wie groß dieses Vielfache ist, lässt sich nicht genau feststellen, denn Geld wird systematisch versteckt. Man erkennt die Relation, wenn bei einem spektakulären Börsengang in Stunden oder Minuten Hunderte Milliarden investiert werden oder wenn man weiß, was die Börsen der Welt an einem Tag umsetzen — es sind viele Billionen, also Tausende Milliarden.

Für die folgenden Überlegungen genügt es zu wissen, dass die Geldmenge ein Vielfaches des realen Volumens in der Wirtschaft darstellt, sagen wir einmal das Vierfache. Daraus folgt umgekehrt, dass drei Viertel allen Geldes nur in der Finanzwelt kursieren. Das macht es so leicht, Geld mit Geld zu verdienen. Geld ist schneller und beweglicher als alle materiellen Güter, und es ist mengenmäßig nur begrenzt durch das Budget, das jemand zur Verfügung hat.

Wenn ich mit Bananen handeln will, muss ich beachten, wie groß das Angebot ist, wo sie herkommen, wie sie transportiert und gelagert werden und wie viel der Markt aufnimmt. Wenn ich Aktien kaufe und verkaufe, brauche ich nur zwei Dinge zu beachten, den Kurs und das Geld, das ich zur Verfügung habe. Es kann nicht leicht passieren, dass ich zu viel kaufe. Wenn ich genug Geld habe, und einen steigenden Kurs erahne, kaufe ich einfach so viele Aktien im Aufwind, wie ich kriegen kann.

Börsenspekulation ist, wie schon der Hochfrequenzhandel, um so lukrativer, je mehr Geld ich zur Verfügung habe, und um so erfolgreicher, je mehr ich mich auf das Geschehen einlassen kann. Wer viel Geld hat und seine gesamte Zeit auf die Börse konzentriert, schneidet am besten ab. Wer sich auch noch um seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie kümmern muss, hat weniger Chancen im Finanzgeschäft.

Die Faustregel lautet: Hundert Millionen Dollar oder Euro sind genug, um erfolgreich zu agieren. Wer weniger hat, sollte sein Geld besser bei BlackRock anlegen. Erst bei etlichen Millionen und einer breit gefächerten Anlage verschwindet das Risiko der Kursschwankungen. Finanzgeschäfte sind also nichts für normale Geldverdiener, sondern etwas für Leute, die wie Geier über den Dingen schweben.

Die Tatsache, dass viel mehr Geldvolumen im Finanzgeschäft steckt als in der normalen Wirtschaft, macht Finanzgeschäfte schneller, einfacher und lukrativer als die materielle Wirtschaft. Voraussetzung ist allerdings das Startgeld, egal, woher es gekommen ist. Die übliche Geldquelle ist eine Erbschaft. Wer die gemacht hat und sich ausgiebig mit Finanzverwaltung beschäftigt oder ein paar Leute einstellen kann, die das tun, bekommt vom Finanzteufel einen Zuschlag an den Börsen der Welt als leistungsloses Einkommen.

Dritter Grund für die Umverteilung

Durch die girale Geldschöpfung steigt die Geldmenge immer weiter. Es werden ständig und überall Schulden aufgenommen. Das ist im Interesse der Banken, die Geld aus dem Nichts erzeugen, es als Kredit vergeben und dafür Zinsen kassieren. Die Banken leben davon und machen es den Kreditnehmern leicht. Jeder, der einen Kredit aufnehmen will, ist willkommen, solange eine gewisse Sicherheit vorhanden ist. Die größten Schulden sind die Staatsschulden, und sie gelten als besonders sicher, weil ganze Völker dafür haften.

Banken, besonders die großen, drängen Politikerinnen und Politiker zur Schuldenaufnahme. Darauf reagieren besonders die Bankenfreunde unter ihnen. Olaf Scholz ist bekanntlich ein Bankenfreund. Viel mehr braucht man über ihn nicht zu wissen, um zu erklären, wieso er so viele Kredite, erst als Finanzminister und dann als Bundeskanzler, aufgenommen hat. Und wie er in Hamburg seine innigen Freundschaften zu den Bankern pflegte, entzieht sich der Erinnerung. Als Herr Scholz seine Milliardenkredite vorbei an der Verfassung verkündet hat, wusste er eins genau: Die Banken werden es genehmigen, denn sie können das Geld aus dem Nichts hervorzaubern. Den Wert dieses neu zu generierenden Geldes garantieren aber immer diejenigen, die es zurückzahlen müssen, also die Bürgerinnen und Bürger, nebst Kindern und Enkelkindern.

Was geschieht jetzt, wenn die Geldmenge durch Kredite immer weiter steigt? Über kurz oder lang landet das meiste Geld in der Finanzwelt, da, wo es hergekommen ist, und die Geldbesitzer werden versuchen, es anzulegen, weil für sie Geld zum Geldverdienen da ist. Sie kaufen erst einmal Aktien. Es ist leicht zu erkennen, dass die Aktienkurse dann insgesamt, im Durchschnitt, ansteigen, wenn die Geldmenge steigt. Das bedeutet, die Vermögen der Aktienbesitzer vermehren sich im Schnitt automatisch, weil überall Staaten und Privatleute immer weitere Kredite aufnehmen und die Banken mehr Geld generieren.

Die Preise für Börsenpapiere gehen nach oben. Man kann das aber auch anders sehen: Auf dem Finanzmarkt wird das Geld weniger wert. Das ist dann Finanzinflation. Die gab es schon vor zwanzig Jahren, aber in der realen Wirtschaft behielt das Geld, abgesehen von 2 Prozent schleichender Inflation, seinen Wert.

Im nächsten Schritt suchten die Geldanleger nach festen Werten. Das sind Immobilien. Es begann ein Run auf Immobilien, und die Inflation griff über auf den Immobilienmarkt. Überall stiegen die Preise für Häuser und dann für Mieten. Mit den Mieten ist die Inflation bereits bei den normalen Familien angekommen.

Seit 2022 gibt es die Inflation auch im Supermarkt. Erst wurde das Sonnenblumenöl aus der Ukraine teurer, doch dann zog alles andere nach. Die großen Firmen treiben die Inflation voran und greifen zu bei den Preisen für Lebensmittel. Dieser Vorgang war vor Jahren schon vorher zu sehen und ist wegen der viel zu großen Geldmengen nicht aufzuhalten.

Das, was mit dem Geld geschieht, ist eine aufwärts gerichtete Geldspirale, an der 90 Prozent aller Menschen nicht beteiligt sind. Diese Geldspirale wird durch Schulden verursacht, und die meisten merken es nicht, auch weil die Zinsen versteckt sind.

Die Wirtschaft wird zu einem wesentlichen Teil auf Basis von Krediten finanziert, die zurückgezahlt werden müssen. Die Zinsen fließen ein in die Kalkulation der Firmen — und selbst wer nie einen Kredit aufgenommen hat, zahlt beträchtliche Zinsen, die in allen Preisen enthalten sind. Das gilt besonders für den Wohnungsbau. In den Mieten steckt ein hoher Anteil von Zinsen für Kredite der Hauseigentümer. Am Ende landen alle Zinsen bei denen, die schon immer das Geld hatten.

Wie zuvor suchen wir nach einer Möglichkeit, die Umverteilung zu stoppen. Die ist mathematisch einfach, aber in diesem Fall besonders schwer durchzusetzen: Um die immer fortschreitende Erhöhung der Geldmenge im bestehenden System zu stoppen, müssen wir das Schuldenmachen stoppen, es nützt an erster Stelle den Banken und den Geldbesitzern.

Schuldenaufnahme in der Wirtschaft schadet außerdem der Umwelt und dem Klima, denn mit Schulden werden all die Projekte angekurbelt, die nachher hohe Rendite bringen müssen, damit man die Schulden tilgen kann und obendrein noch einen vertretbaren Gewinn erzielt. Das sind die Projekte, die Menschen und Ressourcen am meisten ausbeuten.

Das Fatale in der Parteiendemokratie ist folgende Standardsituation: Die Konservativen, die Banken und die Besitzenden sind fürs Schuldenmachen der anderen, weil sie daran gut verdienen und ihr Geld arbeiten lassen. Die Linken sind ebenso fürs Schuldenmachen, weil sie glauben, es wäre gut, auf diese Weise soziale Projekte zu finanzieren, für die sonst kein Geld da ist.

Unterm Strich aber gewinnen die Geldbesitzer auf zweifache Weise: Durch die obligatorischen Zinsen und durch das Erhöhen der Geldmenge. Verlierer sind die Steuerzahler, aber auch die nicht alle.

Auf der Seite der Gewinnerinnen und Gewinner der Schuldenpolitik sind auch die staatlichen Angestellten und Beamten. Die zahlen zwar Steuern, aber der Staat muss ihnen immer ein Einkommen garantieren, das die Steuern enthält. Der öffentliche Dienst profitiert von der Schuldenaufnahme, weil der Staat dann gute Gehälter zahlen kann. Also gibt es in den Parteien eine breite Front für Staatsschulden.

Verlierer sind nur die Nettozahler, die mehr an den Staat abgeben, als sie vom Staat bekommen. Das sind aber die meisten, große Teile der Wirtschaft, einschließlich der Arbeiterschaft und der privat Angestellten, aber auch Kleinverdiener, die noch Lohnsteuer zahlen, und sowieso alle, die Sozialabgaben entrichten. Darunter auch viele junge Leute der nächsten Generationen, die noch nicht gemerkt haben, was gespielt wird. Alle können ja nicht in den Staatsdienst gehen. Diese Mehrheit der jetzigen und zukünftigen Nettozahler müsste sich einig sein, die Staatsschulden zu stoppen. Die Nettozahler werden immer in der Mehrheit sein, weil der Staat sich sonst nicht finanzieren kann.

Es scheitert an den Parteien. Die Parteien sind anders strukturiert als die Bevölkerung. Sie vertreten Finanzinteressen, den öffentlichen Dienst und sich selbst, also die Parteikader.

Wer aber ganz oben hohe Finanzgewinne macht, ist zwar Nettozahler, wegen der Steuern und meist ohne Zuwendungen des Staates, aber man verdient im Finanzgeschäft, an den Staatsschulden. Die Finanzwelt gehört automatisch zu den Gewinnern an der Schuldenpolitik, solange die Steuern auf Finanzgewinne so niedrig sind. Den Gewinnern nimmt der Teufel nie etwas weg.


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