Ausblick vom Rand des Abgrunds

Im Manova-Exklusivgespräch deutet die Politologin Ulrike Guérot die Hetzkampagne gegen sie als Sinnbild für die Totalisierung des Denkens und erläutert, wie Europa wieder Utopien entwickeln kann, statt nur auf Krisen zu reagieren.

Der „Fall Ulrike Guérot“ hat für Aufsehen gesorgt. Da hatte eine Professorin der Politikwissenschaft gerade ihren Dienst an der Bonner Universität angetreten, und schon fiel sie mit „umstrittenen“ Äußerungen zur pandemischen Gesundheitspolitik unangenehm auf. Kaum war der Rauch verflogen, widersetzte sie sich der neuen Staatsraison namens Zeitenwende und forderte Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Das konnten Politik und Medien, die unverhohlen Deutschland kriegstauglich zu machen versuchen, nicht dulden. Wie von langer Hand vorbereitet, erschienen plötzlich Plagiatsvorwürfe in der FAZ. Es ging um drei nichtwissenschaftliche Bücher, in denen Guérot tatsächlich einige wenige Zitate nicht als solche ausgewiesen hatte. Ein Ärgernis, doch mit Sicherheit kein Skandal und schon gar kein Kündigungsgrund. Die Universität Bonn ergriff die Gelegenheit beim Schopf und kündigte ihrer gerade bestallten Professorin fristlos. Die Entlassene widersprach der Kündigung. Der Prozess dauert noch an.

Über die Details dieser Geschichte informiert das kürzlich im Westend Verlag erschienene Buch. „Der Fall Ulrike Guérot. Versuche einer öffentlichen Hinrichtung“ herausgegeben von Gabriele Gysi. Eine hochinteressante sachliche Dokumentation der Umstände wie eine angesehene Professorin zu einem „Fall“ werden konnte. Darum geht es in diesem Gespräch, aber auch um den Sturz einer brillanten Intellektuellen, die hohes akademisches Ansehen genoss, Mutter dreier Kinder ist, der Extremismus eher fern lag, alles in allem eine Säule der bürgerlichen Welt, die binnen einiger Monate aus jener Welt verbannt wurde und danach damit fertig werden musste, eine Ikone der Gegenöffentlichkeit zu werden.

Das steckt auch eine Ulrike Guérot nicht einfach weg. Darüber redet sie offen. Es geht nicht nur um ihren Ruf, nicht nur um das haltlose Mobbing gegen sie, es geht auch um ihre materielle Existenz. Denn sollte die Universität Bonn sich durchsetzen, verlöre sie nicht nur ihre Professorenstelle, sondern auch alle Rentenansprüche.

Wir sprechen darüber, ob sie überhaupt noch einmal zurück will in die alte Welt und ob die reparabel wäre. Wie könnte das aussehen? Andererseits: Wie geht es weiter in und mit unserer Parallelgesellschaft? Guérot wurde in letzter Zeit mehrfach in Verbindung gebracht mit der neuen Partei von Sahra Wagenknecht. Hier spricht sie über ihr Verhältnis zu dieser linken Neugründung und inwieweit das Parteienwesen und die parlamentarische Demokratie überhaupt noch in der Lage sind, die Dinge zu richten. Ulrike Guérot denkt an eine am Gemeinwohl orientierte Republik und an einen noch zu gründenden Thinktank, der die grundlegend neuen politischen Strukturen einer solchen Republik zum Vorschlag bringen könnte.


MANOVA im Gespräch: „Ausblick vom Rand des Abgrunds“ (Ulrike Guérot und Walter van Rossum)

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