Balken im Auge

Die russischen staatlich finanzierten Medien zeichnen Putin in einem weichen Licht, behaupten die bundesdeutschen Medien, die sich selbst für unabhängig halten.

Die Journalisten und Medien in der Bundesrepublik meinen, dass sie unabhängig sind und ausgewogen berichten. Dieses Selbstbild hat wenig mit der Realität zu tun, wie ein Blick in die Zeitungen samt ihrer Onlineausgaben, Onlineportale und Senderprogramme zeigt. Das gilt nicht nur für die privat finanzierten Konzernmedien, sondern leider auch für die öffentlich-rechtlichen Sender. Die scheinen weniger jenen verpflichtet, die sie über Gebühren finanzieren, als jenen, die ihnen politisch die Richtung vorgeben. An die halten sie sich getreu, mit wenigen Ausnahmen. Gleichzeitig zeigen sie auf die Splitter im Auge anderer und wollen die dicken Balken in den eigenen Augen nicht sehen. Das zeigt sich unter anderem beim Umgang mit russischen staatlich finanzierten Medien wie Russia Today und Sputniknews.

Wie kann man als freier Journalist, ja als Mensch ganz generell, nur mit Russia Today (RT) sprechen? Das ist doch Staatsfernsehen. Ganz schlimmes Staatsfernsehen. Diese Debatte führten wir noch vor einigen Jahren, als die Situation in der Ukraine noch aktueller war. Manche Leute informierten sich zur Lage nicht nur bei ARD und ZDF, sie guckten auch mal, was RT zu bieten hatte. War da ein Feature auch nur um Ausgeglichenheit bemüht, krochen gleich die Faktenchecker und Korrektiven aus ihren Löchern und riefen, dass dies Propaganda sei, eine ganz krumme Tour von Putin. Dass sich da dann sogar hin und wieder westliche Journalisten hin verirrten, machte manchen fassungslos.

Die Lage heute ist ähnlich. Jetzt geht es nicht mehr um die Ukraine und Russland. Es geht um eine Pandemie. Darum, wie man sich über sie informiert, was man glauben darf und was nicht. Und es geht um jene, die noch vor Jahren vor dem bösen Staatsfernsehen fremder Mächte und Länder warnten, die aber jetzt deutlich unterstrichen, was sie da eigentlich machen: nämlich Staatsfernsehen. Ganz schlechtes sogar.

Öffentlich-rechtliches … Staats- und Parteifernsehen?

„Staatsfernsehen“: Da steckt die ganze Verachtung der Branche drin. Denn der Fernsehbetrieb ist frei — er gehört ja zur freien Presse. So wie es sich gehört. Wenn das Fernsehen im Dienst des Staates steht, kann diese Freiheit schon nicht mehr bestehen. Das Wort fungiert quasi als Prädikat, welches sofort kenntlich machen soll: Hier gibt es vom Staat verordnete Unterhaltung und Information.

Dass das öffentlich-rechtliche Konzept der Fernseh- und Radioanstalten ja gewissermaßen auch ein staatliches TV ist, steht nicht mal im Abspann. Im Gegenteil, die so finanzierten und kontrollierten Sendeanstalten bemühen das Staatsfernsehen der Anderen mit einer arroganten Süffisanz, die sich aus dem Anspruch, ein unkontrolliertes, freies Medium sein zu wollen, rekrutiert. Die Anderen machen daher grundsätzlich Propaganda, fahren Kampagnen — etwas, das es bei uns ja zum Glück nicht gibt.

Ob nun der Rundfunk gebührenfinanziert oder einer Regierung unterstellt ist, mag zunächst nicht dasselbe sein. Aber ist die Gebührenfinanzierung nicht eine andere Spielart staatlicher Kontrolle? Der beträchtliche Einfluss politischer Parteien auf öffentlich-rechtliche Anstalten zeigt das deutlich. Sogar das Verfassungsgericht musste in der Vergangenheit eingreifen, um den staatlichen Einfluss etwas zu begrenzen. Keiner käme aber auf die Idee, die teils wüste Berichterstattung zu Russland oder eben jetzt zu Covid-19 als Auswüchse des Staatsfernsehens zu bezeichnen. Warum eigentlich nicht?

Wieso ein Regierungssprecher? Viele Regierungssprecher!

Als im Sommer 2010 Steffen Seibert vom ZDF ins Bundespresseamt wechselte, erklärte er seinen Wechsel damit, als leidenschaftlicher Journalist, der er ja doch sei, nun vor einer „faszinierenden neuen Aufgabe“ zu stehen. So ließ er sich dann zitieren. Widerspruch erntete diese Stellungnahme kaum, obwohl der Journalist sich weit von den Basics seiner Profession entfernte. Denn als Regierungssprecher hat er weder neutral noch kritisch oder objektiv zu sein — er ist parteiisch, gutgläubig, subjektiv. Er ist das personifizierte Verlautbarungsorgan seines Dienstherrn, erzählt, was die Regierung von ihm erwartet, tut kund, was man ihm aufschreibt und vermittelt Vordiktiertes.

Was wir in den letzten Jahren gelernt haben: Man muss gar nicht ins Bundespresseamt wechseln, um einer so „faszinierenden Aufgabe“ nachgehen zu können. Gewissermaßen kann man das heute im Homeoffice erledigen. Man muss also nicht ins Amt, es ist vollkommen ausreichend, aus der Redaktionsstube heraus den Seibert zu geben.

Es gibt nur einen Steffen Seibert? Zwei, drei, viele Steffen Seiberts wurden geschaffen. In den letzten Monaten hat man das aktiv erleben dürfen. Die Berichterstattung zur Pandemie teilte sich auf in Panikmache und Hofchronik, die Medienforscher Dennis Gräf und Martin Henning attestierten allen Medien, durchaus aber auch den öffentlich-rechtlichen Anstalten, einen „Tunnelblick“ erzeugt und „mit den inszenatorischen Mitteln von Hollywoodblockbustern Ängste geschürt“ zu haben.

Boris Reitschuster geht indes noch weiter: Er unterstellt gerade dem öffentlich-rechtlichen TV, eine klare Haltung an den Tag gelegt und bestimmte Virologen ausgeblendet zu haben. Man hat die Regierung nicht kontrolliert, sondern hofiert. SWR-Intendant Kai Gniffke gibt selbst offen zu, dass „strittige Thesen“ keine Beachtung im Programm finden sollten, weil sie „unserem Auftrag“ widersprechen.

Das Versagen des „freien“ Journalismus

Was für eine unverschämte Verdrehung: Kai Gniffke verbrämt das völlige Versagen des Journalismus hinter verständigem Geplänkel. Er tut das, was man heute in modernen Unternehmen eben so tut: Er betreibt Kritikmanagement, bügelt kritische Worte ab, indem er Kritikfähigkeit simuliert, aber gleichzeitig den Kurs als alternativlos richtig auszeichnet. So wie man es von der Regierung der Alternativlosen im Hosenanzug gelernt hat. Dabei sollte Journalismus stets einen Blick für Alternativen zum Ist-Zustand haben. Das erklärt sich aus dem eigenen Selbstverständnis.

Nämlich als vierte Staatsgewalt wirken zu dürfen. Genau das ist es ja, was man dem Staatsfernsehen der Anderen immer vorwirft: Nicht mehr als Korrektiv wirken zu wollen. Zum Werbefernsehen geworden zu sein, ein bisschen so wie der Radiosender des Penny-Marktes: Der sendet nun auch nicht gerade kritische Verbraucherhinweise oder beleuchtet die zu verkaufende Ware umsichtig. Er will was an den Mann bringen. Das haben die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auch getan — etwas an den Mann und an die Frau gebracht: nämlich den Regierungskurs.

Dieser ach so freie Journalismus hat sich mal wieder keine ach so freie Freiheit genommen, auch andere Experten, andere virologische Thesen, andere Perspektiven zu Wort kommen zu lassen. Es gab keine Alternative. Steffen Seibert oder die stets fröhlichen Moderatoren des Penny-Markt-Radios kommen aus ihrer Nummer nicht raus. Das von Gebührenzahlenden finanzierte Fernsehen hätte es gekonnt. Wenn denn die These von der freien Presse stimmt. Das wäre zu prüfen. Bis dahin einigen wir uns darauf, diese Sender als Staatsfernsehen zu begreifen. Vielleicht nur noch ein wenig unkritischer, als es RT zuweilen ist.