Bündnis ohne Basis

Die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verletzt grundlegende demokratische Prinzipien und bewegt sich gefährlich nahe an der Verfassungswidrigkeit.

So neu und schon so skandalumwittert. Die junge Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert, ihre innere Organisation verstoße gegen grundlegende demokratische Prinzipien. Insbesondere in den Landesverbänden Hamburg und Thüringen treten innerparteiliche Konflikte offen zutage. Bemängelt wird eine zentralistische Machtkonzentration um die Parteispitze, ein undurchsichtiger Umgang mit Mitgliedsanträgen sowie fehlende Transparenz und Beteiligung. Diese Entwicklungen werfen die Frage auf: Ist die Parteistruktur des BSW mit Artikel 21 des Grundgesetzes und dem Parteiengesetz vereinbar — oder liegt hier eine verfassungswidrige innere Ordnung vor?

Ein autokratisch geführtes Projekt

Der Fall Hamburg: Zentralismus statt Basisbeteiligung

Im Landesverband Hamburg offenbarte sich früh ein Konflikt zwischen der Basis und der Parteiführung. Nachdem das BSW bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 mit nur 1,8 Prozent krachend scheiterte, zog der Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Jochen Brack persönlich Konsequenzen: Er trat von seinem Amt zurück. Brack kritisierte in einer Erklärung, die übrigen Landesvorstandsmitglieder — einschließlich seines Co-Vorsitzenden Konstantin von Eulenburg — klammerten sich trotz des Wahldesasters an ihre Posten. Er forderte einen personellen Neuanfang an der Spitze des BSW-Hamburg und mehr Aufarbeitung der Fehler im Wahlkampf. Zwischenzeitlich ist Jochen Brack aus dem BSW ausgetreten, nachdem es am 8. Mai eine „Einpeitsch-Videokonferenz“ der 16 neuen Mitglieder gab. Damit wurden die Mehrheitsverhältnisse des Bundesvorstands gesichert.

In seiner Austrittserklärung wirft Brack dem Parteivorstand vor, durch Aufnahme von „handverlesenen Mitgliedern“ die eigene Mehrheit auf dem Parteitag sichern zu wollen, wobei sich sogar „Lebenspartnerinnen und enge Freunde“ unter den Neuen befänden. Das sei in „Geheimverfahren“ in Verbindung mit „Gesinnungsprüfungen“ passiert (https://taz.de/Austritt-des-Spitzenkandidaten/!6083256/ ).

Ein außerordentlicher Landesparteitag wurde zunächst vom Vorstand für den 12. April 2025 einberufen, um Bracks Nachfolge zu wählen und einen Neustart zu ermöglichen. Doch rasch entstanden Spannungen um die Ausrichtung dieses Parteitags.

Nur offizielle BSW-Mitglieder wurden eingeladen, während zahlreiche Unterstützer und Interessenten ausgeschlossen blieben.

Diese „Unterstützer“ — teils seit der Gründung auf ihre Aufnahme in die Partei wartende Anhänger — protestierten gegen ihren Ausschluss und verlangten, zumindest als Gäste teilnehmen und sich äußern zu dürfen.

Über 200 Personen in Hamburg befanden sich in diesem Schwebezustand: Sie hatten Mitgliedsanträge gestellt, zum Teil bereits Parteispenden geleistet, durften aber bisher weder mitstimmen noch überhaupt an internen Versammlungen teilnehmen. Der Vorstand jedoch lehnte ihre Teilnahme am Parteitag ab — trotz einer Unterschriftenaktion der Unterstützer für mehr Mitspracherechte. Dieses Vorgehen erzeugte Unmut: Ein Hamburger Unterstützer kritisierte anonym, der Landesvorstand sei „seinen Namen nicht wert“ und er fürchte um seine Chancen auf Aufnahme, sollte er öffentlich auftreten.

Zugleich wurde Kritik an mangelnder Transparenz laut. So monierte Jochen Brack, dass in der Einladung zum Parteitag weder ein Rechenschaftsbericht noch ein Finanzbericht über den erfolglosen Wahlkampf vorgesehen war. Angesichts der vom Bundesverband erhaltenen 20.000 Euro Wahlkampfhilfe verlangten viele Anhänger Aufklärung, wie diese Mittel verwendet wurden. Brack forderte öffentlich einen offenen Parteitag, Presseöffentlichkeit und Aufarbeitung — üblich nach einer so verheerenden Niederlage. Doch der Landesvorstand plante offenbar anderes: Hinter verschlossenen Türen sollte der Kreis der Stimmberechtigten klein gehalten werden. Kritikern zufolge wollte die Parteispitze die Versammlung kontrollieren, anstatt eine offene Debatte zuzulassen.

Tatsächlich wurde der für April geplante Parteitag kurzfristig auf den 10. Mai verschoben. Beobachter vermuteten, dass diese Verzögerung genutzt wurde, um noch rasch neue Mitglieder aufzunehmen, die der Bundesvorstand handverlesen auswählte, um Mehrheiten zu sichern. Dieses Manöver soll es der Parteiführung erleichtern, unliebsame Beschlussfassungen oder personelle Veränderungen zu verhindern. In Hamburg hatte der offizielle Landesverband bis dato weniger als 30 Mitglieder. Indem man zusätzliche, linientreue Mitglieder gezielt zuließ, zementiert die Parteispitze ihre Kontrolle über die Abstimmungen. Genau dies beklagten ich als Hamburger Gründungsmitglied sowie Norbert Weber bereits seit Mitte 2024, noch bevor die Probleme öffentlich wurden. Sahra Wagenknecht und die Parteispitze waren vollständig infomiert worden. Weber und ich kritisierten die übermäßige Macht des Bundesvorstands, forderten mehr Transparenz und ein demokratischeres Aufnahmeverfahren für neue Mitglieder. Die Reaktion der Parteispitze folgte prompt: Beide wurden mit Parteiausschlussverfahren überzogen und bis zur Entscheidung vom Mitgliederrechten suspendiert.

Beim der Wahl des Landesvorstandes in Hamburg am 10. Januar wurde mir die Teilnahme verweigert, ein Hausverbot erteilt, und am Ende entfernte man mich mit einem Polizeieinsatz.

Beim Bundesparteitag in Bonn am folgenden Tag verweigerte die BSW-Führung den beiden sogar den Zutritt — sie wurden am Eingang abgefangen und des Geländes verwiesen. Lazić klagte darüber, im BSW geschehe „alles nur nach Willen der Kaiserin“ — ein Verweis auf die übermächtige Rolle Sahra Wagenknechts im Hintergrund.

Der Hamburger Fall zeichnet ein Bild von rigiden Parteistrukturen, in denen die Führung missliebige Stimmen marginalisiert. Öffentliche Debatten wurden unterbunden, „nicht genehme Mitglieder“ erst gar nicht zugelassen und Unterstützer als Mitglieder zweiter Klasse behandelt. Ein offener Wettbewerb um Positionen findet kaum statt, stattdessen wurde das Verfahren gesteuert, um den Status quo zu erhalten.

Dieses Vorgehen wirft unweigerlich verfassungsrechtliche Fragen auf, denn das Grundgesetz verlangt von Parteien eine innere Ordnung, die demokratischen Grundsätzen entspricht.

Verfassungsrechtliche Bewertung: Innere Demokratie und Parteiengesetz

Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz (GG) schreibt vor, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung mitwirken und dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Dieses Gebot der innerparteilichen Demokratie ist ein Kernprinzip des deutschen Parteiensystems. Es bedeutet, dass innerhalb der Partei Willensbildungsprozesse grundsätzlich von unten nach oben verlaufen sollen: Entscheidungsfindungen durch Mehrheitsbeschluss, Achtung von Minderheitenrechten, Mitwirkungsrechte aller Mitglieder und eine Rechenschaftspflicht der Führung gegenüber der Basis. Allerdings ist anerkannt, dass die Anforderungen nicht ganz so streng sind wie an staatliche Institutionen — neue Parteien haben einen gewissen Spielraum, ihre Strukturen aufzubauen.

Doch grundlegende demokratische Mindeststandards dürfen nicht dauerhaft ausgehöhlt werden.

Konkretisiert wird dieser Verfassungsgrundsatz im Parteiengesetz (PartG). So verlangt Paragraph 6 Parteiengesetz von jeder Partei eine schriftliche Satzung, die unter anderem die Aufnahme von Mitgliedern, die Rechte der Mitglieder und den Aufbau der Parteiorgane regelt.

Paragraph 7 Parteiengesetz schreibt vor, dass sich Parteien in Gebietsverbände untergliedern müssen, und zwar so, dass jedem einzelnen Mitglied eine angemessene Mitwirkung an der Willensbildung der Partei möglich ist. Mit anderen Worten: Die Landes- und Ortsverbände sollen echte Befugnisse haben und nicht bloß Befehlsempfänger einer Zentrale sein. Entscheidungen dürfen nicht ausschließlich „top-down“ von einer kleinen Spitze getroffen werden, sondern müssen demokratisch in den Gliederungen diskutiert und legitimiert werden.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erscheinen die geschilderten Vorgänge im BSW hochproblematisch.

Professorin Sophie Schönberger, Verfassungsrechtlerin und Parteienrechtsexpertin, kommt zum Schluss: „Das BSW verstößt gegen das Gebot der innerparteilichen Demokratie .“ Insbesondere zwei Punkte nennt Schönberger als parteienrechtlich unzulässig: die restriktive Mitgliederaufnahme und die fehlende Autonomie der Landes- und Ortsverbände.

Mitgliederaufnahme

Nach herrschender Rechtsauffassung steht es Parteien zwar grundsätzlich frei, über Aufnahmeanträge nach politischer Passung zu entscheiden; es besteht kein individueller Rechtsanspruch, Mitglied zu werden. Aber: Parteien dürfen keine generellen Aufnahmesperren verhängen. Sie müssen prinzipiell offen für neue Mitglieder sein, die dann gleichberechtigt an der inneren Willensbildung teilnehmen dürfen. Genau hier sieht Schönberger einen klaren Verstoß des BSW gegen das Parteiengesetz. Das BSW nehme nur eine geringe Zahl handverlesener Mitglieder auf und lasse einen Großteil der Mitgliedsanträge schlicht unbearbeitet liegen.

Für viele engagierte Unterstützer bedeute dies de facto eine andauernde Aufnahmesperre. Ein solcher Zustand, in dem „ausschließlich ein kleiner Zirkel dauerhaft die Macht ausübt“, ist mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar.

Die Parteispitze um Sahra Wagenknecht argumentiert zwar, man wolle durch behutsames Wachstum eine Unterwanderung der jungen Partei durch politische Gegner — zum Beispiel AfD-Anhänger oder Linksradikale — verhindern. Doch dieses Ziel rechtfertigt nicht, zahlreiche Bewerber gar nicht erst zu bescheiden. Zulässig wäre es, jeden Bewerber individuell auf Gesinnung zu prüfen und bei konkreten Zweifeln abzulehnen. Was das BSW jedoch tut — die Anträge einfach liegen lassen und den Zustrom künstlich bremsen —, läuft auf eine gezielte Abschottung hinaus. Damit werde verhindert, dass die Partei unkontrolliert wächst und dadurch „notwendige unvorhersehbare demokratische Prozesse in Gang gesetzt werden“. Anders ausgedrückt: Man will die eigene Basis klein halten, um spontane Mehrheitsentscheidungen oder Opposition von unten zu unterbinden. Dies widerspricht fundamental dem offenen, durchlässigen Willensbildungsprozess, den das Parteiengesetz intendiert.

Gebietsverbände und Binnenstrukturen

Ebenso kritisch ist die extreme Machtzentralisation im BSW. Unterhalb des Bundesvorstands dürfe „praktisch nichts Relevantes entschieden werden“, konstatiert Schönberger — hier offenbare das BSW „große Defizite“. Tatsächlich wurde die Gründung mancher Landesverbände direkt vom Bundesvorstand gesteuert — man denke an Hamburg, wo der Bundesvorstand nach der Abspaltung umgehend einen eigenen Landesverband „von oben“ einsetzte. Auch die Aufnahme neuer Mitglieder scheint weitgehend in Berlin entschieden zu werden, ohne Autonomie der Länder. So berichtete ein BSW-Landesvorstand, der Bund habe eigenmächtig „viele neue Mitglieder zugelassen“, was die Landesspitze nur noch feststellen konnte. Eine solche Satzungsregelung, wonach der Bundesvorstand zentrale Personalhoheit hat, hält die Parteienrechtlerin Schönberger für unzulässig.

Das Gesetz verlangt nämlich gerade eine Gliederung mit echten Mitwirkungsrechten der Mitglieder vor Ort. Wenn aber überall letztlich die Bundespartei bestimmt, wer Mitglied werden darf und welche Entscheidungen getroffen werden, bleibt für basisdemokratische Elemente kein Raum. Demokratische Binnenstruktur bedeutet zum Beispiel, dass Landesverbände ihre Vorsitzenden und Kandidaten frei wählen können und die Bundesebene nicht diktatorisch eingreift.

Im BSW hingegen deutet vieles auf ein striktes Kadermodell hin: Eine kleine Führungsriege trifft die strategischen Entscheidungen, während die Basis nur abnicken soll.

Satzungsbestimmungen, die dieser Führungsclique dauerhaft Macht sichern, etwa indem Vorstände zu lange Amtszeiten haben oder Gremien nur mit Zustimmung der Parteispitze tätig werden dürfen, wären rechtlich angreifbar. Schönberger bezeichnet das BSW insgesamt als „völlig neue, bislang ungekannte Qualität“ einer autoritären Parteistruktur in Deutschland. Es handele sich um ein „striktes Kader- und Machtprojekt einer kleinen Führungsriege“, das den politischen Prozess intern gezielt gegen demokratische Zumutungen abschirme. Solch klare Worte einer Verfassungsrechtlerin zeigen, wie eklatant die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität im BSW ist.

Gleichbehandlung und Transparenz

Gleichheit der Mitglieder bedeutet, dass keine dauerhaften Klassen von Mitgliedschaften geschaffen werden sollen.

Beim BSW jedoch existiert faktisch eine Zweiklassenstruktur: Die offizielle Mitgliedschaft ist einem kleinen, ausgewählten Kreis vorbehalten, während Hunderte Unterstützer zwar Beiträge zahlen und für die Partei arbeiten, aber keinerlei Stimmrechte oder echte Einbindung genießen.

Sie „dürfen zahlen, und das war’s dann“, wie ein frustriertes früheres BSW-Mitglied formulierte.

Solche Konstruktionen widersprechen dem Geist innerparteilicher Demokratie, der alle Mitglieder als Träger der Willensbildung ansieht. Zudem verletzt das BSW nach Ansicht der Kritiker auch das Transparenzgebot. Die Weigerung, Finanzberichte offenzulegen, sowie die Umgehung direkter Spendenoffenlegung durch einen vorgeschalteten Verein (BSW e. V.) wurden als intransparent moniert. Zwar muss betont werden, dass etwaige Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsrecht separat zu betrachten sind — doch sie verstärken den Eindruck einer Partei, die Rechenschaftspflichten ungern nachkommt.

Autokratische Top-down-Führung

In der Gesamtschau verdichten sich die Anzeichen, dass die innere Ordnung des BSW nicht den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht. Demokratische Grundprinzipien — offene Mitgliedschaft, innerparteilicher Pluralismus, transparente Entscheidungsprozesse — werden zugunsten einer straffen Top-down-Führung unterdrückt. Das BSW präsentiert sich damit strukturell als Antithese zur mitgliedergesteuerten Partei herkömmlichen Verständnisses. Rein rechtlich gesprochen sind die beschriebenen Praktiken mit Artikel 21 GG und dem Parteiengesetz kaum vereinbar.

Allerdings stellt sich die Frage: Welche Konsequenzen hat ein solches Verhalten? Hier ist zu differenzieren. Staatliche Eingriffsmöglichkeiten zur Durchsetzung innerparteilicher Demokratie sind begrenzt. Solange das BSW formell gewisse Mindestregeln einhält — zum Beispiel periodische Wahlen des Vorstands, geheime Abstimmungen bei Kandidatenkür —, wird die Schwelle zum Parteienverbot nach Artikel 21 Absatz 2 GG nicht erreicht; diese greift nur bei aktiv kämpferisch-demokratiefeindlichen Bestrebungen.

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es zwar noch keinen Fall, in dem eine Partei allein wegen innerer undemokratischer Struktur verboten wurde — aber das BSW riskiert mit seinen Strukturen, langfristig an rechtliche Grenzen zu stoßen.

Mindestens genauso bedeutend sind die politischen Folgen: Mitglieder laufen in Scharen davon, prominente Unterstützer kehren der Partei den Rücken. So trat der Europaabgeordnete Friedrich Pürner aus Protest aus der Partei aus und kritisierte die Führung scharf:

„Seit einem Jahr schaue ich mir nun das Agieren des BSW an. Ich erkenne, dass das BSW im Inneren anders handelt, als es nach außen spricht. Statt Meinungsfreiheit gibt es Maulkorb. Das Verhalten einiger Verantwortlicher ist autoritär, und demokratische Vorgänge beziehungsweise Strukturen sind einigen ein Dorn im Auge. Das BSW klagt andere wegen Vetternwirtschaft an, pflegt selbige aber innerhalb der Partei.“

Der Fall Thüringen: Basisdemokratie im Aufstand

Ein Gegenbild zum Hamburger Szenario zeigte sich im Landesverband Thüringen — allerdings ebenfalls unter konflikthaften Vorzeichen. Hier prallte der Zentralismus der Parteiführung auf den Widerstand einer vergleichsweise selbstbewussten Landesbasis. Katja Wolf, die amtierende Landesvorsitzende in Thüringen, zugleich Finanzministerin und Vizeministerpräsidentin des Landes, geriet ins Visier von Sahra Wagenknecht persönlich. Wagenknecht und ihr Bundesvorstand waren unzufrieden mit dem thüringischen Kurs: Wolf hatte das BSW in eine Regierungskoalition mit CDU und SPD geführt („Brombeer-Koalition“), was Wagenknecht als Verwässerung des Parteiprofils kritisierte. Vor Landesparteitag Ende April 2025, bei dem der Vorstand neu gewählt werden sollte, empfahl Wagenknecht offen eine Neubesetzung: In einem an alle Thüringer BSW-Mitglieder versandten Brief warb sie für eine „Neuaufstellung“ an der Spitze und unterstützte die Gegenkandidatin Anke Wirsing gegen Katja Wolf.

Dieser Eingriff einer Bundesvorsitzenden in eine Landesvorstandswahl wurde parteiintern als Machtkampf Berlin gegen Erfurt wahrgenommen.

Doch der Thüringer Parteitag in Gera am 26. April 2025 endete mit einem Denkzettel für die Bundeschefin: Katja Wolf setzte sich deutlich durch. Sie gewann die Abstimmung mit 61 zu 35 Stimmen gegen Wirsing, die von Wagenknecht favorisiert worden war. Wolf zeigte sich erleichtert über dieses klare Votum der Delegierten. Der Versuch Wagenknechts, die Landesführung aus der Ferne zu „domptieren“, war damit vorerst gescheitert.

Gleichwohl hatte der Vorstoß die Partei intern erschüttert: Ein derart offener Richtungsstreit zwischen Parteigründerin und Landesverband ist für eine junge Partei bemerkenswert. Wagenknecht begründete ihren Eingriff moderat damit, es gehe nicht um ein Ende der Regierung in Erfurt, sondern darum, „wie wir weiterregieren“, nämlich mit deutlicherer eigener Handschrift des BSW. Dennoch offenbarte der Vorgang, dass die Bundesführung bereit war, zentralistisch durchzugreifen, wenn Landespolitiker vom Kurs abweichen.

Juristisch interessant an diesem „Fall Thüringen“ ist, dass die Landesmitglieder ihren Willen durch Mehrheitsentscheidung behauptet haben — ganz im Sinne innerparteilicher Demokratie.

Die Wahl Wolfs trotz Gegenwinds von oben zeigt, dass demokratische Prozesse innerhalb des BSW durchaus wirken können, wenn die Basis es darauf anlegt.

Allerdings drängt sich die Frage auf, wie die Parteispitze mit diesem Ergebnis umgeht. Sollte der Bundesvorstand versuchen, die selbstbewusste Landeschefin später aus dem Amt zu drängen oder ihren Einfluss einzuschränken, würden erneut die Prinzipien des Parteiengesetzes berührt — nämlich das Verbot, Landesverbände ihrer Autonomie zu berauben. Immerhin ist positiv festzuhalten, dass in Thüringen eine geheime, kompetitive Wahl stattfand und nicht etwa im Vorfeld unliebsame Delegierte ausgeschlossen oder Abstimmungen manipuliert wurden. Dieser Umstand unterscheidet Thüringen vom Hamburger Szenario: Dort wurde die Mitgliederbasis vorher so gelenkt, dass unbequeme Mehrheiten gar nicht erst entstehen konnten. In Thüringen hingegen spielte die Demokratie noch nach den Regeln — mit dem Resultat, dass die Partei sich pluralistischer zeigte, als es der Gründerin lieb war.

Bundesweite Kritik und Forderungen nach Demokratisierung

Die Fälle Hamburg und Thüringen sind Teil eines größeren Musters. Bundesweit regt sich Unmut in verschiedenen Landesverbänden über den restriktiven, zentralistischen Kurs der Parteiführung. Viele frühere Mitstreiter hatten sich von Sahra Wagenknechts Projekt mehr basisnahe Mitbestimmung erhofft und sehen sich nun enttäuscht.

So kam es in mehreren westdeutschen Landesverbänden zu Rücktritten und Austritten aus Protest. In Bayern verließen im Februar 2025 sechs führende BSW-Mitglieder geschlossen die Partei, darunter ein früherer Landesvorsitzender und weitere Vorstandsmitglieder. Als Gründe nannten sie einerseits die inhaltliche Annäherung des BSW an AfD-Positionen in der Migrationspolitik, andererseits aber explizit auch die innerparteilichen Zustände. In ihrem Austrittsschreiben rügten sie eine „mangelhafte Führungskultur“ und eine „Top-down-Struktur“ im BSW. Es fehle an Transparenz; die Mitglieder würden „wie Statisten behandelt“. Besonders beanstandet wurde die schon erwähnte Praxis, dass Neuaufnahmen nur von der Führung in Berlin nach Gutdünken vorgenommen werden — was viele engagierte Sympathisanten frustriert zurücklässt.

Ähnliche Frustrationen zeigten sich in Schleswig-Holstein, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, wo ebenfalls mehrere anfängliche BSW-Mitglieder entnervt hinschmissen. Ein enttäuschter Mitgründer bezeichnete Wagenknecht im Nachhinein gar als „komplett irre“ — Ausdruck tiefen persönlichen Zerwürfnisses.

Diese Woche trat zudem der Steueranwalt Jan Ristau als Co-Vorsitzender des BSW-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen zurück. Besonders brisant: Sein verbliebener Co-Vorsitzender ist Amid Rabieh, ebenfalls Rechtsanwalt und langjähriger Vertrauter Sahra Wagenknechts. Rabieh, der maßgeblich am Aufbau diverser Landesverbände beteiligt war, gilt als einer der zentralen Architekten der stark zentralisierten Parteistruktur des BSW. Damit verschärft sich der Eindruck, dass kritische Stimmen zunehmend marginalisiert werden, während Wagenknechts engster Zirkel seine Machtposition weiter konsolidiert.

Auch in Landesverbänden, die nicht von Austritten betroffen sind, formieren sich Rufe nach mehr innerer Demokratie. So wurde in Niedersachsen ein „Leitfaden für Unterstützerkreise“ bekannt, der deutlich macht, wie rigoros die Parteispitze ihren Status absichert: Unterstützergruppen dürfen sich zwar organisieren, aber nicht offiziell im Namen der Partei auftreten, keine eigenständigen Presseaktivitäten entfalten und müssen sogar bei Referenten für Veranstaltungen strikt darauf achten, nur linientreue Inhalte zu präsentieren. Im internen Kreis erklärte ein BSW-Funktionär den Grund unverblümt: Man wolle notfalls jede Verantwortung von sich weisen können, falls eine lokale Unterstützergruppe zum Beispiel extreme Personen einlade.

Diese Misstrauenskultur gegenüber den eigenen Basisinitiativen verdeutlicht, wie wenig Vertrauen die Parteispitze in ein selbstorganisiertes Wachstum hat. Statt offene Teilhabe zu fördern, werden die Unterstützer auf Distanz gehalten.

Innerhalb des BSW entsteht so Druck von zwei Seiten: Einerseits drohen weiterhin Abwanderungen und öffentliche Kritik, andererseits gibt es den Appell konstruktiver Kräfte, die Partei von innen zu öffnen. Der Hamburger BSW-Spitzenkandidat Jochen Brack etwa betont, das BSW brauche „Aufbruch statt Seilschaften“ und müsse endlich mit dem „aus dem Weg Räumen politischer Widersacher“ Schluss machen. Nur durch eine demokratischere Binnenstruktur könne die neue Partei langfristig überleben, so der Tenor vieler Wortmeldungen aus den Landesverbänden.

Fazit: Verfassungswidrige Parteistrukturen

Die inneren Strukturen des Bündnis Sahra Wagenknecht weisen erhebliche Demokratiedefizite auf und laufen den Vorgaben des Grundgesetzes (Artikel 21 Absatz 1) sowie des Parteiengesetzes zuwider. Die dokumentierten Fälle — sei es der intransparent gesteuerte Parteitag in Hamburg, die willkürlich verzögerte Mitgliederaufnahme oder die versuchte Einflussnahme der Bundesvorsitzenden in Thüringen — zeigen ein Muster, in dem innerparteiliche Demokratieprinzipien systematisch untergraben werden. Eine Partei, die ausschließlich von einem kleinen Führungszirkel kontrolliert wird und neue Mitglieder nur tropfenweise nach Loyalitätskriterien zulässt, entspricht nicht den „demokratischen Grundsätzen“, die für Parteien gelten. Gleiches gilt, wenn Landesorganisationen keinerlei eigenständige Entscheidungsbefugnisse haben und alle Fäden in der Bundeszentrale zusammenlaufen. Das BSW bewegt sich damit gefährlich nahe an einer verfassungswidrigen Parteistruktur.

„Verfassungswidrig“ im parteirechtlichen Sinne bedeutet hier nicht zwingend, dass die Partei verboten würde — dafür bedürfte es extremistischer Ziele oder Aktivitäten nach Artikel 21 Absatz 2 GG, was beim BSW nicht im Raum steht. Vielmehr geht es um die Nichtbeachtung des verfassungsrechtlichen Organisationsgebots. Ein solcher dauerhafter Rechtsverstoß kann auf Dauer nicht toleriert werden, ohne das System der Parteiendemokratie auszuhöhlen. Staatsrechtlich gibt es zwar keine einfache Handhabe, diese inneren Vorgänge von außen zu sanktionieren. Doch der Legitimationsverlust ist bereits spürbar:

Wenn eine Partei die Demokratie nach innen missachtet, verliert sie moralisch den Anspruch, nach außen als demokratische Kraft aufzutreten.

Zudem steigt das Risiko innerparteilicher Zerreißproben und gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Die Vorgaben des Grundgesetzes und Parteiengesetzes sind keine bloße Formsache, sondern sollen sicherstellen, dass Parteien Schulen der Demokratie sind und nicht autokratische Sekten. Im aktuellen Zustand läuft das BSW Gefahr, genau als Letzteres wahrgenommen zu werden. Die klare Aussage der Parteienrechtlerin Schönberger bringt es auf den Punkt: Die restriktive Mitgliederpolitik und zentralistische Struktur des BSW verstoßen gegen das Parteienrecht. Sollte das BSW diesen Kurs beibehalten, steht nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern womöglich auch seine rechtliche Zulässigkeit infrage.