Comeback des Patriarchats

Die Fernsehserie „The Handmaid’s Tale“ spiegelt das neokonservative Rollback in Trumps Amerika – einige neuere Entwicklungen wie „ Tradwifes“ und „Manosphere“ erinnern an die dystopische Vision. Teil 1 von 2.

Normal ist nur das, woran man gewöhnt ist“, sagte Tante Lydia, die brutale Aufseherin der „Mägde“ in der Erfolgsserie „The Handmaid’s Tale“. Für die Frauen im fiktiven Staate Gilead, der von einer christlich-fundamentalistischen Sekte regiert wird, sind totale Entrechtung und regelmäßige Vergewaltigung „Normalität“. Der Roman „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood (1986) fing die neokonservative Bedrohung treffsicher ein. Die Warnungen, die Atwood damals aussprach, schienen in der ersten Ära Trump noch dringlicher geworden. Die Serien-Verfilmung mit Elisabeth Moss, die seit 2017 läuft, ist ein gekonntes Update, das auf jüngste Entwicklungen Bezug nimmt. Die Veröffentlichung der letzten Staffel fällt in die Zeit des großen Trump-Revivals. Zwar ist auch der Glanz des liberalen Amerika etwas verblasst, doch erinnern aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen durchaus an die Zukunftsvisionen der „Magd-Serie“. Während maskulinistische Krawall-Influencer das geknickte Selbstbewusstsein des „starken Geschlechts“ zu reparieren versuchen, preisen „Tradwifes“ die Segnungen von Heim und Herd. Als Gegentrend zu den androgynen „Transpersonen“ gewinnen „echte Männer“ und „richtige Frauen“ an Zulauf. Erleben wir einen Umschlag ins andere Extrem, eine Renaissance des Binären?

Teil 1: „Unter seinem Auge“.

Plötzlich, inmitten der Menge der Demonstranten, waren da diese seltsamen Kostüme: Frauen in weiten, blutroten Umhängen. Auf dem Kopf eine schneeweiße Haube, ähnlich einer Nonne, mit großen, an Scheuklappen erinnernden Flügeln auf beiden Seiten. Die Frauen verharrten stumm und regungslos. Ihre Botschaft wurde dennoch von sehr vielen verstanden. Denn „The Handmaid’s Tale“, die vielfach preisgekrönte Serie des Streamingportals Hulu, ist binnen weniger Jahre zu einem wichtigen Teil der Popkultur geworden. Das Kostüm ist in der Serie die Tracht der „Mägde“, entrechteter Frauen in einem totalitären, patriarchalischen System. Sie werden dazu gezwungen, mächtigen Männern Kinder zu gebären, die ihnen dann in einem Akt beispielloser seelischer Grausamkeit wieder weggenommen werden. Magd-Kostüme wurden vor allem bei Demonstrationen gegen totale Abtreibungsverbote und im Kontext der Me Too-Bewegung gesichtet. Ihre Bedeutung ist emotional unmittelbar verständlich für alle, die die Serie kennen. „Wir sind unterdrückt“, könnte die Botschaft lauten. Und: „Wir wollen nicht in einem reaktionären System leben.“

Der Trend begann 2017, bei der Premiere der ersten Staffel. Der Sender versuchte, mit einigen als Mägde verkleideten Frauen im öffentlichen Raum für die Serie Werbung zu machen. Frauen-Aktivistinnen sahen die eindrucksvollen Kostüme und besorgten sich weitere Exemplare im Kostümverleih. Mit 12 „Mägden“ protestierten sie vor dem Senat von Texas, wo gerade ein Gesetz verabschiedet werden sollte, das legale Abtreibung erschwert hätte. Seitdem verbreitete sich die Idee epidemisch und erreichte nicht nur viele Städte der USA, sondern auch das Ausland – etwa Irland, Argentinien, Kroatien und Großbritannien. Der Werbeslogan der Firma, die die Kostüme herstellt, lautet vielsagend: „Fight to keep fiction from becoming reality!“ Wahrscheinlich ist es genau das, was sich die Autoren von Negativ-Utopien immer gewünscht haben: das Schlimme an die Wand zu malen, um Menschen aufzurütteln und zu erreichen, dass es nicht so weit kommt.

Eine Serie macht Politik

Selten hat ein Filmkunstwerk so stark in die Realität hineingewirkt wie im Fall von „The Handmaid’s Tale“. Die Guy Fawkes-Maske aus dem Film „V wie Vendetta“ der Geschwister Wachowski wurde von der politischen Hacker-Community „Anonymous“ sowie von Aktivisten von „Occupy Wall Street“ bei Demonstrationen eingesetzt. Sonst aber bleibt der Austausch zwischen Wirklichkeit und Fiktion eher eine Einbahnstraße. Um die Bedeutung dieses Hypes zu ergründen, muss man die Geschichte kennen. „The Handmaid’s Tale“, produziert von der famosen Hauptdarstellerin Elisabeth Moss, spielt in naher Zukunft in dem fiktiven Staat Gilead auf dem Gebiet der heutigen USA. Eine reaktionäre christliche Sekte, deren Weltbild auf sehr eigenwilliger, wörtlicher Bibel-Auslegung beruht, hat hier die Macht ergriffen. Zu den Handlungsprämissen gehört auch, dass überall auf der Welt die Geburten drastisch zurückgegangen sind. Frauen bleiben meist kinderlos, die wenigen gebärfähigen Frauen avancieren so zum kostbarsten „Rohstoff“.

Geburten werden in Gilead somit nicht mehr dem Zufall überlassen. June (Elisabeth Moss) wird von Schergen des Systems eingefangen und gewaltsam von ihrem Mann und ihrer Tochter getrennt. Sie kommt in ein brutales Umerziehungslager für „Mägde“, geleitet von der manipulativen System-Soldatin „Tante Lydia“ (Ann Down). Sie kommt als ausgebildete Magd in den Haushalt des Kommandanten Fred Waterford (Joseph Fiennes) und seiner Frau Serena (Yvonne Strahovski). Ihr Name ist jetzt „Desfred“ (im Englischen Offred), wodurch sie ihrer eigenen Identität beraubt und als Freds Eigentum markiert wird.

Vergewaltigung als heiliges Ritual

Mägde müssen mit ihrem Besitzerehepaar ein groteskes Zeugungsritual durchlaufen. Der Mann hat dabei Geschlechtsverkehr mit seiner gebärfähigen Dienerin, die er während des Akts nicht ansehen und liebevoll berühren darf und deren Kopf auf dem Schoß der anwesenden Ehefrau ruht. Die Rekrutierung von Ersatz-Gebärerinnen in Gilead beruht auf einer Bibelszene:

„Sarah, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. Und Sarah sprach zu Abram: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarahs.“ (1. Mose, 16)

Tatsächlich wird Desfred in der Folge schwanger, jedoch von einem anderen Mann, da sich der Kommandant als zeugungsunfähig erweist. Zwischen beiden Frauen entspinnt sich eine spannungsreiche Rivalität, zumal Fred von seiner Magd schließlich „mehr“ will.

Die fiktive Welt von Gilead ist beklemmend realistisch gezeichnet. Stets ist die Gewaltdrohung des Systems gegenwärtig, wenn zum Beispiel die Körper gehenkter Ketzer zum alltäglichen Straßenbild gehören.

Die Bewohner des Horror-Staats bedienen sich eines ausgefeilten Sprachcodes, mit dem Religiosität geheuchelt wird. Mägde werden mit dem Satz „Gesegnet sei die Frucht“ begrüßt, woraufhin diese „Möge der Herr mich öffnen“ antworten müssen.

In Gilead werden Frauen in drei Gruppen, entsprechend ihrer „Funktion“ im Dienst der Männer, unterteilt: Mägde als bloße Gebärmaschinen (Kleiderfarbe Rot), Ehefrauen zum Repräsentieren und gelegentlich auch als Seelengefährtinnen (Blau) und „Marthas“ für Hausarbeiten (Grau).

Das allsehende Auge

Mit ihrer fein gesponnenen alternativen Realität nimmt Margret Atwood bestimmte Denkmuster fundamentalistischer Religionen aufs Korn. Die sklavische Befolgung von Verhaltensregeln aus „Heiligen Schriften“. Den Versuch, das Verhalten moderner Menschen unter Verweis auf mythologische Figuren weit zurückliegender Jahrhunderte zu kontrollieren. Die Aufdringlichkeit des missionarischen Geistes solcher Religionsgruppen und ihren totalitären Anspruch. Schließlich auch den Widerspruch zwischen einem überhöhten moralischen Reinlichkeitsbedürfnis und der extremen Grausamkeit und Empathielosigkeit im Umgang mit Unterprivilegierten. Dies wird schon in der grotesken Konstruktion einer „heiligen Vergewaltigung“ deutlich.

Schließlich trägt Gilead Züge aller diktatorischen Regime: flächendeckende Propaganda, totale Gleichschaltung des öffentlichen Raums, die Schaffung hochmanipulativer Sprachmuster, ein ausgefeiltes Spitzelsystem — in Gilead heißen Spione „Augen“ — sowie die Disziplinierung der Bevölkerung mittels Schwarzer Pädagogik. „Unter seinem Auge“ (gemeint ist Gottes Auge) lautet eine der in Gilead üblichen Floskeln. Das allsehende Auge des Herren wird in modernen Gesellschaften — und nicht nur in Fernsehserien — durch die ebenso allsehende Totalüberwachung ersetzt.

Die Kritik, die Atwood und „Handmaid“-Schöpfer Bruce Miller üben, ist universell gültig. Man kann Züge der Gesellschaftsordnung in der islamischen Welt sowie in Ländern des Globalen Südens ebenso wiedererkennen wie die Narrative von Evangelikalen und einiger christlicher „Sekten“. Zugrunde liegt die begründete Angst vor einem „Rollback“, einer Rückabwicklung erzielter humaner Fortschritte durch reaktionäre Kräfte.

Die Serie zu Trumps Präsidentschaft?

Stellt die Serie eine Reaktion auf Donald Trump dar, der schon in seinem Wahlkampf 2016 durch frauenverachtende Sprüche aufgefallen war? Die zeitliche Nähe verschiedener Ereignisse ist jedenfalls interessant. Im Januar 2017 tritt Trump sein Amt als US-Präsident an. Im April 2017 startet die erste Staffel der Serie „The Handmaid’s Tale“. Im Oktober 2017 geht der Weinstein-Skandal durch die Presse, der Startschuss zur „Me Too-Bewegung“, in deren Folge sich zahlreiche Frauen als Opfer sexueller Übergriffe durch Männer outeten. Es versteht sich von selbst, dass die Drehbücher für „Handmaid“ schon lange vor diesen Ereignissen geschrieben wurden. Die Serienmacher hatten etwas erspürt, was in der Luft lag, und erhielten durch die Ereignisse rund um den Serienstart Rückenwind.

Im April 2018 änderte die Regierung Trump mit einem Gesetz die Definition von häuslicher Gewalt. Psychische Gewalt gegen Frauen war seither nicht mehr verboten. Seit 2019 wurde die staatliche Unterstützung für viele Hilfsprojekte gestoppt, die die meist weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt unterstützten. Neun Staaten der USA haben die Möglichkeit einer legalen Abtreibung seit 2019 stark eingeschränkt. Alabama verbot den Schwangerschaftsabbruch sogar ganz, also auch in Fällen von Vergewaltigung. Donald Trump hat seit seinem Amtsantritt zwei extrem konservative Richter an den Supreme Court berufen, Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh. Beide sind für weitere Einschränkungen von legalen Schwangerschaftsabbrüchen. Von 2017 bis 2019 hat sich die Anzahl der Frauen, die angaben, Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein, fast verdreifacht: auf über 700.000 Fälle. Zu vermuten ist, dass nicht die Gewalt zugenommen hat, sondern der Mut vieler Frauen, sich zu outen.

Selbe Fernsehserie, veränderte Bedingungen

Die letzte Staffel von „The Handmais’s“ Tale ist seit Kurzem auf Amazon Prime zu bewundern, sodass ich sie jetzt vollständig sichten konnte. Die Serie blieb sich insofern treu, als es kaum versöhnliche Töne in Richtung des männlichen Geschlechts gibt. Vereinfacht gesagt, liegt die Lösung für die fiktive Gesellschaft von Gilead darin, dass reaktionäre Frauen für die Sache der Rebellinnen gewonnen werden können. Für unbelehrbare Männer bleibt dagegen nur der Tod als ultimatives Serien-Happy End. Selbst die schlimmsten Frauengestalten der Serie wie Junes „Besitzerin“ Serena Waterford und die brutale Mägde-Ausbilderin Tante Lydia werden gegen Ende weich und schließen sich dem weiblichen Befreiungskampf an. Für die Männer, sofern sie das „System“ unterstützt haben, sind die Aussichten düster. Sie werden erstochen, vergiftet, in die Luft gesprengt.

Mit Blick auf die wirklich brutalen Verbrechen der fiktiven Herrscherkaste ist dieses Ende für die Zuschauer emotional nachvollziehbar.

Ich empfinde die ideologische Einseitigkeit des Szenarios, das die Serie entwickelt, aber heute etwas stärker als vor 8 Jahren, weil ich — wie viele Menschen in den USA und Europa — seither durch eine Phase des Wokeness-Überdrusses hindurchgegangen bin.

„A Handmaid’s Tale“ erscheint allzu offensichtlich als Teil des kulturellen Überbaus des amerikanischen Linksliberalismus, wie ihn etwa Hillary Clinton, Joe Biden und Kamela Harris repräsentierten — eines politischen Projekts, das heute viele kritischer sehen als damals, obwohl sie die Unterdrückung von Frauen und extreme Ausformungen des Patriarchats nach wie vor ablehnen.

Nicht eine, sondern zwei Dystopien

Erkennbar ist aus etwas historischer Distanz das fiktionale „Manöver“ der Serienmacher, die den Neokonservativismus in den USA bekämpfen wollen, indem sie dessen Narrative in grotesker Übertreibung vorführen. Nicht nur wird uns die traditionelle US-amerikanische Familie mit einem dominierenden Familienoberhaupt gezeigt — nein, Frauen werden in der Serie vergewaltigt, Ungehorsamen wird zur Strafe ein Finger oder ein Auge amputiert, sie werden geschlagen oder öffentlich an einer Mauer aufgeknüpft. All dies geschieht im Rahmen eines Zeitgeists, der von christlichen Konzepten weit stärker durchdrungen ist, als wir es aus Deutschland kennen. Wir haben es in der Serie gleichsam mit christlichen Taliban zu tun, mit Gotteskriegern und vermeintlich heiligen Mördern.

Es liegt natürlich in der inneren Logik einer Dystopie, dass sie die Realität nicht genauso zeigt, wie sie ist, sondern wie sie werden könnte, „wenn wir nicht aufpassen“. Eine Dystopie ist eine Warnung, keine naturgetreue Beschreibung des Ist-Zustands.

Insofern akzeptiere ich die Serie auch als künstlerischen Entwurf, muss aber – bezogen auf die zugrundeliegende Realität — hinzufügen, dass wir im Grunde zwei Dystopien am Horizont der Geschichte heraufdämmern sehen: „rechts“ eine reaktionär-evangelikale, wie sie „A Handmaid’s Tale“ entwirft, „links“ eine atheistisch-ökosozialistische, beherrscht von einem erstickenden „woken“ Sprach- und Verhaltensregiment.

Jenseits der Nullen und Einsen

Diese beiden auseinanderstrebenden und einander zunehmend in aggressiver Feindschafts-Rhetorik gegenüberstehenden Richtungen haben ihre Entsprechung auch in zwei Konzepten des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern. „Links“ steht ein Trend zum Androgynen, zur Aufweichung traditioneller Geschlechterrollen. Dieses Phänomen zeigt sich in karikaturhaft übersteigerter Weise in dem Auftritt von „Nemo“ beim Eurovision Song Contest 2024. Wir sehen einen geschminkten Mann mit rosarotem Minirock und orangefarbenem Federjäckchen, der Koloraturen anstimmt, ähnlich der berühmten Arie der „Königin der Nacht“ von Mozart. Sein Text ist aufschlussreich und programmatisch: „Irgendwo zwischen den Nullen und Einsen [also jenseits des Binären] sah ich mein Reich kommen.“ Die biblische Ausdrucksweise („my kingdom come“) ist sicher bewusst gewählt.

Der „rechte“ Gegentrend kann insofern auch als bewusste Provokation und als Protest gegen die kulturelle Dominanz der „Männinnen“, interpretiert werden.

Vereinfacht gesagt, erleben wir eine Rückkehr betont weiblicher Frauen und männlicher Männer. Nach dem Willen der weiblichen wie der männlichen Akteure soll die Wiederherstellung einer klaren Polarität — also die Rückkehr zur Tradition des säuberlichen Einsortierens von Männlein und Weiblein in ihre Schubladen — jene Unordnung aufheben, an der unsere Gesellschaft krankt.

Wie so oft haben wir es dabei mit einer Gratwanderung zu tun. Wer sich aus Sorge, dem links klaffenden Abgrund zu nahe zu kommen, zu weit rechts hält, kann gerade deshalb abstürzen.

Im zweiten Teil meines Artikels will ich einige Beispiele von Menschen zeigen, die ihre Geschlechtsidentität im Sinne eines Gegentrends zur woken Vermischung stark betonen. Sind es Pioniere einer begrüßenswerten Normalität, bestimmt dazu, all das Queere unserer unerlösten Epoche wieder gerade zu rücken? Oder haben wir es eher mit aus der Zeit gefallenen Amish des Binären zu tun, die vielleicht nach Gilead passen würden, nicht jedoch in eine moderne westliche Gesellschaft?