Danke, Didi!

Dieter Hallervorden könnte es so einfach haben. Der 89-Jährige könnte schweigen und sein Lebenswerk verwalten. Hallervorden hat aber etwas, was vielen Jungen abgeht: Mut!

Welchem Medienstar hätten wir vor fünf Jahren zugetraut, dass er in dunklen Zeiten politischen Mut zeigen würde? Zuerst hätte man da sicher an ernste Typen gedacht, die in intellektuellen Fernsehspielen auftraten. Oder an ewig politisch agitierende Deutschrock-Größen. Dieter Hallervorden hätten die meisten da sicher nicht auf dem Schirm gehabt. Den Mann, der im kollektiven Gedächtnis für „Palim, Palim“, „Du, die Wanne ist voll“ und die Klamotte „Didi und die Rache der Enterbten“ steht. Die „Seriösen“ aber haben vor der Herausforderung von Corona und Krieg reihenweise versagt. Hallervorden indes sprach ein Gedicht gegen das Gaza-Bombardement und hielt den Kriegstreibern bei einer Friedensveranstaltung in Dresden vor, dass ihre Ausdrucksweise der von Joseph Goebbels glich. Er steckte viel Medienschelte ein, blieb dabei aufrecht und provozierte weiter, wenn ihn politisches Unrecht aufregte. Der ehemalige Slapstick-Clown, der mit Filmen wie „Honig im Kopf“ späten Ruhm als ernster Schauspieler einheimste, kann heute als Musterbeispiel eines kritischen Künstlers in einem Umfeld gelten, das sich vor politischen Herausforderungen mehrheitlich eher wegduckt. Roberto DeLapuente verfasste für ihn eine wohlverdiente Laudatio.

Er gehört zu meinen frühesten Erinnerungen. Wenn ich mich an meine Kindheit entsinne, frühe Achtzigerjahre, dann kommt er vor: Wir lebten in einer kleinen und dunklen Drei-Zimmer-Wohnung in der bayerischen Provinz. Meine Eltern arbeiteten viel, ich wurde, wie es guter Brauch in jener Zeit war, fachgerecht vor dem Fernseher geparkt. Ich glaube, immer donnerstags im Vorabendprogramm wurde es hell — denn „Nonstop Nonsens“ mit Dieter Hallervorden, der sich dort Didi nannte, kam bei der ARD. Es muss die Wiederholung gewesen sein, die Fernsehserie lief eigentlich von 1975 bis 1980. Aber Didi, der hatte es mir in jenen Jahren angetan — auch wenn ich viele seiner Sketche damals sicher nicht verstanden habe. Aber als Bub hatte es mir ohnehin nur die Fortsetzungsgeschichte angetan.

Ein Format, das in jeder Folge vorkam und in mehrere Teile gestückelt war. Geboten wurde Slapstick, teils liefen die Protagonisten im Zeitraffer über die Mattscheibe — bekannt war das bereits aus der britischen Benny-Hill-Show. Gag jagte Gag: Das war nicht anspruchsvoll, das begriff ich in diesem Alter auch schon. Didi war mein Held, und die Gesichter von Kurt Schmidtchen oder Gerhard Wollner sehe ich noch heute vor mir: Es sind Personen, die ich mit meiner Kindheit verbinde. Legendär ist heute jener Sketch, den Hallervorden erst neulich bei der ARD-Geburtstagsparty neu aufführte und der zu einem öffentlichen Aufschrei in der Berliner Meinungsblase führte, weil er dort Worte wie Neger und Zigeuner verwendete — allerdings in einer Rolle und in einem ganz bestimmten Kontext. Die Rede ist von Palim Palim, dem nachempfundenen Gebimmel einer Ladenglocke — mehr dazu später noch.

Die Entfremdung

Den Sketch lernte ich allerdings erst einige Jahre später kennen. In einer damaligen Ausgabe der Micky Maus gab es als Beilage eine Mini-Langspielplatte. Auf der A-Seite war der Sketch zum Nachhören. Das mit der „Flasche Pommes Frites“ gefiel mir damals gut — heute lache ich nur noch aus nostalgischen Gründen darüber. Was aber deutlich wird: Dieser Didi Hallervorden war jemand, mit dem Kinder jener Zeit etwas anfangen konnten. Da, wo man ihn sah, war er Garant für eine lustige Zeit. Dass er Wahlwerbespots für die FDP machte, erreichte mich in diesen Jahren freilich nicht. Rückblickend muss man sagen, so charmant wirbt heute keiner mehr — gebracht hat es wenig, die FDP verlor bei der Bundestagswahl 1983 einige Prozentpunkte. Der „olle Didi“, wie er sich selbst im Spot vorstellte, konnte die Partei, die noch kurz vorher das Lager gewechselt und so die Kanzlerschaft Helmut Kohls ermöglicht hatte, nicht vor der Wählerabwanderung bewahren.

Mitte der Achtziger war ich „Nonstop Nonsens“ entwachsen — und Dieter Hallervorden, der sich noch immer Didi nannte, spielte in einer Serie, die mir als „Die Nervensäge“ in Erinnerung blieb, weil das der erste Name der Serie war, bis ein Rechtsstreit einen neuen Titel nötig machte: „Didi — Der Untermieter“. Darin spielt der namensgebende Hauptdarsteller eine — nun ja: Nervensäge. Der brutale Slapstick war Geschichte, Hallervorden spielte seriöser. Parallel dazu fand er in einigen Kinofilmen statt, die immer auch etwas mit seiner Rolle des Didi zu tun hatten. Und er hatte Erfolg beim Publikum. Jedenfalls meistens. Gegen Ende der Achtziger wurde es ruhiger um Didi. Es waren die Jahre, da man sich in Videotheken zwei Stunden Unterhaltung für nicht mal ganz so kleines Geld holen konnte. Immer wenn sich meine Eltern einen Film ausliehen, schielte ich nach Didi und seinen Filmen — und hin und wieder durfte ich mir einen mit ihm in der Hauptrolle ausleihen.

Bis ich es irgendwann nicht mehr tat. Aus Didi wurde wieder Dieter und er machte politisches Kabarett zur späten Stunde. Aus dieser Ecke kam er auch: 1960 hatte er in Berlin die Kabarett-Bühne „Die Wühlmäuse“ gegründet. Anfang der Neunziger war ich zu jung für dieses Programm und so verlor ich Hallervorden aus den Augen — dann kamen die Jahre, in denen man andere Helden hatte. Slapstick-Didi gehörte damals nicht mehr dazu, ich hatte ihn vergessen, gezielt ausgeblendet.

Noch immer stellten ihn Medien damals als jemanden vor, der ein Blödel-Image habe: „Nonstop Nonsens“ hatte sich tief eingeprägt in das kollektive Gedächtnis der Deutschen. Später hieß es, dass Hallervorden nicht sehr glücklich war, dass man ihn noch immer so wahrnahm.

Aber auch ich sah ihn so. Ich verdrängte meine kindliche Begeisterung, schämte mich etwas dafür — wie wohl viele aus meiner Generation. So ein wüstes Gerenne, herabfallende, mit Farbe gefüllte Eimer, die auf Köpfen landen, Leitern, die umfallen und Leute mit zu Boden reißen: Wie konnte ich je daran Gefallen finden?

Das Comeback

Hallervorden wurde grau, stand weiter auf der Bühne. Im Film sah man ihn für etliche Jahre nicht mehr. Der offizielle letzte Didi-Film lief 1988 in den deutschen Kinos an — 1990 und 1992 folgten zwei Filme, die nicht das Label Didi trugen, aber ähnlich angelegt waren. Seine Filmrollen in jenen Filmen hießen übrigens, bis auf eine Ausnahme, nie Didi: Dieser Spitz- war ein reiner Markenname für deutsche Komik geworden und verkaufte sich eine Weile auch ausgezeichnet an den Kinokassen. Anderthalb Jahrzehnte spielte Hallervorden dann in keinen Film mehr mit — und nachdem er in einigen Produktionen wieder Nebenrollen annahm, kam 2013 ein Film ins Kino, bei dem er dann doch eine Hauptrolle spielte: „Sein letztes Rennen“. Darin spielt er einen Rentner, der nochmal einen Marathon laufen will und all seine Kräfte mobilisiert, um dieses Ziel zu erreichen. Hallervorden mauserte sich damals — es ist gerade mal etwas mehr als zehn Jahre her — zum Liebling des Feuilletons und der Kritiker.

Diese Zuneigung wurde nochmal gesteigert, als er ein Jahr später einen dementen Großvater in einer Komödie von Til Schweiger spielte.

Der Film namens „Honig im Kopf“ zeigte große Schwächen, die sich auch in der Romantisierung der häuslichen Pflege hochgradig dementer Personen präsentierten. Aber Hallervorden spielte bravourös.

Es gab für ihn den Bambi, die Romy, die Goldene Kamera und noch diverse andere Filmpreise — auch für sein Lebenswerk. Dieter Hallervorden, damals 79 Jahre alt, erlebte ein grandioses Comeback. Nun äußerte er sich auch zur politischen Tagespolitik: Als Jan Böhmermann in die Türkei ausgeliefert werden sollte, weil er ein vulgäres Schmähgedicht an die Adresse des türkischen Präsidenten rezitierte, ergriff Hallervorden für den jungen Kollegen Partei und machte sich mit einem Song über das türkische Staatsoberhaupt lustig. Das war damals Zeitgeist. Böhmermann hat diese Affäre sicherlich nicht gutgetan — ganz offenbar hat der Ausgang der Affäre bewirkt, dass er sich fortan für unantastbar hielt.

Mutig war das seinerzeit nicht von Hallervorden. Es wirkte ein bisschen so, als habe er versucht, auf den Zug mitaufzuspringen, um etwas vom damaligen Hype abzubekommen. In dieser Zeit, da er gelegentlich Lieder sang, in denen er sich über politische Ereignisse lustig machte — zum Beispiel über die erste Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten —, funkelte wieder Didi hervor; denn diese Vorstellungen beinhalteten viel Blödelei, auch wenn sie nicht so abgedreht waren wie jener legendäre Song aus den Siebzigern, als er mit Helga Feddersen „Die Wanne ist voll“ intonierte.

Dennoch konnte man diesen Mann bewundern. Mittlerweile überschritt er sein 80. Lebensjahr und traute sich immer wieder mal, etwas zur Debatte beizutragen, was nicht so sehr auf Gegenliebe stieß, wie beispielsweise die Parteinahme für den ZDF-Aktivisten Böhmermann. Immer wieder kritisierte er in Interviews die Sprachpolizei, das Gendern und Bevormunden, wenn es um Worte und Ausdrücke ging. Er, der mit der Sprache arbeite, könne sich damit einfach nicht anfreunden — und dass man als jemand, der nicht gendert, gleich an den Pranger gestellt wird, mache ihm Sorgen. Dieter Hallervorden, der Liberale, der einst für eine FDP warb, die noch nicht vollends zum reinen Wirtschaftsliberalismus geschwenkt war, die noch den eher klassischen Liberalismus vertrat, fand sein ureigenstes Thema — und eckte immer öfter, immer drastischer mit dem Meinungskonglomerat aus Funk und Fernsehen und Politik an.

Didi, der Weise

Hallervorden war in jenen Jahren eine Persönlichkeit, die nicht leicht einzuordnen war. Einerseits engagierte er sich gegen die „Vergewaltigung der deutschen Sprache“, wie er das selbst nannte, bugsierte sich damit ein Stück weit aus dem Mainstream. Andererseits unterstützte er dann doch den CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegener bei den Berliner Senatswahlen. Dann kam der April 2024. Dieter Hallervorden spricht ein Gedicht. Es heißt „Gaza, Gaza“, geschrieben ist es von Diether Dehm. Vorher hatte Hallervorden auf Instagram einen offenen Brief an den Bundeskanzler verfasst und den Krieg Israels gegen die Palästinenser als unverhältnismäßig benannt.

Nach diesem Gedicht wirft man dem Mann, der zehn Jahre zuvor noch ein gefeiertes Film-Comeback gefeiert hatte, aber Antisemitismus vor. Doch Hallervorden gibt nicht klein bei, immer wieder meldet er sich zu Wort, spricht eine deutliche Sprache, ohne verbittert zu wirken. Didi ist nun ein weiser Herr, der sich dem Zeitgeist der allgemeinen Idiotisierung nicht beugt.

Wie oben schon erwähnt, spielt er Anfang April 2025 jenen Sketch mit dem berühmtem Palim Palim noch einmal auf großer Bühne: und zwar bei der ARD-Gala „75 Jahre ARD“. Der Sketch spielt, wie ursprünglich, im Knast. Zwei Gefangene langweilen sich und einigen sich darauf, „Kaufmannsladen“ zu spielen. Vorher sagt der eine Gefangene — Dieter Hallervorden — zum anderen — den Harald Effenberg spielt —, er wusste nicht, dass man für Negerkuss und Zigeunerschnitzel ins Gefängnis kommen könne. Nach der Ausstrahlung kam Hallervorden zwar nicht ins Gefängnis. Aber an den Pranger — die Aufregung inszenierte sich lautstark. Die Kritik beantwortete er wie folgt:

„Woke Menschen von heute versuchen ängstlich, nicht aus der Reihe zu tanzen, befolgen akribisch alle Social-Media-Gebote, um keine Likes aufs Spiel zu setzen, und verstehen keine Satire mehr, weil Satire aus Angst vor Missverständnissen nicht mehr vorkommt.“

Woraufhin ihn die Meinungsmacher gewisser Mainstreammedien der Uneinsichtigkeit bezichtigten.

Am Karfreitag dieses Jahres ließ sich Dieter Hallervorden auf eine Friedensdemo in Dresden zuschalten. Er warnte vor einem Dritten Weltkrieg und warb für den Frieden. Die Demonstration wurde indes medial als rechtslastig geframt, auch weil Medien dafür warben, die ebenfalls als rechts geframt werden. Hallervorden zeigt sich unbeeindruckt. Er könnte es sich sehr viel leichter machen, sein Lebenswerk verwalten und Vorbereitungen für seinen 90. Geburtstag im September dieses Jahres treffen.

Aber Dieter Hallervorden wählt den schwereren Weg, eckt an, traut sich heraus, wo die Jungen sich wegducken. Ein fast 90-Jähriger, der Kämpfe ausficht, die besser von jungen Leuten geführt würden: Auch dies wirft kein gutes Licht auf die Bundesrepublik des Jahres 2025.

Wenn ich heute auf diesen Didi zurückblicke, der mich schon in jungen Jahren zum Lachen brachte, erfüllt mich das mit einer gewissen Zuneigung: Den habe ich schon vor 40 Jahren geguckt — und nun ist er so eine wertvolle Stimme des demokratischen Diskurses, der es so schwer hat in diesen Zeiten. Ich bin Dieter Hallervorden dankbar — und schaue mir seine alten Sketche wieder an, ohne sie bekritteln zu wollen. Wie leicht wirken sie im Vergleich zur moralistischen Schwerfälligkeit von Böhmermann und Co.! Hallervorden hat damals den Zeitgeist getroffen mit seiner Sendung — und er trifft ihn auch heute, wenn er als Künstler kritisch bleibt und sich nicht beeindrucken lässt von denen, die ihn jetzt in eine falsche Ecke stellen wollen.