Das Aufstand-Abstellgleis
Die Münchner Theresienwiese ist als Versammlungsfläche ein Protest-Blitzableiter. Die hier stattfindenden Veranstaltungen werden öffentlich kaum wahrgenommen.
Klimakleber haben sich noch nie auf der Theresienwiese festgeklebt. Das hat Gründe. Nicht etwa, weil es sich bei dieser Fläche um einen echten Rasen handeln würde, bei dem ein Festkleben nicht funktionieren würde. Tatsächlich ist der Austragungsort des Oktoberfests eine gigantische Betonfläche von einem Kilometer Länge und einem halben Kilometer Breite. Warum sich dort noch nie ein Klimakleber „festgepappt“ hat, liegt wie der Patexkleber auf der Hand: Dort gibt es nichts zu blockieren. Nicht mal eine Hundertschaft der mit Warnwesten uniformierten Studienabbrecher wäre imstande, dies auf einer solch riesigen Fläche zu schaffen. Und zum anderen bewegt sich dort auch nichts, was sich blockieren ließe. Auf der Theresienwiese gibt es keinen Autoverkehr. Allenfalls Radfahrer und Longboarder fahren dort entlang, die nicht zum Beuteschema der Klima-Extremisten gehören und sich darüber hinaus einfach zwischen den Klebengebliebenen hindurchschlängeln könnten. Kurzum interessiert es abseits des Oktoberfests niemanden, was auf der Theresienwiese geschieht. Entsprechend verpufft die Wirkung eines jeden Protestes, der auf dieser Fläche stattfindet. So verhielt es sich auch bei den Unternehmerprotesten am vergangenen Sonntag, von denen in München niemand Notiz nahm.
Eine Art Bällebad ist die Theresienwiese für die Stadt München, wenn es um unliebsame Proteste geht. Aufmüpfige Bürger können dort wie Kinder in einem Austob-Terrain abgelassen werden, um sich dort auszuagieren, ohne dass dadurch jemand gestört wird.
Leerstehend, frei von Bierzelten, ist die Fläche gigantisch weitläufig. Ein Grüppchen von ein paar Hundert Menschen fällt dort nicht weiter auf. Erst ab einer fünfstelligen Teilnehmerzahl fällt die Masse an Menschen wirklich ins Gewicht. Entsprechend ist diese Fläche denkbar schlecht geeignet, um für ein politisches Anliegen im öffentlichen Raum Aufmerksamkeit zu erzeugen. Rings um die Theresienwiese verläuft eine Hauptstraße. Von den auf ihre fahrenden Autos lässt sich ob der vielen Bäume und Büsche nur schwerlich ein Blick auf die Fläche erhaschen. An Sonntagen verlieren sich vielleicht ein paar Hundert Spaziergänger auf diese Fläche. Somit gehen dort abgehaltene Demonstrationen in der absoluten Bedeutungslosigkeit unter — anders wäre es, wenn diese in der Innenstadt abgehalten würden.
Exemplarisch konnte man das bei der vergangenen Unternehmerdemonstration mit rund 10.000 Teilnehmern unter dem Motto „Hand in Hand für unser Land“ am 28. Januar 2024 in München beobachten. Die Teilnehmer waren dazu angehalten worden, ihre Maschinen und Traktoren zu Hause zu lassen. Damit hätten sie es noch halbwegs vermocht, die Fläche zumindest zur Hälfte zu füllen. Doch so kam lediglich eine Armada an Reisebussen angerollt, die die Szenerie eher wie Busdepot denn wie eine Demofläche wirken ließ.
So zeigte man sich vonseiten der Veranstalter — im Gegensatz zu den wiederum über Stränge schlagenden Mitstreitern in Frankreich — als vollkommen brav und für die Machtzirkel ungefährlich.
Vor den Redebeiträgen erfolgte das mittlerweile obligatorische Distanzierungsgelübde, während das daraufhin Gesprochene rhetorisch und inhaltlich aus zahnlosen Tigern bestand. Die existenzbedrohende Ampelpolitik wurde schlicht auf Unfähigkeit einer entfremdeten Politikerkaste zurückgeführt. Der Gedanke, dass hier ein infamer Vorsatz im Kontext einer globalen Transformationsagenda vorliegen könnte, wurde nicht einmal im Ansatz verbalisiert.
Im Gegenteil wurde in Nebensätzen wie selbstverständlich die Mär von der „Coronapandemie“ zum Besten gegeben, was mehr als eindeutig zeigte, dass man auf der Bühne nichts, aber auch gar nichts verstanden hatte. So schien man auch immer noch zu glauben, die Schaltstellen der Macht säßen in Berlin. Denn man pochte darauf, so laut zu sein, dass man in Berlin gehört würde. Ob sich das erfüllt hat?
Ein Protest-Blitzableiter mit Tradition
Von einer historischen Warte aus betrachtet, ist es zunächst gar nicht mal so abwegig, die Theresienwiese als Austragungsort einer Kundgebung zu wählen. Man denke nur an die Friedenskundgebung der SPD am 7. November 1918, bei der mit 60.000 Teilnehmern ein Zehntel der damaligen Münchner Bevölkerung die Wiese belagerte. Nicht zu vergessen wären die Massendemonstrationen am 16. Februar 1919 für den Erhalt des Rätesystems in München mit 15.000 Teilnehmern. Geschichtlich ist die Theresienwiese durchaus ein politischer Ort und nicht nur der größte legale Drogenumschlagplatz der Welt.
Doch mittlerweile zählt die bayerische Landeshauptstadt doppelt so viele Einwohner wie noch zu Kaiserzeiten. Wenn sich ein paar Tausend Menschen auf der Theresienwiese tummeln, juckt das in einer Millionenstadt niemanden mehr. Kein Verkehr muss umgeleitet werden, die Visibilität des Protestes ist in Ermangelung an Passanten mehr als mager, und darüber hinaus lässt die Optik des weitläufigen Geländes die Versammlungsmenge äußert klein erscheinen.
Die Stadt München ist sich dieses Effektes wohl bewusst. In den Zeiten des Coronaregimes veranlasste das Kreisverwaltungsreferat (KVR) des Öfteren die Verlagerung der Coronaproteste auf eine mit Flatterband eingegrenzte Fläche auf der Theresienwiese, sodass kein obrigkeitshöriger Fußgänger Gefahr lief, zu hinterfragen, was niemals hinterfragt werden durfte.
In aller Deutlichkeit sichtbar wurde diese Blitzableiterfunktion beim Auftakt der Bauernproteste am 8. Januar diesen Jahres. Dort ließen sich unzählige Traktoren von wenigen Polizeiwagen auf die Theresienwiese umleiten, wo sie von der Bevölkerung unbemerkt parkten, statt in einer für den Protest sinnvollen Weise die Innenstadt zu blockieren. Wären all diese Trecker stattdessen in die innerstädtische Ludwigsstraße getuckert, dann hätte die Landeshauptstadt wahrhaftig stillgestanden.
Für die derzeitigen Protestbewegungen und die vielen, die noch kommen werden, ist die Theresienwiese eine zu umschiffende Falle, denn sie dient, wie dargelegt, als Ablassventil der Stadt München, um unliebsamen Protesten die Luft entweichen zu lassen.
Als ich an diesem 28. Januar die Unternehmerproteste verlasse, mache ich mit meinen Hörnerven am Rande der Theresienwiese eine Feststellung: Weiter weg von der Versammlung hört man, wie die Rede aus den fernen Lautsprecherboxen als Echo von den Wänden der umliegenden Häuser abprallt. Die Redner wollten nach eigener Aussage so laut sein, dass man sie bis nach Berlin hört — das wird wohl nichts. Denn wie ich akustisch in diesem Moment feststelle, mag die Theresienwiese wohl keine Echokammer sein, sehr wohl aber eine in sich geschlossene, abgeschirmte Echofläche.