Das Bauernsterben

Der indische „Amrit Kaal“-Landwirtschaftsplan bewirkt vor allem sinkende landwirtschaftliche Einkommen und hat den Tod vieler Landarbeiter zur Folge.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und umgekehrt. Der in Indien ausgerufene „Amrit Kaal“-Plan — zu Deutsch „das goldene Zeitalter“ — zeigt sich im Bereich der Landwirtschaft von seiner dunkelsten Seite. Für die Landwirte Indiens bringt die Agrarpolitik in erster Linie Verschuldung und Existenzverlust mit sich. Diese Entwicklung nahm allerdings bereits in den 1960er Jahren ihren Lauf, als Indiens Landwirtschaft sich zunehmend von der Selbstversorgung weg und zu einem industrialisierten Anbau hinbewegte. Gemeinhin wurde dieser Trend auch als „grüne Revolution“ beschrieben. Während diese Revolution zu Beginn durchaus noch dankenswerte Früchte trug, hat sich ihr Nutzen unlängst in das Gegenteil verkehrt: Wasserverschmutzung, kaputte Böden und bankrotte Landwirte. Eine dramatische Kehrtwende hin zu einer ökologischen und nachhaltigen Agrarwirtschaft ist nun dringender denn je.

Tote Bauern sind der Lackmustest für jede zivilisierte Gesellschaft. Am 4. Dezember 2023 stand Indien genau davor, als die Daten des indischen Büros für Verbrechensaufklärung NCRB (National Crime Records Bureau) die dunkle Seite des „Amrit Kaal“-Plans, mit dem Indien bis zum Jahr 2047 in eine entwickelte Nation verwandelt werden soll, offenbarten: 11.290 Bauern und Landarbeiter begingen im Jahr 2022 Selbstmord. Noch bevor man seinen Netflix-Film beendet hat oder von der Arbeit nach Hause kommt, sind ein oder zwei Landwirte und Landarbeiter durch ihre eigene Hand gestorben. Sie strangulieren nicht nur sich selbst und ihre Familien, sondern auch das Gewissen unserer Zivilisation.

Das Bild wird noch düsterer: Die Selbstmorde in der Landwirtschaft sind im Jahr 2021 um 3,7 Prozent und im Jahr 2020 um 5,7 Prozent gestiegen. 53 Prozent der 11.290 Selbstmorde, etwa 6.083, entfallen auf Landarbeiter.

Auch nach 75 Jahren Unabhängigkeit müssen wir uns die Frage stellen: Warum bringt unsere Agrarpolitik unsere Landwirte um? Wo liegt das Problem? Überraschenderweise werden die meisten Selbstmorde in „fortschrittlichen Agrarstaaten“ gemeldet, in denen die industrielle Landwirtschaft und „moderne“ gentechnisch veränderte Pflanzen gut eingeführt sind. Maharastra steht leider wieder einmal an der Spitze der Liste, gefolgt von Karnataka und Andhra Pradesh. Auch in Tamil Nadu und Madhya Pradesh wurde eine hohe Zahl von Selbstmorden unter Landwirten gemeldet. In einigen Bundesstaaten, in denen die Landwirtschaft noch eher traditionell und in kleinem Maßstab betrieben wird, wie Westbengalen, Bihar, Odisha, Uttarakhand, Goa, Manipur, Mizoram und Tripura, wurden keine Selbstmorde gemeldet.

Eine weitere schockierende Zahl war die Zahl der Selbstmorde in Chattisgarh und Uttar Pradesh (UP). UP meldete einen Anstieg von 42,13 Prozent seit 2021, während Chattisgarh einen Anstieg von 31,65 Prozent verzeichnete. Positiv zu vermerken ist, dass in Kerala die Zahl der Selbstmorde von Landwirten und Landarbeitern um 30 Prozent zurückging.

Tod durch Schulden und industrielle Landwirtschaft

Das Aufkommen der industriellen Landwirtschaft wird im allgemeinen Sprachgebrauch als Grüne Revolution bezeichnet. Seit ihrer Einführung in den späten 1960er Jahren hatte sie eine sehr komplizierte Beziehung zu Indien.

Das neuere, von Agrarchemikalien abhängige Saatgut, die Mechanisierung und die Agrarchemikalien haben Indiens Nahrungsmittelsystem von der Selbstversorgung in die Abhängigkeit von Markt und Industrie gebracht.

Diese Technologien trugen dazu bei, dass Indien genügend Getreide anbauen konnte und im Laufe der Jahre sogar Reis und Weizen exportierte. Aber sie hatten auch einen versteckten Preis: Umweltzerstörung, Verschuldung der ländlichen Gebiete und ernährungsbedingte Krankheiten. Punjab mit seiner höchsten Verschuldung auf dem Lande, übermäßig ausgebeutetem Wasser, toten Böden, Krebserkrankungen und sozialen Unruhen, Drogensucht bis hin zu Aufständen, ist ein Paradebeispiel dafür, was die industrielle Landwirtschaft in einer Gesellschaft anrichten kann.

Die versteckten Kosten wurden in jüngster Zeit am besten von Kishore Tiwari beschrieben, dem Vorsitzenden der Vasantrao Naik Sheti Swavlamban Mission (VNSSM), die von der Regierung von Maharashtra ins Leben gerufen wurde. Er bezeichnete Bt-Baumwolle und gentechnisch verändertes Zuckerrohr als „Killerkulturen“, da sie die Landwirte in die Schuldenfalle und in den Selbstmord treiben. Er empfahl, diese beiden Kulturen aus den Regionen Vidharba und Marathwada zu verbannen.

Etwa 84 Prozent der Selbstmorde von Landwirten ereignen sich in den Gebieten, in denen Bt-Baumwolle angebaut wird. Vor allem in Maharashtra und Andha Pradesh besteht ein überproportionaler Zusammenhang zwischen der Baumwollanbaufläche und der Selbstmordrate unter den Baumwollbauern. Der Zuckerrohranbau in den trockenen Gebieten von Maharashtra und Karnataka hat das Einkommen einiger weniger erhöht, aber die ländliche Gesellschaft in hohem Maße zerstört.

Denn beide Kulturen sind sehr kostenintensiv, das heißt, sie erfordern teures Saatgut, Agrarchemikalien, agrarindustrielle Verarbeitung und so weiter, und die Landwirte müssen sich für ihren Anbau mehr Geld leihen. Die Einsätze und Zinssätze sind so hoch, dass schon ein schlechtes Jahr die Bauernfamilie in die Verschuldung treiben kann, die in den Folgejahren immer weiter ansteigt und der die Bauern nur selten entkommen können.

Die Schuldenfalle ist so bösartig, dass sogar der bekannte Schauspieler und Filmproduzent Shah Rukh Khan in seinem jüngsten Film „Jawan“ das Problem thematisiert hat. Und es geht nicht nur um diese beiden Feldfrüchte: Das System der industriellen Landwirtschaft erfordert jedes Jahr teurere Betriebsmittel, während der Wert der Agrarrohstoffe oder Feldfrüchte jedes Jahr sinkt, was den Gewinn der Landwirte noch mehr schmälert.

Die Preise für Düngemittel und Treibstoff schwanken stark, und zu allem Überfluss war das Klima in den letzten Jahren auch noch ungünstig. Diese Faktoren haben die Landwirte in eine immer höhere Verschuldung getrieben. Ein weiteres großes Manko war die Unfähigkeit des staatlichen Vorzeigeprogramms, der Ernteversicherung, die Folgen der Wetterkapriolen abzufedern.

Die Flucht vor der industriellen „Medizin“

Was die Ernährungssicherheit angeht, hat Indien seit den 1960er Jahren einen weiten Weg zurückgelegt, wir haben den vollständigen Kreis durchlaufen. Nachdem wir von den Vorteilen profitiert haben, befinden wir uns jetzt in der Absturzphase der Grünen Revolution. Tote Landwirte, schlechte Böden, verseuchtes und ausgebeutetes Wasser und die Verschuldung des ländlichen Raums sind die wichtigsten Nachteile dieser Technologie. Nicht zu vergessen die explosionsartige Zunahme von ernährungsbedingten Krankheiten in Indien, die ebenfalls in direktem Zusammenhang mit unserer landwirtschaftlichen Produktion steht. Vielleicht ist das der Grund, warum selbst der Vater der indischen Grünen Revolution, M. S. Swamithanan, gegen Ende seines Lebens für die Ökotechnologie und einen auf der biologischen Vielfalt basierenden Ansatz in der Landwirtschaft plädierte.

Wir müssen unsere Landwirte auf ihre agroklimatischen Zonen abstimmen und sie ermutigen, das naturbasierte Modell einer nachhaltigen, biodiversen Landwirtschaft zu verfolgen. Dies ist einer der sichersten Wege, um die Ernährungs- und Einkommenssicherheit der Bauernfamilien zu gewährleisten und gleichzeitig die Abhängigkeit von industriellen Systemen oder Düngemittelsubventionen zu verringern.

Indien braucht eine Politik zur Regenerierung von Wasser und Böden in diesen Gebieten und muss den Landwirten eine rentable Alternative bieten, die zu einer ökologisch verträglichen Landwirtschaft führt.

Wir müssen unsere traditionelle zivilisatorische Landwirtschaft zurückgewinnen und mit der modernen Wissenschaft in Einklang bringen. Blindlings den Befehlen der industriellen Landwirtschaft zu folgen, liegt nicht in unserem nationalen oder agrarischen Interesse. Und wenn wir nicht handeln, wird es bald so weit sein, dass auch Indien wie seine Bauern und Landarbeiter gezwungen sein werden, die giftige „Medizin“ (Pestizide) zu trinken, von der das industrielle Agrarsystem selbst bei unserem Tod profitiert. Was für ein „Goldenes Zeitalter“ wird das sein!


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel wurde von Indra Shekhar Singh geschrieben, von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert. Er erscheint hiermit zuerst in seiner deutschen Version auf manova.news.