Das Böse im Spiegel

Bestimmte Formen des Kampfes gegen Rassismus sind bizarrerweise selbst rassistisch.

Weiße Professoren, die keine Kolonialgeschichte lehren sollen. Weiße Teilnehmer von Rassismus-Studien, denen man ein schlechtes Gewissen macht. Dem weißen Teufel geht es an den Kragen. Dem Rassismus soll nämlich der Garaus gemacht werden. Eine gut aufgestellte Truppe von „Social Justice Warriors“ sieht sich berufen, den Rassismus hinter jedem Stein, jeder falschen Silbe und Geste auszumachen. Sie betrachten sich als „woke“ — zu deutsch: erwacht — und entwickeln eine schrille Hypersensibilität gegenüber Xenophobie. Wie ein falsch kalibrierter Geigerzähler schlagen sie Alarm, wenn jede noch so banale Geste oder noch so harmlose öffentliche Äußerung auch nur den Anschein von Rassismus erwecken könnte. Besonders bizarre Blüten treibt dieses Verhalten im Umgang mit Weißen, zu denen die „Woken“ teils selbst gehören. Diesen wird nun sämtliche Legitimation abgesprochen, sich zum Thema Rassismus zu äußern — mangels eigener Lebenserfahrung. Statt also zu einem Versöhnungsprozess beizutragen, der die Wunden vergangener Kolonialtage heilen könnte, sollen Weiße nun pauschal in alttestamentarischer Manier von ihrer eigenen Medizin kosten. Wer hätte gedacht, dass eines Tages der „Antirassismus“ dem ursprünglichen Rassismus in Sachen Diffamierungspotenzial Konkurrenz machen würde?

Alleine dass ich hier mit einem Text ansetze, der sich mit Rassismus befasst: Darin lauert schon mein erster Fehler. Denn ich bin weiß. Und noch viel schlimmer: Ich bin ein heterosexueller Mann. Was Unterdrückung bedeutet, das weiß ich nicht. Mit diesen Ausschlusskriterien in die Enge getrieben könnte ich nun noch gegenargumentieren, dass ich Sohn eines Gastarbeiters bin. Ich habe sehr wohl erlebt, wie es Ausländern in Deutschland geht. Aber vermutlich müsste ich mich darauf gefasst machen, dass man die Erfahrungen meines Vaters abtut, denn auch er war weiß und kein farbiger Ausländer in Deutschland.

Schlimmer hat es Helmut Bley getroffen. Der Mann ist Professor für Afrikanische Geschichte und für Kolonialgeschichte. Er gilt als renommierter Vertreter seines Fachs. Das heißt: Er galt. Bley hat nämlich ein Problem: Er ist weiß. Daher hat man ihn als Redner einer Online-Veranstaltung der UN zum Thema Rassismus abbestellt. Ein weißer Mann, so machten Antirassismus-Aktivisten klar, könne darüber nicht sprechen. Die „Initiative für „Diskriminierungssensibilität und Rassismuskritik“ (IDiRa) verweigerte daher vorab ihre Dialogbereitschaft.

Ausgrenzung als Integrationsstrategie?

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen:

Eine antirassistische Initiative spricht lieber nicht mit jemandem, weil er die falsche Hautfarbe hat.

Nun nenne man mich ein bisschen naiv, aber ich würde das durchaus als rassistischen Reflex einordnen. Aber was weiß denn ich schon, als weißer Autor kann ich das vermutlich gar nicht richtig einschätzen. Übrigens ein Vorwurf, den sich auch die Publizistin Judith Sevinç Basad dieser Tage gefallen lassen muss.

Denn sie hat ein Buch geschrieben, das sich mit dem gängigen Antirassismus, dem Antisexismus, dem Gendern, dem neuen Feminismus und den Medien, die diesen Feldern ideologisch nacheifern, beschäftigt. „Schäm Dich! Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist“, heißt das Werk, das sich als wahre Fundgrube kruder Geschichten offenbart.

Insbesondere den antirassistischen Komplex, wonach man sich als weißer Mensch gar nicht adäquat zu Fragen von Ausgrenzung und Diskriminierung äußern sollte, behandelt die Autorin ausgiebig. Schon im Vorwort berichtet sie von einer bei ZDFneo ausgestrahlten Rassismus-Studie, bei der Blauäugige ausgegrenzt und beleidigt wurden. Eine Teilnehmerin war aufgelöst, wollte der Situation entfliehen, Moderator und Kamera liefen ihr nach, machten sie runter, sie könne schließlich flüchten, aber was, wenn sie schwarz wäre? Mitgefühl gab es nicht; im Gegenteil, durch ihre Tränen würde sie nur vom Rassismus ablenken wollen: White Fragility nennt man das in Fachkreisen.

Dieses Prinzip geht im ideologischen Kontext so weit, dass man das Fair-Trade-Label als kolonialistisches Konzept einordnet — und damit als rassistisch. Denn wenn wohlhabende weiße Konsumenten denken, dass schwarze Erzeuger Hilfe benötigen würden, dann muss es wohl so sein. Wer fair kauft, ist demnach ein Rassist. Es gibt sogar eine Bezeichnung dafür: White Saviorism.

Diese Geschichte ist allerdings nicht bloß eine steile These aus dem Kopf eines Ideologen, sondern erhielt laut Sevinç Basad im Bayerischen Fernsehen Aufmerksamkeit — nicht ohne schuldbewussten Unterton der Moderatorin. Überhaupt würden nicht nur Medien recht freundlich mit diesem Thema umgehen, auch staatliche Institutionen, Stiftungen und Ministerien etwa, förderten manchen Ansatz, bei dem man besser mal nach der Absicht hinterfragen sollte. Ob gezielter Ausgrenzung ein integratives Moment innewohnt, darf jedenfalls herzlich bezweifelt werden.

Sieg der Nation of Islam: Vernichtet den weißen Teufel!

Man kann durchaus sagen, dass diese selbstgefällige Form des Antirassismus stark an die Nation of Islam und deren berühmtesten Prediger Malcolm X erinnert. Während sein bürgerlicher Kontrahent Martin Luther King von Gleichberechtigung sprach, einen Traum von einer Welt ohne Rassismus hatte, verkündigte X ein Evangelium der Ungleichheit: Der Weiße sei — so wörtlich — ein Teufel, man dürfe ihm niemals glauben, er sei durchdrungen vom Bösen — daher sei eine Bewaffnung der Black Community völlig logisch.

Im akademischen Antirassismus-Milieu hat, wenn man es nun rückblickend betrachtet, genau jener Malcom X die Oberhand über die versöhnlichen Töne Kings gewonnen. Der weiße Teufel erhielt natürlich Modifikationen, mit der theologischen Ambition der 1960er kann man die These heute kaum noch unter die Leute bringen — sie wurde quasi verwissenschaftlicht. Und der Teufel wurde durch den Begriff des „strukturellen Rassismus“ ersetzt.

Den Begriff hört man oft, selbst in der Politik vernimmt man ihn häufig. Der Kern dieser These ist recht simpel:

Diese Welt ist geprägt durch alte weiße heterosexuelle Männer. Alles was in die Welt geworfen ist, muss daher zwangsläufig hinterfragt und dekonstruiert werden. Denn man muss der toxischen Syntax auf den Grund gehen, das Gift unschädlich machen.

So spannt dieser spezielle Strukturalismus gleich noch einen Bogen zum Antisexismus und hat eine Gruppe definiert, die man verantwortlich machen kann für das Böse in der Welt.

Eine gewiefte Strategie, die von Ideologen als vollkommen legitim vorgestellt wird, ist das sogenannte „Othering“. Vereinfacht gesagt geht das so:

Weiße Menschen müssen stigmatisiert werden, sie müssen spüren, wie sich das anfühlt.

Neulich hat die Bürgermeisterin von Chicago gezielt nur nicht-weißen Journalisten Interviews gewährt. Die Kampagne zielte auf mehr Diversität ab. Für die Spindoktoren der woken Branche ist das aber genau der richtige Ansatz, denn er gründet auf Ausgrenzung. Und die müsse man jetzt auch den weißen Menschen spüren lassen.

Dieses Prinzip der ausgleichenden Ungerechtigkeit findet natürlich großen Rückhalt in jener „Lebensschule“, der in den letzten Jahren der Sprung über den großen Teich nach Europa gelungen ist: Der Wokeness. Woke, englisch für erwacht: Von einer Erweckungsbewegung zu sprechen, trifft es ganz gut. Wie alle Erweckungsbewegungen zeichnet sich auch die Wokeness durch Radikalität aus, durch Orthodoxie und Hingabe. Und durch eine klare Rollenverteilung von Gut und Böse, durch die Etablierung eines strikt dualistischen Weltbildes, das die Komplexität des irdischen Daseins ordnet und überschaubar gestaltet.

Seelenverwandte: Social Justice Warriors und Identitäre

Frühere Erweckungsbewegungen mussten noch klassische Formen physischer Präsenz anwenden, um sich an ein Publikum richten zu können. Da lauerten sie dann in Fußgängerzonen, krempelten im Winter den Kragen hoch, hielten den Elementen stand. Die Wokeness beeindruckt durch „psychische Präsenz“, ihre Fußgängerzone heißt Facebook, Twitter und Co. Dort kämpft sie mit allen Mitteln. In den USA werden diese Leute auch Social Justice Warriors genannt. Wobei sie sich nicht für die klassische soziale Gerechtigkeit einsetzen, Verteilungsfragen sind ihnen absolut egal.

In den Netzwerken suchen sie nach Menschen und Institutionen, die sie belehren, die sie kritisieren können. Sie setzen Shitstorms ein, in besonders schlimmen Fällen sorgen sie dafür, dass Menschen, denen sie ein veraltetes Weltbild unterstellen, sogar ihren Arbeitsplatz verlieren.

Man lese nur mal die negativen Bewertungen für Sevinç Basads quer: Sachlichkeit findet man da keine, als Frau türkischer Abstammung sei ihre Haut noch viel zu weiß, um die Problematik zu verstehen, erklärt man ihr. Diese Warriors, die sich als Ausdruck einer besseren Zukunft sehen, wenden Mittel an, die man solchen Bewegungen unterstellen würde, die bestimmt nichts Gutes im Sinn hatten.

Ihre ganze Lehre strotzt vor dieser Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Vor einigen Wochen kritisierte die woke Bubble den Musiker Justin Bieber, weil der plötzlich mit Dreadlocks herumlief. Das stand ihm zugegeben nicht besonders gut, aber dass man daraus Rassismus ableiten könnte: Dazu muss man wahrscheinlich schon ein Warrior sein, um auf so eine Idee zu kommen. Das Stichwort war dabei: Kulturelle Aneignung. Wenn ein Weißer die Haarmode eigentlich schwarzer Menschen kopiert, müsse man von Rassismus ausgehen, von einem kolonialistischen Impuls.

Anders gesagt: Nur Japaner sollen Kimono tragen, Mitteleuropäer Sauerkraut essen und Frauen aus dem Nahen Osten sich mit Henna verzieren. Keiner soll sich mehr die Kultur anderer Völker aneignen, keiner soll mehr über seinen kulturellen Tellerrand lugen.

Diese Haltung kommt einem bekannt vor, man findet sie nämlich bei den Identitären, auch Ethnopluralisten genannt. Vereinfacht gesagt ticken die so: Kein Volk ist mehr wert als das andere — aber bitte, alle sollen dort bleiben, wo ihr Volk heimisch ist. Dass diese Woken Warriors in ihrer antirassistischen Orthodoxie manchen Rassismus sogar noch zementieren, kann vermutlich nur ein weißer, nicht mehr ganz so junger Mann wie der Autor dieser Zeilen anmerken.

Daher glaubt ihm nicht, er ist ein Teufel!