Das Ende der Geschichte
Die nun in Verantwortung kommenden Millennials sind auch nur Opfer der Umstände, in die sie hineingeboren wurden.
Immer wieder wurde in den vergangenen fünf Jahren die Frage gestellt, wo denn die Millennials auf der Straße seien — bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen, gegen die Aufrüstung oder die Beteiligung des Westens am Krieg in der Ukraine. Warum, so die Frage, gehen sie nicht auf die Straße und setzen sich einmal kritisch mit den Dingen auseinander, die auf der Welt geschehen? Die Antwort auf diese Frage ist möglicherweise in dem Umfeld zu finden, in dem diese Generation sozialisiert und traumatisiert wurde.
Seit Ausbruch des Corona-Faschismus in Deutschland und den damit verbundenen Protesten, die sich nun auch gegen Krieg, Aufrüstung und Russophobie fortsetzen, ist eines immer wieder zu beobachten: Die Proteste werden in der Regel von älteren Menschen getragen. Wer nicht gerade eigene Kinder hat, die er oder sie vor dem Genspritzen-Wahnsinn und dem Tod im Krieg beschützen will, oder aber alt genug ist, um sich noch an die großen Friedensdemonstrationen zu erinnern — sprich, wer also jünger ist — findet sich im Durchschnitt nicht auf der Straße wieder. Die sogenannten Millennials, also jene, die in den 80er- und 90er-Jahren geboren wurden, sind kaum repräsentiert. Die Millennials werden auch Generation Y genannt, was ähnlich ausgesprochen wird wie das englische why, das englische Wort für „warum?“. Dies soll deren Neigung zum Ausdruck bringen, Dinge zu hinterfragen.
Interessanterweise ist diese Neigung in dieser Generation aber überhaupt nicht verbreitet. Denn diese Generation ist nicht nur auf den Straßen unterrepräsentiert — sondern, zumindest meiner Erfahrung nach — auch überhaupt nicht dazu geneigt, die herrschenden Umstände, in denen sie lebt, zu hinterfragen. Lieber schwimmt man mit der Masse, folgt der vorgegebenen Richtung und kümmert sich lediglich um das eigene individuelle Leben, anstatt damit aufzufallen, sich kritisch zu äußern. Gedanken macht man sich, wenn überhaupt, nur oberflächlich, und übernimmt dazu vorgegebene Denkrahmen, Klischees und Inhalte. Am stärksten scheint dieser Trend ausgeprägt in der Mittelschicht zu sein — und zwar unabhängig davon, ob akademisch geprägt oder nicht.
Immer wieder wurde ich im Laufe der vergangenen fünf Jahre mit der Frage konfrontiert, wo sie denn seien, die Millennials. Da mich als Vertreter dieser Generation diese Frage ebenso umtreibt, habe ich mir dazu einige Gedanken gemacht und eine These entwickelt, die aber nicht unbedingt ins Schwarze treffen muss. Ich denke jedoch, dass sie zumindest einen Teil der Erklärung liefern könnte.
Um die Generation der Millennials zu verstehen muss man sich die Umstände vor Augen führen, in denen wir geboren wurden und aufgewachsen sind. Es waren die 80er- und 90er-Jahre. Der Untergang der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre und die Wiedervereinigung Deutschlands etwa zur selben Zeit hat den Philosophen Francis Fukuyama dazu verleitet, das „Ende der Geschichte“ auszurufen.
Dieses Ende der Geschichte trat in den 90er-Jahren ein, und auch wenn diese Idee selbstverständlich eine naive Vorstellung war — denn die Geschichte endet niemals, selbst dann nicht, wenn die Menschheit enden würde — so fasst sie das Lebensgefühl ab den frühen 90er Jahren doch gut zusammen. Es prägte auch die Kinder der 80er-Jahre, die sich zu dieser Zeit in ihrer Jugend befanden, und damit beinahe alle Millennials. Wir wuchsen auf in dem Glauben, sämtliche historische Ereignisse von bedeutendem Ausmaß bereits hinter uns zu haben. Der Mauerfall, gerade erst Geschichte geworden, markierte das Ende dieser Geschichtsprozesse, die nun zu einem absoluten Stillstand gekommen waren. Auch der Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 konnte an diesem Gefühl, das tief in uns eingesickert war, zunächst einmal nichts ändern. Viele von uns waren noch zu jung, um den Hergang wirklich zu verstehen — und selbst wenn, so verdrängen Fakten bekanntermaßen keine Gefühle. Zudem fand dieses Ereignis, ebenso wie die sich anschließenden Kriege, irgendwo statt, nicht jedoch vor unserer Haustür. Hier war die Geschichte zu ihrem Ende gekommen.
Hier gab es für uns nichts anderes zu tun, als in einem merkwürdig geschichtslosen, ewigen Jetzt zu leben, das im Grunde eine sich ständig wiederholende Schleife aus wiederkehrenden Jahreszeiten und monotonem Alltag darstellte. Das Ende der Geschichte bot keine wirklich verlockenden Perspektiven mehr.
Da es keine Geschichte mehr gab, waren auch alle Erzählungen von Abenteuer und Bedeutung, die den Alltag transzendierten, lediglich Geschichten, die von einer weit entfernten Vergangenheit erzählten. Das Leben am Ende der Geschichte zielte lediglich auf eine Sache ab: einen möglichst guten Platz in der gleichförmigen Massengesellschaft zu sichern — was bedeutete, alles daran zu setzen, einen guten Arbeitsplatz zu ergattern.
Diese Vorstellung kam natürlich nicht aus uns selbst, sie wurde uns von außen auferlegt. Die Generation unserer Eltern, die genau diesen Weg vor uns beschritten hatte, glaubte darin das Patentrezept für ein gutes Leben gefunden zu haben und stülpte uns dieses Patentrezept über — ob wir wollten oder nicht. Und da wir jung und wehrlos waren, wussten wir noch nicht einmal, ob wir das wollten. Zumindest die meisten wussten es nicht. Diejenigen, die aus einem inneren Instinkt heraus eine gewisse Ablehnung dieser Vorstellung gegenüber empfanden, hatten jedoch kaum Möglichkeiten, ihr auszuweichen. Denn die ganze Gesellschaft am Ende der Geschichte war darauf ausgerichtet, alle nachfolgenden Generationen mit aller Macht in sie hineinzupressen — etwas, das auch bis heute noch anhält.
So wurde die Erziehung durch Eltern und Schule — so wie jede Erziehung jemals — zu einem Prozess der Unterwerfung aller Kinder und Jugendlicher. Wo die Eltern in der Regel noch mit sanftem, subtilem Zwang agierten, der vorgab, lediglich „das Beste“ für uns zu wollen und uns daher schon den von ihnen selbst gewählten Weg der absoluten Anpassung und Unterwerfung aufzuzwingen, da agierten die Bildungseinrichtungen mit härterer, psychischer Gewalt. Diese sah vor, die natürlichen Impulse der Kinder — laufen, sprechen, spielen, kooperieren — zu unterbinden, und durch Gehorsam, stilles Sitzen, aufmerksames Zuhören, Konkurrenz und Vergleich zu ersetzen. Die Unterwerfung erfolgte in Form von negativen Zukunftsaussichten, die uns schon in jungen Jahren angedroht wurden, wenn wir uns widersetzten, und fand ihren Ausdruck in den Schulnoten, die ein Zeugnis darüber gaben, wie weit wir auf dem Weg der Unterwerfung bereits vorangeschritten waren.
Als Belohnung für diese Unterwerfung stellte man uns allerdings, zumindest auf dem Gymnasium, wo ich mich herumtrieb, eines in Aussicht: beruflichen Erfolg und damit verbunden ein hohes Einkommen, das uns materielle Absicherung und ausufernden Konsum ermöglichen sollte. Dies war auch für unsere Eltern der Antrieb, diesen Prozess der Unterwerfung zu Hause fortzusetzen. Denn sie wollten nur unser Bestes, hatten nur gute Absichten, und mussten daher helfen, den kindlichen Willen — der diesem Lebensweg oftmals entgegenstand — zu brechen, um ihm in Sinne dieser guten Absichten zu formen und in die richtige Richtung zu lenken.
Dies geschah oftmals über die Abwertung dieser kindlichen Regungen und Ideen.
Alles, was nicht den Erwartungen der Massengesellschaft entsprach, wurde mit den Worten „Quatsch“, „Unsinn“, „Zeitverschwendung“ oder Ähnlichem tituliert. Schon früh mussten wir „zusehen“, dass aus uns „etwas wird“. Und dieses „Etwas werden“ war vielleicht der ausschlaggebende Punkt.
Schon in frühen Jahren wird man als Kind mit der Frage traktiert „Was willst du später einmal werden?“ Als Kind lernt man dabei sehr schnell, dass als richtige Antwort hier nur eine der vielen belanglosen Berufsbezeichnungen erwartet wird, und passt sich an diese Erwartung an. „Etwas werden“, ist also reduziert auf diesen Beruf, und auch wenn man als Kind, später als Jugendlicher und junger Erwachsener, natürlicherweise keine Ahnung davon hat, was ein bestimmter Beruf bedeutet, so lernt man doch, selbst in diesen Kategorien zu denken.
Das führt dazu, dass der Beruf zu einem Bestandteil der Identität wird. Die Frage nach dem „Was willst du werden?“ wird damit zu einer fundamentalen, ja schicksalshaften Frage, da ihre Antwort die eigene Identität maßgeblich bestimmen wird — sie also zu einer Frage über die eigene Identität an sich wird. Das stellt gerade junge Menschen vor eine unüberwindbar hohe Hürde. Denn wie soll man aus der Reihe der gleichförmigen und sehr begrenzten Berufe denjenigen auswählen, der vermeintlich am besten zu einem passt? Diese Wahl ist es zudem, die in unserer westlichen Kultur mit dem Schlagwort der „Freiheit“ vermarktet wird — die sich auch genau auf diesen Bereich beschränkt. Wir haben damit die „Freiheit“ zu entscheiden, auf welche Art und Weise wir uns der Maschinerie der Gesellschaft unterwerfen wollen — und mehr nicht. Die Frage, ob wir uns ihr unterwerfen wollen, kommt gar nicht erst auf; sie wird erstickt in der Frage „Was willst du werden?“. Denn diese Frage erlaubt als Antwort gar nicht die individuelle Entfaltung, das persönliche, geistige und seelische Wachstum, sodass man jeden Tag ein bisschen mehr man selbst wird. Nein, man selbst sein ist tatsächlich das Letzte, das diese Gesellschaft am Ende der Geschichte will.
Ständig soll man sich in andere Weltbilder, vorgegebene Rollenbilder und fertig ausgestanzte Muster pressen, um den zahlreichen Erwartungen gerecht zu werden, die einen quasi ab Geburt überfluten. Wir wurden in diese Welt geworfen, und augenblicklich wurden Ansprüche an uns gestellt und Erwartungen auferlegt. Überhaupt erst einmal selbst zu entdecken, wer man ist, was man vom Leben will, wie man sich selbst entwickeln kann, ist überhaupt nicht vorgesehen. Man wird von Anfang an in eine Richtung gedrängt, die als Ziel lediglich eine Funktion im System hat — die dann noch mit der eigenen Identität verwechselt wird. Die jungen Menschen am Ende der Geschichte haben also eines gelernt: sich zu unterwerfen und sich künstliche Identitäten auferlegen zu lassen.
Die Frage „Was willst du werden?“ suggeriert zudem eines: dass man noch nicht vollständig und richtig ist. Die Frage führt den jungen Menschen beständig die eigene Unvollkommenheit vor Augen, die scheinbar nur überwunden werden kann, indem man sich den elterlichen Erziehungsmethoden und den schulischen Leistungsanforderungen beugt, um am Ende gelobt zu werden, einen Schulabschluss zu erhalten und damit den Anforderungen, die von außen auf einen einprasseln, irgendwie gerecht zu werden.
Die eigene Minderwertigkeit wird einem durch diese Frage ständig vor Augen geführt, ebenso wie durch die ständigen Bewertungen. Die meisten Menschen meiner Generation haben also gelernt, unvollständig und minderwertig zu sein, etwas, das nur dadurch ausgeglichen werden kann, dass man sich Autoritäten unterwirft, ihnen gehorcht und ihren Willen ausführt, um dann — eventuell — einen entsprechenden Lohn zu erhalten. Es ist kein Wunder, dass diese Generation nicht rebelliert.
Hinzu kommt, dass es uns nicht einmal wirklich möglich war, eine eigene Persönlichkeit auszubilden. Diese Möglichkeit wurde uns durch die Erziehung von außen genommen. Wir konnten also nicht herausfinden, wer wir waren, welche Neigungen und Ideen naturgemäß in uns wuchsen, sondern mussten uns schon früh die Erwartungen, die von außen an uns herangetragen wurden, zu eigen machen. Wir wurden dahin manipuliert, dass wir sie als unsere eigenen übernahmen — in der Traumatherapie nennt man das ein Introjekt. Man könnte auch von einem Täter-Introjekt sprechen, denn die Eltern, Lehrer und anderen Möchtegern-Autoritätspersonen wurden zu Tätern an uns. Das führt dazu, dass noch heute die meisten Menschen nur vermeintlich aus einem inneren Antrieb heraus handeln, während in ihnen in Wirklichkeit noch die Mutter, der Vater, die Großmutter oder der Mathelehrer der fünften Klasse schreien.
Die Werte, die wir lebten, wurden uns zudem vorgekaut von einer Kultur, die im Großen und Ganzen US-amerikanisch geprägt war. Eine rigide Selbstverwirklichungsideologie, die lediglich auf die optimale Selbstverwertung in der kapitalistischen Maschinerie abzielte, wurde uns in Filmen und Musik vorgelebt. Darüber hinaus predigte diese Kultur nicht mehr, als eine reine Spaß- und Ablenkungsgesellschaft, die uns oberflächliche Ziele und Vorstellungen von der Welt vermittelte. Etwa eine überromantisierte, in den Kitsch hereinreichende Vorstellung von Beziehung oder eine Verengung der Vorstellungswelt des Lebens auf die Bereiche Arbeit, Fressen, Saufen und Ficken. Die letzteren drei wurden dabei oft kombiniert, und kulminierten trotz ihres primitiven Ruchs am Ende trotzdem wieder in den spießbürgerlichen, gesellschaftskonformen Vorstellungen von Ehe, Familie und Bausparvertrag — ein Verlauf, den man beispielsweise an den ersten drei American Pie-Filmen verfolgen kann, die meine Generation maßgeblich geprägt haben dürften.
Diese Ablenkungsindustrie erfüllt ihren Zweck am Ende der Geschichte, nämlich die Selbstentfremdung unsichtbar zu machen, indem man sie hinter den kulturell vorgegebenen Idealvorstellungen versteckte, an denen wir uns auszurichten hatten, und die uns ein erfülltes Leben versprachen. Sie verengten zugleich den Horizont der Menschen so sehr, dass selbst die Vorstellung eines gänzlich anderen Lebens unmöglich wurde. Damit wurde jede Alternative undenkbar. „There is no alternative“ fasste es die neoliberale Ideologie in den 1980er Jahren auch schon zusammen, ein Slogan, der auch politisch und erzieherisch programmatisch wurde.
Und warum auch nicht? Immerhin lebten wir, so zumindest die vermittelte Ideologie, bereits in der besten aller Welten. Denn das Ende der Geschichte hatte uns nicht nur die Demokratie beschert, sondern — zumindest vermeintlich — alle Probleme dieser Welt von uns ferngehalten. Deutschland war ein sicheres, starkes Land, in dem das Leben gut für alle war, und jene, die kein gutes Leben hatten, die hatten auch einfach selbst Schuld daran. Sie waren zugleich mahnendes Negativbeispiel für uns alle und spornten uns zur Anstrengung und Unterwerfung an.
Viele in dieser Generation nahmen die dünnen Aussichten für ihre Zukunft nur zu gerne an. Denn das Ende der Geschichte versprach uns nicht mehr, als genau das: keine Abenteuer, keine echten, lebendigen Erlebnisse.
Es gab nur das gleichförmige Arbeiten einer die gesamte Gesellschaft durchziehenden Maschinerie, die im Takt der Jahrgänge neues Menschenmaterial ausstieß, und am laufenden Band Waren ausspie, nach denen zwar niemand gefragt hatte, die wir aber als willkommene Ablenkung von der Sinnlosigkeit der Existenz dankbar annahmen. Denn das Leben am Ende der Geschichte hatte keinen höheren Sinn mehr. Es bot keinerlei größere, metaphysische Erzählung mehr. Gott war bereits gestorben, ermordet auf den Seziertischen und unter den Mikroskopen der Wissenschaftler. Wir hatten ihn zwar nicht selbst getötet, waren jedoch mit der Aufgabe befasst, die Leerstelle zu füllen. Alles, was uns dafür blieb, waren der Konsum und das Streben nach Erfolg. Einen höheren Sinn gab es nicht, da es nichts Höheres gab. Und so konnten wir nicht mehr tun, als uns in dieser Maschinerie einen Platz zu suchen, der uns am wenigsten unangenehm war und dort gleichförmig und monoton vor uns hinzuleben, um das Ende des Ganzen abzuwarten, das wir jedoch in unserer Vorstellung stets verdrängten.
Die Generation der Millennials ist also schwer traumatisiert, nicht durch Krieg und Vernichtung, sondern durch die nihilistische Alternativlosigkeit eines Systems vollkommener und umfassender Verwertung. Sie hat jede Verantwortung an irgendwie geartete Autoritäten abgetreten und ist daher umfassend steuerbar. Jede Rebellion gefährdet den sicheren Platz im Gefüge, das einzige, an das sie sich noch zu klammern in der Lage sind, weil es darüber hinaus nichts von Sinn und Bedeutung mehr gibt. Das Ende der Geschichte hat keine Versprechungen gemacht außer jenes, bereits in der besten aller Welten zu leben — eine Vorstellung, die irgendwie mit der täglich erlebten grausamen Wirklichkeit in Einklang gebracht werden musste, wozu Verdrängung und Konsum herangezogen wurden.
Natürlich, es gibt eine Minderheit, die auf den Straßen vertreten ist und immer wieder demonstriert. Sie demonstriert beispielsweise gegen den Klimawandel, gegen „Coronaleugner“ und „gegen Putin“ — oder dergleichen. Das ist jene Minderheit, die am Ende der Geschichte verzweifelt, keine vernünftige Stellung für sich selbst in diesem Gefüge finden kann, und dennoch an Konsum und Autoritätsglauben festhält. Während der größte Teil der Millennials schon gar nicht mehr rebelliert, so ist dieser Teil zumindest noch der emotionalen Regung fähig, lässt sich aufgrund seiner Autoritätshörigkeit aber von der Macht instrumentalisieren und gegen jede Opposition ins Feld führen. Es sind zugleich jene, die den Nihilismus und die Leerstelle, die Gott beim Sterben hinterließ, mit religiösen Ideologien füllten.
Es sind Ideologien, die sich aus dem Negativen ableiten. Ständig muss etwas verhindert werden: der Aufstieg des Faschismus, die Überhitzung der Erde, die Eroberung Europas durch Putin. Diese Vorstellung ist kaum von einer metaphysischen Hölle zu unterscheiden, nur dass sie bereits auf Erden abgewendet werden muss.
Damit verbunden ist aber auch die Vorstellung, am Ende der Geschichte in der besten aller Welten angekommen zu sein. Nun müsse diese Welt lediglich gegen rückwärtsgewandte Kräfte verteidigt werden, die immer wieder versuchen, uns in die historische Vergangenheit zurückzuführen.
Ein augenfälliges Beispiel hierfür ist der ständige Vergleich der AfD mit der NSDAP und derlei Albernheiten. Diese Generation hat sich an das Ende der Geschichte mit seinem Konsum und seiner monotonen Lebensführung derart gewöhnt, dass sie in diesem gleichförmigen Lauf nicht gestört werden will. Sie versucht, ihre Bequemlichkeit stets gegen vermeintliche Unbequemlichkeiten zu schützen. Zugleich hat sie die Verantwortung für den Zustand der ewigen Geschichtslosigkeit höheren Mächten übertragen. Deren undemokratisches Vorgehen ist im Zweifelsfall irrelevant, solange es sich gegen jene Kräfte richtet, die drohen, die Gesellschaft wieder in die Geschichte zurückzuzerren.
Und dann gibt es da noch den verschwindend geringen Anteil derjenigen, die all dem widersprechen, was tatsächlich schiefläuft. Die gegen Krieg und gegen Coronafaschismus auf die Straße gingen und gehen. Sie lassen sich nicht von den Versprechen des Endes der Geschichte dazu verleiten, an das politische System zu glauben oder diesem die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übertragen.
Was genau diese Menschen von den anderen unterscheidet, muss wohl noch herausgefunden werden. Möglicherweise hängt es einfach mit den Reaktionen auf die traumatisierenden und entfremdenden Erfahrungen am Ende der Geschichte zusammen.