Das Ende der Gewaltspirale

Das Gegenteil von Gewalt ist nicht Ohnmacht, sondern Lebensenergie.

Gewalt habe es schon immer gegeben, sie sei dem Menschen angeboren. Wirklich? Ist es nicht vielmehr unsere Vorstellung davon, so, wie wir glauben, dass es Kriege schon immer gegeben hat? Doch das stimmt nicht. Kriege gibt es seit etwa 6.000 Jahren. Seit 6.000 Jahren erst gibt es das Spiel zwischen Macht und Ohnmacht, das immer wieder aus Opfern neue Täter macht und bei dem letztlich doch alle das eine suchen: Verbindung. Gewalt entsteht, wenn das ursprüngliche Streben nach Vereinigung fehlgeleitet wird. Heilung kann eintreten, wenn wir das Gewalttabu brechen und darüber sprechen.

Immer weniger Menschen bestimmen über das Leben von vielen. Die Zahl der sehr Reichen wächst analog zur Zahl der sehr Armen. Die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung wächst. Bürgerkriegsstimmung entsteht. In Deutschland haben Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und Übergriffe vor allem infolge der Coronamaßnahmen stark zugenommen — häusliche Gewalt erreicht einen neuen Höchststand. Auch die sogenannte Verteidigungsbereitschaft steigt. Junge Menschen lassen sich rekrutieren. Krieg wird vorbereitet.

Krieg, so die weitläufige Meinung, gab es schon immer. Doch das stimmt nicht. Krieg ist eine relativ junge Erfindung. Während der ersten 99 Prozent der menschlichen Evolution gab es ihn nicht. Über zweieinhalb Millionen Jahre lebten die Menschen größtenteils friedvoll miteinander (1). Auch das Konkurrenzverhalten, das wir heute kennen, gab es nicht; Konkurrenz, abgeleitet vom lateinischen concurrere — zusammenlaufen, bedeutete damals nicht, sich gegenseitig abzuhängen.

Unsere Vorfahren teilten. Ihren Reichtum brachten die Menschen dadurch zum Ausdruck, dass sie Feste ausrichteten und denen Geschenke machten, die weniger besaßen als sie.

Historisch gesehen war es ein Zeichen von Erfolg, großzügig zu sein, zu teilen und etwas für die Gemeinschaft zu tun, der man angehörte.

Besitz gab es so gut wie nicht. Lange Zeit war er etwas, was man mit sich herumtragen konnte: nicht viel. Erst mit der Sesshaftigkeit wurde das Eigentum erfunden. Von da an wollte der, der hatte, mehr. Die sogenannten Hochkulturen, also die Kulturen, über die es überlieferte Schriftdokumente gibt, zeichnen sich nicht nur dadurch aus, die Verehrung des Besitzes in die Welt gebracht zu haben, sondern auch den Krieg.

Angeboren?

Gewalt ist zu etwas Selbstverständlichem, Normalem geworden. Keine Nachrichtensendung kommt ohne sie aus. Mit dem Meditationsgong der Tagesschau wird sie in unsere Wohnzimmer und Köpfe getragen (2). Ob digital oder analog: Keine Sekunde vergeht, in der Menschen nicht erniedrigt, ausgebeutet, geschlagen oder getötet werden. 37 Menschen werden laut Statistik täglich in Deutschland vergewaltigt (3), die ungemeldeten Fälle nicht eingerechnet.

Aggressionen sind im Menschen wie in Tieren angelegt. Sie entstammen einem Verhaltensmuster, das es erlaubt, Ressourcen zu gewinnen oder zu verteidigen und potenziell gefährliche Situationen zu bewältigen. Beim Menschen geschehen sie entweder mit Absicht, um anderen zu schaden, oder um sie in einem Rangordnungsstatus herabzusetzen. Hervorgerufen werden Aggressionen durch negative Gefühle wie zum Beispiel Vernachlässigung, Frustration, Stress, Hass, Neid, Hunger, Hitze, Kälte, Schmerz oder Furcht.

Diese Gefühle entstehen besonders in Kontexten von Mangel, Missbrauch, Unrecht oder Drogenkonsum. Wo sie gefördert werden, steigen die Aggressivität und die Bereitschaft zu Gewalt, wozu schlagen, beschädigen, töten und direkte oder indirekte Formen wie beleidigen, spotten, schreien, vulgäre Sprachstile und Umgangsformen, üble Nachrede, Mobbing oder Schikanen zählen.

Erregungspotenzial

Eine besondere Form der Gewalt sind Fantasien. Gewaltfantasien sind ein wissenschaftlich relativ unerforschtes Terrain, bei dem vor allem die Neigung untersucht wird, anderen Menschen etwas anzutun. Über Fantasien, bei denen man selbst das Opfer ist, wird in der Regel überhaupt nicht gesprochen. Vergewaltigungsfantasien sind ein ganz heißes Eisen, denn jemand, der sich sexuell erregt fühlt, wenn er sich vorstellt, etwas zu tun, das er nicht darf, wünscht sich meistens nicht, das in Wirklichkeit zu erleben.

Von der Vermischung von sexueller Lust mit Gewalt lebt eine ganze Industrie. Die Pornobranche, Menschenhandel eingeschlossen, dürfte der weltweit größte Wirtschaftszweig sein, mit dem unermessliche Gewinne erzielt werden. 2,6 Millionen Euro Umsatz wird weltweit pro Tag allein mit Internet-Pornografie gemacht. Im Porno-Konsum liegt Deutschland mit 12,5 Prozent seines Datenverkehrs ganz weit vorn (4).

Was treibt Menschen dazu, Gewalt erregend zu finden? Warum haben Filme, in denen sexuelle Gewalt romantisiert wird, solchen Erfolg? Wie erklären sich die Kommerzialisierung von „Rape Games“, in denen Menschen auf brutalste Weise gefoltert und ermordet werden, oder die Existenz von Zirkeln ritueller Gewalt, in denen vor allem Kinder geopfert werden? Warum stehen so viele Menschen auf Tattoos, Piercings, Körpermodifikationen und selbstverletzendes Verhalten wie Ritzen, Kratzen, Stechen, Verbrennen, Verätzen?

Wenn so viele Menschen sich selbst und anderen Gewalt antun, dann sind das keine Einzelerscheinungen, keine bloßen Modetrends, keine Flucht aus dem Alltag, kein Zeitvertreib, kein Kick, um Dampf abzulassen. Die Verbindung von Lust und Gewalt hat tiefe Wurzeln; sie haben etwas zu tun mit Macht und Ohnmacht, mit einem Ungleichgewicht, in das wir gefallen sind, als sich gewissermaßen die Pole verschoben haben und sich nicht mehr gleichwertig gegenüberstanden.

Fehlgeleitete Energie

So wie es nicht schon immer Kriege und Gewalt gegeben hat, so war die Frau nicht schon immer dem Manne untertan. Es gab einmal eine Zeit, in der niemand den anderen besitzen wollte und die Menschen gleichberechtigt zusammenlebten.

Als das Männliche sich das Weibliche unterwarf, zerriss diese ursprüngliche Einheit. Die Sehnsucht nach dem Einssein aber blieb.

Wir alle suchen nach Verbindung und wollen geliebt werden, respektiert, geachtet. Wenn wir das nicht bekommen, dann lehren wir andere das Fürchten und suchen die Verbindung in Unterdrückung und Gewalt. Der Sadist sucht die Verschmelzung mit anderen in der Kontrolle. Seine augenscheinliche Stärke wurzelt in Schwäche. Seine Gier ist Ausdruck seiner Unfähigkeit, im Leben auf eigenen Füßen zu stehen, seine Lust am Leid anderer der verzweifelte Versuch, in seine Kraft zu kommen.

Nicht Macht, sondern Ohnmacht ist der Ursprung des Wunsches, über andere zu dominieren. Je mehr es dem Sadisten gelingt, Macht über andere auszuüben, desto sicherer fühlt er sich in der von ihm angestrebten Symbiose. Der Masochist sucht die Verschmelzung in der Unterordnung. Er will besessen werden. Das masochistische ebenso wie das sadistische Verhalten zeugt von unverheilten Verletzungen und betrifft Menschen, die nicht in ihrer wahren Kraft stehen. Beides führt zurück an die Schauplätze des Grauens, an denen Menschen Unerträgliches erlebt haben.

Tiefe Wurzeln

„Schaut hin“, bedeuten uns die heutigen Gewalttaten, in welcher Form sie auch auftreten. „Seht, was auf den Richtplätzen eurer Geschichte geschehen ist, in den Folterkellern der Inquisition, in den Verliesen der Revolutionen, auf den Schlachtfeldern der Kriege. Seht, wie die Erinnerung daran in euch weiterlebt und Ausdruck in immer neuen Gewalttaten findet.“ Nichts ist vergessen. Was einmal existiert, geht nicht wieder weg. Es verschwindet nicht, sondern wandelt sich und reist von Generation zu Generation.

Wer sich von der Gewalt befreien will, muss in die tiefen Keller hinabsteigen. Hier erkennt er, dass er nicht als tabula rasa auf die Welt gekommen ist, als leere Tafel, die ihre Inschriften erst mit dem ersten Atemzug erhält.

Hinter ihm steht das Erlebte vieler Generationen, die es zu erlösen gilt.

Die Schreie der Gemarterten sind nicht verklungen, die Tränen der Trauernden nicht getrocknet. Die Wut ist noch da, das Entsetzen, das unermessliche Leid. Tief sitzt uns noch die Gewalt in den Knochen, so tief, dass wir sie nur ertragen können, wenn wir sie mit Lust verbinden.

Linderung kann erfahren, wer lernt, über dieses Thema zu sprechen. Was ausgesprochen wird, prägt sich nicht mehr ein und kann sich auflösen. Heilung erfolgt über Kontakt, dann, wenn wir uns einander anvertrauen und die Bereitschaft entwickeln, uns wieder zu vertrauen. Dort, wo Menschen einander zuhören und sich mit Respekt und Wohlwollen begegnen, kann die fehlgeleitete Energie erneut in den Lebensstrom zurückfließen.

Die Befreiung der Lust

Trennung ist das Problem, Verbindung die Lösung. Damit der Wunsch nach Verbindung nicht mehr mit Gewalt nach Erfüllung strebt, müssen wir uns auf Augenhöhe begegnen. Wir müssen tun, was die aktuellen Machteliten mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Wo sie uns isolieren und gegeneinander ausspielen, müssen wir zusammenkommen. Wo sie in unsere Körper eingreifen, müssen wir in unsere Hoheit zurückfinden. Wo sie gendern, müssen wir uns unsere Sexualität zurückholen.

Es geht um unsere stärkste Lebensenergie. Es geht um Sex. Seit es Besitz gibt, Staaten und Kriege, seit ein Mann auf die Idee kam, sich die Frau zu unterwerfen und einen alleinherrschenden Vatergott in den Himmel hob, um seine Taten zu legitimieren, wird diese Energie verdreht und gekapert, um uns klein und gefügig zu machen.

Entrechtung, Vergewaltigung, Beschneidung, Eingriffe in Schwangerschaft und Geburt, Pornografie, Gender-Mainstream, Frühsexualisierung von Kindern — sie alle verfolgen dasselbe Ziel: den Raub unserer Lebensenergie. Hier laufen die Fäden zusammen.

Würde es Gewalt geben, wenn sie niemanden erregen würde? Würde es Kriege geben, wenn Soldaten nicht als sexy gälten? Würde es Vergewaltigung und Pornografie geben, wenn wir unsere Lebensenergie mit gleichberechtigten Partnern ausleben würden? Würden wir das Spiel von Macht und Ohnmacht weiterspielen, wenn wir eine Sexualität hätten, in der wir das erleben, wonach wir uns alle sehnen: wirkliche Verbindung?

Wenn wir der Gewalt ein Ende machen wollen, müssen wir an ihren Ursprung zurück. Wir müssen dorthin gehen, wo einmal Frauen und Männer das Vertrauen zueinander verloren haben. Das haben wir der Gewalt entgegenzusetzen: eine erneute Annäherung. Reden. Zuhören. Einander in die Augen blicken. Ehrlich miteinander sein. Echt sein. Sich berühren lassen. So kann die Lust von der Gewalt befreit werden und wieder zu Lebenslust werden.