Das Endspiel
Ukrainekrieg, Demokratiesimulation und die Zerstörung Europas. Teil 4 von 6.
Der Ukrainekrieg wird mit der historischen Niederlage des Westens enden. Die Russische Föderation geht als Sieger vom Platz. Im größten und blutigsten militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es Hoffnung auf Frieden. Noch wird an einer Frontlinie von mehr als 1.300 Kilometern aber überall heftig gekämpft. Das wahre, grausame Gesicht des Krieges wird den Menschen vorenthalten. Die Glocke der Zensur, die den demokratischen Meinungsbildungsprozess zerstört und damit auch der Demokratie irreversiblen Schaden zugefügt hat, ist Teil des Wahns und der Kriegshysterie, in die uns das herrschende Parteienkartell mit seinen Helfershelfern in den Medien hineingeführt hat. Wer die geopolitische Lage einschätzen will, muss auch einen Blick zurückwerfen. Denn wer die Vergangenheit nicht kennt, kann ihre Folgen für die Zukunft nicht ermessen. Dies ist ein Kernproblem der aktuellen deutschen Politik. Der Journalist und Buchautor Patrik Baab analysiert in diesem 6-teiligen Beitrag die Entstehungsgeschichte des Konflikts, seine Folgen für Europa und mögliche Wege zum Frieden.
Phönix im Sturzflug: der geostrategische Krieg um die Vormachtstellung der USA
Von Anfang an waren die USA, die NATO und die EU im Krieg in der Ukraine mit dabei. Das zeigt nicht nur die westliche Beteiligung am Maidan, sondern schon die sogenannte Orange Revolution 2004. Bereits in der Ära des Präsidenten Juschtschenko war die Kumpanei des Westens mit ukrainischen Faschisten auffällig (1). Es ging darum, die Ukraine mit allen Mitteln in den westlichen Orbit hineinzuziehen, Russland einzukreisen und einen Regimewechsel in Moskau zu bewirken sowie neue Absatzmärkte, verlängerte Werkbänke und Rohstofflager zu erschließen (2).
Die Vereinigten Staaten haben jahrelang alles versucht, die Ukraine als Rammbock gegen Russland aufzubauen. Dazu gehört auch die Präsenz der CIA im Donbass mit mindestens zwölf geheimen Standorten (3). Die Hochrüstung der Ukraine dauerte auch während der ersten Amtszeit von Donald Trump als Präsident von 2017 bis 2021 an. Damit ist dies auch Trumps Krieg.
Washington und London haben mit dem Putsch auf dem Maidan einen Bürgerkrieg bewusst in Kauf genommen, den Krieg gegen die separatistischen Republiken begleitet und orchestriert und nach dem russischen Einmarsch einen möglichen Frieden im Frühjahr 2022 verhindert (4). Damit sind sie mitverantwortlich für Hunderttausende Tote. Unterm Strich ist die Strategie des Westens, die Ukraine für einen Regimewechsel in Moskau zu opfern, gescheitert.
Heute werden wir Zeugen einer tektonischen Verschiebung in der Geopolitik. Vor diesem Hintergrund wirkt die Strategie von Präsident Donald Trump paradoxerweise wie die Fortsetzung der US-Politik mit anderen Mitteln. Die Veränderungen in der Washingtoner Regierung verschieben den Fokus imperialer Ausbeutungs- und Beherrschungsstrategien von den Konkurrenten zu den Satrapen: Die Ukraine soll gezwungen werden, seltene Erden im Wert von 500 Milliarden Dollar abzugeben; Die EU soll die Kriegsfolgekosten alleine bezahlen; Dänemark muss akzeptieren, dass Washington auf das rohstoffreiche und strategisch wichtige Grönland zugreift; Trump überlegt öffentlich, Panama wieder zu besetzen; die nationale Selbstständigkeit Kanadas wird infrage gestellt; ein Trump nahestehender Investor kündigt an, die Nord-Stream-Pipeline aus dem Insolvenzverfahren aufzukaufen, was den USA die Kontrolle der deutschen Energieversorgung ermöglichen würde. Washington festigt seinen Machtbereich, verzichtet auf den Rest der Welt und konzentriert sich auf den Hauptrivalen China.
Ein Rückblick: Am 9. Februar 2007 warnte Wladimir Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz, auf Kosten Russlands und der meisten anderen Staaten der Erde eine unipolare Weltordnung des Westens unter Führung der USA zu errichten:
„Ich denke, dass für die heutige Welt das monopolare Modell nicht nur ungeeignet, sondern überhaupt unmöglich ist. Nur nicht, weil für eine Einzel-Führerschaft in der heutigen, gerade in der heutigen, Welt weder die militärpolitischen noch die ökonomischen Ressourcen ausreichen. Aber was noch wichtiger ist — das Modell selbst erweist sich als nicht praktikabel, weil es selbst keine Basis hat und nicht die sittlich-moralische Basis der modernen Zivilisation sein kann“ (5).
Die Rede von Putin vor 18 Jahren markierte die erste klar formulierte Absage an das unipolare System unter US-Vorherrschaft. Dieses Konzept des Unilateralismus wurde nach dem Ende des Kalten Krieges mit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems entwickelt und von Paul Wolfowitz als Erstem ab 1990 formuliert (6). In München hat Russland 2007 den Beginn einer geopolitischen Revolution ausgelöst. Andere Staaten wie China, Indien, Brasilien und Südafrika schlossen sich an und bilden heute eine Gruppe, die eine multipolaren Welt anstrebt. Der Krieg in der Ukraine und die Niederlage des Westens wurden zum Katalysator dieses Prozesses (7).
Die eigentlichen Kriegsursachen sehen Historiker allerdings im Niedergang des Westens und vor allem der USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen sie noch für 45 Prozent der weltweiten Industrieproduktion, heute nur noch für maximal 27 Prozent.
Im Jahr 2000 wurden noch 66 Prozent des Welthandels in Dollar abgewickelt, 2022 waren es nur noch 47 Prozent, im ersten Trimester 2023 waren es nur noch 40 Prozent. Gleichzeitig sanken die Devisenreserven in Dollar in 20 Jahren von 71 Prozent auf 60 Prozent. Im Jahr 2022 galten von 340 Millionen US-Amerikanern 140 Millionen als arm oder geringverdienend.
Ähnliches gilt für den gesamten Westen: 1980 hatte der Westen einen Anteil an der Weltwirtschaft von 80 Prozent, und der Rest der Welt trug 20 Prozent bei. Heute haben die aufstrebenden Länder einen Anteil an der Weltwirtschaft von knapp 70 Prozent, der Westen hat gerade mal noch gut 30 Prozent (8).
Emmanuel Todd:
„Falls Russland gewinnt, bricht das imperiale System der Vereinigten Staaten zusammen (…). Wenn Russland überlebt, den Donbass und die Krim behält, wenn seine Wirtschaft weiterhin funktioniert und es seine Handelsbeziehungen neugestalten kann, mit China und Indien – dann hat Amerika den Krieg verloren. Und in der Folge wird es seine Alliierten verlieren. Deshalb werden Amerika und die NATO weitermachen (…). Seine hauptsächliche Ursache ist die Krise des Westens (…). Der Westen hat seine Werte verloren und befindet sich in einer Spirale der Selbstzerstörung (…). Russland ist im Begriff, sich als kulturell konservative, in technischer Hinsicht fortschrittliche Großmacht neu zu bestimmen“ (9).
Der norwegische Historiker Glenn Diesen schreibt:
„Der Ukrainekrieg war eine vorhersehbare Konsequenz einer nicht nachhaltigen Weltordnung und wurde ein Schlachtfeld für das Ringen um die künftige Weltordnung zwischen globaler Hegemonie oder einer westfälischen multipolaren Welt. Das Ziel, Russland militärisch, wirtschaftlich oder politisch niederzukämpfen durch eine globale Isolierung ist gescheitert. Die NATO reagierte mit kontinuierlicher Eskalation und Theatralik. Da es eine anerkannte Tatsache ist, dass die Ukraine zunehmend zugrunde gerichtet wurde durch unvorstellbares Leid und ihre militärischen Ziele nicht erreicht wurden, ist die einzige mögliche Konfliktlösung für den Westen, Russlands legitime Sicherheitsinteressen anzuerkennen und so das Sicherheitsdilemma zu entschärfen. Die Schwierigkeiten dabei erwachsen daraus, dass dies die Ära der liberalen Hegemonie beenden würde“ (10).
Bereits 2016, also lange vor dem Einmarsch der Russen und mitten im Krieg der Putschregierung in Kiew gegen die Separatisten-Republiken, hat der britische Historiker Richard Sakwa in seinem Buch „Frontline Ukraine“ davon gesprochen, der Krieg in der Ukraine sei der „Selbstmord Europas“ (11). Die europäische Integration hat sich als Wunschtraum herausgestellt. Konfrontiert mit der Aufgabe, die Wunden des Kalten Krieges zu heilen und den Grundstock eines geeinten Kontinents zu errichten, ist die EU spektakulär gescheitert. Die Europäische Union degenerierte zur Geldbeschaffungsmaschine der NATO. Nun darf sie weitermachen als Bankrotteur.
Inzwischen wird in den Vereinigten Staaten schon offen darüber gesprochen, dass die Europäer für die Kriegsfolgen aufkommen müssen. Die Weltbank schätzt die Kosten des Wiederaufbaus auf 411 Milliarden Dollar (12). Bloomberg spricht gar von einer Billion Dollar (13).
Dies würde die Etats der Europäischen Union dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge mit einer dreistelligen Milliardensumme belasten: Bezogen auf das derzeitige mehrjährige Budget von 2021 bis 2027 schätzen die Experten die entstehenden Kosten auf rund 130 bis 190 Milliarden Euro, und der Krieg ist noch nicht zu Ende (14). Auf dem Weg ins Kanzleramt bereitet Friedrich Merz zusammen mit seinem möglichen Koalitionspartner SPD ein „Sondervermögen“ von bis zu einer Billion Euro vor — je hälftig für Infrastruktur und Rüstung (15).
Außenministerin Annalena Baerbock hat sich verplappert und von einem massiven EU-Rüstungsprogramm gesprochen in einer Höhe von 700 Milliarden Euro, das eigentlich erst nach der Bundestagswahl den Bürgern aufgetischt werden sollte (16). Deutschland ist der größte Nettozahler der EU. Damit werden die Kosten des Krieges und die Lasten des Wiederaufbaus beim deutschen Steuerzahler ankommen.
Bereits jetzt hat Deutschland knapp 150 Milliarden Euro für den Krieg in der Ukraine ausgegeben, Geld, das an bei Bildung, Renten, Gesundheit, Infrastruktur, Wohnungsbau und im Sozialbereich fehlt (17). Massive Einschnitte im sozialen Bereich werden die Folge sein. Die erforderlichen Milliarden zur Durchfinanzierung von Schulen und Universitäten werden fehlen. Die Qualifikationslücke insbesondere beim akademischen Nachwuchs wird zunehmen; wir bewegen uns hin in ein „Zeitalter der Idiotie“, wie der Publizist Ramon Schack ein Buch genannt hat. Die Infrastruktur wird schleichend zerfallen. Schon heute sind Tausende Brücken in Deutschland marode, es fehlt an Investitionen in Straßen und Schienen. Dies erhöht die Logistikkosten der Unternehmen und erschwert die Suche nach gutem Nachwuchs.
An anderer Stelle bekräftigt Emmanuel Todd seine Auffassung, dass Russland einen „defensiven und präventiven Krieg“ führt:
„Dieser Krieg ist (…) für die Vereinigten Staaten existenziell geworden. Genauso wenig wie Russland können sie sich aus diesem Konflikt zurückziehen, sie können nicht loslassen. Deshalb befinden wir uns jetzt in einem endlosen Krieg, in einer Konfrontation, deren Ergebnis der Zusammenbruch des einen oder des anderen sein muss“ (18).
Der Chef des US-Außenamtes Marco Rubio hat nun klar einen Kurswechsel Washingtons formuliert, in einem Interview, das sich auch auf der Seite des Foreign Office in voller Länge findet und dem deshalb programmatischer Charakter attestiert werden kann:
„Ich denke, das (westfälische System souveräner Staaten) ging am Ende des Kalten Krieges verloren, weil wir die einzige Macht in der Welt waren. Also übernahmen wir diese Verantwortung, in vielen Fällen so etwas wie die globale Regierung zu werden, indem wir versuchten, jedes Problem zu lösen. So ist es normal für die gesamte Welt, eine einzige unipolare Führungsmacht zu haben. Aber das war eine Abnormalität. Es war ein Ergebnis des Kalten Krieges, aber möglicherweise werden wir zurückgehen zu einer multipolaren Welt, mehreren Großmächten in verschiedenen Teilen der Welt. Das sehen wir heute bei China und zu einem gewissen Grad auch bei Russland (…). Mehr denn je müssen wir heute daran denken, dass Außenpolitik im nationalen Interesse der USA gemacht wird und wenn möglich Kriege vermeiden sollte“ (19).
Damit hat Marco Rubio das Scheitern des Unilateralismus eingestanden. Er bestätigt die Diagnose meines verstorbenen Bekannten Jonathan Schell, der bereits 2003 das Konzept der unipolaren Welt als einen Weg von Kooperation und Partnerschaft hin zu militärischer Intervention und völkerrechtswidrigen Angriffskriegen bezeichnet hatte, als eine imperialistische Politik, mit der Washington den Weg der Überheblichkeit und Ignoranz geht und so „die Bühne für eine Katastrophe bereitet“ (20). Das Eingeständnis von Marco Rubio ist zugleich Putins Triumph (21).