Das Gender-Neusprech

Correctness-Hütende starten einen Generalangriff auf Identität, Verständlichkeit und die Freiheit des Selbstausdrucks.

Benutze ich besser das Binnen-I, das Gender-Sternchen oder den Gender-Unterstrich? Sagt man jetzt „Schwarze Menschen“ oder „Menschen mit Schwärze“? Und beleidigt die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ nicht vielleicht das dritte Geschlecht? Zu sprechen ist schwer geworden in Zeiten, in denen Gendernde jede unserer Äußerungen misstrauisch bespähen und streng aburteilen. Nun ist Rücksichtnahme auf die Gefühle häufig benachteiligter Gruppen ja eigentlich etwas Gutes. Die Schattenseiten der neuen Correctness-Welle sind jedoch groß. Schon George Orwell warnte, dass Kontrolle über die Sprache darauf abzielt, Kontrolle über Menschen auszuüben. Die Verstümmelung von Sprache dient der Einengung des Geistes und der Disziplinierung der Bevölkerung im Sinne der Vertreterinnen und Vertreter eines bestimmten Narrativs, die Menschen ihrer angestammten sozialen Rolle berauben wollen.

Jede Sprache unterscheidet sich von anderen Sprachen nicht nur durch ihre Form, sondern auch durch ihren Inhalt. So wird mittels der Sprache die Einzigartigkeit einer Kultur ganz besonders deutlich. Zum Beispiel machen sich kulturelle Unterschiede bemerkbar, wenn man versucht, einen Witz zu übersetzen, was zumeist nicht gelingt, da ein bestimmtes Verständnis nicht nur der jeweiligen Sprache, sondern auch des kulturellen Hintergrunds vorhanden sein muss, um einen Witz verstehen zu können.

Verschiedene Sprachen sind also Ausdruck von Vielfältigkeit. Umso beängstigender ist es, wenn nun ausgerechnet im Namen der Vielfältigkeit, der ständig gepredigten „Diversity“, genau das abgeschafft werden soll, was Vielfältigkeit ausmacht: nämlich die Wörter unserer Sprachen, durch welche kulturelles Gedankengut und Werte erhalten bleiben.

In George Orwells dystopischem Klassiker „1984“ verändert der Staat ständig die Sprache beziehungsweise verkürzt und wandelt sie um in „Neusprech“. Neusprech ist eine verkrüppelte Sprache, in der viele Gedanken und Ideen nicht mehr ausgesprochen werden können, weil die zugehörigen Wörter abgeschafft oder vielmehr erst verboten und dann vergessen wurden.

Sind heute auch bestimmte Begriffe verboten oder nicht „politisch korrekt“? Gerade Wörter, die menschliche Merkmale hervorheben, sind zum Teil verpönt; Wörter, die Rasse, Geschlecht und Rolle eines Menschen beschreiben, gelten heutzutage als „unkorrekt“ oder „diskriminierend“. So wird beispielsweise in den USA der Begriff Afroamerikaner immer öfter gebraucht statt „Schwarze“.

Die Begriffe Mann und Frau oder Vater und Mutter diskriminieren angeblich „genderfluide“ Menschen, und überall werden überflüssigerweise Gendersternchen oder Binnen-Is angebracht, als ob es nicht zu verstehen wäre, wer mit Bürger oder Lehrer oder Kollegen gemeint ist.

Er soll anonym sein, der Mensch, er soll seiner Menschlichkeit beraubt werden, seiner Identität. Er soll nicht mehr Mann oder Frau, schwarz oder weiß oder braun oder gelb sein, er soll nicht mehr Mutter, Vater, Sohn, Tochter, Liebhaber sein: Er soll geschlechtslos, rassenlos, familienlos sein. Nur was bleibt ihm dann noch? Was ist der Mensch, wenn er keine soziale Rolle mehr hat, die er ausüben kann? In diesem Falle ist die Frage nicht „sein oder nicht sein“ wie bei Shakespeare, sondern was darf der Mensch eigentlich noch sein?

Genderismus und politische Korrektheit:Verstümmelung der Sprache?

Die Protagonisten in dem oben erwähnten Roman „1984” haben keine Freiheiten mehr und werden permanent von Televisoren in ihrer Wohnung überwacht und außerhalb ihrer Wohnung von der Gedankenpolizei ...

Eine Sprache zu „gendern” ist eigentlich nichts anderes, als eine Sprache zu verstümmeln und zu zerstören, und das hat mit Gleichberechtigung überhaupt nichts zu tun, wohl aber mit Gleichschaltung. Durch das sogenannte Gendern wird die Sprache ja nicht irgendwelchen inexistenten Geschlechtern gerecht, sondern macht sie für Mann und Frau, für Homosexuelle, für Transsexuelle und für überhaupt jeden absolut unverständlich. Und wenn eine Sprache nicht mehr zu verstehen ist, ist sie auch nicht mehr in der Lage, Ideen zu vermitteln.

Wenn eine Idee nicht mehr zu kommunizieren ist, existiert sie nicht mehr, sie ist abgeschafft. Was für eine hinterhältige Art und Weise, unerwünschte Ideen aus der Welt zu schaffen! Die Idee muss nicht aufwendig bekämpft werden, nein, sie kann gar nicht mehr gedacht werden, weil das Instrument zum Denken fehlt: die Sprache. Die Leute müssen nicht extra verblödet werden, man nimmt ihnen einfach die Möglichkeit, ihre Intelligenz zu entwickeln!

Wie brandgefährlich daher dieses Gendern tatsächlich ist, bemerkt kaum jemand, da es ein schleichender, unauffälliger Angriff auf unsere Freiheit ist, auf die Freiheit unserer Gedanken.

Heute befinden wir uns vor allem in einem gedanklichen Gefängnis; ständig müssen wir aufpassen, was wir sagen, damit sich ja niemand diskriminiert fühlt. Produkte werden umbenannt , Kinderbücher umgeschrieben , sogar Orts- und Straßennamen werden geändert , um dem neuen Moloch der politischen Korrektheit zu huldigen.

Der Protagonist von Orwells Roman arbeitet im „Wahrheitsministerium”, dessen Aufgabe es ist, permanent die Geschichte umzuschreiben und zu verfälschen, um sie den Lügen der Regierung anzupassen. Der Roman spielt in einem London, in dem längst alles entfernt wurde, was an die Vergangenheit erinnert. Straßen wurden umbenannt, Denkmäler entfernt, Bücher vernichtet, sodass die Menschen in einer ewig gleichbleibenden Gegenwart gefangen sind, in der die Partei immer Recht hat. Befinden wir uns auf dem Weg in eine ähnlich dystopische Zukunft? Dass im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung auch Denkmäler zerstört wurden, spricht dafür.

Die Geschichte, die Vergangenheit der Menschheit ist voll mit Ungerechtigkeiten, Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung, aber all dies wird nicht aus der Welt geschafft, indem es nicht mehr benannt wird, indem die Vergangenheit unter den Teppich gekehrt wird, indem die Geschichte verschwiegen wird. Im Gegenteil: „Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“ (George Santayana 1863 bis 1952). Und um aus der Vergangenheit lernen zu können, muss man sie erst einmal kennen.