Das Glück der Großzügigkeit
Anderen etwas erwartungsfrei geben zu können, gehört zu den größten Bereicherungen des menschlichen Lebens. Teil 9 der Reihe „Persönliche Entwicklungen“.
„Geben und Nehmen“ – die vordergründige Bedeutung dieses geflügelten Wortes lernt man bereits im Kindergarten. „Gib, und dir wird gegeben werden.“ Was aber wahres Geben bedeutet, entwickelt sich vermutlich erst später im Verstand und Herzen eines Menschen und bei einigen eventuell gar nicht. Manche haben sich ihren frühkindlichen Entwicklungsstand bewahrt und geben maximal so viel, wie sie voraussichtlich zurückbekommen. Insgesamt sollte sich das Geben eben gelohnt haben! Sie führen ein Konto mit „Soll und Haben“ beziehungsweise „Geben und Nehmen“ – und das vermutlich getrennt für jede Person. Sie wähnen sich glücklich, wenn das Konto mehr als ausgeglichen ist. Ihre generelle Frage ist: „Was habe ich davon?“ Ihr Credo lautet: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.“ Das erzählen Sie mal den Armen in Entwicklungsländern oder den sozial schwächsten Schichten in unseren Breitengraden. Oder haben Sie das Gefühl, dieser Glaubenssatz bewahrheite sich oder sei gerecht?
Religiöse, spirituelle, philosophische und säkulare Traditionen zum Thema Geben und Nehmen
Die Weltreligionen haben sich eingehend mit diesem Gebot der Menschlichkeit beschäftigt.
Im Christentum wird Geben als Ausdruck der Nächstenliebe gesehen. „Geben ist seliger als Nehmen.“ Dabei kommt es entscheidend auf die innere Haltung an, die auf Freiwilligkeit und Dankbarkeit, nicht auf Zwang basieren soll, und die wichtiger als die Größe der Gabe ist. Großzügigkeit zum Beispiel in Form von Spenden und Dienst am Nächsten werden als Weg zu innerer Freiheit gesehen und als Teilhabe an Gottes Liebe verstanden.
Das Judentum sieht Geben neben seiner wohltätigen Seite als Pflicht und Akt der Gerechtigkeit („Zedaka“). Geben und Helfen sind nicht bloß mildtätige Aktionen, sondern eine moralische Verpflichtung. Idealerweise geschieht das Geben anonym, um die Würde der Beschenkten zu wahren und eine gewisse Gleichheit zu generieren. Die gegenseitige Unterstützung der Menschen hält die Gemeinschaft zusammen.
Im Islam wird Eigentum als von Gott anvertraut angesehen. Ein Teil des Reichtums soll aus diesem Grund „gereinigt“ werden, weil er eben nicht dem Einzelnen gehört, sondern ihm lediglich von Gott anvertraut wurde. Wenn man regelmäßig teilt, löst man sich nach islamischer Anschauung von Habgier und der Anhaftung an Geld.
Es wird zwischen Zakat, einer Pflichtabgabe, und Sadaqa, einer freiwilligen Gabe, unterschieden. Zakat soll eine „reinigende“ Wirkung haben. Jeder Muslim, der über ein bestimmtes Mindestvermögen verfügt, soll einmal im Jahr circa 2,5 Prozent seines Vermögens an Bedürftige und für soziale Zwecke geben. Sadaqa bedeutet „Wahrhaftigkeit“ oder „aufrichtige Wohltätigkeit“. Sadaqa, die selbstgewählte Großzügigkeit, kann jede Form des Gebens sein, materiell oder auch immateriell – ein freundliches Wort, ein Lächeln, praktische Hilfe. So soll Mitgefühl und Barmherzigkeit entwickelt und das Herz im Sinn von Empathie und Güte gestärkt werden.
Großzügigkeit wird als Weg verstanden, sich Gott zu nähern und – ähnlich wie im Judentum – gesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Zakat schafft soziale Gerechtigkeit und diszipliniert den Vermögenden, Sadaqa vertieft persönliche Herzenswärme und Nächstenliebe.
Im Hinduismus bedeutet Dana (= „Gabe“ oder „Freigebigkeit“) selbstloses Spenden von Zeit, Besitz oder jedwede Unterstützung ohne Erwartung einer Gegenleistung, und ist ein integraler Bestandteil des Dharma, des „rechten Prinzips“. Selbstloses Geben schafft ein gutes Karma und fördert den spirituellen Fortschritt des Gebenden.
Wichtig beim „richtigen“ Geben ist, dies ohne Erwartung von Dank oder einer Gegenleistung zu tun, um Ego und Anhaftung zu überwinden. Wenn man gibt, ohne Dank oder Gegenleistung zu erwarten, übt man Loslassen. Der Gebende teilt, ohne sich an Besitz, Lob oder ein mit dem Geben verbundenes positives Gefühl zu klammern. Dadurch wird das Ego, die Vorstellung eines festen, kontrollierenden „Ich“ geschwächt, was zu innerer Freiheit führt und das Leiden, das aus Anhaftung erwächst, mindert.
Ähnlich auch im Buddhismus. Dana Paramita, die „Vollkommenheit des Gebens“, ist eine der zentralen Tugenden im Buddhismus. Wörtlich bedeutet Paramita so viel wie „das andere Ufer erreichen“, und beschreibt damit die Haltung, die einen vom „diesseitigen“ begrenzten Dasein zum jenseitigen Ufer des Erwachens, der Erleuchtung führt. Geben reinigt den Geist von Gier, stärkt das Mitgefühl und öffnet den Weg zur Erleuchtung. Entscheidend sind auf diesem Weg die innere Haltung und Absicht, nicht der materielle Wert der Gabe.
Auch diverse philosophische Strömungen haben sich mit dem Thema Geben beschäftigt.
Aristoteles sieht Freigebigkeit als Tugend, weil sie den gesunden, verantwortungsvollen Umgang mit Besitz verkörpert. Bei Aristoteles steht in seiner Tugendethik „Freigebigkeit“ für das ausgewogene Maß zwischen Geiz und Verschwendung. Geben soll bewusst, maßvoll und zur Förderung des Guten erfolgen, das heißt, der Gebende soll sich an seinem Besitz weder festklammern noch ihn verschwenden.
Im Stoizismus ist Großzügigkeit ein Ausdruck der inneren Haltung. Man gibt, weil es tugendhaft ist, und nicht, um Dank zu erhalten. Ein Zitat von Epiktet bringt diese stoische Haltung gut zum Ausdruck:
„Wenn du gibst, dann vergiss es sofort.
Wenn du empfängst, erinnere dich lange.“
Geben soll man aus innerer Überzeugung, und nicht, um Dankbarkeit einzufordern. Nehmen sollte man im stoischen Sinne mit Dankbarkeit, aber nicht an dem Erhaltenen hängen. Äußere Güter werden von den Stoikern letztlich als gleichgültig angesehen.
Für Konfuzius bedeutet Geben die Unterstützung der Eltern, Fürsorge für Kinder, Hilfsbereitschaft in der Nachbarschaft sowie höfliche Geschenke, aber auch das Geben von Zeit, Rat und Bildung. Der Nehmende soll Dankbarkeit, Maß und Respekt beim Annehmen der Gaben zeigen. Der Konfuzianismus verfolgt mit der gegenseitigen Fürsorge das Ziel der Harmonie in Familie und Staat. Geben und Nehmen sind bei Konfuzius Teil der rituellen Ordnung („li“) und der Menschlichkeit („ren“) – ein sozialer Kreislauf, der Beziehungen stärkt.
Der Daoismus sieht richtiges Geben als eine mühelose und spontane Aktion im Fluss des Dao, des kosmischen Weges. Dabei wird „Handeln ohne erzwungenes Tun“ (wu wei) angestrebt. Wer im Sinne des Dao lebt, lässt Dinge sich entfalten, greift nur ein, wenn es stimmig ist, und wirkt dadurch oft effektiver. Wer ohne Absicht und Berechnung gibt, wirkt im Einklang mit der Natur und fördert dadurch das Gleichgewicht aller Dinge.
Die Menschenwürde und Vernunft ins Zentrum der Betrachtung zu stellen, ist die Grundidee des Humanismus. Werte wie Empathie, Solidarität und Verantwortung gelten als universell und benötigen keinerlei religiöser Begründung, sondern sind aus der gemeinsamen menschlichen Erfahrung ableitbar. Geben heißt in diesem Sinne freiwilliges Teilen von Zeit, Ressourcen, Wissen oder Fürsorge, weil wir alle Teil derselben Menschheitsfamilie sind. Man hilft, weil man Mitmenschen als gleichwertig anerkennt, nicht, um göttlichen Lohn zu erhalten. Großzügigkeit fördert die soziale Gerechtigkeit, stärkt das Zusammenleben und trägt für das Individuum zur persönlichen Entwicklung bei.
Ein oft zitiertes Motto aus der Humanistischen Vereinigung lautet:
„Humanismus bejaht das Leben, sucht den Aufbau freudiger Beziehungen und ruft zu gegenseitiger Fürsorge auf, ohne sich auf übernatürliche Garantien zu stützen.“
Was kann man geben?
Auf meinen Reisen insbesondere in Südamerika, Afrika und Asien bin ich oftmals Bedürftigen begegnet, die ein wenig Geld erbettelten. Wenn ich etwas gegeben habe, wollten manche noch mehr. Insofern glaube ich nicht unbedingt, arme Menschen könnten ein besseres Verhältnis in puncto Geben und Nehmen ihr Eigen nennen. Zudem ist mir aufgefallen, dass ein Danke oder eine freundliche Geste eher selten der Fall war. Nicht dass ich das erwartet hätte. Aber in mir kam der Gedanke auf, dass die materielle Situation dieser Menschen unter anderem auch deshalb so schlecht bestellt ist, weil sie Dinge als zu selbstverständlich nehmen und der Erde, dem Universum oder Gott zu wenig danken für das, was sie bekommen. Wie gesagt, nur ein Gedanke.
In diesem Zusammenhang ist es vielleicht auch interessant zu unterscheiden, was man gibt: Materielles oder Immaterielles. Psychologisch gesehen reich ist nicht etwa, wer viel hat, sondern wer viel geben kann. Menschen, die viel besitzen und Angst haben, etwas davon zu verlieren, würde ich nicht als reich bezeichnen. Sie scheffeln Reichtümer und leben in der ständigen Angst, jemand könnte sie ihnen nehmen – auch kein erstrebenswertes Leben, finde ich. Deswegen würde ich auch ungern mein Leben mit dem eines Mitgliedes der Macht- und Besitzeliten tauschen. Deren Leben finde ich armselig – arm an Seele –, weil die meisten von ihnen in ständiger Angst leben, jemand könnte ihre zusammengerafften Reichtümer wegnehmen. Die vermeintlich Reichen leiden zudem an der Krankheit des „Mehrhabenwollens“.
Auf einer Busfahrt in Kambodscha traf ich einen Holländer, Peter, der seit mehreren Jahren in Südostasien lebt und eine Familie mit einigen Kindern gegründet hat. In Europa hat er seinen super Manager-Job hingeschmissen, weil er merkte, wie eintönig und konform das Leben im Hamsterrad – soweit dieses Dasein den Namen „Leben“ überhaupt verdient – ablief. Peter spürte sich selbst nicht mehr und war nach eigener Aussage fremdgesteuert. Er lebt jetzt in sehr einfachen Verhältnissen, ist glücklich mit seinen drei Kindern und begreift Geld als Mittel zum Zweck und nicht als große Zahl auf seinem Konto. Er sagte zu mir:
„Weißt du, Uwe, du kannst nur mitnehmen, was du gegeben hast, wenn du einmal nicht mehr bist auf dieser Welt.“
Das hat mich sehr nachdenklich gemacht, und ich denke, Peter liegt richtig.
Gerade im materiellen Bereich ist es für besonders Arme auch deswegen eine so demütigende Situation, weil sie ihrer materiellen Möglichkeit zu geben aufgrund ihrer ohnehin bedürftigen Situation beraubt sind.
Eine höhere Form des Gebens ist in meinen Augen „von sich zu geben“, also im zwischenmenschlichen, immateriellen Bereich.
Wenn die materielle Existenz des Empfangenden gesichert ist, besitzt meines Erachtens das immaterielle Geben – das heißt, dem anderen etwas von seiner Lebensfreude, seiner Erfahrung, seinem Wissen, seiner Freude, seinem Humor, seinem Vertrauen, seinen positiven Gefühlen und dergleichen abzugeben – einen wesentlich höheren Stellenwert.
Was entwickelt sich dabei, wenn man von sich gibt? Man gibt etwas von seinem Leben, und das belebt wiederum den Empfänger, was wiederum auf den Geber beseelend zurückstrahlt. Eine positive Spirale nach oben rankend, würde ich mal sagen, oder eine Win-Win-Situation, wenn ich mal wieder den Ökonomen in mir sprechen lasse. Wichtig hierbei ist die innere Haltung, dass man gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Beide spüren durch dieses gegenseitige, freiwillige, nicht berechnende Geben – oder sollte ich sagen Nehmen – das Leben, das Salz in der Suppe, sie werden lebendiger. Sie laufen zumindest in diesem Moment nicht mehr halbtot äußerlichen Dingen hinterher wie Zombies, fremdgesteuert, ohne sich selbst wahrzunehmen, sondern sie spüren sich, spüren das Leben, werden energievoller. Ein Gedicht von Robert Holden verdeutlicht die enorme Kraft dieser Art von Geben auf wunderbare Weise:
„Du bist ein Geschenk...“
Du bist ein eingepacktes Geschenk
Packe dich aus – jetzt.
Lass deine Geschenke
sich über den Boden ergießen
und über die ganze Welt.
Beobachte wie deine Freundlichkeit
diese grausame Welt verändert.
Schau wie deine Liebe die Angst heilt.
Bemerke wie dein Mut
uns alle inspiriert.
Lass dein Lächeln
diese alte traurige Welt erlösen.
Gib jedem den du triffst
den Stern in deinen Augen.
Lass dein Licht scheinen.
Öffne dein Herz.
Merke wie die Ruhe in deinem Geist
jeden Krieg sinnlos -
und jeden Kampf schwierig macht.
Dein Glücklichsein ist ein Geschenk.
Es zieht die Engel von weither an.
Dein Lächeln ist wie Champagner.
Dein Lachen ist Liebe.
Deine Heilung inspiriert uns.
Deine Gegenwart ist ein Wunder.
Packe dich aus – jetzt.
Aufrechnen
In unserer modernen, vornehmlich materiell geprägten Gesellschaft begegnen wir vielen Menschen mit einer begrenzten Sichtweise: Sie rechnen „gegen“. „Hilfst du mir, so helfe ich dir“ oder „Eine Hand wäscht die andere“ sind Ausflüchte für das Unvermögen, wahrhaft zu geben, oder eben fehlendes Bewusstsein hierfür. Menschen, die so denken und fühlen, sind nicht schlechter als andere, aber meiner Meinung nach auf einer eher niedrigen Stufe ihrer persönlichen Entwicklung, da sie nur helfen und geben, wenn sie sich einen direkten Vorteil davon versprechen. Sie bleiben im Marketingdenken, im Effizienzdenken, das heißt, im Kosten-Nutzen-Denken verhaftet: Was kostet mich etwas und was bringt es mir?
In Partnerschaften herrscht des Öfteren diese Denkweise des Aufrechnens. Problematisch bei dieser Form des „Ausgleichs“ dürfte sein, sich selbst seiner Gaben zu 100 Prozent bewusst zu sein, die des Partners aber bestenfalls – sagen wir mal – zu 80 Prozent zu registrieren. Deswegen führt dieser Umstand nicht selten zu einem Gefühl der Benachteiligung auf beiden Seiten, auch wenn das Konto sozusagen ausgeglichen ist.
Menschen, die das frühkindliche Stadium des Gebens noch nicht transzendiert haben, können weniger geben und wollen mehr nehmen. Sie fühlen sich einerseits glücklich und verbunden mit ihrem Partner, haben aber andererseits Angst, zu viel von sich herzugeben und sich beziehungsweise ihre Freiheit zu verlieren. „Hochentwickelte“ Beziehungen kennen diese Unsicherheit nicht mehr. Geben und Nehmen stehen in einer gesunden Balance. Beide Partner empfinden Geben und Nehmen als eine Einheit, als einen sich gegenseitig befruchtenden Prozess. Sie denken nicht darüber nach, eventuell benachteiligt zu sein oder zu werden.
Geben Sie, so viel Sie können, und machen Sie sich keinerlei Gedanken darüber, ob etwas zurückkommt. Wenn Sie wirklich aus freien Stücken geben, wird sehr viel zurückkommen. Aber das ist nicht spielentscheidend; sondern zu geben, ohne etwas zu erwarten, glücklich zu sein, etwas geben zu können. Das wird Sie weiterbringen in Ihrem Leben.
Nun zu einer anderen Form des Gebens, die sich beispielsweise in dem biblischen Spruch „Geben ist seliger denn nehmen“ manifestiert. Diese Auffassung impliziert, dass es der Seele guttut, „Opfer“ zu bringen.
Geben wird als eine Tugend empfunden, da mit dem Geben Entbehrungen des Gebenden verbunden werden. Man „opfert“ somit Freude, Zeit oder dergleichen für einen höheren Zweck, nämlich dem Seelenheil. Man gibt sozusagen auch wenn es schwerfällt, fühlt sich dann aber besonders tugendhaft. Solche Menschen erwarten keine Gegenleistung wie die zuvor beschriebene Spezies, praktizieren aber dennoch keine höhere Form des Gebens – das selbstlose Geben.
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie zufrieden die meisten Handwerker nach getaner Arbeit sind? Im Vergleich zu einem Fließbandarbeiter beispielsweise in der Automobilindustrie sieht der Handwerker sein Werk und weiß, er hat es vollbracht. Er hat all seine Fähigkeiten hineingesteckt, und bei gelungener Arbeit wird er „Eins“ mit seinem Werk. Dass sich beispielshalber ein Fließbandarbeiter weniger mit seiner Arbeit identifizieren kann, stellt ein großes Problem in der Industrie dar. Er fühlt sich oftmals als ein kleines unbedeutendes Rädchen im Unternehmen. Monotonie am Arbeitsplatz und daraus resultierende einseitige körperliche und psychische Belastung sind Probleme, mit welchen sich Betriebspsychologen herumschlagen. Neuzeitliche Formen der Arbeitsgestaltung wie „Job Enlargement“ (Erweiterung des Aufgabenbereichs um gleichwertige Aufgaben), „Job Enrichment“ (Erweiterung des Aufgabenbereichs um höherwertige Aufgaben), „Job Rotation“ (Arbeitsplatzwechsel innerhalb einer Gruppe) und „teilautonome Gruppen“ (Gruppe plant und organisiert sich selbst; die drei zuvor genannten Prinzipien sind dadurch integriert) versuchen, dieser Monotonie entgegenzuwirken, und dem Mitarbeiter ein angenehmeres Arbeitsumfeld zu schaffen. Unternehmensleitbilder und Corporate-Identity-Konzepte dienen dem Zweck einer höheren Identifizierung des Mitarbeiters mit seiner Arbeit und mit den Werten seines Unternehmens. Wenn sich in den meisten Fällen auch nicht das gleiche befriedigende Gefühl der Einheit wie bei einem Handwerker einstellen wird, sind es doch respektable Versuche, dem Mitarbeiter mehr Zufriedenheit mit seiner Arbeit zu „geben“, zumindest, wenn sie ernst gemeint sind, was ja nicht immer der Fall ist.
Ein schaffender Mensch wie eben ein Handwerker, ein bildender Künstler, ein Komponist oder auch ein Schriftsteller ist „Eins“ mit seinem Werk und erlebt damit sein Vermögen, seinen Reichtum, seine Stärke. Diese Art des Gebens erfüllt den Gebenden mit hoher Genugtuung, mit hoher Freude.
Er gibt in erster Linie sich selbst, aber auch andere haben an seiner Kreativität teil – er gibt auf diese Weise auch anderen. Durch diese Vereinigung des schöpferischen Menschen mit seinem Werk überwindet er möglicherweise die Einsamkeit, die Isolation – das Abgetrennt-Sein von der Natur. Die scheinbaren Gegensätze „Geben und Nehmen“ werden zu einer Einheit. Das mag auch einer der Gründe sein, warum manchen schöpferischen Menschen „Macken“ oder „Eigenbrötelei“ vorgeworfen werden, da sich der Schaffende mit seinem Werk alleine genug ist und andere Menschen weniger zu brauchen scheint. Er gibt und nimmt „in Einem“.
Wenn ich schreibe, verliere ich jegliches Gefühl für Raum und Zeit, bin ganz in meiner Arbeit versunken und habe nicht das geringste Gefühl von Pflichterfüllung. Das Schreiben erfüllt mich mehr als jede andere Tätigkeit und gibt mir ein starkes Gefühl von Zufriedenheit, da „bin“ ich einfach nur ich. Mit dieser Arbeit gebe und nehme ich zugleich.
Die höchste Form des Gebens ist selbstloser Art. Der selbstlose Geber, wie Jesus beispielshalber einer war (und für viele ist), rechnet nicht auf, sieht Geben nicht als Opfern an, und gibt auch nicht, um Freude zu empfangen. Er gibt, um zu geben, und verfolgt keinen Zweck damit.
Wenn ich die Arbeitselefanten in Indien beobachte, erfahre ich, was selbstloses Geben bedeutet. Das Nutztier gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, es empfindet sein Geben nicht als Opfer und macht das auch nicht aus Freude am Geben. Es gibt einfach nur, und das bedingungslos. Von Eseln und Elefanten kann man vielleicht noch etwas lernen.
Dunkle Kräfte sehen die Stärke eines selbstlos gebenden Menschen eher als Schwäche an und versuchen, diese für die Erreichung ihrer niederen Ziele auszunutzen. Für selbstlose und gleichzeitig selbstdenkende Menschen stellt diese „Schwäche“ der ausnutzenden Armseligen jedoch keine Gefahr dar, da sie zur Differenzierung fähig sind und sich nicht versklaven lassen.
Warum haben so viele Menschen Probleme mit dem Geben, aber auch mit dem Nehmen?
Gründe hierfür könnten sein, weil
- sie das Gefühl haben, der Empfangende wüsste ihr Geben nicht zu schätzen
- sie Angst haben, nichts zurückzubekommen
- sie Angst haben, zu kurz zu kommen, weniger als die anderen zu erhalten, dass das „Konto“ nicht ausgeglichen ist
- sie zwar gerne geben, aber Schwierigkeiten haben, etwas anzunehmen
- sie das Gefühl haben, auf eine Einladung gleich mit einer Gegeneinladung reagieren zu müssen, weil sie nichts schuldig bleiben wollen
- sie glauben, durch Geben etwas von sich aufzugeben, zu „opfern“
- sie denken, zu wenig Feedback zu bekommen für ihr immaterielles Geben.
Was können wir tun, um zu einem Gleichgewicht zu kommen?
Haben Sie generell das Gefühl, zu wenig Aufmerksamkeit, Zuneigung oder auch materielle Dinge zu empfangen? Dann gehen Sie am besten in Ihre Kindheit zurück und versuchen Sie herauszubekommen, welcher Art Ihre Defizite damals waren und ob Sie heute diese Dinge noch brauchen, um nicht mehr bedürftig zu sein. Schließen Sie Frieden mit Personen, die Ihnen Ihrer Meinung nach diese Dinge versagt haben. Überlegen Sie, was Sie wirklich brauchen, um heute gut und zufrieden zu leben.
Sollten Sie geben, aber schlecht annehmen können, befinden Sie sich auch nicht im Gleichgewicht und versagen dem anderen die Möglichkeit zu geben. Beobachten Sie beide Verhaltensweisen, Ihr Geben und Ihr Nehmen, und versuchen Sie, in eine Balance zu kommen. Nehmen Sie materielle und immaterielle Dinge wie Zuneigung und Zuwendung an, ohne sich zu überlegen, wie Sie das wiedergutmachen können.
Haben Sie keine Angst, etwas von sich aufgeben zu müssen. Lassen Sie sich fallen, haben Sie mehr Vertrauen!
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Dass Geben guttut, glaubt seit einiger Zeit auch die Wissenschaft zu wissen. So wurde in Studien festgestellt, dass soziale Kontakte das Leben erheblich verlängern, und insbesondere selbstlose Menschen davon profitieren. Sie sind zudem langfristig gesehen glücklicher. Das Gehirn sendet bei selbstlosen Handlungen Botenstoffe aus und belohnt den Gebenden mit Wohlgefühlen, vergleichbar mit der Wirkung von Sex, Drogen oder kulinarischen Genüssen. Geben und Nehmen werden dann „Eins“. Vermutlich haben Sie auch schon mal das positive Gefühl erlebt, wenn Sie einem Fremden weiterhelfen konnten, wenn Sie voll in Ihrer Arbeit aufgehen und das Gefühl für Raum und Zeit verlieren oder wenn Sie anderen etwas von Ihrer Lebendigkeit abgeben und viel davon zurückkommt. Wird in solchen „erfüllenden“ Situationen Geben und Nehmen nicht „Eins“?
In solchen Augenblicken befinden Sie sich im Gleichgewicht und denken nicht mehr über den scheinbaren Gegensatz von Geben und Nehmen nach, da beide Verhaltensweisen zusammengehören und eine Einheit bilden.
Grübeln Sie nicht darüber, ob Ihr Geben-Nehmen-Konto ausgeglichen ist oder ob Sie etwas „opfern“, sondern geben Sie einfach. Sie werden dafür mit Wohlbefinden und einem längeren, zufriedeneren und glücklicheren Leben belohnt. Sie können diese schönen Momente viel öfter erleben, als Sie vielleicht meinen, indem Sie ohne irgendwelche Ängste oder negative Vorstellungen oder Vorurteile geben.
Sie kommen damit in Ihrer persönlichen Entwicklung weiter und bereichern Ihr Leben ungemein. Wer hilft und gibt – auch Wildfremden –, tut dabei auch immer etwas für sich. Ist es nicht wohltuend, sich weiterzuentwickeln und gleichzeitig auch etwas für die anderen zu tun? Verabschieden Sie sich vom Aufrechnen und/oder von der Opfermentalität, und starten Sie in ein buntes, erfolgreiches und glückliches Leben.
Geben und Nehmen in Unternehmen
Untersuchungen in der Wirtschaft zeigen, dass eine gebende Haltung anscheinend mehr Sinn macht als eine nehmende.
Professor Adam Grant hat in seinem Buch „Geben und Nehmen“ („Give and Take“) den „Beweis“ für einen größeren Erfolg im Leben von gebenden Menschen angetreten. Er analysierte zu diesem Zweck unter anderem den Erfolg von Optikern beim Verkauf. Die höchsten Umsätze wurden von Gebern erzielt, die auf ihre Kunden wirklich eingingen und ihnen helfen wollten. Sie ließen ihren Kunden eine echte medizinische Beratung angedeihen und verstanden sich weniger als Verkäufer. Sie stellten sich nicht die Frage: „Was habe ich davon?“, sondern: „Wie kann ich meinen Kunden helfen?“
Ein wenig befremdend wirkt auf mich die Vielzahl der Coachings und Seminare, die aufgrund solcher „neuen“ Erkenntnisse aus dem Boden schießen. Sie verklickern den Unternehmen und deren Mitarbeitern, letztendlich noch mehr Profit zu machen durch ein stärkeres Geben. Der Fokus dieser Beratungen und Seminare ist jedoch auf den Profit gerichtet und nicht auf das Geben. Das funktioniert meiner Meinung nach nicht, ist zudem „klein“ gedacht und auch ein wenig beschämend. Muss hinter allem, was man macht, immer der Profit stehen? Bedeutet Nutzen immer nur wirtschaftlicher Nutzen? Mich befremdet diese Denk- und Fühlweise zunehmend.
Wenn man nur gibt, um damit größeren Profit zu machen, kommt das beim Empfangenden auf kurz oder lang auch bewusst oder unbewusst so rüber. Die dahinterstehenden, raffgierigen Ziele werden wahrscheinlich nicht erreicht, und das ist gut so!
Eine Frage der „Energie“, würde ich mal sagen. Wenn die Unternehmen das Geben in den Mittelpunkt stellen, ohne auf den Gewinn zu schielen, werden sie genau diesen erzielen; er wird sozusagen zum Abfallprodukt des positiven Denkens und Gebens. Stellt ein Unternehmen beispielshalber die Mitarbeiter in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, werden die motivierten Menschen gute Prozesse gestalten. Am Ende guter Prozesse stehen zufriedene und gebundene Kunden, und automatisch stimmt es auch mit der Rentabilität des Unternehmens. So denken neuere Managementkonzepte wie beispielsweise das Konzept der Balanced Scorecard.
Geben und Nehmen in der Politik und in der Geschichte
Auch in der Politik und Geschichte gibt es viele Beispiele für Personen, die Geben weitergebracht hat als Nehmen, wie etwa Mahatma Ghandi oder Abraham Lincoln. Zyniker könnten vielleicht sagen: „Man sieht ja, wohin es sie gebracht hat“, da beide Politiker einem Attentat zum Opfer fielen.
Lincoln, der bei weitem nicht über die Erfahrung, die Bildung und das politische Wissen verfügte wie seine Konkurrenten, wurde dennoch zum Präsidenten gewählt. Sein Weg dorthin war mit Geben und nicht mit Nehmen gepflastert. Lincoln war ein Gebender, vergaß dabei aber nie seine eigenen Interessen und ließ sich nicht ausnutzen. Man sollte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft niemals mit Schwäche verwechseln. Ganz im Gegenteil: Es handelt sich hierbei um Stärken eines weit entwickelten Menschen.
Nachdem Lincoln 1860 zum Präsidenten der USA gewählt wurde, besetzte er sein Kabinett hauptsächlich mit ehemaligen politischen Gegnern, die erfahrener und gebildeter waren als er selbst. Er war der Auffassung, die besten Männer sollten ihm helfen, das Land zu regieren, egal aus welchem Lager. Das Interesse der Nation stand bei seinen Überlegungen im Vordergrund, und nicht seine Person. Ein wahrhaft gebender und großer Mann. Das wäre doch mal ein guter Ansatz für viele unserer Politiker, ihr eigenes Ego ein wenig hintenanzustellen und das Wohl der Nation in den Vordergrund zu rücken, und nicht die Konzerninteressen beziehungsweise die dahinterstehenden Macht- und Besitzeliten. Das wäre doch auch mal was für Sie, Herr Merz, oder nicht? Sie könnten zur Abwechslung auch mal etwas für die Bürger anstatt für BlackRock tun und würden gleichzeitig etwas für sich tun – für Ihre Seele.
Einige Politiker und insbesondere Politikerinnen wie zum Beispiel Sahra Wagenknecht zeigen meines Erachtens vielversprechende und gute Züge, wenn sie ihr Herz sprechen lassen und tatsächlich geben. Die Partei BSW ist die einzige kompromisslose Friedenspartei, ohne Wenn und Aber. Dass sie nicht in den Bundestag kam, liegt vermutlich auch ein wenig an ihrer mangelnden „Kriegstüchtigkeit“, die durch Politiker wie Boris Pistorius und Friedrich Merz wieder salonfähig gemacht wurde, ungeachtet der Worte „Nie wieder!“ Was ist für eine Nation wichtiger als Frieden? Nichts! Was ist für den Menschen wichtiger als körperliche und psychische Gesundheit? Nichts! Was haben die eliteinstruierten Politiker den Menschen in der Coronazeit gegeben? Freiheitsentzug und teilweise tödliche Spritzen! Der Krieg gegen das eigene Volk ist längst im Gange.
Meines Erachtens uninformierte oder auch kleingeistige Wähler strafen humanitär orientierte Politiker oftmals ab. Ich dachte eigentlich, dass wir gerade in unseren Breitengraden über diese kleinkarierten, egoistischen und höchst gefährlichen Denkweisen hinweg wären. Ich habe mich anscheinend getäuscht. Kleinkalibrige Menschen sind die gefährlichsten Waffen. Das wissen auch die Drahtzieher solcher Parteien und nutzen das gefährliche Potenzial engstirniger Menschen aus. Geben steht nicht in ihrem Sinn. Sie versammeln Legionen Nehmender um sich, die über das eigene Hemd nicht hinausblicken können.
Fazit
Machen Sie nicht mit, unterstützen Sie keine Institution, die Geben aus ihrem Programm zunehmend eliminiert. Sozialabbau zu Gunsten der Kriegswirtschaft – wie ihn die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD momentan betreibt – bedeutet, den Bürgern weniger zu geben und ihnen viel zu nehmen.
Versuchen Sie, mehr und wahrhaft zu geben, und werden Sie zum Vorbild für Ihr Umfeld. Sie tun damit auch sehr viel für sich, für Ihre Zufriedenheit, für Ihr Lebensglück. Schluss mit Aufrechnen, Aufopfern und blankem Nehmen!
Ob religiös, spirituell oder säkular betrachtet – Geben wird als Befreiung von Egoismus und als Beitrag zu Gemeinschaft, innerem Frieden und kosmischer Harmonie verstanden, während achtsames, respektvolles Nehmen den Fluss von Geben und Empfangen erst vollendet.