Das Grauen auf unseren Tellern
Die Realität der Schlachthöfe macht das Volksnahrungsmittel Fleisch obsolet. Der Trend zum Veganismus sollte deshalb nicht dem Ärger über linke Überkorrektheit zum Opfer fallen.
„Links ist vorbei“, sagte Friedrich Merz. Die woke Denkrichtung hat den Höhepunkt ihrer Wirkmacht überschritten. Nun stellt sich die Frage, ob es auch mit dem Trend zur vegetarischen und veganen Ernährung vorbei ist. Wäre nicht der Verzehr von Blut- und Leberwurst eine naheliegende Protestform gegen linksgrünen Tugendterror — ähnlich wie es 2020 die verrutschte Corona-Maske war oder heute das Bestehen auf dem altmodischen Grundsatz, es gebe nur zwei Geschlechter? Sollten wir uns mit Schweinskopfsülze von der gescheiterten Politik der Grünen distanzieren? Der Autor beschäftigt sich schon länger mit den Möglichkeiten zur Vermeidung von Fleisch- und Milchprodukten — und den Gründen, die es hierfür geben kann. Sein Fazit ist: Beurteilen wir eine Ernährungsform nicht danach, von welchem vielleicht fragwürdigen „Lager“ sie unterstützt wird, sondern danach, ob sie gesund, umweltverträglich und menschlich — also in diesem Fall tierschonend — ist. Reduktion tierischer Produkte — nicht, weil „woke“ dies fordern, sondern aus einem viel einfacheren Grund: den Tieren zuliebe.
„Robert geht das Bolzenschussgerät holen. Als er sich der Sau nähert, versteht sie das nur als Zeichen, das sie hier wegmuss. Sie stemmt sich auf die Vorderbeine, schleppt ihre zweihundertfünfzig Kilo ein paar Meter weiter und sackt keuchend in sich zusammen. Robert drückt sie gegen die Wand und schießt ihr in den Kopf. Sie fällt um und krampft. Da klingelt sein Handy. Er zieht es aus der Tasche. ‚Hallo‘. Das Telefon zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, sticht er der Sau das Messer tief in den Hals.“
Diese Begebenheit, die Lina Gustafsson in ihrem Buch „Die Schlachthaus-Tagebücher“ schildert, zeigt exemplarisch, wie emotionslos und beiläufig Schweine in Schlachthöfen zu Tode gebracht werden. Wer das Buch liest oder besser: durchleidet, versteht auch, wie es zum Effekt der Abstumpfung bei jenen Mitarbeitern kommen kann, die ihre Arbeitsstelle nicht rechtzeitig verlassen. Die schwedische Veterinärin Gustafsson verließ den Schlachthof nach wenigen Monaten — 85 Werktagen — und dokumentierte auf 234 Seiten, was sie dort erlebt hat.
Gerade in der relativen Nüchternheit ihrer Beschreibungen gehen diese an die Nieren. Das System, dem sich Lina Gustafsson entzogen hat — aus einem Entsetzen heraus, das Vernunft und Pragmatismus letztlich nicht niederkämpfen konnten —, bestehe weiter. Auch wenn die Zustände auf den Schlachthöfen je nach Zeitepoche und Land differieren und auch, wenn sich die Techniken der Tötung und Fleischbearbeitung wie auch die jeweiligen Tierschutzverordnungen ändern — das Grundprinzip bleibt gleich.
„Je besser ich die Arbeit kennenlerne, desto mehr wundere ich mich darüber, dass viele so lange an einem Ort aushalten, an dem die hauptsächliche Tätigkeit darin besteht, dabei zuzuschauen, wie Tiere in den Tod getrieben werden“, resümiert die Autorin. „Diese Gewalt, Tristesse und Monotonie. Aber es stimmt schon: Die Kollegen sind nett.“
Töten als Alltagsroutine
Schlachthöfe sind offensichtlich ein Ort, der denen, die ihn als berufliches Betätigungsfeld gewählt haben, starke Nerven abverlangt. Man könnte annehmen, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Menschen dazu bereit wäre. Allein in Deutschland arbeiten jedoch etwa 150.000 Menschen in der fleischverarbeitenden Industrie.
Das geht nicht ohne eine Haltung, die die Tiere radikal verdinglicht. Gustafssons Buch dokumentiert nur die letzte Phase im traurigen Leben der Schweine — von der Ankunft in überfüllten Lastwägen bis zum Tod und zu ihrer Verwandlung in konsumierbare Stücke Fleisches. Wegen der Vielzahl der pro Tag zu „bearbeitenden“ Schlachttiere muss alles schnell gehen. Treiber helfen deshalb schon mal mit einem Plastikpaddel nach, wenn die Schweine kein Tempo machen.
Nach der Aussortierung der ungeeigneten „Kandidaten“ durch den Veterinär kommen die als tauglich identifizierten Tiere in die Bukina, eine Anlage, wo sie mit CO2 betäubt werden. Es folgt der Vorgang der „Entblutung“. Die bewusstlosen Schweine werden mit den Hinterbeinen nach oben aufgehängt und von spezialisierten Mitarbeitern wie am Fließband abgestochen.
„Dann nimmt er ein Messer, sticht ihm von hinten in den Hals und schneidet in Richtung Brust. Blut schießt aus der Wunde. Das Schwein krampft, es wird von Zuckungen geschüttelt, krümmt und dreht sich und hebt dabei fast vom Boden ab. Das Ganze dauert eine Minute, wobei das Blut bei dem wilden Tanz des Körpers auf dem Betonboden in alle Richtungen spritzt — auf die Laderampe, an die Wände und bis in die Buchten.“
Die Autorin fasst zusammen: „Das ist der Ort, wo Leben zu Tod, Tier zu Produkt wird.“ Von welchen Mengen an getöteten Schweinen muss man ausgehen? Lina Gustafssons Buch lässt dies nur erahnen. Eine Stichprobe gibt sie aber: „Ein Display zeigt die Anzahl der getöteten Tiere an: ‚Uhrzeit: 8.20. Anzahl geschlachteter Tiere: 512. Tagesprognose: 3100’“. An anderer Stelle schreibt sie über ihre Aufgabenstellung als Schlachthof-Veterinärin: „Meine Anwesenheit soll sicherstellen, dass bis zum 24. Dezember 180.000 Schweine geschlachtet werden.“ Der Schauplatz des Schlachthof-Tagebuchs ist Schweden. Ich nenne hier trotzdem eine Zahl für Deutschland, weil diese für unsere Leser interessanter sein könnte. Laut statistischem Bundesamt wurden allein im Jahr 2024 44,6 Millionen Schweine geschlachtet.
Jeder Messerstich in einen Schweinehals ist — so routiniert er auch ablaufen mag — eine Einzelentscheidung, die der Stechende auch anders hätte treffen können.
Es geht um die Wurst
Neben dem ohnehin grausamen „Normalfall“ gibt es in diesem Gewerbe noch eine Reihe besonderer Härten. Dazu gehören die häufigen Krankheiten der Tiere — von Zysten über Bisswunden bis hin zu Lungenentzündung und Krebs. Das Grundprinzip ist: „Schweine, die krank im Schlachthof ankommen, werden sofort getötet.“ Ihr Fleisch wird nicht verwendet, was aber keine Frage des Tier-, sondern des Verbraucherschutzes ist. Natürlich passieren bei all dem Fehler.
„All die Schweine, die lahmen oder unter Schmerzen leiden – es sind einfach zu viele, und es geht alles viel zu schnell, als dass wir sie einzeln aussortieren und töten könnten.“
13,6 Millionen Schweine jährlich werden in Deutschland getötet, ohne hinterher gegessen zu werden. Selbst wenn man also den Verzehr eines Koteletts wegen des damit verbundenen Gaumenkitzels als sinnvollen „Verwendungszweck“ der Lebewesen ansieht, muss konstatiert werden:
Auf 3 verzehrte Schweine kommt mehr als eines, das völlig sinnlos gestorben ist, weil es den Vertretern der Esser-Spezies nicht mehr gut genug war. Und zwar, nachdem es wegen der ihr von dieser Spezies aufgezwungenen Lebensbedingungen krank geworden war.
Weggeworfen wie ein Haufen ausgetrockneter Brezen, die am Ende des Tages in der Bäckerei nicht verkauft worden waren.
Zu den Routinen gehören auch einige unappetitliche Vorgänge nach der Tötung der Tiere. Etwa das Abschneiden der Hoden und die Entnahme der Organe, die mit einem klatschenden Geräusch in eine Metallschüssel geworfen werden. Des Weiteren auch der alltägliche Umgang mit dem Kot der Tiere, der im Schlachthof eine allgegenwärtige Geruchskulisse bildet. Die Autorin, die gepflegtere Milieus gewohnt war, ist davon auch zunächst befremdet:
„Die Bündchen meiner weißen Jacke sind rosa. Schon gleich zu Anfang lief mir das Blut über die Handgelenke. Die Ärmel sind von Kot besprenkelt, der herausspritzte, als in einen Darm wegwarf.“
Därme nämlich werden zu einem besonderen Zweck bearbeitet. Sie dienen dazu, die zerhackten, fein gewürzten Schweine-Körperteile schützend zu umhüllen. Man nennt das Wurst. Hierzu müssen die dem geschlachteten Schwein entnommene Därme von innen sorgfältig gereinigt werden. Der Kotgeruch begleitet Schlachthofmitarbeiter ständig, ebenso wie die allgegenwärtigen Blutflecken und -Lachen.
Sadismus gegen Tiere
Alle bisher genannten Vorgänge setzen voraus, dass sich die Schlachthofmitarbeiter vorschriftsgemäß und im Rahmen dieses besonderen beruflichen Kontexts „menschlich“ verhalten. Nicht wenige aber setzen noch eins drauf und lassen ihre schlechte Laune an den ohnehin todgeweihten Tieren aus.
„Andere schlagen und schlagen, die Plastikpaddel trommeln rhythmisch über die Rücken, die Hinterteile oder die Gesichter. Ich sehe zu, wie ein Mann eine Gruppe Schweine von der Bucht bis zum Kohlendioxid treibt und sie dabei pausenlos schlägt.“
Lina Gustafssons Resümee ist bitter:
„Die Schweine haben niemandem etwas getan. Ihre Körper sind dafür da, dass bei uns allen im wahrsten Sinn des Wortes etwas zu essen auf den Tisch kommt. Und auf dem Weg dorthin werden sie geschlagen.“
Die Reduktion eines Lebewesens auf die Essbarkeit seiner Körperhülle stellt die ultimative Form der Entwertung und Funktionalisierung dar.
Vergleichbar vielleicht dem Verheizen einer Holzstatue der Mutter Maria, die jemand in einer Kirche gestohlen hat, um sie dann im heimischen Kamin einzuschüren. Gesehen werden in diesem Fall nur der Brennwert und der Nutzen für die Menschen, nicht der künstlerische und ideelle Wert, den der Bildhauer dieser Statue mit auf den Weg gegeben hat und den kunstverständige Betrachter auch empfinden können. Natürlich hinkt dieser Vergleich. Die Marienstatue kann keinen Schmerz empfinden, Schweine schon.
Die Krone der Schöpfung
Der Fleischkonsum lebt von der Idee einer schier unbegrenzten Überlegenheit und wesensmäßigen Andersartigkeit des Menschen gegenüber Tieren. Hierzu wurden im Lauf von Jahrhunderten passende Narrative entwickelt. Der Mensch allein habe zusätzlich zu seiner Körper- und Gefühlsdimension und zur Lebenskraft auch noch ein „Ich“, das sich seiner selbst bewusst ist. Er bewohne als einzige Lebensform eine „Noosphäre“ (einen Bereich der Gedanken und des Wachbewusstseins) und so weiter.
Diese Narrative werden gestützt durch die Tatsache, dass wir in die Innenwelt von Tieren nicht wirklich eindringen können. Im Zweifelsfall weisen wir ihnen größtmögliche Primitivität, uns selbst dagegen größtmögliche Kultiviertheit und Subtilität zu. Dabei ist die Spezies, der im Ergebnis der größte Wert zugemessen wird, identisch mit jener, die wertet. Spätestens hier sollten uns zumindest Zweifel an der Objektivität unserer Einschätzung kommen. Die Vorstellung, es mit einem weitgehend wert- und empfindungslosen Tierreich zu tun zu haben, erleichtert ja ganz offensichtlich den Verzehr mit gutem Gewissen. Gerade Besitzer von Haustieren könnten aber von der Empfindungsfähigkeit ihrer Mitbewohner berichten. Sie werden diesen auch intrinsischen — also aus sich heraus bestehenden — Wert zugestehen. Das im Umgang mit Katze und Hund Erlernte — dass in diesen Tierkörpern nämlich „jemand“ wohnt, ein empfindungsfähiges Wahrnehmungssubjekt — wird schnell vergessen, wenn es zum Beispiel um Schweine geht, denen wir nur anonym und stückweise in Plastik verpackt begegnen.
Sie fühlen Schmerzen wie wir
Obwohl Lina Gustafsson den Tieren immer nur für kurze Augenblicke begegnet, spürt sie durchaus Persönlichkeit und das Lebenslicht in ihnen. „Die Haut von Schweinen und Menschen ähnelt sich so sehr, dass man Tierversuche zum Schmerzempfinden der Haut an Schweinen durchführt“, schreibt sie über die Frage der Menschenähnlichkeit. „Den wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge tut eine Wunde, die mir wehtun würde, auch ihnen weh.“ Und über ihre Fähigkeiten, Emotionen zu empfinden:
„Wenn ich ihre Panik im letzten Treibgang sehe, frage ich mich oft, was sie ahnen, was sie sehen. Sie sind so sensibel, spüren sofort den Stress der anderen und auch unseren. Je näher sie der Butina kommen, desto mehr Widerstand leisten sie. Studien haben gezeigt, dass ein Schwein schnell begreift, was ein anderes Schwein gerade eben gelernt hat, und dass sie sehr stark von dem emotionalen Zustand ihrer Artgenossen beeinflusst werden.“
Der Tierschützer und Autor John Robbins zitiert in seinem Buch „Ernährung für ein neues Jahrtausend“ Untersuchungen, die belegen, dass „die höheren säugenden Wirbeltiere über eine mindestens ebenso ausgeprägte Schmerzempfindung verfügen wie wir selbst. (…) Ihr Nervensystem ist fast identisch mit unserem, so wie auch ihre Reaktionen auf Schmerz bemerkenswert ähnlich sind.“
Im Kontrast dazu zitiert er in seinem Buch aus einer amerikanischen Fachzeitschrift für Schweinezüchter: „Vergessen Sie, dass das Schwein ein Tier ist. Behandeln Sie es genauso wie eine Maschine in einer Fabrik. Gehen Sie beim Umgang mit den Schweinen wie beim Ölen eines Gerätes vor.“ Die Fleischproduzenten der Welt haben diesen Rat beherzigt.
Man gewöhnt sich an alles
Wie geht die Veterinärin Gustafsson selbst mit der emotionalen Belastung um, die die Mitwirkung am Schlachthofbetrieb für sie darstellt? Ziemlich am Anfang ihrer Tätigkeit musste sie als zuständige Vorgesetzte Unterschriften leisten, die zur Folge hatten, „dass die Tiere zur Schlachtung freigegeben sind“. Anfangs hatte sie Skrupel: „Es gibt mir einen Stich: Das habe ich angeordnet.“ Sie spürt, „dass die Naivität ganz allmählich von mir abfällt. Das hat etwas mit dem Tempo zu tun, mit der schieren Menge, mit meiner eigenen Kleinheit im Angesicht dieses gigantischen Systems“.
Immer wieder versuchen Tiere in ihrer Gegenwart zu fliehen oder weigern sich, in Richtung ihres Todesorts weiterzugehen. Das Ergebnis ist immer: Ihr Wille wird gebrochen, am Ende des oft herzzerreißenden Ringens steht der Tod.
„Ich bleibe ein paar Sekunden dort stehen und sehe ihm bei seinen verzweifelten Fluchtversuchen zu. Dann gehe ich auf die Toilette und weine.“
Manchmal tröstet sich Lina Gustafsson damit, dass sie helfen konnte, die letzte Lebensphase der Schweine würdevoller zu gestalten, indem sie dafür sorgt – durch Einhaltung aller Tierschutzvorschriften.
„Dann wieder lähmen mich Schuldgefühle, weil ich hieran beteiligt bin. Trauer und Selbstverachtung fließen ineinander. Vor Müdigkeit kann ich oft nicht einmal die Zeit bis zum Ende des nächsten Tages überblicken.“
Doch die Zweifel, das Entsetzen weichen im Lauf der Zeit der Gewöhnung. „Ist das ein Zeichen der Abstumpfung? Die Schmerzen und Schicksale einzelner Individuen vermischen sich, und die Schuld wird so einförmig und schwer, dass man einfach alles verdrängt.“
Versuchen, unberührt auszusehen
Die Autorin macht sich den Widerspruch bewusst, der darin liegt, dass sie bei rüden Schlachthofmitarbeitern einen sanfteren Umgang mit den Schweinen anmahnt, die ohnehin Tage oder Stunden später getötet werden. Sie muss erleben, „wie ein lebendiges Wesen, das ich eben noch vor Schlägen zu schützen versucht habe, sich in einen anonymen Gegenstand verwandelt, in den ich mein Messer hineinsteche“. Übrigens betrifft dieses Dilemma alle Bemühungen um „Tierwohl“ im Zusammenhang mit dem Tierverzehr.
Letztlich muss Lina Gustafsson die Vergeblichkeit ihres Aufbegehrens gegen die eingespielten Abläufe des Tötungsapparats einsehen. Sie zieht sich auf eine Haltung zurück, die stellvertretend für viele Menschen steht, die „abschalten“, weil sie mit einem sie völlig überfordernden Grauen konfrontiert sind: „Ich wage nicht, es anzusprechen, stehe einfach da und versuche, unberührt auszusehen.“
Die Veterinärin war in den wenigen Wochen ihrer Anwesenheit nie etwas anderes gewesen als ein Fremdkörper. Mit dem Dienstantritt und den damit verbunden schrecklichen Erfahrungen war der Abschied nur eine Frage der Zeit. Schwerer nachzuvollziehen ist die Mentalität langjähriger Schlachthofmitarbeiter. Wie halten die das aus? Zunächst ist da wohl eine Portion Phlegma und Dickfelligkeit festzustellen. Ein Schlachthof-Arbeiter gibt an, den Job schon 18 Jahre lang zu machen. „‚Dann gefällt es dir?‘ ‚Tja‘, sagt er und zuckt mit den Schultern. ‚Was soll man machen?‘“ Der Mitarbeiter Sven gibt sogar an, 38 Jahre „dabei“ zu sein. „Ich habe mit sechzehn angefangen“. Sein Lebenswerk summiert sich zu vielen Tausend getöteten Schweinen auf. Eine weitere Mitarbeiterin sagt: „Manchmal muss man einfach wegschauen. Und akzeptieren, dass man nicht alles verändern kann.“ Der Film-Haudrauf John Rambo, gespielt von Sylvester Stallone, beschrieb den Gewöhnungseffekt einmal so: „Wenn du dazu gezwungen wirst, ist Töten so einfach wie zu atmen!“
Die Wut der Ertappten
„Die Kollegen sind nett“, hatte die Autorin an einer Stelle geschrieben. Sie sind es aber nur, solange man ihr Tun nicht ernstlich in Frage stellt. Immer wieder schlagen Mitarbeiter die Schweine in Gustafssons Gegenwart ungeniert, ohne dafür einen erkennbaren Grund zu haben, mit dem Paddel ins Gesicht. Als die Veterinärin einen Kollegen darauf anspricht, wird er von tiefem Mitleid ergriffen — mit sich selbst, einem Opfer ungerechter Beschuldigungen. „Jetzt reicht’s, verdammt noch mal“, stößt er aus. Da er nicht leugnen kann, dass das Schlagen gegen die Vorschriften ist, leugnet er, dass er es überhaupt getan hat. „Ich schlage sie nicht! Findest du, dass ich sie schlage? Ich habe sie doch nicht geschlagen.“
Gustafsson muss den schwer Beleidigten dann mit Samthandschuhen anfassen und ihre Worte wägen.
„Jedes Mal, wenn ich sage, dass ich Verständnis für seine Situation habe, beruhigt er sich ein wenig mehr. Aber was ich auch sage – er scheint kein Verständnis für die Situation der Schweine zu haben.“
Die selbstbezogene Moral vieler Menschen zeigt sich hier in Reinform. Egal, durch welche Hölle Tiere gehen, entscheidend bleibt, wie es „mir“, dem Menschen, damit geht.
Das Fleisch schmeckt mir. Ich brauche das für den Muskelaufbau. Ohne Fleisch fühle ich mich nervös und kraftlos. In meinem Kulturkreis gehört Fleisch dazu. Ich möchte mich im Familienkreis nicht zum Außenseiter machen. Ich lasse mir von dir doch kein schlechtes Gewissen einreden. Du hast mir nicht vorzuschreiben, was bei mir auf den Teller kommt.
Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden
Leider muss man zu den routiniert oder aus Unachtsamkeit begangenen Fällen von Tierquälerei jene hinzurechnen, die blankem Sadismus entspringen. In jener grell erleuchteten Schattenwelt, nicht einsehbar für den gewöhnlichen Menschen, gedeihen Verbrechen, für die sich kein Kläger und kein Richter findet — begangen an Lebewesen, um die es „nicht schade“ ist und die sowieso nicht mehr lange zu leben haben. Lina Gustafsson erzählt:
„Eins der Schweine kann den Transporter nicht verlassen. ‚Wir müssen es erschießen‘, sage ich. Robert holt schnell das Bolzenschussgerät. Er schießt, stößt das Schwein mit dem Fuß um und schlitzt ihm den Hals auf. ‚So, da konnte ich ja einmal das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden‘, sagt er lächelnd in meine Richtung, während Blut auf die Seitenwände des Lastwagens spritzt. ‚Was?‘ Er lacht. ‚Na, ich bin doch Jäger‘.“
Die Jagd ist ein dunkles Kapitel, das jenes der Schlachthöfe quasi zu einem vollständigeren Bild ergänzt. Sie genießt noch immer das Image eines Outdoor-Abenteuers, das den Praktizierenden das Zeugnis naturwüchsiger Lebenstüchtigkeit ausstellt.
Dabei ist es der Grundsatz der Jagd, dass man der Natur niemals freien Lauf lassen kann. Wildverbiss droht, wenn zu viele Rehe in einem Revier ihr Unwesen treiben. Das ökologische Gleichgewicht, einmal vom Menschen gestört, kann nur durch den Menschen einigermaßen wieder hergestellt werden: durch Töten.
In Fernsehfilmen sieht man nicht selten das idyllische Bild eines auf einer Lichtung lauschend den Kopf hebenden Rehs. Dann schiebt sich ein Gewehrlauf ins Bild. Ein Schuss löst sich, das Reh bricht zusammen und verendet zuckend. Dem Zuschauer wird klar: Es war nicht einfach nur ein Reh, das schön anzuschauen ist und mit dem man als Mensch in einen freundlich-neugierigen Kontakt treten könnte. Es handelt sich um ein Speisereh, dazu bestimmt, dass man es wie eine reife Tomate in Stücke schneidet und in den Mund schiebt. Oder es starb schlicht, weil es sich erdreistet hatte, an Baumrinden zu knabbern — nicht wissend, dass auch diese Bäume ein Wirtschaftsfaktor sind und dem menschlichen Profit zu dienen haben.
Lustfaktor Jagd
Da „Wild“, also zum Beispiel Rehe, Hirsche, Wildschweine, Hasen und Fasane, für die Ernährung des Menschen schon lange nicht mehr unabdingbar sind, hat sich ein Wildwuchs der Tiertötung als Sport und zum Vergnügen herausgebildet. Der Lustfaktor vermischt sich mit rationalen und scheinrationalen Gründen für das Jagdwesen zu einem schwer entwirrbaren Knäuel.
Sehr unverblümt hat der Rechtsanwalt und passionierte Jäger Florian Asche über seine Motive Auskunft gegeben. In seinem Buch „Jagen, Sex & Tiere essen. Die Lust am Archaischen“ beschäftigt er sich hauptsächlich damit, Parallelen zwischen dem Jagd- und dem Sexualtrieb aufzuzeigen. „Ähnelt die Jagd nach Erotik nicht der nach dem Wild?“, schreibt er. „Liegen Sex und Jagd vielleicht sogar verwandte Triebstrukturen zugrunde?“ Und noch weiter gehend: „Es ist weniger der Jäger, der erotisch ist, als die Jagd. Der Trieb zur Beute und die Bereitschaft, sich diesem Trieb ganz hinzugeben, bilden die Grundlage jagdlicher Leidenschaft. Darin liegt ihre Sinnlichkeit. Und diese Sinnlichkeit bestimmt auch unser erotisches Leben. Die Hingabe ist Schlüssel unserer Lust, im Bett und im Jagdrevier.“
Neben der offensichtlichen Lust Weniger ist kalte Berechnung jedoch der Hauptfaktor bei der Bewirtschaftung von Tierkörpern. Wie ich schon in einem älteren Artikel dargelegt habe, erinnert das Verhältnis zwischen Mensch und „Nutztier“ stark an die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus. Tierausbeutung ist ein treffliches Symbol für eine Gesellschaftsordnung, die auch den arbeitenden, konsumierenden Menschen auf seine Verwertbarkeit reduziert.
So kommt es, dass gerade bei „Linken“ deren Verzehrverhalten in offenem Widerspruch zu ihren nach außen hin vertretenen Werten steht.
Der „linke Zeitgeist“ der letzten Jahre hat zwar eine — ohnehin bescheidene — Delle im Fleisch-Konsumverhalten der Deutschen bewirkt, der „Rechtsruck“ mit starker Union und AfD sowie ein sich andeutender kultureller „Rollback“ könnte jedoch diesem Trend ein Ende setzen und den „gesunden“ Normalzustand eines ungezügelten Fleischkonsums wiederherstellen.
Die Fürstin teilt aus
Symptomatisch für neokonservative Unbedarfheit im Umgang mit dem Tötungsvorgang war ein Interview zwischen Julian Reichelt und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis am 5. Oktober 2025. „Letzte Frage, liebe Gloria, auf wen oder was schießen Sie jetzt“, frage der Nius-Journalist seine Lieblings-Interviewpartnerin zum Abschluss des Gesprächs. Gloria gab das Interview gut aufgelegt im Rahmen einer Jagdgesellschaft, zu der sie in Upper-Class-Kreisen geladen war. Sie schieße nur mit dem Fotoapparat, sagte sie munter. „Aber die anderen, die schießen auf alles, was sich bewegt so ungefähr.“ „Großartig!“, war Julian Reichelts Antwort. Das Mienenspiel des sonst oft grimmig wirkenden Journalisten hellte sich sichtlich auf. „Also dann Waidmanns Heil!“
Einen politischen Dreh bekommt dieser eher skurrile Wortwechsel, wenn man in Rechnung stellt, was eigentlich der Anlass dafür war: die Essgewohnheiten der Linken. „Das ist die Ideologie der Linken“, beklagte die Fürstin: „dass man immer für etwas kämpft, das weit in der Zukunft ist, das man nie erreichen kann. Dieses Nie-erreichen-Können, das sieht man ja auch, wenn man für Veganer kocht. Dann finden die den Fehler. ‚Leider dürfen wir das aber auch nicht essen.‘ Es ist diese Suche nach dem Haar in der Suppe. Können Sie sich mal vorstellen, was das für Charaktere sind, die nichts mehr fressen wollen?“ Fürstin Glorias Gesichtsausdruck wirkt in diesem Moment gehässig, ihre Augen sind zu einem schmalen Spalt geworden. „Was das für arme Menschen sind! Wir dürfen nicht unter deren Kontrolle geraten. Sonst ist es vorbei.“ Wobei die Behauptung, Veganer dürften „nichts mehr“ essen, völliger Unsinn ist, angesichts einer Fülle guter pflanzlicher Nahrungsmittel — von Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Karottensalat bis hin zum Reis mit Curry-Spinat.
Veganismus – noch hält der Trend an
Vegetarier und vor allem Veganer werden heute für alles „Linke“ in Mithaftung genommen. Zusammen mit der „Deindustrialisierung“, der „Flüchtlingsschwemme“, der Cancel Culture und anderen Gräueln versuchen Konservative wie Gloria von Thurn und Taxis und Julian Reichelt den Veganismus gleich mit „abzuräumen“. Obsolet werden damit die ohnehin kargen Fortschritte, die es in letzter Zeit bei der Reduktion des Fleischkonsums gegeben hat. Es wäre zwar falsch, anzunehmen, dass Grüne, Linke und „Woke“ eine durchweg vegane Bewegung wären. Schon Ex-Landwirtschaftsministerin Renate Künast tötete 2009 vor laufender Kamera publikumswirksam einen Fisch, offenbar um eine gewisse kernige Normalität zu signalisieren und dem Eindruck zickiger grüner „Übersensibilität“ entgegenzuwirken. Etwas bewirkt haben die vielen fleischkritischen Bücher, Zeitschriftenartikel und Initiativen der letzten Jahre aber durchaus.
In Lina Gustafssons Buch wird auch ein Rückgang der Zahl der Tötungen angedeutet. Früher seien in der Schlachtanlage 720 Schweine pro Stunde ums Leben gebracht worden, heute — zum Entstehungszeitpunkt des Buches — seien es 480 pro Stunde gewesen. „Tja, es gibt keine Schweine. Die Nachfrage ist gesunken.“ Aus dieser Beobachtung resultiert Hoffnung. Die Anzahl der Vegetarier soll von 2016 bis 2023 laut einer Statistik von 5,29 auf 8,12 Millionen Menschen gestiegen sein. Die Zahl der Veganer erhöhte sich von 0,80 auf 1,52 Millionen. Freilich würde ein Versiegen der Nachfrage nach Fleisch dazu führen, dass Millionen Schweine, anstatt nach einem furchtbaren Leben einen furchtbaren Tod zu erleiden, gar nicht erst geboren würden. Sie verdanken ihre Existenz ja heute allein einem Faktor: ihrem guten Geschmack aus der Perspektive der Menschen.
Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten
Sicher scheint: Der Trend „vegan“ oder auch „vegetarisch“ ist eher im ökosozial gesinnten urbanen und gebildeten Milieu angesiedelt.
Gerät die Bewegung in Misskredit, weil sie in den Augen der Esser für einen in ihren Augen unsympathischen Symptomkomplex steht — Impfzwang, Cancel Culture, Gendern, Klimakleber, Antifa-Aufmärsche —, dann droht das Kind „Bewussteres Essen“ mit dem Bade „Links-Grün“ ausgeschüttet zu werden.
Warum aber nicht gegen mRNA-Impfungen sein und gleichzeitig mit Reinhard Mey empfinden: „Ich möchte nicht, du armes Schwein an deinem Leid mitschuldig sein“?
Gewiss kann der performative Edelmut mancher Fleischverächter nerven, und gewiss kann das in Dauerschleife vorgetragene Narrativ der rülpsenden Kühe als ultimative Klimakiller angezweifelt werden — aber in dieser Frage müssen wir tun, was vielen noch immer schwerfällt: von uns selbst abzusehen.
In einem System, in dem zwei Gruppen von Lebewesen aufeinandertreffen, ist es fair, nicht nur die Interessen der essenden Spezies zu berücksichtigen, sondern auch jener, die gegessen werden.
Gerade mit Blick auf die weiter oben beschriebenen Schlachthof-Zustände wäre das nur allzu legitim. Wir sind berechtigt und auch dafür verantwortlich, uns unsere ganze eigene Mischung aus Weltanschauungen und Lebensweisen zusammenzustellen. Wir müssen nicht eine ganze politische Richtung „en bloc“ übernehmen, eine andere pauschal abwerten. Manchmal ist es vorzuziehen, auch zu „alternativen“ Denk- und Verhaltensgewohnheiten die Alternative darzustellen.