Das ist Frieden

Angesichts der scheinbar unaufhörlichen Grausamkeit in der Welt ist es für mitfühlende Menschen sehr schwierig, friedlich zu bleiben — und dennoch ist Pazifismus alternativlos.

Den Frieden muss man heute fast mit der Lupe suchen. Erst recht die Menschen, die ihn noch weiter im Inneren tragen. Unbändige Wut staut sich auf, ob der unzähligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dabei noch friedlich zu bleiben, nicht selbst in die Vergeltungsspirale zu rutschen, ist dieser Tage ein wahres Kunststück in Sachen Selbstbeherrschung. In diesem Beitrag für die Friedensnote ringt die Autorin mit ihren ambivalenten Gefühlen – um sich dann letzten Endes, trotz allem, für den Frieden zu entscheiden. Alexa Rodrian setzt der geballten Grausamkeit der Welt ein „Trotzdem“ entgegen. Trotzdem für den Frieden! Ihr Gedicht verfasste sie im Rahmen der nächsten großen Friedensdemo in Berlin. Die findet am 9. Mai 2025, am Viktoria-Louise-Platz ab 16.30 Uhr zum wiederholten Male unter dem Motto #FRIEDLICHZUSAMMEN statt. Im Vorfeld wurden die Teilnehmer gebeten, ein paar Worte über den Frieden als Videobotschaft aufzunehmen, um sie als Aufruf zur Demo auf Social Media zu posten. Genau das tat Alexa Rodrian mit der nachfolgenden Friedensnote.

Da saß ich nun lange und dachte bei mir, was kann man denn über den Frieden noch sagen, was nicht schon Tausende Male zuvor gesagt und oder geschrieben wurde? Meine liebe Kollegin Sabine Winterfeld hat mir das neulich in ihrem beeindruckenden literarischen Chanson-Abend „Selig sind die Friedfertigen“ dargestellt und nochmals klar gemacht: Nichts wurde noch nicht gesagt.

So sprach und sang sie, in intensiver und gekonnter Manier, nebst kritischen und bewegenden eigenen Texten solche von Emmy Ball Hennigs, Else Laske Schüler, Hermann Hesse und Erich Mühsam.

Worte, die, wenn sie jemals verstanden worden wären, niemals zu der heutigen Kriegshetze unseres politischen Elite-Mobs und seiner Vasallen hätten führen dürfen, wahre Friedens- und Freiheitsworte von Menschen, die wussten, wovon sie sprachen.

Die Geschichte wiederholt sich, und so gedacht könnten wir das mit den Friedensworten jetzt auch einfach sein lassen, da die Erfahrung uns ja gelehrt hat, dass sie eh nichts bringen und nichts verhindern. Gott sei Dank sind wir aber nicht alle total geschichtsvergessen!

Das dringliche und tief aus dem Herzen gesprochene „Nie wieder“ meiner Mutter zum Beispiel habe ich immer zutiefst berührt zur Kenntnis genommen und als ein Mantra in mein Leben integriert.

Und das obwohl oder gerade weil ein Teil meiner Familie Nazis waren und außer vielleicht meinem sozialistischen Onkel Eugen sicherlich niemand aus meiner Familie Juden im Keller versteckt hatte.

Dafür hat sich meine Mutter ihr Leben lang geschämt. Das führte so weit, dass sie ihre/unsere deutsche Identität verleugnen wollte, indem sie wilde Geschichten, von einer ihrer Tanten tradiert, über einen armenischen Wanderer erzählte, der angeblich unser Namensgeber und Urgroßvater war; so erklärte sie sich unser „Nichtdeutsch“-Sein, wie sie immer wieder betonte, und unsere dunkle Haut und Augen.

Ich wuchs sozusagen im Glauben auf, armenisches Blut zu haben, und vielleicht erklärt sich dadurch auch mein sehr frühes Engagement für den Frieden, gegen Rassismus und besonders gegen Genozide. Meine Mutter hat mich aufgeklärt über dieses Land der Täter und Zuschauer, und gleichzeitig hat sie mir, ohne es zu wissen, gespiegelt, wie sehr auch sie als unschuldiges Kind — 1933 geboren — zum Opfer wurde.

So spüre ich ihr Trauma immer wieder in mir, und deswegen bin und möchte ich Pazifist bleiben, und das im wahrsten Sinne des Wortes:

Ich will Frieden machen, tun und handeln, „pax facere“, gemeinsam mit denen, die sich nicht spalten lassen, nicht instrumentalisieren lassen, die, die wissen, wie Frieden geht.

Bei #FRIEDLICHZUSAMMEN gibt es einige von denen, und viele schöne Worte wurden bereits veröffentlicht. Es gibt ein sehr schönes und lyrisches Spokenword-Stück von Cem-Ali Gültekin, Jens Fischer Rodrian spricht und stellt seinen tollen neuen Friedenssong „Frieden“ vor; Tina Maria Aigner erklärt, wie der Frieden in sich selbst auf andere reflektiert, und Sandra Seelig macht uns unter anderem auf den Frieden in der Natur aufmerksam.

Und dann sind da noch die beeindruckenden Worte von Oliver Elias, der unlängst auf TikTok erstmals öffentlich gemacht hat, dass er der Großcousin von Anne Frank ist.

Ich kenne Oliver Elias noch nicht persönlich, aber sich als deutscher Jude, in diesem Land, mit Entsetzen gegen das Töten in Gaza auszusprechen und deutlich zu machen, dass die israelische Regierung zu kritisieren nichts mit Antisemitismus zu tun hat — und das alles trotz seiner Biografie und des Traumas seiner Familie —, verdient in meinen Augen den allerhöchsten Respekt!

Zu guter Letzt muss ich der Ehrlichkeit halber noch etwas hinzufügen, denn

  • wenn ich die Bilder aus Palästina sehe von ermordeten und entstellten Kindern, Frauen und Männern,

  • wenn ich jeden Tag höre, dass 1,8 Millionen Menschen ausgehungert werden und hier zweifelsohne ein intendierter grauenhafter Genozid stattfindet,

  • wenn gestern zum wiederholten Male Menschenrechtsaktivisten, diesmal auf dem Hilfsschiff Conscience, das bei Malta liegt, mit Drohnen von Israel angegriffen werden,

  • wenn seit Monaten Ärzte, Krankenschwester, Journalisten und viele andere daran gehindert werden, zu helfen und Bericht zu erstatten, und sogar in großer Anzahl getötet werden,

  • wenn das alles ungeahndet und offenkundig vor den Augen der internationalen Gemeinschaft stattfindet,

dann werde ich ambivalent mit meinem Pazifismus. Da brodelt es in mir, meine Wut wird immer größer, meine Verzweiflung immer tiefer — da bin ich ratlos und gebe zu, dass ich mich frage, ob „friedlich“ hier noch die richtige Lösung sein kann.

Jetzt beginnt mein Dschihad, meine innere Auseinandersetzung, und „meine ethische und religiöse Pflicht zur Selbstbeherrschung“ ist schwer herausgefordert.

Am Ende aber weiß ich nur zu gut, dass die Spirale des Tötens nur zu mehr Töten führt, und deshalb zügle ich mich und schreibe lieber ein weiteres Gedicht.

Mein Frieden

Ein Kind zärtlich in den Armen wiegen

das ist Frieden

Streiten und sich trotzdem lieben

das ist Frieden

Lusttrunken auf der Brust des Lovers liegen

das ist Frieden

Freiheit, Ausgeglichenheit und Schwesterlichkeit

das ist Frieden

Wohlwollen, Verständnis, ohne zu verstehen, mit Empathie durchs Leben gehen

das ist Frieden.

Loslassen, was einst geschah

Verzeihen, ohne gänzlich zu vergeben

auch so kann man im Frieden leben.

Lachen laut und manchmal ohne Sinn

für den Frieden immer ein Gewinn

Und auch die Wut ist für den Frieden gut

denn besser laut gesprochen

als sein Gegenüber wutlos totgeschossen.

Den Hass, den gilt es wirklich zu vermeiden, denn er hält fest,

wenn du ihn pflegst, dann wird er bleiben und dich und andere in Kriege treiben.

Nein, denn für Frieden sind wir hier

für den sind wir geblieben und stehen friedlich miteinander gegen 's Kriegen.