Das Leib-Seele-Cloud-Problem

Der Versuch, den Menschen unsterblich zu machen, indem man ihn digitalisiert, ist höchst problematisch und allemal zum Scheitern verurteilt.

Zu allen Zeiten träumte der Mensch davon, unsterblich zu sein, denn gerade die Unerreichbarkeit dieses Ziels scheint auf manche eine ganz besondere Anziehung auszuüben, die ihn immer wieder dazu treibt, sich zu fragen: „Geht das nicht vielleicht doch irgendwie?“ Doch so präsent, wie dieser Wunsch in der Menschheitsgeschichte gewesen ist, so präsent sind die Warnungen vor seiner Hybris. Die Kulturgeschichte ist sich weitgehend einig: Wer zwanghaft versucht, die Grenzen seines Seins zu sprengen, stürzt sich ins Unglück. Eine neue Dimension betrat erst mit dem Fortschreiten künstlicher Intelligenz die Bühne, denn zum ersten Mal scheint das, was bisher Gegenstand alchemistischer Wunschvorstellungen war, in greifbare Nähe zu rücken. Können wir das menschliche Bewusstsein vom Körper entkoppeln und auf einen digitalen Datenträger kopieren? Und gesetzt den Fall, wir versuchen es, was macht das mit unserer Seele? Ein Beitrag zum „Politik und Psyche“-Spezial.

Das Großprojekt der Digitalisierung der Kultur und des Menschen selbst wird rund um die Welt zusehends übergriffiger und mächtiger (1). Es läuft programmatisch zu auf die Digitalisierung aller Dinge. Mehr noch: Es will über das Materielle hinaus auch das Geistige, will die menschliche Seele erfassen. Es zielt auf die „Manipulation der Seele durch eine Art digitale Alchemie“, wie das der früh verstorbene Journalist Frank Schirrmacher bereits 2013 formuliert hat (2).

Folglich sind in Sachen Digitalisierung nicht nur Naturwissenschaftler und Ingenieure, sondern längst auch die Geisteswissenschaften gefragt, sind namentlich Psychologie und Theologie herausgefordert. Wie einst hinsichtlich des esoterisch inspirierten New Age (3) sollten sie auch und gerade angesichts des New Digital Age (4) kritische, aufklärende, erhellende Worte finden. Denn angesichts der Übergriffigkeit der digitalen Revolution auf alle Dinge, ja sogar auf die Innerlichkeit des Menschen, zeigt sich mit der Seele eine transzendente Wirklichkeit, die sich als letzte Bastion des Widerstands gegen die totale Digitalisierung verstehen lässt.

Dabei sieht es beinahe nach einem Machtkampf aus. Die Bestrebungen der Digitalisierung und des ihr philosophisch großenteils zugrunde liegenden Transhumanismus (5) sind im Grunde materieller Natur. Das begann schon 1748 bei Julien-Offray de La Mettrie, dessen materialistisches Konzept l’Homme machine als ein Vorbote des Transhumanismus angesehen werden kann. Heute ist daraus eine regelrechte Datenreligion geworden — Digitalisierung als moderne Ersatzreligion (6)!

Menschen sind in dieser technokratischen Perspektive „lediglich Instrumente, um das Internet der Dinge zu schaffen, das sich letztlich vom Planeten Erde aus auf die gesamte Galaxie und sogar das gesamte Universum ausbreiten könnte. Dieses kosmische Datenverarbeitungssystem wäre dann wie Gott“ (7).

Solch verführerischem „Wie Gott“ aber entspricht ein verführter, auf digitale Abwege geführter Mensch:

„Im Informationskapitalismus wird der Mensch zur Summe seiner Algorithmen. Deshalb ist es so gewinnbringend, sie zu erfassen, zu analysieren und zu vergleichen“ (8).

Den Seelenhaushalt des Menschen von heute bildet laut Schirrmacher keine Angelegenheit mehr von Psychologen oder Seelsorgern, „sondern das Ergebnis eines einfachen, fast geistlosen Prozesses“. Und die Digitalisierungspolitik von Staaten, Regierungen und Konzernen setzt auf diesen fast geistlos anmutenden Prozess. Sie fördert die Weiterentwicklung von Hightech um jeden Preis, ohne die damit heraufbeschworenen Risiken und Gefahren angemessen in Anschlag zu bringen.

Das zeigt sich insbesondere beim Thema der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI). Ihre tollen Fähigkeiten faszinieren immer mehr Menschen – und das offenbar unabhängig davon, dass mittlerweile gezeigt werden konnte: KI kann selbstlernend lügen und tricksen (9). Eine Mehrheit misstraut der KI offenkundig nicht (10). Aber etliche Reihen von KI-Experten sind zunehmend besorgt: So warnten auf dem KI-Sicherheitsgipfel 2024 in Seoul mehr als zwei Dutzend weltweit führende Forscher vor den raschen Fortschritten der KI in kritischen Bereichen, wonach in nicht ferner Zeit beispiellose Kontrollprobleme auftauchen dürften. Mahnend äußerten sich damals auch der deutsche Top-Manager Jan Leike sowie Ilya Sutskever, ein Mitbegründer von OpenAI: Die enorme Macht einer erwartbaren, wahrhaft unberechenbaren „Superintelligenz“ werde möglicherweise zur Entmachtung der Menschheit oder gar zu ihrem Aussterben führen. Bezeichnenderweise haben beide KI-Experten aus diesem dramatischen Grund vor einem Jahr bei OpenAI gekündigt (11) .

Ähnlich apokalyptisch mutet aber auch der Umstand an, dass der Umgang mit KI den Menschen nur vordergründig mächtiger macht und ihm in Wahrheit zunehmend seine Würde raubt, ja die menschliche Seele immer mehr zu entleeren scheint. Der Technikphilosoph Armin Grunwald bemerkt kritisch:

„Der Mensch zieht im Vergleich mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und Robotern immer häufiger den Kürzeren. Das können wir bereits heute beobachten“ (12).

Und der Zukunftsforscher Matthias Horx weiß: Manche meinen, „dass sich um uns herum eine Supertechnik entwickelt, die demnächst jenen großen Durchbruch in die transzendente Hypertechnologie bringt, der uns von allen Nöten der Sterblichkeit, der Krankheit, des Leidens befreien wird. Künstliche Intelligenz wird alle Probleme über kurz oder lang lösen“ (13). Doch die Wahrheit sieht laut Horx anders aus:

„Wir sind an den Grenzen der physikalischen Welt angelangt, auch wenn wir dies nicht gerne wahrhaben wollen.“

Wo aber Grenzen sind, lässt sich darüber hinaus fragen.

Die technologisch gewährte Hoffnung, dass das sogenannte Leib-Seele-Problem aus der Philosophie- und Theologiegeschichte in der digitalen Zukunft veralten, weil es überwunden sein werde, beschreibt Miriam Meckel in ihrem Roman „NEXT“ hellsichtig (14). Sie formuliert im fingierten Rückblick, „dass ‚Materialisten‘ am Ende unsere Verbündeten in der Bemühung wurden, der Menschheit zu einem Zustand physischer Unabhängigkeit zu verhelfen.“ Die Digitalisierung habe „dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, die bis dato mit seinem materiellen Leben unvereinbaren Vorstellungen der Unsterblichkeit neu aufzuladen.“ Der Trend sei eindeutig auf die digitale Ewigkeit zugelaufen. „Aber wir haben vergessen, dass wir nicht alle Konstanten der Gleichung kennen“, merkt Meckel an.

Der Zukunftsforscher Hans Moravec gehört zu den Überzeugten hinsichtlich der Heilsmöglichkeiten künftiger Technik:

„Stück für Stück unseres versagenden Gehirns kann durch überlegene elektronische Ersatzteile erhalten werden. So könnten Persönlichkeiten und Gedanken des Menschen klarer als vorher fortbestehen, obwohl am Ende keine Spur des ursprünglichen Körpers oder Gehirns mehr übrig ist“ (15).

Doch die Verheißungen der technokratischen Ersatzreligion können offenkundig nur Ersatzerlösungen propagieren. Das zeigt sich an dem russischen Milliardär Dmitry Itskov, Gründer der „Initiative 2045“ (16), die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen bis zum Jahr 2045 unsterblich zu machen. Funktionieren soll das, indem das Bewusstsein nur noch in elektronischer Form existiert.

Bereits bis 2020 hätte es demnach möglich sein sollen, Roboter-Avatare durch Gedankensteuerung zu kontrollieren; und heuer könnten jener Verheißung zufolge die Gehirne von Menschen, deren Körper kurz vor dem Exitus stehen, in Roboter verpflanzt werden, was ihnen ein „aktives“ Leben ermöglichen sollte.

Das ist faktisch nicht eingetreten. Um 2035 sollen Wissenschaftler derselben Verheißung nach fähig sein, das menschliche Gehirn und Bewusstsein auf Computer zu kopieren und so in Roboter zu verpflanzen, wodurch ein Weiterleben nach dem Tod in Form von Avataren möglich werden soll. 2045 werde es schließlich Unsterblichkeit in Form von rein in künstlichen Medien existierenden Menschen geben — repräsentiert durch holographische Avatare.

Entsprechendes verkünden in den USA der Erfinder, Technik-Prophet und Geschäftsmann Ray Kurzweil und Bryan Johnson als populärster Vertreter der Longevity-Bewegung: Sie ersehnen den großen Triumph Künstlicher Intelligenz in Richtung baldiger, ihnen persönlich noch zugutekommender Realisierung des utopischen Ziels, auf technischem Wege langes, ja ewiges Leben zu erlangen (17). Binnen weniger Jahrzehnte solle das Altern besiegt und damit schließlich die Unsterblichkeit erreicht sein. In Deutschland rechnet sich Ähnliches die „Partei für Verjüngungsforschung“ (18) aus. Dabei wird bereits im Ansatz übersehen, dass es einen solchen „Triumph“ von Technik und namentlich KI schon deshalb nicht geben kann, weil hier weder menschliche noch göttliche Intelligenz am Werk sind. Zu Recht bemerkt Horx:

„In der Verwechslung von operativen Fähigkeiten mit ‚Intelligenz‘, die sich im Paradox ‚künstliche Intelligenz‘ manifestiert, zeigt sich nichts anderes als das, was die Kognitionspsychologie Anthropomorphismus nennt. Menschen neigen seit Urzeiten dazu, die sie umgebende unbelebte Welt zu vermenschlichen. (…) Der Glaube an die erlösende Hypertechnologie ist nichts als ein fernes Echo aus der Zeit der existenziellen Bedrohung, übertragen auf eine ungewisse Zukunft“ (19).

Bei der ersatzreligiösen Erwartung einer digitalisierten unsterblichen Seele handelt es sich aber auch auf der Sachebene um einen naiven Fehlschluss. Der Zukunftsforscher Andreas Eschbach erläutert:

„Dass unser Geist, das Bewusstsein letztlich eine Art Software sei, die zufällig auf der Hardware Gehirn abläuft, aber genauso gut auf jede andere Hardware übertragbar sein soll, ist ein moderner Mythos, aber keinesfalls gesicherte Tatsache. Gesicherte Tatsache ist, dass es darüber, wie Geist, Intelligenz, überhaupt Bewusstsein zustande kommen – wie es also kommen kann, dass wir ich sagen können; wie es zugeht, dass wir sind und, schlicht gesagt, aus unseren Augen hinaus in die Welt gucken können – noch keinerlei gesicherte Tatsachen gibt“ (20).

Desgleichen betont Reinhold Popp, Leiter des Zentrums für Zukunftsstudien der Fachhochschule Salzburg:

„Das menschliche Bewusstsein ist unendlich komplex; die Annahme, es könne auf Maschinen übertragen werden, ist blauäugig“ (21).

Mit Horx formuliert: „Das Hirn ist eine Komplexitätsmaschine, die den Körper als Korrektur und Basis braucht“ (22). Da gibt es keine abstrakte Transformation von Hirn in Digitalität.

Entsprechendes gilt für den erhofften endgültigen Sieg über das Altern. Die Unsterblichkeitsfrage lässt sich nicht technologisch lösen; digitale Scheinlösungen sind für die kritische Vernunft allzu leicht durchschaubar (23). Digitalisierte Seelen sind mitnichten unsterblich. Selbst wenn Informationseinheiten über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende aufbewahrt würden – das ist es ja nicht, was die Seele in ihrer auch spirituellen Wirklichkeit ausmacht! Und ein womöglich nicht weiter alternder Körper wäre noch kein Heilsprodukt. Wer mag aus solchem Digitalisierungswahn ernsthaft und anhaltend Trost oder Hoffnung ziehen angesichts der Endlichkeitsbedingungen, die uns alle doch irgendwann einmal einholen werden? Hier handelt es sich letztendlich nur um Hirngespinste der Superreichen (24), deren starker Glaube an die finanzierbare Machbarkeit von allem durchschaubar auf Sand gebaut ist.

Oh doch, es gibt sie durchaus, die solches ausdrücklich wollen und sich mit einer digitalen Ersatzreligion zufriedengeben: die Transhumanisten, die Ziele verfolgen, die durchaus mit religiösen Termini wie „Erlösung“ oder „Ewiges Leben“ beschrieben werden. Am Ende soll Technik genutzt werden, um „wie Gott zu werden“ (25). Kennt nicht schon die Urgeschichte der Bibel den für Menschen verführerischen Wunsch, wie Gott zu werden?

Indes — die keineswegs einfach als unvernünftig abzuweisende Hoffnung auf Gott (26) und die von ihm her gewollte Unsterblichkeit der Seele, also die von ihm her ermöglichte Kontinuität im Umbruch des Todes findet in der Ersatzreligion der Digitalisierungskultur eine merkwürdige Umgestaltung in eine Ersatzhoffnung, in eine zu erwartende Pseudoseligkeit, die irrationale Züge trägt und seelischer Manipulierbarkeit Tür und Tor weit öffnen hilft. Denn die digitalisierte Seele weiß sich nicht ernsthaft (allenfalls in simulierten Winkelzügen!) auf Gott, auf den universalen, liebevollen Garanten des Guten als Letztsinn bezogen; sie erhält ihre innere Würde nur noch aus einem Selbstbezug des homo technicus, der gar keine rechte Auskunft mehr darüber zu geben vermag, wer oder was dieses Selbst überhaupt sei. Im Gegenteil könnte — so meint man — dieses Innerste selbst bald noch infolge der anvisierten kybernetischen Erweiterungen des Körpers „hackbar“ gemacht werden, genannt ghost hacking:

„Alles, was also Sicherheit bieten könnte, selbst die eigenen Erinnerungen, alles, was dem Sinn des Selbst, der eigenen Identität und Subjektivität im herkömmlichen Verständnis zugrunde liegt, entartet zu einem bloßen Schein“ (27).

Der Paradiessersatz der digitalisierten Seele verkommt zur Ersatzhölle.

Nein, die Hoffnung, in naher Zukunft Menschen dadurch unsterblich machen zu können, dass ihr vermeintliches Bewusstsein, ihr vermeintlicher Personenkern in Form digitalisierter Gehirndaten auf eine Festplatte gespeichert wird, trügt. Dieses sogenannte Mind uploading dürfte, wie der Philosoph und Psychiater Thomas Fuchs überzeugend dargelegt hat, nicht nur aufgrund der Komplexität der Hirnstruktur — mehrere 100 Billionen Synapsen mit unterschiedlichen Erregungsbereitschaften — dauerhaft technisch illusorisch bleiben, sondern es setzt auch ein unangemessenes Personenverständnis voraus, das subjektiv-leibhaftes Erleben für irrelevant hält. Im Übrigen vernachlässigt es die Erkenntnis, dass unsere Galaxie und wohl auch das ganze Universum endlich sind, weshalb sich die Annahme einer technisch machbaren, digitalen Unsterblichkeit bei vertiefter Betrachtung als pure Dummheit erweist.

Was aber machte Digitalisierung mit der Seele? Vor noch nicht langer Zeit wurde ich einmal von einem christlichen Journalisten gefragt: Wird vielleicht durch mancherlei Versuche psychischer Beeinflussung und technologischer Zugriffe aufs menschliche Bewusstsein im Zuge der Digitalisierung die Seele in ihrer Tiefe beschädigt oder gar ernstlich gefährdet? Tatsächlich gibt es entsprechende Einflussnahmen von eigentlich recht fragwürdiger Art durch digitale Technologien, ihre Erfinder und Nutzer; doch einen endgültigen Schaden für die Seele befürchte ich als Theologe hier nicht. Franz von Assisi hat einmal gesagt:

„Die Tiefe der Menschenseele birgt unergründliche Kräfte, weil Gott selbst in ihr wohnt.“

Wegen dieser Tiefe wird die Digitalisierung in keiner ihrer Phasen der menschlichen Seele dauerhaft schaden können. Unser eigener Geist funktioniert gar nicht anders als in einer gelungenen, geheilten oder auch gestörten, verdorbenen Verbundenheit mit dem göttlichen Geist. Will sagen: Die Seele wurzelt im Transzendenten, wo ja auch ihr eigentliches Ziel liegt. Materielle Einflüsse können das allenfalls vorübergehend und partiell beeinflussen, sie sind am Ende nicht stärker als der Geist Gottes. Erinnert sei hierzu auch an Jesu Wort:

„Fürchtet euch nicht vor denen, die nur den Leib, aber nicht die Seele töten können. Fürchtet euch vor Gott, der Leib und Seele ins ewige Verderben schicken kann“ (Matthäus 10,28).

Die Pflege der unsterblichen Seele und die Frage nach ihrer künftigen Heimat sollte weitblickenden Menschen wieder wichtiger werden als alle Digitalisierungsprojekte dieser Welt (28). Denn das Geheimnis des Todes bleibt auch im Hightech-Zeitalter eine existenzielle Herausforderung.