Das Unterwerfungssymbol

Das Kopftuch muslimischer Frauen steht angeblich für ein buntes Deutschland — dahinter stehen aber das Kontrollbedürfnis von Männern und ein System der Täterloyalität.

Das Kopftuch wird heute oft als Symbol von Vielfalt und Selbstbestimmung verteidigt. Doch historische Quellen, der Koran selbst und psychotraumatologische Erkenntnisse zeigen ein anderes Bild: Das Kopftuch ist Teil einer sozialen Ordnung, die Kontrolle, Angst und Anpassung reproduziert. Wer es unkritisch feiert, stabilisiert unbemerkt eine patriarchale Gewaltstruktur — auch mitten in Europa.

Immer häufiger wird in Europa behauptet, das Kopftuch sei Ausdruck von Selbstbestimmung, religiöser Identität oder kultureller Vielfalt. Doch diese Erzählung steht im Widerspruch zu dem, was wir historisch und psychologisch darüber wissen. Wer das Kopftuch als „freiheitliches Zeichen“ verteidigt, ohne seine Funktion und Herkunft zu reflektieren, stabilisiert ungewollt eine patriarchale Gewaltordnung.

Denn das Kopftuch ist kein neutrales Kleidungsstück. Es ist ein soziales Signal: Es trennt „ehrbare“ von „nicht ehrbaren“ Frauen und stützt die Vorstellung, dass der weibliche Körper kontrolliert werden müsse, weil Männer angeblich nicht in der Lage seien, ihren Sexualtrieb zu regulieren. Diese Logik ist weder spirituell noch emanzipatorisch. Sie ist Ausdruck von Kontrolle — und von Angst.

Historischer Ursprung: keine religiöse, sondern soziale Ordnung

Die Verschleierung von Frauen ist älter als der Islam. Im altorientalischen Raum war genau geregelt, welche Frauen verschleiert sein durften und welche nicht. Verheiratete Frauen höherer sozialer Stellung mussten verschleiert gehen. Sklavinnen und Prostituierte hingegen durften es nicht.

Verschleierung diente also dazu, Status und Verfügbarkeit zu markieren.

„Der Schleier ist keine originär islamische Erfindung, sondern eine Praxis Vorderasiens lange vor dem Islam.“
— Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität, C.H. Beck, 2011.

Auch die Islamwissenschaft bestätigt:

„Mohammed wurde in eine Gesellschaft hineingeboren, in der der Schleier bereits Verhaltensnorm war.“
— Harald Motzki: Islam: Geschichte, Religion, Kultur, C.H. Beck, 2010.

Der Ursprung des Kopftuchs liegt somit nicht in religiöser Offenbarung, sondern in sozialer Kontrolle.

Der Koran fordert keine Haarbedeckung

Die zentrale Koranstelle lautet: Sure 24:31 – Frauen sollen ihren „Khimar“ über die Brust ziehen.

Der Khimar war damals ein Schulter- und Brusttuch, kein Haarbedeckungsgebot. Das Haarbedecken ist eine spätere Interpretation.

„Der Khimar bezeichnet das Tuch zur Bedeckung der Brust, nicht der Haare.“
— Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, Suhrkamp, 2010.

Auch islamische Theologinnen bestätigen:

„Im Koran findet sich kein Gebot zur Bedeckung des Haares.“
— Lamya Kaddor / Rabeya Müller, Der Koran für Kinder und Erwachsene, Piper, 2012.

Das Kopftuchgebot wurde erst Jahrhunderte später von Rechtsgelehrten festgeschrieben. Es ist kulturell, nicht göttlich.

Das Kopftuch als Werkzeug sozialer Kontrolle

Das Kopftuch markiert, welche Frauen als „anständig“ gelten und wer „Familienehre“ verkörpert. Es verschiebt Verantwortung für Sexualität und Gewalt:

  • weg vom Mann
  • hin zur Frau

„Das Kopftuch ist ein politisches Instrument zur Regulierung weiblicher Sichtbarkeit im öffentlichen Raum.“
— Susanne Schröter, Politischer Islam, Herder, 2019.

Damit wird männliche Unbeherrschtheit normalisiert — und weibliche Selbstbestimmung delegitimiert.

Das historische Vorbild und seine Folgen bis heute

Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte selten angesprochen wird, ist die Rolle der religiösen Vorbildfunktion. Im orthodoxen Islam gilt Mohammed als „vollkommener Mensch“ und somit als Orientierung für moralisches, soziales und familiäres Verhalten. Dazu gehört auch sein Eheleben.

In den wichtigsten anerkannten Hadith-Sammlungen wird berichtet, dass Mohammed Aischa heiratete, als sie sechs Jahre alt war, und die Ehe vollzog, als sie neun war (Sahih al-Buchari, Hadith 5133/5134; Sahih Muslim). Diese Überlieferung wird in der klassischen islamischen Rechtslehre (Fiqh) nicht hinterfragt, sondern als historisch authentisch akzeptiert.

Das hat Folgen.

Denn aus diesem Vorbild wurde in vielen islamischen Rechtstraditionen der Grundsatz abgeleitet, dass ein Mädchen ab der ersten Menstruation als heiratsfähig gilt — unabhängig von ihrem emotionalen oder psychischen Entwicklungsstand. Das erklärt, warum Kinderehen bis heute in mehreren islamisch geprägten Ländern gesetzlich möglich oder gesellschaftlich anerkannt sind (vgl. UNICEF, Child Marriage in MENA, 2017–2023).

Das bedeutet: Die Verbindung zwischen Frühverheiratung und religiöser Legitimation ist keine verzerrte Extremauslegung, sondern ein Teil traditioneller islamischer Normenbildung.

Gleichzeitig existieren innerhalb des Islam starke reformorientierte Stimmen — darunter
muslimische Feministinnen wie Seyran Ateş und Necla Kelek —, die genau diese Tradition hinterfragen und für eine zeitgemäße, würdeorientierte Auslegung eintreten. Sie versuchen, die religiöse Botschaft von der kulturell geerbten Gewaltstruktur zu trennen.

Die zentrale Herausforderung liegt also nicht darin, „den Islam“ zu verurteilen, sondern darin, den Unterschied zwischen spiritueller Lehre und historisch verfestigter patriarchaler Ordnung sichtbar zu machen. Erst wenn diese Unterscheidung anerkannt wird, kann echte Freiheit entstehen.

Die psychische Dynamik: Anpassung als Überleben

Viele Frauen sagen, sie tragen das Kopftuch freiwillig. In der traumatherapeutischen Arbeit zeigt sich:

„Freiwillig“ bedeutet häufig:

  • Ich möchte nicht beschämt werden.
  • Ich möchte dazugehören.
  • Ich möchte nicht gefährdet sein.

Michaela Huber beschreibt dies als:

„Täterloyalität aus Überlebensnotwendigkeit.“
— Michaela Huber, Wege der Traumabehandlung, Junfermann, 2015.

Und Franz Ruppert nennt es:

„Identifikation mit der Ordnung des Täters, um sich innerlich nicht verloren zu fühlen.“
— Franz Ruppert, Trauma, Angst und Liebe, Klett-Cotta, 2012.

Das Kopftuch fühlt sich dann wie „Schutz“ an — ist aber Schutz vor der Gewalt, die droht, wenn es nicht getragen wird.

Das ist keine Freiheit. Das ist internalisierte Kontrolle.

Wenn Opfer zu Trägern der Täternorm werden

In meiner traumatherapeutischen Arbeit mit muslimischen Frauen – ob aus der Türkei, dem Iran, Syrien, dem Libanon oder Nordafrika — begegne ich immer wieder dem gleichen Muster.

Die Gewalt, die ihnen früher von außen zugefügt wurde — durch Väter, Brüder, Onkel, religiöse Autoritäten oder ganze soziale Systeme —, wird irgendwann nach innen verlagert. Was im Außen nicht widersprochen werden durfte, wird zur inneren Stimme.

Franz Ruppert beschreibt diesen Prozess als Täterhaltung beziehungsweise Täter imitierendes Verhalten. Ein Anteil in uns übernimmt die Werte, die Haltung und den Blick des Täters, um zu überleben.

  • Aus äußerer Gewalt wird innere Ordnung.
  • Aus Angst wird Anpassung.
  • Aus Ohnmacht wird Unterwerfung.

Auf dieser Ebene wird verständlich, warum viele muslimische Frauen, die beginnen, sich innerlich zu befreien, nicht zuerst von Männern, sondern von anderen Frauen verurteilt werden.

Mütter, Schwestern, Tanten, Schwiegermütter — sie alle haben dieselbe Ordnung verinnerlicht.

  • Sie glauben, das Kopftuch schütze.
  • Sie glauben, das Schweigen bewahre die Familie.
  • Sie glauben, Gehorsam sei Liebe.

Sie wurden selbst verletzt — und haben dabei gelernt, dass Überleben nur möglich ist, wenn man sich dem Täterprinzip angleicht. Der Preis dafür war der Verlust des eigenen Fühlens.

Wenn eine junge Frau beginnt, sich zu befreien, bedroht sie — unbewusst — das fragile Gleichgewicht der Familie. Nicht weil sie etwas falsch macht, sondern weil sie plötzlich sichtbar macht, was allen weh tut.

Dann reagiert die Familie nicht aus religiöser Überzeugung, sondern aus Angst vor dem Zusammenbruch des inneren Gefüges.

Und hier zeigt sich die tragischste Dynamik:

Nicht der ursprüngliche Täter muss die Ordnung aufrechterhalten. Die Opfer tun es selbst — gegeneinander. Wo Frauen das Kopftuch als Ausdruck von Selbstbestimmung feiern, wird unsichtbar, dass andere Frauen es nicht ablegen dürfen. So entsteht ungewollt ein Verrat an den eigenen Geschlechtsgenossinnen.

Täterschutz statt Opferschutz – auch bei uns

Diese Prozesse enden nicht an der Grenze. Auch hier, in Deutschland, erleben betroffene Frauen oft nicht Schutz, sondern erneute Unsichtbarmachung.

Wenn Frauen sexuelle Gewalt oder Zwangsverheiratung benennen, wird ihnen nicht immer geglaubt. Oder es wird „kulturell erklärt“. Oder relativiert. Oder als „Privatsache“ zurück in die Familie geschoben.

Damit wird genau jene Täterordnung geschützt, die Frauen verletzt und in Abhängigkeit hält.

Wir sprechen gern von Toleranz — aber Toleranz ohne Hinschauen ist Täterloyalität.

Der Übergang ist leise. Er passiert, wenn wir Gewalt nicht wahrnehmen, weil sie uns fremd ist. Oder weil wir Angst haben, anzuecken. Oder weil wir vermeiden wollen, als „kulturfeindlich“ zu gelten.

Doch solange wir Gewaltstrukturen aus Rücksicht verschweigen, lassen wir Frauen allein mit dem Preis ihrer Befreiung.

Subjektive Emanzipationsnarrative – und ihre blinden Flecken

Viele Debatten verwechseln subjektive Motive mit gelebter Freiheit. Maßstab sollte nicht die Selbstbeschreibung sein, sondern der Preis der Abweichung. Eine Entscheidung ist erst dann frei, wenn sie reversibel ist — also ohne Ausschluss, Drohung oder ökonomische Strafe widerrufen werden kann.

Freiheit zeigt sich erst, wenn „Nein“ möglich ist.

Die Frage ist nicht, warum eine Frau ein Kopftuch trägt. Sondern: Kann sie es abnehmen, ohne Strafe, Ausschluss oder Verlust von Liebe?

Wenn das nicht möglich ist, handelt es sich nicht um Wahlfreiheit — sondern um Überlebensanpassung.

Was wir in Europa lernen müssten

Wer das Kopftuch als aufstrebendes Selbstbewusstsein muslimischer Frauen verteidigt, sieht nicht

  • die dahinterliegenden Ungleichheitsstrukturen
  • die psychischen Abhängigkeiten
  • die soziale Erpressbarkeit von Frauen

Eine freie Frau muss sich nicht verbergen.
Ein freier Mann muss keine Frau kontrollieren oder unterwerfen.
Eine freie Gesellschaft verwechselt beides nicht.

Kulturelle Vielfalt ist ein Wert — aber nicht auf Kosten weiblicher Freiheit.