Der Blick in den Abgrund
Die Folgen eines Atomkriegs wären so verheerend, dass viele Menschen gar keinen Sinn darin sehen, sich damit zu beschäftigen — ein fataler Fehler.
Was, wenn eine Atombombe gezündet wird? Das kollektive Gedächtnis der meisten Menschen reicht so weit, dass ihr Gehirn instinktiv Schreckensbilder erzeugt. Doch während ältere Semester noch davon ausgehen, dass danach mehr oder weniger alles vorbei ist, erscheint die Option eines führbaren Atomkrieges einigen Jüngeren wieder als Option. Bundeskanzler Friedrich Merz gab vor einigen Jahren zum Besten, er habe keine Angst vor einem Atomkrieg. Wer das hört, muss sich die Frage stellen, wie intensiv Merz sich mit den Folgen dessen beschäftigt hat, wovor er offenbar keine Angst verspürt. Angst vor einem Atomkrieg ist kein Zeichen von militärischer Schwäche, sondern die logische Konsequenz aus dem Wissen um seine Auswirkungen und letztlich die einzig angebrachte Emotion in Bezug auf ihn. Wir müssen uns wieder damit beschäftigen, was in einem solchen Fall passiert. Denn das könnte die wirksamste Strategie sein, ihn zu verhindern.
Der folgende Text ist ein kurzer Bericht über eine Film- und Vortragsveranstaltung, die am 17. November 2025 im Haus der Heimat in Kiel unter dem Titel „Die unmittelbaren und längerfristigen Folgen eines möglichen Atomkriegs“ stattfand. Veranstalter waren der Nachdenkseiten-Gesprächskreis Kiel (1) und die Kieler Gruppe der IPPNW (2), das sind die Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung. Dem Bericht vorangestellt sei eine eindringliche Warnung, die Albert Einstein zugeschrieben wird: „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten werden die Menschen mit Stöcken und Steinen kämpfen.“
Einführung
Der oben genannte Titel benennt das bedrückende Thema dieser Veranstaltung, mit dem wir uns jedoch intensiv beschäftigen müssen, weil es leider weiterhin die reale Möglichkeit gibt, dass in nächster Zeit Atombomben, zum Beispiel im Ukrainekrieg, aber auch im Nahen und Mittleren Osten oder anderswo, zum Einsatz kommen können, und sich daraus ein noch größerer Krieg in Europa bis hin zu einem Atomkrieg oder gar einem Dritten Weltkrieg entwickeln könnte (3 und 4).
So eine Situation könnte eintreten, wenn die Ukraine von den USA, Deutschland oder anderen Staaten des Westens weit reichende Raketen oder Marschflugkörper erhält, mit denen Russland und die Krim beschossen werden kann.
So wurde 2024 am Rande des letzten NATO-Gipfels beschlossen, dass von Seiten der USA 2026 neue Mittelstrecken-Raketen, unter anderem Tomahawk-Marschflugkörper zusammen mit der neuen US-Hyperschall-Waffe „Dark Eagle“, in Deutschland aufgestellt werden sollen (5 bis 7).
Wenn ich mir ansehe, wie sich einzelne Politiker aus verschiedenen Parteien zu diesem Problem geäußert haben, zum Beispiel sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (8), dass er keine Angst vor einem Atomkrieg habe, und das in einer Situation, die durchaus mit der Kubakrise im Jahre 1962 oder der atomaren Krise der frühen 1980er Jahre, zum Beispiel beim NATO-Manöver „Able Archer“ 1983, zu vergleichen ist, und das schlucken unseren Mainstream-Medien einfach so, wird mir Angst und Bange.
Denn wir befinden uns wieder in einer vergleichbaren Situation. Der Unterschied ist nur der: Während der Kubakrise und in den frühen 1980er Jahren wurde in der Öffentlichkeit noch über Krieg und Kriegsgefahren geredet. Und es gab eine starke Friedensbewegung, an deren Demonstrationen Hunderttausende teilgenommen haben. Wir haben damals alle Angst vor einem Atomkrieg gehabt.
Aber jetzt gibt es eine Art „Katastrophen-Vergessenheit“ – das ist ein Begriff des von mir geschätzten Philosophen Hauke Ritz (9) – und gleichzeitig eine Bereitschaft, aufgrund einer falschen moralischen Betrachtungsweise des Ukrainekrieges Härte zu zeigen, Waffen zu liefern, immer weiter zu gehen, die andere Seite nicht verstehen zu wollen, obwohl alle Argumente für eine mögliche diplomatische Konfliktlösung im Ukrainekrieg, zum Beispiel durch die Beiträge von Jeffrey Sachs (10 bis 12), auf dem Tisch liegen, auf die ich hier ebenfalls verweisen möchte.
Warum ist unsere Gesellschaft so kriegsbesoffen? Ist sie einfach nur ein Opfer der ausgefeilten herrschenden Propaganda und des seit vielen Jahren laufenden Informationskrieges gegen Russland? Warum meiden die Mainstream-Medien das Thema eines möglichen Atomkriegs wie die Pest, anders als in den 1980er Jahren?
Wie dem auch sei: Ich möchte über die Folgen eines möglichen Atomkriegs nicht nur mit nüchternen Fakten informieren. Im Mittelpunkt soll dabei der britische Zeichentrickfilm „Wenn der Wind weht“ von Raymond Briggs aus dem Jahre 1986 stehen. Diesen Film haben wir von der IPPNW damals vor 40 Jahren bei mehreren Veranstaltungen gezeigt – in meiner Erinnerung mit gutem Erfolg (13).
Britischer Zeichentrickfilm „Wenn der Wind weht“
„Wenn der Wind weht" ist ein britischer Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1986, der die Auswirkungen eines Atomkriegs auf ein älteres Ehepaar thematisiert und auf dem Comic von Raymond Briggs basiert (14 bis 16). Der Film schildert in erschütternder Weise das Schicksal eines liebenswürdigen älteren Ehepaars, das die Explosion einer Atombombe erlebt und an den Folgen einer Strahlenkrankheit jämmerlich ums Leben kommt. Die filmische Darstellung veranschaulicht auf eindrückliche Weise die menschliche Dimension der Bedrohung und ergänzt das Thema damit um eine emotionale Perspektive.
Der Film von Raymond Briggs bildete 1986 den Schlusspunkt einer kurzen Phase amerikanischer und britischer Filme über die Angst vor dem Atomkrieg infolge der damaligen realen nuklearen Bedrohung, die im Unterschied zu heute von Künstlern, Intellektuellen und in der Öffentlichkeit wahrgenommen und thematisiert wurde.
Dazu gehörten die US-amerikanischen Filme „Das letzte Testament“ und „The Day After“ und der viel beachtete britische Film „Threads“. In diesen Filmen geht es um den atomaren sowjetischen (Gegen-)Schlag und die Schicksale einzelner Familien in einer postapokalyptischen Zeit, in der das Zusammenleben unter archaischen Bedingungen nach einem Atomkrieg neu verhandelt werden muss (14).
Handlung
Die Geschichte des Films „Wenn der Wind weht“ spielt in einem ungenannten Zeitraum, aber wahrscheinlich zu Beginn der 1980er Jahre während des Kalten Krieges (16).
Der Film erzählt die Geschichte von Jim und Hilda, einem älteren Ehepaar, das in einer ländlichen Gegend Englands lebt. Während sie ein ruhiges und glückliches Leben führen, wird die Welt um sie herum von der Bedrohung eines Atomkriegs erschüttert. Jim, der sich an die Anweisungen aus einer Regierungsbroschüre des Zivilschutzes hält, beginnt, einen Schutzraum zu bauen, während Hilda nostalgisch an vergangene Kriege denkt. Die beiden ignorieren zunächst die drohende Gefahr, bis der Krieg tatsächlich ausbricht und sie mit den verheerenden Folgen konfrontiert werden.
Nach der erfolgten Explosion der Atombombe versuchen Hilda und Jim, an den Alltagsroutinen festzuhalten, an festen Mahlzeiten und dem Schmieden von Plänen für die Zeit nach der Rettung. Aber die Auswirkungen der Atombombenexplosion haben die beiden Rentner längst erreicht. Sie siechen radioaktiv verstrahlt dahin. Sie wussten nicht, dass man Regenwasser nicht mehr trinken darf. Sie haben die Regierungsbroschüre falsch verstanden.
Der Film behandelt Themen wie die Naivität der Zivilbevölkerung in Zeiten des Krieges, die Absurdität von Zivilschutzmaßnahmen und die emotionale Belastung, die mit dem Versuch des Überlebens in einer Welt nach einem Atomkrieg verbunden ist. Die Darstellung des Paares und ihrer Bemühungen, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten, wird sowohl humorvoll als auch tragisch präsentiert, was zu einer tiefen emotionalen Wirkung führt.
Anmerkungen
Die Ratschläge der Regierungsbroschüren kommen dem Zuschauer von Anfang an seltsam bis unbrauchbar, ja sogar grotesk vor und widersprechen bisweilen auch einander. Sie entsprechen aber zum Großteil den Anweisungen der tatsächlich damals erschienenen Broschüren des britischen Protect-and-Survive-Programms.
Filmmusik
Die Musik aus dem Film stammt von Roger Waters. Der Titelsong „When the Wind Blows“ wurde von David Bowie geschrieben und gesungen und dürfte sein traurigstes Lied sein.
Fazit
Der Film ist ein eindringliches und bewegendes Werk, das die Schrecken des Krieges und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens thematisiert. Er bleibt ein bedeutendes Beispiel für animierte Filme, die sich mit ernsten gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen und hat auch heute wieder, wie in den 1980er Jahren, große Relevanz. Das wird im nächsten Abschnitt hoffentlich noch deutlicher.
Einige Fakten zur atomaren Bedrohung
Mit der ersten Explosion einer Atombombe, dem Trinity-Test einer Plutonium-Bombe in der Wüste von Neu-Mexiko am 16. Juli 1945, läuteten die USA das Atomzeitalter ein, das dadurch gekennzeichnet ist, dass seit dieser Zeit die Menschheit in der Lage ist, sich selbst zu vernichten.
„Ein Akt unsäglicher Barbarei“
Am 6. August 1945 kam es dann zur Explosion der ersten Uran-Bombe in Hiroshima, die diese Stadt völlig zerstörte. Als unmittelbare Folge dieser Atomexplosion starben circa 150.000 Menschen, ganz überwiegend Zivilisten.
Am 9. August 1945 wurde dann von den USA eine weitere Plutonium-Bombe in Nagasaki zur Explosion gebracht, der etwa 50.000 Menschen, wieder überwiegend Zivilisten, zum Opfer fielen. Auf den Bildern der zerstörten Stadt Nagasaki ist im Zentrum die Ruine der dortigen Kathedrale zu sehen.
Bei meinen Recherchen bin ich auf den bemerkenswerten Artikel des US-amerikanischen Arztes Gary G. Kohls gestoßen, der 2023 von ihm veröffentlicht wurde und sich mit dieser Ruine beschäftigt (17):
„Am 9. August 1945 benutzte eine rein christliche amerikanische Flugzeug-Besatzung den Kirchturm von Japans prominentester christlicher Kirche in Nagasaki als Zielpunkt für den Atombombenabwurf. Das war ein Akt unsäglicher Barbarei.
*Was das kaiserliche Japan in 250 Jahren nicht geschafft hatte, nämlich die Vernichtung des japanischen Christentums, haben amerikanische Christen in neun Sekunden geschafft.“
Kohls schreibt weiter:
„Die meisten Christen in Nagasaki überlebten die Explosion nicht. 6.000 von ihnen starben auf der Stelle. Darunter alle, die bei der Beichte waren. Von den 12.000 Kirchenmitgliedern starben schließlich 8.500 an den Folgen der Bombe. Viele andere wurden schwer krank.“ (Übersetzung KDK)
Doomsday-Clock
Eine Gruppe kritischer Atomwissenschaftler, die seit 1947 das Bulletin of the Atomic Scientists herausgibt, warnt seit dieser Zeit regelmäßig vor einer nuklearen Katastrophe. Am 28. Januar 2025 wurde die symbolische Doomsday-Clock, auch „Weltuntergangsuhr“ genannt, zum ersten Mal auf 89 Sekunden vor Mitternacht gestellt. 1991 stand die Uhr noch bei 17 Minuten vor Mitternacht (18).
Warnungen von Ted Postol
Einer der Wissenschaftler, der über Jahrzehnte in dieser Gruppe mitgearbeitet hat, ist Ted (Theodore) Postol. Er ist emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und Internationale Sicherheit am MIT (Massachusetts Institut for Technology) und ein weltbekannter Experte für Fragen des Atomkriegs. Seit Jahrzehnten ist er außerdem ein unermüdlicher Aufklärer über die ungeheure Zerstörungsgewalt moderner Atomwaffen, die heute um ein Vielfaches größer ist als zu Zeiten von Hiroshima und Nagasaki.
Zu den Auswirkungen der Explosion einer einzelnen mittelgroßen Atombombe sagte Postol in einem Interview (3):
„Wir reden von einer Feuerwand, die alles um uns herum mit der Temperatur des Sonnenmittelpunkts einschließt. Die Explosion von Nuklearwaffen würde uns buchstäblich in weniger als Asche verwandeln. Ich kann nicht genug betonen, wie mächtig diese Waffen sind.
Wenn sie detonieren, sind sie einen Moment vier- oder fünfmal heißer als das Zentrum der Sonne, das 20 Millionen Grad Kelvin hat. Im Zentrum einer Detonation dieser Waffen herrschen 100 Millionen Grad Kelvin. Menschen können sich das Ausmaß dieser Hitze nicht vorstellen.
Die Auswirkungen sind so schwerwiegend, dass sie die menschliche Vorstellungskraft sprengen.“
Zur Bedrohung, die vom Einsatz einer einzelnen Atombombe ausgeht, sagte Postol in diesem Interview (3):
„Wenn eine Atomwaffe auf dem Gefechtsfeld gezündet wird, weiß zunächst niemand, was das bedeutet. War es eine einzelne Waffe? Werden ihr in wenigen Minuten oder Stunden weitere Atomexplosionen folgen? Wird der Gegner, den sie gerade angegriffen haben, sofort oder erst in einigen Tagen mit einer oder mehreren Waffen nachziehen? Wird er versuchen, ihre Atomwaffenstandorte anzugreifen?
Es herrscht ein totales Chaos, und ehe man sich versieht, explodieren nicht nur ein paar Dutzend oder Hunderte, sondern Tausende von Atomwaffen. Das ist einfach unvermeidlich.“
„Ein Atomkrieg hätte katastrophale Folgen für die deutsche Bevölkerung“
Postol hat kürzlich in zwei Video-Vorträgen ausgeführt, dass ein Atomkrieg katastrophale Folgen für die deutsche Bevölkerung hätte (19, 20). Dazu könnte es insbesondere im Zusammenhang mit der Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland kommen, die für 2026 geplant ist (5 bis 7).
Postol betont, dass es sich bei diesen Mittelstreckenwaffen um mobile, auf Lastwagen befindliche Marschflugkörper und Raketen handelt, die mit Sicherheit auch atomar bewaffnet sein werden, weil sie sonst keinen militärischen Sinn hätten.
Das könnte zu einem Szenario führen, in dem Deutschland im Falle eines Konflikts das Hauptziel eines Angriffs mit Atomwaffen wäre.
Insgesamt betont Postol die Dringlichkeit, die öffentliche Diskussion über die Risiken von Atomwaffen und die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Sicherheitsstrategie in Deutschland zu intensivieren.
„Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden.“
Bei einem aktuellen Vortrag in Berlin am 9. Oktober 2025 sagte Postol (6):
„Nach dem ersten Einsatz einer Atomwaffe würde der Krieg innerhalb von etwa fünf Tagen zu einem Weltkrieg eskalieren, der das Leben auf der Erde auslöschen würde.“
Er berichtete über seine eigenen Erfahrungen mit der Planung von Atomkriegen bei seiner früheren Tätigkeit im Pentagon. Insbesondere geht es um das Problem der verkürzten Frühwarnzeit bei der Vorwärtsstationierung von Raketen und die Gefahr der schnellen Eskalation zum Atomwaffeneinsatz auf beiden Seiten aufgrund des Dilemmas „use it or loose it“ (wer sie nicht einsetzt, verliert).
Diese Probleme ergeben sich aus der Natur der Atomwaffen, führt Postol aus.
„Diese Waffen sind so mächtig, besitzen eine so unvorstellbar große Zerstörungsgewalt, dass sich, sobald eine Seite beginnt, sie gegen die andere einzusetzen, jede Seite gezwungen sieht, zurückzuschlagen, um so viel wie möglich von der Schlagkraft des Feindes zu zerstören.“
Weiterhin entlarvt er die Wahnidee, einen Atomkrieg gewinnen zu können. Diese verrückte Idee habe mit der falschen Vorstellung zu tun, dass ein Krieg mit Atomwaffen sich nicht wesentlich von einem Krieg mit konventionellen Waffen unterscheide. „Aber das ist nicht wahr, denn das Ausmaß der Schäden ist so groß, dass beide Seiten zerstört werden.“
„Was als ‚Sieg’ bezeichnet wird, wird zur Absurdität, wenn in dem Land, das gewinnt, niemand mehr am Leben ist.“
Unmittelbare Auswirkungen einer nuklearen Explosion
Bei Postols Vorträgen stehen die unmittelbaren Auswirkungen einer einzelnen Atombombenexplosion im Mittelpunkt seiner Darstellung (3, 4).
Jede nukleare Explosion setzt, in Abhängigkeit von der Sprengkraft der Bombe, eine ungeheure Menge Energie frei und erzeugt ihre zerstörerische und todbringende Wirkung durch
- die Hitzestrahlung, bestehend aus Gamma- und Neutronenstrahlen, die im Zentrum der Detonation entsteht; dort wird eine Hitze von circa 100 Millionen Grad Kelvin freigesetzt, sodass ein extrem heißer Feuerball entsteht; dieser führt in urbanen Gebieten zu Feuerstürmen mit extrem starken Winden in Orkanstärke. Diese führen zu einer extremen Überhitzung der Luft in der Atmosphäre, die
- eine Druckwelle von großer Zerstörungsgewalt auslöst; dann wird mit einer gewissen Verzögerung, wenn der pilzförmige Feuerball in die Höhe aufgestiegen ist und abzukühlen beginnt,
- radioaktiver Niederschlag aus der Wolke fallen, der die eventuell Überlebenden der Hitzestrahlung und der Druckwelle einer tödlichen Strahlungsdosis aussetzen kann.
Die tödliche Wirkung entsteht aus dem Mix dieser drei Elemente, wobei die Hitzestrahlung und der radioaktive Niederschlag die größten todbringenden Effekte hervorrufen.
So wird zum Beispiel in New York nach einer Explosion eines modernen 300-Kilotonnen-Sprengkopfes mit circa 1 Million Todesopfer plus 2 Millionen Schwerverletzter innerhalb von 24 Stunden gerechnet.
Atomare Aufrüstung und Abrüstung seit 1945
„Little Boy“ und „Fat Man“ waren die offiziellen verniedlichenden Bezeichnungen für die ersten beiden Atombomben, die am 6. und 9. August 1945 an einer Zivilbevölkerung in Hiroshima und Nagasaki von den USA getestet worden sind.
Seit 1949 verfügte auch die Sowjetunion über Atomwaffen, sodass ein atomarer Rüstungswettlauf zwischen den beiden Supermächten begann.
Schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verfügten die USA über ein Atomwaffenarsenal von mehr als 30.000 Atomsprengköpfen, das bis Ende des Kalten Krieges auf etwa 20.000 zurückgeführt wurde, wahrscheinlich als Auswirkung des ABM-Vertrags von 1972, der die Raketenabwehr stark begrenzt hatte. Diesen bedeutenden Atomwaffenkontrollvertrag haben die USA aber leider 2001 einseitig gekündigt.
Aufgrund eines zweiten bedeutsamen Atomwaffenkontrollvertrags, des INF-Vertrages, der 1987 zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow vereinbart wurde, sind dann bis 1991 die Mittelstrecken-Raketen in Europa samt einer großen Zahl von Atomsprengköpfen auf beiden Seiten kontrolliert verschrottet worden. Auch diesen Abrüstungsvertrag haben die USA 2019 leider einseitig gekündigt.
Atomwaffenstaaten und Anzahl der Atomwaffen weltweit heute
Es gibt derzeit neun Atomwaffenstaaten: USA, Russland, China, Indien Pakistan, Großbritannien, Frankreich, Israel und Nord-Korea.
Laut dem Bericht von SIPRI, dem Stockholmer International Peace Research Institute, aus 2024 gibt es derzeit weltweit um die 12.000 Atomwaffen – taktische und strategische Atomwaffen mit den dazugehörigen Trägersystemen. Das ist die atomare Triade, bestehend aus Bombenflugzeugen, landgestützten und U-Boot-gestützten Raketen. Dabei ist heute die durchschnittliche Sprengkraft der Atomwaffen zehn- bis zwanzigmal größer als in Hiroshima und Nagasaki.
Die beiden mit Abstand größten Atommächte, USA und Russland, besitzen jeweils etwa 5.000 Atomwaffen und entsprechende Trägersysteme, wobei Russland über einige hundert mehr verfügt als die USA.
Nach dem letzten START-Vertrag über die Begrenzung der strategischen Atomwaffen aus 2010, der in diesem Jahr ausläuft, sind jeweils 1.550 strategische Atomsprengköpfe „on alert“ zugelassen, das heißt kurzfristig von USA oder Russland einsetzbar.
Zur Sprengkraft der heutigen Atomwaffen
Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von circa 15 Kilotonnen beziehungsweise 15.000 Tonnen TNT-Äquivalent (21). Das ist heute eine kleine Atombombe, viele taktische Atombomben verfügen über diese Sprengkraft.
Die Sprengkraft vieler Bomben, die heute für das Gefechtsfeld bestimmt sind, können noch stärker sein und eine Sprengkraft von 100.000 bis 300.000 Tonnen TNT besitzen, und strategische Atombomben können über eine Sprengkraft bis 1.000.000 Tonnen TNT, das heißt 1 Megatonne TNT, verfügen.
Ein amerikanisches Atom-U-Boot der Ohio-Klasse ist mit einer unvorstellbaren atomaren Sprengkraft von etwa 20 Megatonnen ausgerüstet! Von dieser Art U-Boote besaß die US-Marine 2022 etwa 14 Stück, heute wahrscheinlich noch mehr. Auch die 5 russischen Atom-U-Boote der Borei-Klasse tragen eine vergleichbar riesige atomare Bewaffnung.
Das gesamte Atomwaffenarsenal der USA beträgt jeweils etwa 1000 Megatonnen TNT, während das russische Arsenal hinsichtlich Anzahl und Sprengkraft noch darüber liegt.
Die atomare Sprengkraft von mindestens 1.000 Megatonnen TNT, die jeder der beiden atomaren Supermächte mit ihren jeweils etwa 5.000 Atombomben zur Verfügung steht, entspricht jeweils etwa 70.000 Hiroshima-Bomben!
Unmittelbare und längerfristige Auswirkungen eines globalen umfassenden Atomkriegs zwischen Russland und den USA
In einem globalen und umfassenden Atomkrieg zwischen Russland und den USA beziehungsweise der NATO werden wahrscheinlich hunderte bis tausende Atomwaffen zum Einsatz kommen (4). Zu erwarten sind dabei nach Modellrechnungen mindestens 360 Millionen direkte Todesopfer durch die Explosion von circa 3.000 strategischen Atomsprengköpfen mit einer durchschnittlichen Sprengkraft von mindestens 100 Kilotonnen TNT – unter Berücksichtigung des bis 2025 geltenden START-Vertrags, der die Zahl der strategischen Offensivwaffen auf jeweils 1.550 begrenzt (4). Aber die direkten Todesopfer werden nur ein kleiner Teil der Toten sein, mit denen in der Folge zu rechnen ist.
Durch die aufgrund der Atombombenexplosionen hervorgerufenen großen Brände, sogenannte Feuerstürme, in städtischen Gebieten kommt es zu einem unvorstellbar großen Ruß-Eintrag in die Stratosphäre, der zu einer längerdauernden Abkühlung führen kann.
Im Gefolge eines umfassenden Atomkriegs zwischen Russland und den USA wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass 150 Millionen metrische Tonnen entstandener Ruß in die Stratosphäre befördert wird. Diese Menge entspricht in ihrer Größenordnung den Pyramiden von Gizeh. Dieser Ruß wird für Jahre die Sonne verdunkeln. Dadurch könnten die Temperaturen an Land um bis zu 8 Grad sinken, das heißt 3 Grad niedriger als während der letzten Eiszeit (4).
Und dadurch wird es zu einem „Nuklearen Winter“ kommen, der praktisch alle Lebensformen auf der Erde für mehrere Jahrzehnte zerstört; in den nächsten Jahren würde das zu einer globalen Hungersnot führen, an der die meisten Menschen weltweit zugrunde gehen könnten, und zwar das Vielfache derjenigen, die an den direkten Auswirkungen der Atombombenexplosionen sterben würden. Durch einen umfassenden Atomkrieg zwischen Russland und den USA würde wahrscheinlich der größte Teil der Menschheit und die bisherige Zivilisation weltweit vernichtet werden.
Falls es zu einem nuklearen Schlagabtausch zwischen Russland und den USA kommen sollte, würde nach Meinung des Atomkriegs-Experten Ted Postol und anderer Fachleute dieser aus den oben angeführten Gründen wahrscheinlich nicht zu kontrollieren und begrenzen sein. Die Vernichtung der heute lebenden Menschheit und der derzeitigen Zivilisation wäre das unvermeidliche Resultat.
2024 hat die US-Amerikanerin Schriftstellerin Annie Jacobsen auf der Basis einer Vielzahl von Interviews mit Fachleuten, zu denen auch Postol gehörte, ein beeindruckendes Buch mit dem Titel „72 Minuten bis zur Vernichtung. Atomkrieg – Ein Szenario“ vorgelegt (22).
In dem Szenario ihres Buches hat sie akribisch aufgezeigt, wie sich eine derartige Katastrophe entwickeln kann, nur 72 Minuten benötigt, um Realität zu werden, und 12.000 Jahre Zivilisationsgeschichte vernichtet. Nur ein Szenario wie der Einschlag eines großen Asteroiden auf der Erde, sagt sie, könne in dieser Geschwindigkeit zum Ende der Welt führen.
Und was ist mit einem „begrenzten“ Atomkrieg?
Aber auch ein „begrenzter“ Atomkrieg zwischen Staaten mit einem im Vergleich zu den atomaren Supermächten zahlenmäßig wesentlich geringeren Atomwaffenarsenal wäre vorstellbar. In den letzten beiden Jahrzehnten sind einige Modellstudien mit unterschiedlichen Szenarien durchgeführt worden, wie sich zum Beispiel ein Krieg mit Atomwaffen zwischen Indien und Pakistan auswirken würde (21, 23).
Das Ergebnis dieser Studien ist aber auch hier: Selbst ein „begrenzter“ Atomkrieg, zum Beispiel zwischen Indien und Pakistan, bei dem weniger als 3 Prozent der weltweit vorhandenen Atomwaffen zum Einsatz käme, würde zu einem globalen Temperaturabfall führen, einen nuklearen Winter auslösen und eine Hungersnot zur Folge haben, die Millionen bis Milliarden Menschen auslöschen könnte.
Ausblick
Da seit Beginn des Ukrainekrieges der Einsatz von Atomwaffen in Europa wieder möglich ist, müsste es eigentlich die vordringlichste Aufgabe unserer Mainstream-Medien sein, die Bevölkerung über diese Tatsache und ihre Bedeutung sachgemäß zu unterrichten, wie das in meiner Erinnerung Anfang der 1980er-Jahre teilweise auch der Fall gewesen ist.
Das war ein wichtiger Grund dafür, dass damals in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Gefahren eines Atomkriegs geherrscht hat und Hunderttausende auf die Straße gegangen sind und gegen die Aufstellung der atomaren Mittelstrecken-Raketen in Deutschland protestiert haben. Vielleicht ist aber das Totschweigen der Gefahr auch gerade der Grund dafür, dass sich heute kein Protest regt. So wird dieses Thema heute weiterhin von den Mainstream-Medien mit wenigen Ausnahmen totgeschwiegen. Die Atomkriegsgefahren sind deshalb in der Öffentlichkeit nicht präsent und werden sogar von einigen Politikern, wenn sie darauf angesprochen werden, bagatellisiert und kleingeredet.
Der renommierte russische Politikwissenschaftler Dmitri Trenin hat sich über dieses Phänomen sehr besorgt geäußert und hat schon 2024 eingeschätzt (24):
„Der Westen bekämpft Russland so, als ob es keine Atomwaffen hätte.“
Diese Annahmen seien aber äußerst gefährlich. Russland werde den Krieg in der Ukraine auf keinen Fall verlieren, geschweige denn kapitulieren. Die ständige Eskalation des Krieges durch die NATO-Staaten erhöhe jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass Moskau seine von Anfang an an den Tag gelegte Zurückhaltung bei den Atomwaffen aufgibt und zu Schlägen gegen Ziele in den Gebieten der aktivsten am Krieg beteiligten NATO-Staaten übergeht, sagt Trenin.
Vor dem Hintergrund der dargestellten riesigen Atomwaffenarsenale, die beiden atomaren Supermächten zur Verfügung stehen, und der Nukleardoktrin Russlands, die 2024 bekanntlich noch verschärft worden ist, ist diese Politik absolut verantwortungslos und für uns alle lebensgefährlich.
Eine zentrale Aufgabe der Friedensbewegung
Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der Friedensbewegung, möglichst viele Menschen aus ihrer „Katastrophen-Vergessenheit“ aufzuwecken und ihnen begreifbar zu machen, was ihnen und ihren Familien und Liebsten droht, wenn diese unverantwortliche Politik, die die Realität ausblendet, fortgesetzt wird.
Vor allem die Angehörigen der jüngeren Generationen, die keine Erinnerungen mehr an den letzten Weltkrieg haben, sei es direkt oder indirekt durch Zeitzeugen, müssen wieder lernen, Angst vor einem drohenden nächsten Krieg und vor allem vor einem Atomkrieg zu haben.
Angesichts der sich ständig steigernden Eskalation im Ukrainekrieg und auch anderswo haben wir möglicherweise nur noch wenig Zeit, um einen noch größeren Krieg in Europa zu verhindern, der sich leicht bis zu einem finalen Armageddon entwickeln kann!
Was tun?
Wir können, wie gesagt, aufklären über die Gefahren eines Atomkriegs, sodass die Menschen wieder bereit sind, massenhaft auf die Straßen zu gehen, um gegen die Atomkriegsgefahren zu protestieren, zum Beispiel unter der Losung: Atomkrieg: Nein danke!
Dabei sollten wir uns besonders einsetzen gegen eine neue Stationierung der Mittelstreckenwaffen, die für 2026 in Deutschland geplant ist und die Atomkriegsgefahr dramatisch verschärfen wird.
Wir sollten werben für den von der UN-Generalversammlung am 7. Juli 2017 von 122 Staaten verabschiedeten Atomwaffenverbotsvertrag, der am 22. Januar 2021 in Kraft getreten ist (3). Der Vertrag bietet eine rechtliche und moralische Grundlage zur Abschaffung der Atomwaffen.
Vor allem Deutschland, das mit seiner „nuklearen Teilhabe“ im Rahmen der NATO an der US-amerikanischen Atomkriegsplanung beteiligt ist, sollte diesen Vertrag unbedingt so bald wie möglich unterzeichnen (3).
Und schließlich: Wir müssen uns einsetzen für eine möglichst baldige friedliche Lösung des Ukrainekriegs durch Diplomatie und Anerkennung sowie Berücksichtigung der berechtigten Sicherheitsinteressen aller Beteiligten, auch derjenigen Russlands. Denn Frieden wird es in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben.
Das bedeutet vor allem, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten kann und wieder ein neutrales Land wird, wie sie es von 1991 bis zum Maidan-Putsch im Februar 2014 gewesen ist (3).
Denn die Entscheidung der USA im Jahre 2008, die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen, war eine verhängnisvolle Idee und nach der Einschätzung des renommierten US-amerikanischen Politikwissenschaftlers John Mearsheimer (25) und einer Reihe weiterer westlicher Wissenschaftler (26) die Hauptursache für den Ukrainekrieg.