Der digitale Antichrist

Neokonservative preisen christliche Werte, wollen in Wahrheit jedoch den Teufel mit dem Beelzebub gefährlicher Technologie austreiben.

„Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte“, sagte Mephisto in Goethes „Faust“. Der beste Trick des Teufels ist, dass er den Menschen weismachen konnte, es gebe ihn gar nicht. Während das im weitgehend säkularisierten Europa noch ganz gut funktioniert, muss er in den USA eine andere Strategie entwickeln — jenem Land also, in dem im Zuge eines neokonservativen Rollbacks wieder viel von „christlichen Werten“ die Rede ist. Dadurch gewann auch die Erzählung vom Kommen des Antichristen wieder an Einfluss. Folglich tarnt sich der Teufel in „God's own country“ gern als Teufelsaustreiber. Dämonisch sind diesem Narrativ zufolge immer die anderen. Wenn der mächtige Trump-Unterstützer Peter Thiel also in letzter Zeit verstärkt vor dem Antichristen warnt, so empfiehlt er zu diesem Zweck fragwürdige Mittel. Etwa die Verstärkung des Angriffs von digitaler Technik und KI auf die menschliche Seele. Dies schließt die Gewöhnung an entfremdendes Kommunikationsspielzeug ebenso mit ein wie die Automatisierung von Tötungsvorgängen in Kriegen und deren Einübung in Killerspielen.

Am 23. September erschien im Wall Street Journal ein bemerkenswerter Artikel mit dem Titel: „Peter Thiel möchte, dass alle mehr über den Antichristen nachdenken. Bei Auftritten erklärte der Milliardär seine Ansichten über Technik und Regierungen sowie eine biblische Perspektive auf die Endzeit“ (1). Der 1967 in Frankfurt am Main geborene US-Milliardär, dessen Vermögen derzeit auf etwa 21 Milliarden Dollar geschätzt wird (2), hält im September und Oktober in San Francisco vier Vorträge über das Kommen des Antichristen, wovon zwei bereits erfolgt sind. Auch andere prominente US-Journale griffen das Thema auf, so etwa Fortune Anfang September: „Peter Thiel gibt vier private ausverkaufte Vorträge in einem Club in San Francisco — über den Antichristen“ (3).

Nicht nur Peter Thiel beschäftigt sich mit solchen Themen, sondern im angelsächsischen Raum gibt es in den letzten Jahren eine immer breiter werdende Diskussion um christliche Grundwerte, Verlust der westlichen Identität und Endzeitstimmung. So erschien vor wenigen Tagen von dem bekannten britischen christlichen Autor Paul Kingsnorth das Buch „Against the Machine — On the Unmaking of Humanity“. Kingsnorth beschäftigt sich schon längere Zeit mit Fragen der Grundwerte westlicher Zivilisationen und mit dem Kommen des Antichristen (4). Laut Wall Street Journal haben sich aus der früher stark säkularen Tech-Szene des Silicon Valley in jüngerer Zeit einige sehr prominente Wirtschaftsführer zu ihren christlichen Grundwerten bekannt, so etwa der frühere Intel-Chef Pat Gelsinger, Gary Tan, der Leiter von Y Combinator, und Elon Musk, der kürzlich die Tugenden des Christentums öffentlich angepriesen habe (5).

Existenzängste und Endzeitstimmung

Hintergrund dieser aufflammenden Wertediskussion sind zunehmende Existenzängste sehr vieler Menschen. Peter Thiel spricht die Ängste vor einem Atomkrieg, Umweltkatastrophen, Bio-Waffen oder autonomen, durch künstliche Intelligenz (KI) gesteuerte Killer-Roboter an. Die Menschheit rase auf ihre letzte Schlacht — Armageddon — zu. Der Antichrist beteuert mit falschen Versprechungen, die Menschheit hiervor zu retten, um sie endgültig für sich zu gewinnen und ins Böse zu führen.

Thiel empfiehlt, um dem Antichristen Einhalt zu gebieten, die Technik voranzutreiben, insbesondere den Ausbau künstlicher Intelligenz, will weniger staatliche Regulierung und kritisiert Opposition gegen technischen Fortschritt (6).

In früheren Ausführungen meinte Thiel, der Antichrist käme heute in Gestalt von Greta Thunberg (7). Vor dem Gebäude in Kalifornien, in dem die Vorträge stattfanden, gab es Proteste von Menschen mit Teufelsmasken und -symbolen sowie Tafeln mit Inschriften wie: „Not today, Satan” und „Thiel gets rich, we get watched” (8).

In Deutschland findet bislang kaum eine solche durch Prominente oder Mächtige vorangetriebene öffentliche Diskussion über christliche Grundwerte oder gar über das Kommen des Antichristen statt. Dabei wäre das in unserem Lande ganz besonders angezeigt, vor allem mit Blick auf die beunruhigenden Entwicklungen hin zu einem möglichen Krieg gegen Russland.

Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft

Lenkt man den Blick auf menschheitsfeindliche Strömungen in unserer Wirtschaft, überhaupt in unserer Gesellschaft, die schon seit Längerem im Hintergrund laufen und in den letzten Jahrzehnten immer mächtiger werden, so kann man durchaus einige beunruhigende Tendenzen erkennen. Man könnte sich die Frage stellen: Wie würde denn zum Beispiel Mephistopheles, die bekannte Figur aus Goethes Faust, die Weichen in unserer Gesellschaft stellen (9)?

Da fragt man zuerst: Was sind denn die Ziele von Mephisto? Nun, das sagt er ja selbst ganz offen: „Ihr wisst, wie wir in tief verruchten Stunden Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht“ (10).

Im Grunde genommen will Mephisto den Menschen einfach so viel Schaden wie möglich zufügen, Unfrieden, Streit, Zwist, Unglück und so weiter in die Welt bringen, insbesondere die christlichen Grundwerte zerstören.

Besonders lästig sind Mephisto dabei Nächstenliebe, Selbstlosigkeit, Miteinander, die Ideale der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, innerlich starke Menschen, Treu und Glauben. Besonders verhasst sind Mephisto intakte, liebevolle Familien, die eine behütete Kindheit gewährleisten, für Geborgenheit, Zuversicht, Hoffnung in den Kindern sorgen und dadurch eine zentrale Grundlage für Anstand, Moral und Ethik legen.

Mephisto wird also seine Angriffe möglichst gegen alle diese Werte richten und gegen alle Institutionen und Einrichtungen, die solche Werte fördern. Er liebt vor allem Hass und Angst und wird versuchen, die Menschen in die klassischen, im Mittelalter so genannten sieben Todsünden zu treiben, alles in die Wege zu leiten, was diese Laster fördert: Hochmut — Stolz, Eitelkeit, Übermut, Ehrgeiz ; Geiz — Habgier, Habsucht; Wollust — Ausschweifung, Genusssucht, Begehren, Unkeuschheit; Zorn — Jähzorn, Wut, Rachsucht; Völlerei — Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Unmäßigkeit, Selbstsucht; Neid — Eifersucht, Missgunst; Faulheit — Feigheit, Ignoranz, Überdruss, Trägheit des Herzens. Jeder mag sich selbst die Frage vorlegen, welche Werte derzeit in unserer Gesellschaft durch Politik und Medien gefördert werden, die christlichen, familiären Grundwerte oder andere?

Wichtig für Mephisto ist, dass wir sein Treiben nicht durchschauen. Denn wer würde heute schon ganz offen für schlimme Pläne sein? Der Lügengeist muss normalerweise vorspiegeln, Gutes zu wollen, genau wie Peter Thiel es vom Antichristen beschreibt.

Bleiben wir beim Silicon Valley, den Medienriesen, den Internetkonzernen. Sie breiten ihre Fangarme über Kinder und Jugendliche in fast der gesamten Welt aus (11).

Umfang des Medienkonsums in Deutschland

In Deutschland waren Jugendliche 2021 fünf Stunden an einem typischen Wochentag — Schultag, Arbeitstag — am Bildschirm und knapp sieben Stunden an freien Tagen. Sieben Stunden. Das ist fast die Hälfte der wachen Tageszeit (12). Etwa 60 Prozent der Jugendlichen zeigen laut einer Studie im Auftrag der Bundesregierung „ein problematisches Internetnutzungsverhalten“. Das betrifft Mädchen beziehungsweise junge Frauen häufiger als Jungen oder junge Männer: Bei den Mädchen zeigen 68 Prozent, bei den Jungen 51 Prozent ein Internet-Suchtverhalten (13). Welche Auswirkungen hat diese übermäßige, zwanghafte Internetnutzung?

Mediennutzung und seelische Belastungen von Mädchen und jungen Frauen

Seit etwa 2015 zeichnet sich ein Trend zur Verschlechterung der geistig-seelischen Gesundheit junger Mädchen ab, die zu stark steigenden Selbstmordraten und Selbstverstümmelungen führt. Die Statistiken sprechen eine beeindruckende Sprache. Seit 2010 sind laut economist in 11 Ländern die Krankenhausaufenthalte von Teenagerinnen wegen Selbstverstümmelung um 143 Prozent gestiegen. Bei Jungen stiegen sie um 49 Prozent. Als Hauptgrund dafür wird die stark zunehmende Nutzung von Social Media, insbesondere Instagram, genannt. Smartphones sind demnach besonders gefährlich für Mädchen, weil Jungs sich mehr mit Videospielen beschäftigen und weniger mit „Depression erzeugenden Social Media“. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Social Media Trauer und Angst bei Teenagern erzeugen können (14).

Laut dem Guardian, der sich Anfang 2021 auf eine Studie des British Journal of Psychiatry bezieht, haben in Großbritannien sieben Prozent aller Kinder beziehungsweise Jugendlichen mit 17 Jahren einen Selbstmordversuch begangen, und fast jeder Vierte beging einen Akt der Selbstverstümmelung im letzten Jahr. Davon waren besonders Mädchen betroffen. Als ein Grund wird genannt, dass „Social Media ein toxisches Umfeld“ sein können (15).

Auswirkungen der Mediennutzung auf unsere Jungs

Jungen nutzen teilweise andere Arten von Social Media, andere Computerspiele, und sie reagieren meist auch anders als Mädchen auf Mediennutzung. Während Jungen die Aggression stärker nach außen leben, reagieren Mädchen oft mit Aggression nach innen, also Autoaggression. Kriegs- und Killer-Simulationen wie fortnite (16), World of Warcraft, Call of Duty (17) und so weiter werden mehrheitlich von Jungen und jungen Männern gespielt.

In seinem Film „Fahrenheit 9/11“ zeigte Michael Moore bereits 2004, wie im US-Militär junge Soldaten durch solche Spiele auf Kampfeinsätze im Krieg vorbereitet wurden. Diese Art von Kriegsspielen werden demnach von den militärischen Vorgesetzten gezielt eingesetzt, um die jungen Männer gefühllos und unempathisch zu machen, um ihnen Mitleid abzuerziehen, um gegenüberstehende Soldaten nicht mehr als Menschen, sondern als zu eliminierende Feinde anzusehen. Aus Soldaten- beziehungsweise Kriegssicht macht das Sinn:

Soldaten sollen in Kampfeinsätzen töten, dabei sind Mitleid und Empathie hinderlich. Soldaten sollen zu Kampfmaschinen erzogen werden. Skrupel, zu schießen, zu töten, sollen durch solche Spiele aberzogen werden. Kurz: Diese Spiele werden zur Förderung von Skrupellosigkeit, zur Entmenschlichung und zur Verrohung verwendet.

Die professionellen Ausbilder von Soldaten wissen ganz genau, was sie da tun und warum sie es tun.

Umso erstaunlicher ist es, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen in größtmöglichem Umfang und ohne nennenswerte öffentliche Diskussion diese Killer-„Spiele“ spielen lassen. Altersschranken werden oft umgangen. Häufig spielen bereits Zehnjährige diese Art von Killer- und Ego-Shooter-Spielen. Was geschieht da in den Seelen unserer Kinder? Schon erwachsene Männer, US-Soldaten, sprechen offenbar auf diese Art Verrohung an und werden unmenschlicher. Um wie viel mehr trifft das auf Minderjährige zu? Je früher unsere Kinder in diese Art Killerspiele eintauchen, je länger sie am Bildschirm töten, je weiter verbreitet diese Art Fun-Beschäftigung ist, desto mehr werden sie zur Unmenschlichkeit erzogen. Mephisto ist begeistert.

Ich befürchte, dass nach ein paar Kohorten von Kindern und Jugendlichen, die mit diesen entseelenden Spielen besonders früh angefixt wurden, schlimme gesellschaftliche Folgen auf uns zukommen. Aggression, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, aber auch Suchtverhalten und Krankheit werden meiner Einschätzung nach dadurch massiv gefördert. Unsere Kinder und Jugendlichen werden ja allein durch fortnite bereits heute zu Hunderten Millionen auf den Krieg aller gegen alle eingeschworen und vorbereitet.

Durch fortnite, das mit höchster Intelligenz, brillantem Design und genialem Marketing arbeitet, ist es erstmalig gelungen, Legionen von Minderjährigen so früh für gegenseitiges Umbringen zu begeistern wie nie zuvor.

Bei Millionen von jungen Männern werden dadurch meiner Meinung nach die Moralstandards gesenkt. Dann kann man auch im wirklichen Leben leichter Krieg führen. Sehr viele unserer jungen Männer werden tagtäglich mental darauf vorbereitet. Also aus politischer Sicht kann das durchaus Vorteile haben — und aus mephistophelischer Sicht ist das grandios.

Verminderung der Denkfähigkeit durch die Social Media

Das ständige schnelle Wischen bei TikTok (18), Instagram, Facebook und Co. sowie die ungeheuer kurzen Konzentrationsspannen sorgen darüber hinaus nach meiner Einschätzung als Hochschullehrer dafür, dass die Denkfähigkeit unserer Kinder und Jugendlichen dramatisch reduziert wird. Die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, geistige Fäden zusammenzuziehen und etwas in Ruhe und Gründlichkeit zu durchdenken, wird durch das ständige Schnell-Schnell der Social Media unterminiert. Sind wir schon heute nicht mehr in der Lage, einen Flughafen in Berlin zu bauen, Züge pünktlich zum Fahren zu bringen oder Bahnhöfe mit den vorhergesagten Kosten und im vorhergesagten Zeitraum zu bauen, siehe das Desaster Stuttgart 21 — wie wird das erst in einer Generation aussehen?

Kommt der Antichrist?

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Warum laufen solche Prozesse in unserer Gesellschaft ab? Was hat das mit dem Kommen des Antichristen zu tun? Nun, wenn unsere Kinder lange genug auf solche Weise geschwächt und präpariert werden, hätten kommende dunkle Mächte ein viel leichteres Spiel, als wenn unsere Kinder stark, behütet, selbstbewusst und in ethischen, christlichen Grundwerten verankert aufwachsen.

„Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte“ (Mephisto).

Warum wehren wir uns nicht? Der erste Schritt wäre, sich über die Prozesse, die im Hintergrund unserer Gesellschaft ablaufen, bewusst zu werden. Es wäre sicher kein Fehler, wenn wir die Diskussion um das Böse, die momentan in den angelsächsischem Ländern aufkommt, aufgreifen würden.