Der falsche Gegner

Nicht Technik ist das Problem, sondern Menschen, die sie für schädliche Zwecke erschaffen haben.

Ist der Hammer gut oder böse? Es kommt darauf an, wer ihn verwendet und zu welchem Zweck. Man kann mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlagen oder einen Menschen töten. Technik-Skepsis ist teilweise berechtigt; sie sollte sich aber nie gegen die „Werkzeuge“ richten, sondern immer gegen diejenigen, von denen sie erschaffen wurden. Und natürlich auch gegen die Formen ihres Missbrauchs — zum Beispiel den übermäßigen, suchtartigen „Genuss“ von Videospielen. In manchen Publikationen wird der Eindruck erweckt, Roboter und Algorithmen seien „Personen“, die aus eigenem Antrieb Destruktives bewirken würden. Sie können aber immer nur so schädlich sein wie die Absichten ihrer Programmierer.

Vor kurzem wurde hier das neue Buch „Zwischen Anarchismus und Populismus“ von Götz Eisenberg besprochen. Den ersten Band seiner „Trilogie zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus“ (1) habe ich mit Genuss und großem Gewinn gelesen. In der Besprechung des neuen Buchs (2) auf Rubikon finden sich aber Zitate, die mich zum Widerspruch herausgefordert haben.

So heißt es beispielsweise:

„Wir müssen die Reißleine ziehen, den Generalstreik ausrufen gegen die Überwältigung des Lebendigen durch das Tote, das Maschinell-Mechanische. ‚Künstliche Intelligenz‘, Roboter und Algorithmen rauben uns Arbeit, Erfahrung und die Kontrolle über unsere Daseinsbedingungen.“

oder

„Irgendwann könnte es zu spät sein, nämlich dann, wenn es der Maschinenwelt gelungen ist, die Menschen nach ihrem Bild und ihrer Logik zu formen. Unter dem Stichwort ‚Selbstoptimierung‘ sind viele Menschen bereits dabei, sich an das Maschinen-Ideal anzupassen und sich zu Maschinenmenschen zu entwickeln. (…) Wie Lemminge stürzen wir uns von der digitalen Klippe.“

In den Zitaten tritt Technik als aktiv handelnd auf. Roboter und Algorithmen rauben uns Arbeit, der Maschinenwelt kann es gelingen, die Menschen nach ihrem Bild und ihrer Logik zu formen, und so weiter. Nein, das kann sie nicht!

Immer waren es Menschen

Haben sich etwa die Dieselkraftwagen überlegt, wie man am besten die Abgasprüfstände hereinlegen kann? Nein, das waren die Manager und die willfährigen Ingenieure der Automobilindustrie.

Haben die Smartphones sich entschieden, dass sie keine Akkus mehr haben wollen, die man wechseln kann? Auch das waren die Manager, Marketing-Leute und Ingenieure.
Wollten die Laptops irgendwann einmal ein verklebtes Innenleben haben, damit man sie nicht mehr reparieren kann?

Haben die SUVs das Bedürfnis gehabt, überschwer zu werden und dennoch mit 240 Kilometern pro Stunde über die Autobahn zu rasen? Auch hier waren es die Manager, Verkaufsspezialisten und Ingenieure, die glaubten, den Wünschen kaufkräftiger Fahrer folgen zu müssen — Fahrer, an deren Verantwortungsgefühl oder sogar geistiger Gesundheit man zweifeln muss.

Will Software intelligenter werden als die Menschen und sich über sie erheben? Nein, das waren und sind Programmierer, die vorgegebenen oder eigenen Zielen folgen. Die Computer, auf denen die Programme laufen, können abgeschaltet werden, wenn Schaden erkennbar ist; allerdings kommt der Schaden einigen Menschen recht.

Ein abschließendes drastisches Beispiel: Hatten die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben den Wunsch, ihre Stärke zu erproben? Selbstverständlich nicht! Auch hier waren es Menschen, nämlich Militärs und Politiker.

Immer sind es Menschen, die technische Artefakte entwickeln, einsetzen oder verwenden und entsorgen. Schon bei der Entwicklung werden richtige oder falsche Entscheidungen getroffen. Der Mensch entscheidet schon im Entwurfsprozess, ob ein Verschleißteil wie der Akkumulator beim Smartphone leicht ersetzt werden kann oder nicht. Menschen entscheiden, ob technische Geräte leicht zu reparieren sind oder nicht. Menschen entscheiden, ob Straßen vorgehalten werden, auf denen man besinnungslos rasen kann, Politiker entscheiden, ob das zulässig ist oder nicht.

Hält man die Aussage für richtig, dass es der Maschinenwelt gelingen kann, „die Menschen nach ihrem Bild und ihrer Logik zu formen“, so gehen der Entstehung dieser Maschinenwelt immer Handlungen und Entscheidungen von Menschen voraus, die die Maschinenwelt so gestalten, dass die Menschenwelt sich nicht dagegen wehren kann; leider wirken allerdings viele Nutzer der Technik freudig an der Überwältigung mit.

Das Beispiel Fitness-Bänder

Dies war und ist beispielsweise auch bei der Entwicklung und Anwendung der in Mode gekommenen Fitness-Bänder der Fall. Keines der Bänder hat den Nutzer überfallen und sich an den Arm gekettet. Das waren die Nutzer selbst. Allerdings war die Entscheidung nicht ganz freiwillig. Sie passt zum Leitbild der Selbstoptimierung, zu der man aber auch nicht direkt gezwungen wird. Stärkerer Druck wird von der Versicherungswirtschaft erzeugt. Ein billigerer Tarif ist leider für viele Menschen unwiderstehlich. Dass damit das Solidaritätsprinzip ausgehebelt wird, wissen viele Menschen nicht oder es interessiert sie nicht.

Selbstverständlich kann Technik so entwickelt werden — sie entwickelt sich nicht selbst (!) —, dass es deutliche Folgen für die Menschen hat. Wenn beispielsweise der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Wien immer komfortabler wird, steigen Leute darauf um. Wird das Schienennetz der Deutschen Bahn dagegen immer weiter ausgedünnt, müssen die Menschen auf das Auto umsteigen oder Firmen ihre Transporte auf die Straße verlegen. Immer sind es Entscheidungen von Menschen, hier von Politikern und Managern der Deutschen Bahn, die dem vorausgehen.

Es könnte noch an vielen Beispielen gezeigt werden:

Nicht der Hammer entscheidet, ob mit ihm ein Nagel in die Wand geschlagen oder ein Mensch erschlagen wird.

Nicht der Hammer ist zu bekämpfen — ohne den Menschen, der ihn für gute oder schlechte Zwecke nutzt, ist er nichts.

Skrupellose Manager, Ingenieure und Politiker sind zu bekämpfen

Bekämpft werden muss aus meiner Sicht also nicht die Technik, bekämpft werden müssen Manager, Marketing-Leute und Ingenieure, die die technischen Geräte so entwerfen, bauen und einsetzen, dass sie den Menschen schaden können. Bekämpft werden müssen die Politiker, die eine menschenfeindliche und umweltzerstörende Nutzung zulassen. Bekämpft werden müssen leider auch die Nutzer, die die Geräte besinnungs- und verantwortungslos nutzen. Wenn es gelänge, die Haltung dieser Nutzer ändern, wäre der Kampf vielleicht schon weitgehend gewonnen.

Das wird aber nicht leicht werden. Viele technische Geräte sind inzwischen so entworfen und produziert worden, dass ihre Nutzung nicht mehr verantwortet werden kann. Für die Atomkraft oder die Verbrennung von Braunkohle beispielsweise haben das schon Viele erkannt. Wenn ein Teil dieser Leute allerdings mit ihrem SUV zur Demonstration gegen die Landschaftszerstörung beim Braunkohleabbau fährt, wird klar, dass noch viel zu tun ist. Auch die SUVs werden stillgelegt werden müssen und die in ihnen verbauten kostbaren Rohstoffe müssen wieder zurückgewonnen werden. Auch dies wird kein leichter Weg werden; auch weil die leichte Rückgewinnung der Rohstoffe nicht schon im Planungsprozess vorgesehen worden ist – von Menschen, nicht von der Technik.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Götz Eisenberg: „Zwischen Amok und Alzheimer — Trilogie zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus“ , Brandes & Apsel Verlag, 2016.
(2) https://www.rubikon.news/artikel/gegen-den-kaltestrom