Der geplante Atomkrieg

Whistleblower Daniel Ellsberg, bekannt aus „Die Verlegerin“, über Planungen für einen weltweiten atomaren Krieg.

Der legendäre Whistleblower hinter den Pentagon Papers im Gespräch mit John Mecklin, dem Herausgeber des Bulletin of Atomic Scientists, über sein neues Buch sowie die gegenwärtige Aufmerksamkeit, die seinem jahrzehntelangen Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt im Moment zuteil wird.

Mehr als 45 Jahre, nachdem ihn die Veröffentlichung der Pentagon Papers berühmt gemacht und er zugleich den Zorn von Präsident Richard Nixon und seiner Klempner auf sich gezogen hatte, ist Daniel Ellsberg nun aufs Neue in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Erfolgsfilm "The Post" arbeitet einen Teil der Pentagon-Papers-Geschichte auf und zeigt, wie Ellsbergs Entscheidung, die heuchlerische und streng geheime Indochina-Politik der USA offenzulegen, den Verlauf des Vietnamkriegs und der amerikanischen Geschichte maßgeblich beeinflusste. Und kurz vor der Premiere von "The Post" Anfang Januar erfreute sich außerdem Ellsbergs neuestes Buch "The Doomsday Machine: Confessions of a Nuclear War Planner" großer medialer Aufmerksamkeit.

In dem Buch berichtet Ellsbergs von seiner Karriere als Analyst bei der RAND Corporation in den sechziger Jahren, wo er an der Entwicklung der amerikanischen Atomkriegsstrategie beteiligt war. Diese Pläne sahen zwar im Vergleich zu früheren Entwürfen ein kontrollierteres Vorgehen vor, aber Ellsberg war schon bald klar, dass auch sie letztendlich nichts weiter waren als Blaupausen für die völlige Vernichtung unserer Zivilisation. Ellsberg resümiert: "Indem wir uns so gewissenhaft wie obsessiv an einem falschen Problem abarbeiteten und uns einer illusorischen Bedrohung stellten, hatten ich und meine Kollegen bei RAND nicht nur uns, sondern auch andere von den wahren Gefahren abgelenkt, die das Streben unserer Supermacht nach nuklearen Waffen in Wirklichkeit bedeutete - Gefahren, die alles nur noch schlimmer machen und die uns gleichzeitig um die Möglichkeit bringen würden, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen. Obwohl es nicht unsere Intention war (was natürlich keine Entschuldigung ist), machten wir unser Land und die Erde stattdessen zu einem unsicheren Ort."

Seit den Siebzigern hat sich Ellsberg unermüdlich für die Reduzierung der weltweiten Atomwaffenarsenale eingesetzt, wobei das große Ziel letztendlich ihre völlige Eliminierung ist. Anfang des Jahres unterhielten sich er und ich ausführlich darüber, wie der Öffentlichkeit die von den Kernwaffen ausgehenden Gefahren effektiver vermittelt werden könnten. Das folgende Interview ist eine überarbeitete Abschrift von Teilen unseres weitschweifigen Gesprächs.

John Mecklin: Zunächst einmal die Frage für die wenigen Leute, die Ihr Buch noch nicht gelesen haben: Warum haben Sie es ausgerechnet jetzt geschrieben?

Daniel Ellsberg: Ich entwarf den ersten Teil des Buchs bereits vor vierzig Jahren, gleich nach dem Ende des Vietnamkriegs. Mein Verleger teilte mir dann allerdings mit, dass er nur um die 1.400 Exemplare verkaufen könnte, was hieß, dass er es nicht veröffentlichen würde. Ich hatte es danach noch ein paarmal versucht. Aber es gab einfach kein Interesse an einer Publikation.

Ich verbrachte damals so ziemlich meine ganze Zeit damit, eine Antiatomwaffenbewegung auf die Beine zu stellen, ähnlich einer Antikriegsbewegung. Dieser Vollzeitjob bestand unter anderem in der Bestrebung, die bilateralen Atomwaffenprogramme einzufrieren. Bis heute bin ich 87 Mal bei Aktionen zivilen Ungehorsams verhaftet worden. Ich wurde dabei sehr oft interviewt und habe praktisch die ganze Zeit über das Problem gesprochen. Allerdings erzielten weder meine Verhaftungen noch meine Vorlesungen noch meine Interviews eine größere Aufmerksamkeit. Viele Leute dachten einfach, dass ich die ganze Zeit über von der Bildfläche verschwunden war. Dabei bekam ich sehr wohl reichlich Aufmerksamkeit, aber die war eben immer sehr begrenzt und erstreckte sich nie auf die nationale Ebene.

Dann begann ich an etwas zu arbeiten, was wir Manhattan Project II nannten. Die Idee war, dass wir zwischen 1992 und 1995, also dem fünfzigsten Jahrestag des Manhattan Projekts, etwas tun würden, um das Manhattan Projekt ungeschehen zu machen, oder wenigstens ein Programm zu entwickeln, mit denen wir diese Weltuntergangsmaschinen abwracken könnten. Unsere Ideen waren ziemlich gut, aber so gut wie nichts davon konnte umgesetzt werden. Das war im Jahr 1995.

Schließlich schrieb ich mein Buch "Secrets: A Memoir of Vietnam and the Pentagon Papers". Danach widmete ich mich dann irgendwann dem aktuellen Projekt. - Also um die ganze Sache vielleicht etwas abzukürzen, wenn ich mich recht erinnere, wurde das Manuskript von siebzehn anderen Verlegern abgelehnt, bis sich schließlich Bloomsbury mit viel Enthusiasmus darum kümmerten. So viel dazu.

John Mecklin: Das ist schon bemerkenswert. Man sollte doch glauben, dass jemand, der so berühmt ist wie Sie, keine Probleme hat, verlegt zu werden.

Daniel Ellsberg: Also, was das betrifft, ich hatte mal einen sehr renommierten Agenten, der zu mir meinte: "Dan, ich werde ganz bestimmt kein Nuklearbuch von dir vertreten. Basta."

John Mecklin: Woran, denken Sie, liegt das?

Daniel Ellsberg: Ein Buch mit dem Wort "nuklear" im Titel hatten sie eigentlich immer für Gift gehalten. Aber soweit ich das beurteilen kann, werde ich gerade sehr gut aufgenommen. Es wird auch viel über mich geschrieben. Besser könnte es wirklich nicht laufen. Ich denke, ich kann mich bei Trump dafür bedanken. Er fokussiert die Leute nämlich nicht nur auf die Möglichkeit eines Nuklearkriegs, sondern auch auf die unmittelbar drohende Gefahr eines Nuklearkriegs. Ich denke, mein Buch hat dadurch zufälligerweise eine ganze Menge Aufmerksamkeit erhalten.

John Mecklin: Das hat es in der Tat.

Daniel Ellsberg: Es ist ja nicht so, dass es vorher keine Bücher zu diesem Thema gegeben hätte. Es gab da ganz wunderbare Sachen, zum Beispiel Eric Schlossers "Command and Control", ein wirklich großartiges Buch. Das erhielt zwar auch eine ganze Menge Aufmerksamkeit, aber meiner Auffassung nach drehte die sich vor allem darum, wie sich die Wahrscheinlichkeit nuklearer Zwischenfälle reduzieren lässt - was natürlich in der Tat ein Problem ist. Aber das eigentliche Problem besteht nun mal im Abschuss unseres Gesamtarsenals, oder eben das der Russen, was das Ende von so ziemlich allem menschlichen Leben zur Folge hätte.

Im Falle eines großen Krieges, also eines Krieges, der unser gesamtes Angriffspotential involvieren würde - bis 1961 schrieb ich ja an den Angriffsplänen mit, und soweit ich weiß, sind die nach wie vor dieselben -, wäre es egal, welche Seite zuerst angreifen würde. Das Resultat wäre dasselbe. Und das wäre gar nicht mal so sehr wegen den Explosionen oder dem Fallout, sondern vielmehr wegen dem ganzen Rauch. Der würde nämlich den Planeten auf eine Weise verdunkeln, wie es nicht mal durch einen intensiven Fallout passieren würde.

John Mecklin: Die großen Medien schreiben ja niemals so richtig über die Auswirkungen eines großen Nuklearkriegs. Woran, denken Sie, liegt das?

Daniel Ellsberg: Das ist wirklich schwer zu sagen. Ich stimme Ihnen aber zu. Die Medien sind in dieser Hinsicht jedenfalls furchtbar nachlässig. Ich kann Ihnen da keine Antwort geben. Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, die Herausgeber zu fragen, was da eigentlich los ist.

Aber die Frage ist schon sehr interessant. Meine Spekulation wäre, dass unsere großen Medienanstalten immer schon - also zumindest bis vor kurzem - unsere nuklearen Waffenarsenale gutgeheißen haben. Dabei sind die doch einfach nur wahnwitzig und überhaupt nicht zu verantworten, also wenn man's kritisch betrachtet. Und trotzdem redet man über diese Waffen, als wären sie im Nuklearzeitalter eine vernünftige Antwort. Dabei ist nichts an ihnen vernünftig.

Außerdem gäbe es diese Arsenale weder in den USA noch sonst wo, wenn es nicht so verdammt profitabel für den militärisch-industriellen Komplex, die Raumfahrts- und Elektronikindustrie sowie die Waffenentwicklungslabore wäre, diese Waffen andauernd zu modernisieren, ihre Genauigkeit und ihre Abschusszeiten zu verbessern und so weiter und so fort. Der von Eisenhower angesprochene militärisch-industrielle Komplex ist nun einmal sehr, sehr mächtig. Und wir sprechen über einen völlig unberechtigten Einfluss. Das ist jetzt schon seit über einem halben Jahrhundert so.

John Mecklin: Aber die Nuklearstrategen in der US-Regierung wissen natürlich, dass ein paar hundert Atomsprengköpfe jeden von einem Angriff abhalten.

Daniel Ellsberg: Ja, das sagen sie. Aus der Perspektive unseres existierenden Arsenals ist das allerdings ein ziemlich radikales Statement. Denn wenn man darüber nachdenkt, also darüber, andere von einem Angriff abzuschrecken, sollte man genau nachdenken. Ich meine, hunderte Waffen? Wen wollen wir hier auf den Arm nehmen? Bräuchte man denn hunderte Waffen, um die USA von einem Angriff mit Atomraketen auf Nordkorea oder den Iran abzuschrecken - oder würde nicht vielleicht schon eine einzige ausreichen? Natürlich ist es denkbar, dass man diese eine nicht gleich beim ersten Mal eliminiert, aber wie wäre es dann mit zehn, oder dreißig? Aber gleich hunderte? Hunderte US-Städte als Vergeltung treffen – oder wenigstens ein paar Dutzend? Das ist doch absurd. Was ich damit sagen will und was man in der Vergangenheit nicht groß thematisiert hat, ist, dass diese Vorschläge, unsere Atomsprengköpfe auf die Stückzahl von zwei- bis dreihundert zu begrenzen - was die US-Regierung übrigens nicht mal annähernd unterstützt -, dass also diese Vorschläge immer noch sehr viel umfangreicher sind, als dass sie das erklärte Ziel, einen Angriff mit Atomsprengköpfen abzuwehren, rechtfertigen könnten.

Hunderte Atomwaffen, wenn sie nicht gerade fernab unserer Städte hochgehen, würden zu einem nuklearen Winter oder einer nuklearen Hungernot führen. Davon abgesehen würden Druckwelle, Fallout und Strahlung den gesamten Kontinent in die Knie zwingen.

Und wie sieht es dann mit tausenden Atomwaffen aus? Schauen wir doch mal in die Jahre 1949 und 50 zurück, als die Russen auf einmal die Atombombe hatten. Plötzlich sahen wir jeden ihrer Flugplätze als mögliche Ziele, und natürlich wurden auch die russischen Raketen Teil unserer Nuklearstrategie. Um eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten - und unsere frühen Raketen waren alles andere als verlässlich -, müsste man mindestens zwei Sprengköpfe für jedes feindliche Ziel einplanen. Und dann noch mehr Sprengköpfe, wenn man die harten Ziele in Betracht zieht.

Dabei gibt es allerdings ein kleines Problem, und zwar: Wie ließe sich verhindern, dass der Feind dann nicht noch immer dutzende oder sogar hunderte Sprengköpfe übrig hat, zum Beispiel solchen, die er von U-Booten aus abfeuert? Das lässt sich natürlich nicht verhindern, was heißt, dass diese Idee eines Erstschlags, der den Feind entwaffnet und den eigenen Schaden gering hält, an sich völliger Humbug ist. Seit die Russen ihre U-Boote mit Atomwaffen bestückt haben, ist das für die USA unmöglich. Und das ist, wie ich in meinem Buch schreibe, bereits seit Mitte der sechziger Jahre der Fall. Also seit einem halben Jahrhundert.

Ich würde sagen, dass alle unsere fantastischen Waffen - also unsere luftgestützten Trägersysteme und Interkontinentalraketen sowie unsere immer akkuratere U-Boot-Waffen - aus militärischer Sicht seit über einem halben Jahrhundert völlig anachronistisch sind. Sie können die sowjetischen, beziehungsweise russischen Interkontinentalraketen treffen - wunderbar! Aber würden die USA selber einen Angriff überleben? Nein. Wir würden nicht mal den Angriff nur eines kleinen Teils der von den russischen U-Booten abgefeuerten Raketen überleben.

Warum also das Ganze? Natürlich geht es um den Anteil, den das Militär am Staatshaushalt hat. Lockheed Martin, Boeing, Grumman, Northrop. Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, wie Leute wie es James Baker und so viele andere unserer Würdenträger ausdrücken. Ich selber dagegen würde sagen: Profit, Arbeitsplätze und Wahlkampfspenden. Auf die eine oder andere Weise steckt das alles sehr tief in unseren fünfzig Bundesstaaten, und es ist sehr schwer, davon loszukommen. Fast unmöglich. Aber ich selber will einfach nicht hören, dass es ganz unmöglich ist.

Dabei fällt mir ein: Chalmers Johnson, der drei Bücher über unser Imperium an Militärbasen geschrieben hatte, meinte zu mir kurz vor seinem Tod: "Wir können es unmöglich ändern. Es ist viel zu verbreitet. Es ist zu sehr in unseren politischen und ökonomischen Systemen verwurzelt."

Im Grunde ist das keine unvernünftige oder gar verrückte Antwort. Allerdings ist es auch so, dass im Moment keiner so richtig nachweisen kann, dass sich nicht doch alles ändern ließe. Dinge, von denen man annahm, sie würden auf immer und ewig so bleiben - man denke nur an die Berliner Mauer -, haben sich früher oder später verändert. Die UdSSR, der Warschauer Pakt, all das ist inzwischen Geschichte. Nelson Mandela kam durch eine Wahl und nicht durch eine gewalttätige Revolution an die Macht. Soweit ich weiß, hätte das in den Jahren zuvor niemand für möglich gehalten. Dinge, die unmöglich erscheinen, können also sehr wohl geschehen.

Ich würde aber auch sagen, dass es bislang keine signifikanten Veränderungen gegeben hat, dass wir von dieser wahnwitzigen Militärstrategie nach wie vor nicht abgerückt sind. Aber es geschieht wieder, ohne dass es die Allgemeinheit mitbekommen oder dass man darüber öffentlich debattieren würde. Bei den letzten Wahlen - insbesondere bei der letzten - stand die Möglichkeit eines nuklearen Winters niemals zur Debatte. Es gab einfach keinerlei signifikante Diskussion über den Haushalt für Rüstung oder Kernwaffen. Natürlich ist das keine Entschuldigung, aber es erklärt immerhin, weshalb das Ganze nicht in den Medien war, außer - dankenswerterweise - im Bulletin of Atomic Scientists. - Eure Arbeit ist schon wichtig, aber leider scheint es nicht auszureichen.

John Mecklin: Also, wenn ich so auf die letzten anderthalb Jahre zurückblicke, fällt mir schon auf, dass das öffentliche Interesse in Bezug auf dieses Thema gestiegen ist. Jedes Mal, wenn der Präsident so was wie "Fire and fury" vom Stapel lässt, gehen unsere Klickzahlen durch die Decke. Wir haben dann zehnmal so viele Leser wie sonst.

Daniel Ellsberg: Oh, wirklich? Das ist ja interessant. Aber es tut mir leid, wenn ich das so sage, doch ich wünschte, es wären hundert- oder tausendmal so viele.

John Mecklin: Es sind schon eine ganze Menge Leute, aber die Frage ist natürlich, wie diese Leute politisch aktiv werden, also so, dass es sich letztendlich auf unsere Kernwaffenpolitik auswirkt.

Daniel Ellsberg: Wenn ich das nur wüsste. Die Aktionen, an denen ich mich beteiligte, wurden jedenfalls nicht gerade hinreichend umgesetzt. Unser Versuch, einen Atomwaffen-Stopp durchzusetzen, war viel zu moderat, viel zu bescheiden, denn wir wollten ja nicht mehr, als dass keine neuen Waffen produziert werden würden. Im Jahr 1984 machte ich dann jedoch eine unschöne Entdeckung. Damals hatten wir so ungefähr 87 Prozent Unterstützung für einen Atomwaffen-Stopp.

Also erstmal denke ich nicht, dass man so leicht 87 Prozent der Bevölkerung für seine Sache gewinnen kann - auch heutzutage nicht. Das war also schon ziemlich grandios. Aber letztendlich stimmten sie dann trotzdem 1984 für Reagan. Wie bitte?! Ich rechnete ein bisschen herum und kam zu dem Schluss, dass ziemlich viele Leute, die für den Atomwaffen-Stopp waren, trotzdem für Reagan gestimmt hatten. Vielleicht sogar mehr als die Hälfte. Was ist hier bloß los?

Aus dem Wahlergebnis von 1984 wird für mich offenbar, und das stürzte mich in eine ziemlich tiefe Depression, dass viele Leute, die für den Atomwaffen-Stopp waren, dennoch für Reagan gestimmt hatten, ganz einfach weil sie andere Prioritäten hatten. Also Arbeitsplätze, ökonomische Sorgen oder was auch immer. Und natürlich Patriotismus, Militarismus. Das war echt deprimierend. Wie sich zeigte, war die Depression übrigens auch nicht ganz unrealistisch.

Ich habe also keine Antwort auf Ihre Frage. Ich weiß nur, dass eigentlich unmögliche Dinge passiert sind und ich denke, darauf sollten wir einfach hoffen.

John Mecklin: Ich möchte Ihnen eine letzte Frage stellen.

Daniel Ellsberg: Natürlich.

John Mecklin: Das ist rein aus Neugier. Völlig unerwartet scheint Amerika ja gerade im Daniel-Ellsberg-Fieber zu stecken. "The Post" erscheint, dann ihr Buch, außerdem läuft da eine ganze Menge auf PBS.

Daniel Ellsberg: Das waren alles Zufälle.

John Mecklin: Der Film und das Buch kamen also wirklich rein zufällig zur selben Zeit raus?

Daniel Ellsberg: Okay, nicht ganz. Also größtenteils schon, aber mein Verleger übte doch etwas Druck auf mich aus, als er hörte, dass der Film gegen Jahresende für den Oscar nominiert werden sollte. Sie drängten mich, meine Deadline vorzuverlegen. Ich hatte sie ja immer wieder nach hinten verschoben, jahrelang, und nun sollte sie von Frühling auf Anfang Dezember vorverlegt werden, so dass das Buch zur selben Zeit wie der Film auf den Markt käme.

In meinem Alter setzte mich das natürlich gehörig unter Druck. Ich schob eine ganze Menge Nachtschichten, was ich ja eigentlich gewohnt bin, aber mit 86 Jahren fällt mir das nicht mehr so leicht. Um also Ihre Frage zu beantworten, es war wirklich hart für mich, sie wollten das Buch ja ein paar Monate früher auf den Markt bringen, lieber früher als später. Sie wollten davon profitieren, dass es zur selben Zeit wie "The Post" rauskommt, auch wenn sich der Film gar nicht mit diesem Thema befasst.

John Mecklin: Okay. Dann also die wirklich letzte Frage: Ich denke, viel mehr Amerikaner sollten verstehen, was unsere Nuklearstrategie eigentlich bedeutet.

Daniel Ellsberg: Oh ja, das sollten sie. Was ich aus einem großartigen Buch wie dem von Schlosser lerne, oder auch schon vor Jahrzehnten aus Fred Kaplans Buch "Wizards of Armageddon", genauso Janne Nolans exzellentem "Guardians of the Arsenal", oder auch den Arbeiten von Scott Sagan sowie Hans Kristensen vom Bund amerikanischer Wissenschaftler - also was mir an diesen Werken auffällt, ist, dass es Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Menschen gibt, die sich mit den Nuklearplänen befassen und dann genauso reagieren wie ich im Jahre 1961. Nämlich: "Herr im Himmel, das können wir aber doch wirklich besser. Wir brauchen keinen Plan, mit dem wir jede Stadt in Russland und China auslöschen können", was damals der Fall war und übrigens noch eine ganze Weile so blieb. Ich hatte immer das Gefühl, dass es nicht gerade im Interesse der Menschheit sein kann, die Kommandozentrale einer großen Nuklearmacht zu vernichten, wenn das der Welt dutzende oder sogar hunderte Atomwaffen unter dezentralisierter Kontrolle beschert. Denn wie könnte unter solchen Bedingungen ein Atomkrieg jemals enden?

Also ja, ich denke, dass die Leute, die sich mit unserer Nuklearstrategie vertraut gemacht haben, dieselben Planänderungen wie ich vornehmen wollen. Natürlich hatte das keinerlei Auswirkungen auf die eigentlichen Kriegesaussichten. Die wird es nämlich niemals gelingen, die Luftwaffe, oder heutzutage wahrscheinlich viel eher die Seestreitkräfte, davon abzuhalten, Städte als militärische Ziele anzuvisieren. Die Städte werden also auf alle Fälle brennen. Die werden doch nicht ernsthaft daran denken, die Kommandozentrale in Moskau zu verschonen. Übrigens hat sich gezeigt, dass die Russen in dieser Hinsicht immer schon denselben Standpunkt wie unser Militär vertreten haben.

Ganz egal also, was Strategen wie ich oder jeder andere nach mir behauptet hat, unsere Ziele waren schon immer viel zu bescheiden angesetzt, als dass wir das, was letztendlich eine unvermeidliche und erbarmungslose Weltuntergangsmaschine ist, jemals hätten verbessern können. Wir können nicht mal beeinflussen, was dieses Ding tun wird, wenn es einmal in Bewegung gesetzt ist, ganz zu schweigen davon, ob es irgendeinen Unterschied macht, dass unsere Vorschläge umgesetzt werden oder nicht. Ich habe dazu gerade erst in Schlossers Buch gelesen. Das ist wirklich zu mir durchgedrungen. Alle diese Leute versuchen sich an denselben Anpassungen wie ich in den Jahren 1961 und 62.

Ich arbeitete damals an Plänen für etwas mit - und das gilt für meine eigenen Pläne genauso -, das man nur euphemistisch als Massenmord bezeichnen kann. Dieses Wort macht nämlich nicht so richtig deutlich, dass wir nicht nur über ein Massaker im historischen Ausmaß sprechen, sondern vielmehr über die Auslöschung von zehn-, hunderttausenden, ja, Millionen von Menschen. Milliarden Menschen! Das ist beileibe keine Übertreibung, denn auch abgesehen von dem ganzen Rauch, der den nuklearen Winter verursacht, sind es in der Tat Milliarden Menschen. Ich finde, das Wort Massenmord bringt das Ganze nicht so richtig zum Ausdruck. Es gibt einfach keine menschliche Sprache, die das so richtig transportieren kann.

Wir haben also weder die passende Sprache noch die passenden Konzepte. Sie hatten ja vorhin gefragt, weswegen weder die Medien noch die Öffentlichkeit Verständnis dafür entwickeln. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Menschen emotional oder auch kognitiv in der Lage wären zu verstehen, was unsere Nuklearstrategie eigentlich beinhaltet, wenn man sie in Aktion setzen würde.

Ich denke, ein Problem an der ganzen Sache ist, dass es kaum eine tiefgründige Analyse gibt, die aufzeigt, wie verrückt und amoralisch diese ganzen Pläne eigentlich sind. Und genau das wollte ich in meinem Buch aufzeigen.

Ich habe übrigens gesehen, dass es in Ihrer aktuellen Ausgabe [des Bulletins of Atomic Scientists - Red.] einen Artikel über die Zerstörung der Landraketen gibt, was ja etwas ist, was schon seit einem halben Jahrhundert hätte geschehen sollen und was immer noch nicht passiert ist. Und das, obwohl sich Bill Perry, der frühere Verteidigungsminister, sehr dafür stark gemacht hatte, genauso wie General James Cartwright, der frühere Leiter des Strategischen Kommandos der Vereinigten Staaten. Und ich glaube, General Lee Butler, der diese Position gleichfalls innehatte und außerdem der letzte Chef des Strategischen Luftkommandos war, sprach sich ebenfalls für die Zerstörung der Interkontinentalraketen aus.

Was kann dann so jemand wie ich von sich geben, das auch nur annähernd das Gewicht dessen hätte, was ein ehemaliger Verteidigungsminister oder auch ein früherer Leiter des Strategischen Kommandos fordern? Und auch die hatten ja keinerlei Erfolg, ganz so, als hätten sie nie einen Ton von sich gegeben. Das gibt einem nicht gerade Grund zur Hoffnung. Letztendlich versuche ich mit meinem Buch nur das zu tun, was ich tun kann.


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Daniel "Dan" Ellsberg, Jahrgang 1931, ist ein US-amerikanischer Ökonom, Friedensaktivist und Whistleblower, der 1971 durch seine Veröffentlichung der streng geheimen Pentagon Papers weltberühmt wurde. Diese Dokumente belegen, dass die US-Regierung die eigene Bevölkerung jahrelang über wesentliche Aspekte des Vietnamkriegs getäuscht hatte. Bereits zuvor hatte Ellsberg im Rahmen seiner Mitarbeit bei der RAND Corporation an den US-Nuklearplänen mitgearbeitet und erkannt, dass ihre Umsetzung die Vernichtung der gesamten Menschheit zur Folge hätte. Seither gilt er als einer der herausragenden Kämpfer für eine atomwaffenfreie Welt.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Daniel Ellsberg on dismantling the doomsday machine". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.