Der große Umbau

Die aktuellen politischen Entwicklungen lassen erahnen, wie eine dystopische Gesellschaft schon in wenigen Jahren aussehen könnte, wenn die Aushöhlung von Rechtsstaat und Demokratie weiter voranschreitet.

Nehmen wir einen ungeschönten Blick auf die bundesrepublikanische Realität: Die Bundesregierung und die Altparteien haben abgewirtschaftet, ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich von ihnen verraten, wenn nicht gar bedroht; weit und breit ist wenig positive Perspektive erkennbar. Niederschmetternd für die Machtelite sind die Umfrageergebnisse: Das Vertrauen in Parteien und Presse scheint dahin, die Zustimmung zur real existierenden Demokratie sinkt; stattdessen steigt die Angst vor Krieg, Armut und Verrohung. Aber mit einer resignierten, der heuchlerischen Politik überdrüssigen Bevölkerung lässt sich keine Wahl, geschweige denn ein Krieg gewinnen.

Versetzen wir uns in dieser desaströsen Lage in die Köpfe derjenigen, die diesen Zustand seit Jahrzehnten herbeigeführt haben und derzeit vertreten. Sie wollen ihre Macht erhalten, ohne den Bedürfnissen der breiten Mehrheit nach Frieden und sozialer Sicherheit entgegenzukommen. Sie versuchen also mit populistischen Parolen und etwas Küchenpsychologie zu gewinnen, was ihre Politik zerstört: Vertrauen und Zuversicht.

Vizekanzler Lars Klingbeil befindet: „Unser Hauptgegner ist die Laune“ in der Gesellschaft; Bundeskanzler Friedrich Merz hält eine „Ruck-Rede“. Gerade Merz, der Ex-BlackRock-Stratege, der dann am ehrlichsten wirkt, wenn er die Drecksarbeit rühmt, die uns Israel abnimmt, mahnt zu Aufbruch, zu Zuversicht und Tatkraft!

Er wirkt dabei, als wollte er den Politsatiriker Max Uthoff („Die Anstalt“) übertreffen, der so treffend „den Merz macht“. Sogar die konservative, staatstragende Presse höhnt: „Der Kanzler versucht sich bei Staatsakt an einer ‚Ruck-Rede´.“

Was also tun, um dem Entzug des Vertrauens Einhalt zu gebieten und das Regieren überhaupt möglich zu machen?

Die täglichen Schreckensmeldungen von Teuerung, Wohnungsnot, marodem Gesundheitssystem, wachsender Arbeitslosigkeit, den unumgänglichen Sparorgien der Kommunen, bezüglich Schwimmbäder, Kultur, Jugendarbeit, und die Hunderte Milliarden für Aufrüstung, das heißt Schulden für kommende Generationen! — ja, sie verderben die Laune. Will und kann man die Grundlagen der Politik nicht ändern — dann würde man ja die Unterstützung der wirtschaftlich Mächtigen und Superreichen verlieren —, bleibt nur, den Sinn der Kommunikation zu pervertieren und die Bedeutung der Sprache mithilfe der staatstragenden Medien zu verkehren.

Würde die Bundesregierung ein Gremium aus Vertretern der Altparteien, der Geheimdienste, der Großkonzerne und des Militärs beauftragen, ein Strategiepapier zu erarbeiten, wie man die Bevölkerung zur Akzeptanz einer Politik bringt, die ihren Interessen diametral entgegenläuft, könnte das Ergebnis etwa so aussehen:

„I. Zur Lage

Seit Monaten beobachten wir eine hochbrisante hybride Bedrohung unseres Systems. Die Maßnahmen zur umfassenden Kriegsertüchtigung werden allenfalls passiv erduldet. Pläne für eine umfassende Reform unserer Wirtschaft zugunsten höherer Erträge und Gewinne werden von breiten Schichten als ungerecht bezeichnet und — wie die Geheimdienste berichten — als Ergebnis der angeblich bestehenden Klassengesellschaft denunziert. Die Bemühungen der Presse und der öffentlich-rechtlichen Sender um Bildung einer formierten Gesellschaft scheitern, da die Medien jede Glaubwürdigkeit verloren haben.

Bislang konnte ein Massenaufruhr dank zuverlässig staatstreuer Berichterstattung der Medien und durch rasches Reagieren der Sicherheitskräfte vermieden werden. Je mehr wir aber gezwungen sind, repressive Maßnahmen zu ergreifen, desto mehr richtet sich unser Narrativ vom „Kampf der liberalen Demokratien gegen autoritäre Regime“ gegen uns selbst. Um die Ausrufung des Spannungsfalls oder eines nationalen Notstandes zumindest hinauszuschieben, halten wir eine Modernisierung unseres Staatswesens im Sinne einer Anpassung an bestehende Realitäten für unabdingbar. Da sich die systemstabilisierenden Parteien im Bundestag auf eine große Mehrheit stützen können, dürfte ein Great Reset des Grundgesetzes unseren Zielen eine nachholende Legitimität verschaffen.

II. Erforderliche Änderungen

  1. Die Würde des Menschen genießen alle Deutschen, die zum Wirtschaftswachstum aktiv beitragen und von den Sicherheitsdiensten nicht als Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erkannt werden.
  2. Zur Erhaltung der Demokratie sind Grundrechte zu beschränken, insbesondere das Grundrecht der freien Information und Meinungsäußerung, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Gleichheit vor dem Gesetz und der Versammlung, ferner das Briefgeheimnis. Das Asylrecht ist bereits faktisch abgeschafft und die Möglichkeit der Vergesellschaftung hat noch nie gegolten.
  3. Das Friedensgebot des Art. 26 GG ist ersatzlos zu streichen, da ohnehin schon lang außer Kraft. Um den Frieden zu erhalten, muss der Krieg mit allen erforderlichen Mitteln vorbereitet werden. Widerspruch ist unter Strafe zu stellen.
  4. Der Art. 20 GG (Sozialer Rechtsstaat) findet seine natürlichen Grenzen in den selbstregulierenden Gesetzen einer freien Marktwirtschaft. Näheres regeln die Wirtschaftsweisen. Wer die Begriffe Klasse und Daseinsvorsorge öffentlich äußert, wird als Volksverhetzer polizeilich und juristisch verfolgt.
  5. UN-Charta, Völkerrecht und Menschenrechte werden durch regelbasierte Ordnung und Staatsräson ersetzt. Begeht ein enger Verbündeter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord oder führt er einen Vernichtungskrieg, müssen Kritik und Widerstand mithilfe der Medien und konsequenter Repression unterdrückt werden. Empathie ist zu unterbinden. Dem Generalbundesanwalt wird untersagt, wegen solcher Verbrechen zu ermitteln.
  6. Die gewählte Regierung ist nicht dem Willen und Wohle der Bevölkerungsmehrheit verpflichtet, sondern den Interessen der freien Wirtschaft und ihrer Leistungsträger.
  7. Die freie Presse hat die Bemühungen der gewählten Bundesregierung nach Kräften zu unterstützen.
  8. Die Wahrung einer so definierten nationalen Sicherheit obliegt den Geheimdiensten, die eng mit der Polizei und den Streitkräften auf der Basis umfangreicher Kompetenzen zusammenarbeiten.

Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Pläne bei den üblichen Verdächtigen Kritik und Widerstand auslösen werden. Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit Schuldenbremse, Sondervermögen für die Bundeswehr, Asylrecht, Versammlungsfreiheit et cetera dürften größere Widerstände durch kluge rasche Repression aber beherrschbar bleiben. Umso mehr, als diese Vorschläge ohnehin nur die bestehende Realität nachvollziehen.

Die Erfüllung der Aufgabe einer freien Presse bemisst sich an ihrem Beitrag zur von der Regierung zu definierenden Nationalen Sicherheit. Dafür hat die NATO die Richtung vorgegeben, vergleiche etwa, Ex-NATO-Sprecher Jamie Shea bei einem Vortrag vor Vertretern aus Wirtschaft und Verwaltung: „Selling a Conflict — the Ultimate PR Challenge.“ Man müsse „erklären, wer der ‚good guy´ und wer der ‚bad guy´“ sei. Und: „If you don't have a story, make a story.“

Generell gilt es, von unseren engsten Verbündeten in den USA und in Israel zu lernen: Wir respektieren Grundrechte und handeln nach dem Gesetz, wo es im Sinne unserer Interessen möglich ist; wo nicht, ist unser Handeln Gesetz. Eine notwendige Kriegsmentalität wird nicht durch sklavische Förderung von Gesetz, Wahrheit und Gerechtigkeit erzeugt, sondern durch geschickte Konfusion, seelische Destabilisierung und wenn erforderlich Repression und Gewalt. Wir erschaffen eine neue Realität.“

Achtung: Das ist Fiktion! — oder? „The Great Reset“ muss nach dem Willen des Weltwirtschaftsforums die Weltwirtschaft und die Weltgesellschaft umbauen. Laut der Schweizer Handelszeitung soll bis 2030 eine neue Welt geschaffen werden, „in der die Eliten eine streng überwachte Bevölkerung behüten wie Hirten ihre Schafe“. Die Realität bedarf keiner bösartigen Satire. Die Bundesregierung setzt nicht den Willen des Volkes um, sondern sorgt für Zustimmung oder zumindest Duldung der Politik im Interesse der Machtelite. Kommt die Analyse der gesellschaftlichen Realität zu dem Ergebnis, es herrsche eine „Klassengesellschaft“, wird dies vom Verfassungsschutz verfolgt, unbesehen des Wahrheitsgehaltes.

Merz sagt: „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse.“ Nein, Herr Merz. Dieses System und seine Politiker leben über unsere Verhältnisse.


Dieser Artikel erschien zuerst auf Ossietzky.net