Der Intensivbettenschwund

Die Politik fokussiert sich darauf, dass die Zahl der Coronakranken zunimmt und unterschlägt dabei, dass massiv geeignete Betten abgebaut wurden.

Die Zahl verfügbarer Intensivbetten ging seit Oktober um mehr als 10 Prozent zurück. Das zeigen die offiziellen Statistiken. In der Folge sank das monatelang recht konstante Niveau freier Betten inzwischen sogar fast um die Hälfte. Diese Entwicklung muss angesichts der anstehenden Grippesaison erschrecken, zumindest sehr irritieren. Und sie wirft Fragen auf. Wie war es früher, vor der Krise? Und findet da ein realer Bettenabbau statt, oder werden „nur“ die erfassten Zahlen kleingerechnet? Der Autor setzt sich mit den aktuellen Daten und anderen brisanten Fakten, betreffend die Lage der Intensivmedizin, auseinander.

Mein hier kürzlich erschienener Text „Der Corona-Knick“ stammt vom 17. November, die Kombinationsgrafik am Ende wurde eine Woche später kurz vor Veröffentlichung noch einmal aktualisiert. Inzwischen verstrichen zwei weitere Wochen, aber ein Ende des Bettenschwunds ist einfach nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil sank die Bettenanzahl stetig weiter! Sie lag heute, am 8. Dezember, inklusive Notfallreserve zum ersten Mal unter 39.000.

Die Zahl freier Betten fiel angesichts der im Herbst sanft um inzwischen fast 1.000 angestiegenen Patientenzahl sogar noch dramatischer, nämlich mit 4.957 zum ersten Mal unter die Marke von 5.000! Der Anteil freier Betten sank entsprechend ebenso stetig, fiel schnell unter 20 Prozent und lag im Mittel der letzten Woche bei nur noch 19 Prozent, während es von August bis weit in den Oktober sehr konstant 29 bis 30 Prozent waren.

Bild

Umgekehrt stieg die Auslastung im Wochenmittel auf rund 81 Prozent, damit höher als das Jahresmittel von 2010 und weit über das von 77 Prozent im Grippejahr 2018. Natürlich ist zu beachten, dass Mittelwerte im Jahresverlauf immer auch übertroffen werden. Und der Mittelwert 2020 liegt seit Beginn der jetzigen Erfassungsmethode am 4. August bisher erst bei 73 Prozent.

Andererseits ist dieser niedrige Grad der von März bis Ende September geltenden Förderung freier Betten durch Bundesmittel geschuldet und daher kaum vergleichbar. Leider fehlen mir die Verläufe der genannten Vergleichsjahre, doch wäre nur plausibel, wenn auch hierzulande in der Grippesaison die Auslastung der Krankenhausbetten deutlich über die im Sommer stiege und durchaus ab und an zu regionalen Engpässen führte.

Keine Leerstandsprämie mehr

Es bleibt also spannend zu beobachten, welchen Nutzungsgrad die Klinikbetreiber über den Winter 2020 anstreben und erreichen werden. Ob sich Jens Spahn angesichts der im März ausgerufenen und ungebrochen geltenden „Epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ noch einmal zum Eingreifen bemüßigt fühlen wird, sprich: der Bezahlung freier Betten? Denn im Sommer hatte sich Asklepios-Chef Kai Hankeln in der FAZ klar dagegen ausgesprochen, da diese „Leerstandsprämie“ seine Krankenhauskette im Gegensatz zu kleineren Häusern „viel Geld gekostet“ habe.

Derzeit sieht es danach aus, als folge man strikt Hankelns bereits im Juli ausgerufener Devise: „Wir brauchen keinen staatlich verordneten Leerstand mehr“. Und dies allen steigenden „Corona-Zahlen“ und den überbordenden Christian Drostens („Deutliche und letzte Warnung“) und Melanie Brinkmanns („Weihnachten birgt große Gefahren“) zum Trotz.

Viel mehr als diese Rufe beeindruckt der „dringende Vorschlag“ der Initiative Qualitätsmedizin nach einer „zeitnahen, auf den Abrechnungsdaten basierenden Überwachung der Krankenhausfälle inklusive aller Intensiv- und Beatmungsfälle“ um endlich „gemeinsam mit den Zahlen zu den Infektionsraten eine umfassende Grundlage zur Steuerung der Pandemie“ zu erhalten.

Es fehlt Personal

Und mich berührt der durch Corona scheinbar in Vergessenheit geratene, aber schon seit Jahren bestehende Pflegenotstand. Denn er ist selbstredend auch im Intensivbereich als Personalmangel präsent!

Als am 29. Oktober DIVI-Präsident Uwe Jannsens mit drei leitenden Ärzten aus München, Hamburg und Berlin diesen Umstand in einer Bundespressekonferenz thematisierte und auf 3.500 bis 4.000 Fachkräfte bezifferte, hatte dies schon im Vorfeld breiten Widerhall gefunden, meist aber nur als Agenturmeldung, wie zum Beispiel in der Zeit. Anlass der Pressekonferenz waren die Ergebnisse von Stichproben, mit denen man Auffälligkeiten nachgegangen war und zu Tage gefördert hatte, dass für manche der gemeldeten Betten schlicht das Personal fehle.

Nach der Veranstaltung dominierten wieder die Agenturmeldungen, so in der SZ. Artikel eigener Autoren gab es aber auch, zum Beispiel Anfang November in der Welt und im Ärzteblatt. Der regelrechte Knick in der registrierten Bettenzahl hatte da zwar schon eingesetzt, aber längst nicht das Ausmaß von heute. Er wurde nicht zum Thema, obwohl er in den täglichen Berichten des Intensivregisters ganz ähnlich meiner obigen Grafik grafisch deutlich sichtbar ist:

Bild

Am Erschreckendsten bei alledem ist, dass der ohnehin bestehende Personalmangel sich durch die „Maßnahmen“ in der Coronakrise und deren Folgen noch verschärft, vor allem durch Quarantänen und privat zu kompensierende Ausfälle bei der Kinderbetreuung. Doch allein Fachartikel wie der im Ärzteblatt wiesen auf diesen Umstand hin. Damit verschärfen Maßnahmen zur Krisenbewältigung die Krise selbst: Eine böse Art Teufelskreis, der wie geschaffen scheint zur Aufrechterhaltung und Verschärfung des Krisenmodus und damit zum Wohle seiner mächtigen Profiteure.


Quellen und Anmerkungen:

  • Grafische und tabellarische Zusatzauswertung: „Divi-Intensivregister Zeitreihen“, Winfried Schneider, 8. Dezember 2020, PDF-Datei
  • Grafik: „DIVI-Intensivregister Zeitreihen“ (qualitativ höherwertig als im Artikel), Winfried Schneider, 8. Dezember 2020, als PNG-Datei
  • Erst jetzt entdeckt: Auch Boris Reitschuster war, inspiriert durch eine Zuschrift, die Entwicklung im Intensivregister aufgefallen; der lesenswerte, treffsichere Artikel in seinem Blog reitschuster.de datiert vom 29. November 2020: Der mysteriöse Bettenschwund