Der Krieg um Worte

Das Kriminalisieren von herrschaftskritischen Gedanken ist kein neues Phänomen, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Es herrscht Krieg. Ein erbitterter Krieg um Worte entzweit die Gesellschaft. Menschen werden ausgesondert, verhöhnt und aus ihrer Stellung entfernt, weil sie die falschen Worte benutzen. Inzwischen gibt es ein Heer von Korrektoren, die ständig das Netz durchsuchen nach Gedankenverbrechern. Woran sind die sogenannten Hassredner zu erkennen? Sie benutzen die falschen Worte! Daraus wird eine gemeingefährliche Gesinnung abgeleitet. Schuldig ist, wer Texte gebrandmarkter Autoren liest oder sich außerhalb der autorisierten Medien informiert. Wer die so gewonnenen Fakten und Meinungen weiterverbreitet, wer durch ein schlichtes „Gefällt mir“ Zustimmung signalisiert für ein umstrittenes Bild oder einen Text, muss dann mit einem Kesseltreiben rechnen. Es darf nicht passieren, dass eine als Außenseitermeinung dargestellte Ansicht mehrheitliche Zustimmung erfährt.

Viele wurden davon überrascht, dass allgemein anerkannte, in ihrer Jugend sogar offiziell gelehrte Inhalte inzwischen als höchst abscheulich zu verwerfen sind.

„Fake News“, früher schlicht Falschmeldungen genannt, müssen nicht faktisch falsch sein; es genügt, wenn sie der zurzeit geltenden offiziellen Meinung widersprechen. Viel Kraft und Geld wird aufgewendet, um die Entstehung und Verbreitung von Fake News zu verhindern. Das ist nicht wirklich neu, nur die Methoden und Möglichkeiten haben in der digitalen Welt eine ganz andere Dimension bekommen.

Im Herbst 1778 sah sich die Regierung des Herzogs von Sachsen-Coburg-Saalfeld mit der Verbreitung regierungskritischer Aussagen konfrontiert und reagierte, wie Fürsten das damals so taten, mit einem Verbot. Hier der Text im Original, wie er sich in der Landesbibliothek Coburg erhalten hat:

„Bey denen im deutschen Reich sich wieder ereigneten neuen bedenklichen Zeitläuften, zu befürchten stehet, daß sich verwegene Leute finden möchten, die darüber allerhand unziemliche Urtheile, und unbedachtsame Reden von sich hören, auch wol unwahre Zeitungen und Nachrichten erdichten und solche auszubreiten, sich beygehen lassen, und dadurch vielen Unfug anrichten dürften; solchen verwegenen Unternehmen und boshafter Ungebühr aber, in Zeiten vorzubeugen und zu steuren die Nothwendigkeit erfordert; als wird allen und jeden Unterthanen, weß Standes sie seyen, besonders aber dem gemeinen Mann, auf das ernstlichste hiermit geboten, nicht nur unter sich, sondern auch hauptsächlich in denen Wirthshäusern, Bierschenken, und anderen Zusammenkünften, in der Stadt und auf dem Lande, sich alles unfertigen und verwegenen Raisonnirens, Urtheilens und boshafter Verbreitung falscher Zeitungen und Nachrichten, bey empfindlicher Geld= und nach Befinden Leibesstrafe, sich gäntzlich zu enthalten“ (1).

Das Dekret stellt also fest, dass unwahre Nachrichten, hier „falsche Zeitungen“ genannt, verbreitet wurden. Das Wort „Zeitungen“ wird dabei in der alten Bedeutung von „Neuigkeit“ verwendet. Diese doppelte Bedeutung hat sich im englischen Wort „News“ bis heute erhalten.

„Verwegene“, also nicht hinreichend verschüchterte Leute könnten diese unwahren Behauptungen zum Anlass nehmen, sich ihnen nicht zustehende — „unziemliche“ — Urteile zu erlauben. Dies würde in der Folge zu unbedacht(sam)en Reden und „Unfug“ führen. Das Wort „Unfug“ wurde damals gerne verwendet für Verhalten, das außerhalb der gebotenen Ordnung lag. Diesem müsse Einhalt geboten werden („vorzubeugen und zu steuren“). Die Regierung verbot also allen Untertanen zu „räsonnieren“. Dieses aus dem Französischen stammende Wort hat die Bedeutung erweitert von „argumentieren“ zu „sich wortreich äußern, schimpfen“.

Wie ernst es dem Fürsten war, zeigt der Hinweis, dass das Verbot zwar vor allem auf den „gemeinen Mann“ abziele, aber alle Untertanen einschlösse, ungeachtet ihres Standes. Normalerweise fielen Adel und Kirchenleute unter eine eigene Gerichtsbarkeit und hatten größere Freiheiten. In diesem Fall schien die Regierung aber zu befürchten, dass ungebührliche Reden aus der Oberschicht von den einfachen Leuten aufgeschnappt und weiter verbreitet werden könnten.

Insbesondere verdächtig waren der Regierung die Wirtshäuser und Bierschenken, wo die Menschen zusammenkamen und womöglich unter Alkoholeinfluss die Zungen immer loser wurden. Es stand zu befürchten, dass von dort aus Kritik und Halbwahrheiten in die Häuser getragen würden. Deshalb verbot die Regierung sicherheitshalber auch gleich, dass die Leute „unter sich“, also selbst im privaten Kreise über die „Zeitläufte“ diskutierten und sich eine Meinung bildeten.

Weiterhin wurden alle Amtspersonen angehalten, für die Einhaltung und Durchsetzung dieses Verbots zu sorgen. Wer erwischt wurde, sollte „arretiert“, also gefangen gesetzt werden. Angedroht wurden Geldstrafen. Die Armen, bei denen kein Geld zu holen war, mussten mit einer „Leibesstrafe“ rechnen, also mit körperlicher Züchtigung, dem Auspeitschen.

Zur Sicherheit wurde mitgeteilt, dass jeder „Angeber“, also Denunziant, seinen Anteil von der Strafzahlung erhalten werde. Damit hoffte man Verräter zu gewinnen. Wenn man allerorten mit Denunzianten rechnen musste, waren vertrauliche Worte zu den „Zeitläuften“ kaum zu wagen.

Das amtliche Verbot wurde ausgesprochen von der „Fürstl. Sächs. Regierungs=Canzley“ zu Coburg, am 1. September 1778. Zu dieser Zeit regierte Herzog Ernst Friedrich (1724 bis 1800). Seine Möglichkeiten, zu regieren und zu gestalten, waren durch die immense Verschuldung des Landes stark eingeschränkt. 1773 war das Herzogtum unter Zwangsverwaltung gestellt worden.

Übrigens sollte sein Sohn Franz (1750 bis 1806) der gemeinsame Großvater von Königin Victoria und Prinzgemahl Albert werden und damit Stammvater des Hauses Windsor.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Gesetzessammlung in der Landesbibliothek Coburg, Sig. Tb 116.