Der Kriegsersatz

Bisher haben Kriege als Anlass für massive Kapitalvernichtung gedient — offenbar erfüllt Corona jetzt denselben Zweck auf weniger gewalttätige Weise.

„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“, sagte der französische Sozialrevolutionär Jean Jaurès. In satten Zeiten, in denen viele Menschen schon fast alles haben, was sie brauchen, ist der Markt irgendwann gesättigt. Schlecht für die angestrebten Wachstumsraten des Kapitals. Im Krieg dagegen verdienen Geschäftemacher doppelt: zuerst bei der Zerstörung, dann beim Wiederaufbau. Eine Kapitalvernichtung im erwünschten Ausmaß würde wohl nur ein wirklich großer Krieg bringen. Doch die atomare Bewaffnung mit der Gefahr der totalen Auslöschung der Menschheit steht dem entgegen. Was tun? Corona könnte für die Kapitalfraktion die erwünschte Lösung darstellen: größtmögliche wirtschaftliche Verwüstungen, aber eine besser dosierbare Vernichtung von Menschenleben. Vielleicht — so könnte man schlussfolgern — wäre uns Corona erspart geblieben, gäbe es keine Atombombe.

Ohne die Verbreitung von Atomwaffen wäre der aktuelle Coronafeldzug weder möglich noch nötig gewesen. Dass er stattfindet, ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Das klingt etwas verrückt? Kann sein. Aber wenn man in verrückten Zeiten die Welt verstehen will, sollte man auch Gedankengänge prüfen, die zunächst verrückt erscheinen mögen. Womöglich stellt sich heraus, dass die Dinge letztlich doch mit einem soliden alten vulgärmarxistischen Weltbild erklärbar sind.

Kapitalismus ist ohne Krieg nicht zu haben

Wir leben in einer Zeit, in der das Prinzip des Kapitalismus die Welt bis nahezu in den letzten Winkel beherrscht, und bis in die privatesten und intimsten Regungen der Menschen. Das setze ich hier als gegeben voraus und verzichte auf Nachweise — wer diese Prämisse nicht teilen mag, wird auch am Folgenden keine Freude haben.

Das Prinzip des Kapitalismus ist die Profitmacherei. Anders ausgedrückt: Kapital, in der Form von Geld und geldwerten Besitztümern, muss laufend in einer Weise verwertet werden, die zur Vermehrung ebendieses Kapitals führt. Das ist das Prinzip, dem sich alles unterzuordnen hat, koste es, was es wolle, auch gelegentlich das Leben von Millionen von Menschen. Deren Elend und Tod sind seitens des Kapitals gar nicht böse gemeint, sondern eben einfach gerade für die Kapitalverwertung notwendig, oder auch nur ein Kollateralschaden, der nicht so wichtig ist.

Die Verwertung des Kapitals erfolgt in der organisierten Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die nicht wegen ihres Nutzens produziert werden, sondern wegen ihrer Profitabilität; hierzu kauft das Kapital Arbeitskraft an. Der Profit, so haben wir von Karl Marx und Friedrich Engels gelernt, beruht auf der Tatsache, dass die Arbeitskraft wie alle Waren im Durchschnitt zu ihrem Herstellungspreis bezahlt wird — also nach der Menge der Arbeit, die erforderlich ist, um die Arbeitskraft herzustellen und zu unterhalten —, aber ihrerseits einen Wert schafft, der größer ist.

Diese Differenz, den „Mehrwert“, eignet sich das Kapital ganz legal an: Das ist der Profit, von dem die einzelnen Kapitale zu ihrem großen Bedauern Teile an den Staat, an Kreditgeber und so weiter abzugeben haben. Heutzutage haben sich die Verhältnisse gegenüber der Zeit von Marx und Engels verändert; die Vermehrung von Geld beziehungsweise Kapital durch rein fiktive Geld- und Spekulationsgeschäfte — die es schon vor dem Kapitalismus gab — spielt heute im Verhältnis zur „realen“ Produktion von Waren und Dienstleistungen eine erheblich größere Rolle. Das Kapital muss verwertet werden und sich dabei vermehren — wenn in diesem Prozess über weite Strecken gar nichts produziert wird, stört das offenbar nicht weiter.

Nun ist Kapitalismus, auch das wissen wir seit Marx und Engels, nicht ohne wiederkehrende Krisen denkbar. Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen — und erst recht die fiktive Ökonomie der Kapital- und Geldmärkte — werden ja nicht anhand der voraussichtlichen Bedürfnisse der Menschen gesteuert, sondern so lange ausgeweitet, bis es nicht mehr geht. Dieser Zustand tritt regelmäßig ein, wenn die produzierten Waren und Dienstleistungen mangels (kaufkräftiger) Nachfrage großenteils nicht mehr verkäuflich sind (Überproduktionskrise) beziehungsweise wenn das Kapital sich so weit vermehrt hat, dass es einfach keine profitablen Anlagemöglichkeiten mehr gibt (Überakkumulationskrise). Kapital, das nicht mehr gewinnbringend verwertbar ist — das ist der GAU, der größte anzunehmende Unfall für den Kapitalismus. Diese Krisen sind nur zu überwinden, wenn Kapital in großem Stil vernichtet wird.

Die Notwendigkeit der Kapitalvernichtung ist einer, wenn nicht der wesentliche Grund für Kriege.

Das fällt dem Publikum normalerweise nicht so auf. Oberflächlich betrachtet geht es nur um die Eroberung fremder Territorien, Rohstoffe und Märkte oder darum, diese von der eigenen kapitalistischen Nation abhängig zu machen. Alle diese Kriegsziele gibt es — und sie würden im Erfolgsfall das einheimische Kapital der kriegführenden Nation mit neuen profitablen Anlagemöglichkeiten versorgen. Krieg ist aber immer unendlich teuer, und er ist das Gegenteil von Produktivität; er vernichtet Kapital in großen Mengen, in allen beteiligten Ländern.

Dabei muss es dem kriegführenden Staat — der Staat mit Marx verstanden als geschäftsführender Ausschuss des nationalen Kapitals — natürlich darum gehen, die Verluste und die Kapitalvernichtung möglichst „den anderen“ aufzubürden, also den Kriegsgegnern, gern auch den sogenannten kleinen Leuten im eigenen Lande. Aber auch Teile des einheimischen Kapitals können (und sollen) im Krieg untergehen. Es bleiben Konkurse, Ruinen, Grundstücke, Produktionsanlagen, Know-how, die von den siegreichen Kapitalfraktionen billigst übernommen werden können, im In- und Ausland. Anschließend ist wieder Raum, um die Ärmel aufzukrempeln und am „Wiederaufbau“ zu verdienen — das überlebende Kapital kann sich wieder ungebremst vermehren, bis zum nächsten Knall.

Mit der weiten Verbreitung von Atomwaffen hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg offenbar die Einsicht durchgesetzt, dass Kriege nur noch sehr bedingt führbar sind. Man kann zwar noch Staaten der Peripherie überfallen. Ein Krieg gegen einen atomar bewaffneten Staat würde aber höchstwahrscheinlich dazu führen, dass man auch bei überlegenster Waffentechnik nicht alle Atomwaffen des Gegners ausschalten kann — und wenn auch nur noch zwei oder drei Bomben des Gegners zum Einsatz kommen, sind die „Kosten“ des Krieges auch für den Angreifer einfach zu hoch. Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter, heißt die Kriegslogik im Atomwaffenzeitalter. Abgesehen davon kann man sich nach einem „siegreichen“ Atomkrieg die Trümmer des Kapitals sowie die Märkte des besiegten Staates auch kaum noch gewinnbringend aneignen: Mit einer unbewohnbaren Wüste ist kein Profit zu machen.

Was tun – ohne Atomkrieg?

Die wiederkehrenden Überakkumulationskrisen bleiben, aber Krieg als Lösung zur Kapitalvernichtung fällt großenteils aus. Man kann zwar, wie gesagt, noch Staaten der Peripherie wie den Irak oder Libyen überfallen oder Grenada, aber auch das bringt wenig: Die Vernichtung der Ökonomie solcher Länder hinterlässt auf dem Weltmarkt kaum Lücken, die für das „westliche“ Kapital profitabel zu füllen wären, und die besiegten Staaten werden zu Failed States, in denen man kein Kapital anlegen mag. Was bleibt da übrig? Der Kapitalismus ist bei Strafe seines Untergangs gezwungen, Möglichkeiten der Kapitalvernichtung im großen Stil zu finden, ohne einen großen Krieg zu führen. Mitunter naht in höchster Not die Rettung aus unerwarteter Richtung, wie bei der Implosion des real nicht mehr existierenden Sozialismus um 1989 herum.

Da ließ sich ganz ohne „heißen“ Krieg Beute machen ohne Ende, und es eröffneten sich jede Menge neuer profitabler Anlagemöglichkeiten. Bitter zwar, dass Teile der Beute entgegen der gottgewollten Ordnung nicht an das „westliche“ Kapital fielen, sondern an russische Oligarchen, die nun mit Wladimir Putins Staatsapparat über einen eigenen kapitalistischen Nationalstaat verfügen; aber immerhin. Nur, das ist jetzt 30 Jahre her, und der Effekt ist verpufft. Die Überakkumulationskrise schlägt unbarmherzig wieder zu.

Als sie 2008 als „Finanzkrise“ ans Licht trat, konnte sie von den Staaten noch mit Unmengen erfundenem Geld halbwegs zugeschüttet werden; wie jeder wusste, wurde der Crash damit zwar erfolgreich verzögert, für die Zukunft aber verschlimmert: die Unmengen von Geld, die natürlich beim großen Kapital gelandet sind, haben dieses noch weiter aufgebläht — und es gibt keine Anlagemöglichkeiten für all dieses Kapital. Ein Ausdruck davon ist die Tatsache, dass für Geld seither praktisch keine Zinsen mehr gezahlt werden; kein Einzelkapital möchte sich mehr durch geliehenes Geld erweitern, weil es dafür keine profitablen Anlagemöglichkeiten mehr gibt, sieht man von der reinen Spekulation mit real weitgehend wertlosen Wertpapieren ab.

Es muss dringend Möglichkeiten der Kapitalvernichtung in großem Stil geben, sonst geht die Welt unter, denn der Zusammenbruch des kapitalistischen Systems ist aus Sicht des Kapitalismus und seiner Propheten natürlich identisch mit dem Untergang der Welt. Kleinigkeiten, wie die plötzliche Verpuffung des DAX-Konzerns Wirecard, vernichten höchstens ein paar Dutzend Milliarden Euro oder Dollar — das sind Peanuts, das ist keine Lösung.

Ein Coronavirus als Lösung

Immer wenn man glaubt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her, wusste schon der Abreißkalender meiner Oma — und lag damit richtiger als Marx und Engels, die sich nicht hätten träumen lassen, dass der krisenhafte Kapitalismus 150 Jahre später immer noch existiert, und das scheinbar unangefochtener denn je. Und wirklich, das Lichtlein brachte die Erleuchtung, passenderweise zur Weihnachtszeit, und zwar in Wuhan in China, obwohl man sich dort gar nichts aus Weihnachten macht. Es wurde auf den Namen SARS-CoV-2 getauft.

Dieses neue oder jedenfalls bis dato nicht bekannte Virus und die von ihm bei einem eher kleinen Anteil der infizierten Personen verursachte Krankheit namens Covid-19, die für einige Promille der infizierten Personen tödlich verlaufen kann (ähnlich der Influenza), war keine Erfindung und war nicht geplant. Diesbezügliche Vermutungen erscheinen mir jedenfalls nicht überzeugend. „Corona“ war aber eine unverhoffte Gelegenheit, und der Kapitalismus hat sie, nach einer gewissen Zeit des Zögerns und der Verunsicherung, beim Schopfe gepackt.

In der Wirtschaft wie in der Politik beruht wirklicher Erfolg immer darauf, dass die Akteure nicht einfach ihre Planungen möglichst exakt abarbeiten — wie es die Betriebswirtschaftslehre propagiert —, sondern dass sie jederzeit auf sich unerwartet bietende Gelegenheiten eingehen können. Was natürlich leichter wird, wenn die Gelegenheit zwar zum konkreten Zeitpunkt nicht vorherzusehen war, man sich aber mit möglichen Gelegenheiten dieser Art schon beschäftigt hatte. Kommt die Gelegenheit wirklich, wird sie nicht so leicht übersehen, und es stehen schon angedachte oder sogar eingeübte Handlungsmöglichkeiten bereit.

Szenarios, Pandemiepläne, Stabsübungen gab es in den vergangenen Jahren auf nationaler und internationaler Ebene viele. Die bevorzugte Story war im Wesentlichen immer dieselbe: Ein neues Virus, vorzugsweise aus China, durch Mutation entstanden oder von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen, verbreitet sich schnell weltweit und verursacht heftige und potenziell tödliche Atemwegserkrankungen. Die Story war insofern naheliegend, als es seit mehr als hundert Jahren immer wieder Influenza-Epidemien gibt, die genau nach diesem Muster ablaufen. Daran hat sich die Menschheit allerdings gewöhnt; dass wir in Deutschland im Winter 2017/18 die seit langem heftigste Grippeepidemie mit — nach Berechnungen des Robert Koch-Instituts — circa 25.100 Toten hatten, ist mir damals jedenfalls gar nicht aufgefallen. Aber diese Epidemien gab es und würde es auch zukünftig geben und sich darauf vorzubereiten, erscheint ja durchaus vernünftig.

Totalitäre Hochleistungsmedizin

Die Vorbereitung auf Epidemien spielt sich im Kapitalismus aber nach kapitalistischen Regeln ab. Zu denen gehört eine totalitäre Hochleistungsmedizin, die sich nicht mit Menschen oder mit Gesundheit und den Möglichkeiten ihrer (Wieder-)Herstellung beschäftigt, sondern, zunehmend spezialisiert, mit isolierten Krankheitseinheiten und ihrer Behandlung und Vorbeugung mittels hochprofitabler Produkte der Pharma- und Geräteindustrie, und zwar im Rahmen profitorientierter Krankenhausfabriken.

Gesundheitspolitik, vom Krankenhaus vor Ort bis zur Weltgesundheitsorganisation WHO, wird von kapitalistischen Eigentümern, „Sponsoren“ oder sonstigen Influencern gesteuert; so ist bekanntlich, nach dem Ausstieg der USA, die vielfach mit der Impfstoffindustrie verbandelte Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung der nunmehr größte Finanzier der WHO und damit nur der auffälligste Beleg für die vielfachen Interessenverknüpfungen der Pharma- und Medizintechnikindustrie und der ihr verbundenen Medizinforscher mit dem Handeln der — früher durchaus ehrenwerten — WHO.

Mit der Bezeichnung „totalitär“ meine ich die Besonderheit, dass der medizinisch-industrielle Komplex sich im Unterschied zu anderen Kapitalfraktionen nicht darauf beschränken muss, seine Waren und Dienstleistungen dem Publikum „anzubieten“ — und das Publikum mit allerlei Tricks dazu zu verleiten, sie „freiwillig“ zu kaufen). Diese Medizin hat stattdessen aus vorkapitalistischen Zeiten die besondere Autorität und Stellung des Medizinmannes hinübergerettet, der absolute Wahrheiten verkündet und zu befolgende Anweisungen erteilt.

Mitunter werden wir zwar auch zum Konsum medizinischer Leistungen verleitet wie zum Konsum eines neuen Autos oder einer neuen Einbauküche; im Unterschied zu Auto- oder Küchengeräteherstellern hat die Spitzenmedizin aber bei Bedarf die Möglichkeit, uns schlicht mitzuteilen, was wir — im Sinne der jeweiligen medizinischen Fachrichtung und ihrer Propheten — jetzt zu tun und mit uns machen zu lassen haben. Und wenn irgendein Papst irgendeiner der zahlreichen Spezialdisziplinen der Hochleistungsmedizin zufällig gerade die passende Figur für aus ganz anderen Gründen stattfindende gesellschaftliche und staatliche Prozesse ist, dann glaubt der heilige Christian Drosten, er könne den Staat und seinen im Infektionsschutzgesetz geregelten Apparat steuern wie seinerzeit die Heilige Inquisition den „weltlichen Arm“, der die Drecksarbeit der Hinrichtungen auszuführen hatte.

„Totalitär“ ist die Grundhaltung dieser rücksichtslosen Spezialmedizin, die sich für berechtigt hält, im Besitze der höchsten Wahrheit alle und alles zu regulieren.

Ob die Drostens nun reale Macht ausüben oder doch eher nur die Propagandakasper in einem Stück sind, für das ganz woanders Regie geführt wird, ist damit noch nicht gesagt.

Eine — reale, drohende, denkbare — Epidemie bedeutet für die betreffenden Vertreter totalitärer Spitzenmedizin Ruhm und Ehre, Forschungsgelder und Industrieaufträge sowie zumindest das Gefühl erheblicher Macht und Bedeutung. Verständlich, dass manche „führenden Virologen“ prinzipiell zur Übertreibung neigen. SARS, MERS, EHEC, Schweinegrippe — die weitgehende Ausrottung der Menschheit durch fiese Viren wird uns alle paar Jahre in Aussicht gestellt, das Publikum begann sich beim x-ten Remake des immer gleichen Horrorfilms fast schon zu langweilen. Zur Abwechslung gab’s auch mal BSE, es sollen ja nicht immer nur die Virologen etwas von der Sache haben. Hinter der Hybris der Virologen steht das ganz sachliche Geschäftsinteresse der Pharmaindustrie, besonders der Impfstoffhersteller, die sich an der Panikmache dumm und dusselig verdienen und schon wissen, wie man sich seine Panikprofessoren bei Laune hält.

Diesmal ist alles anders

Bei aller profitablen Neigung zur Übertreibung hielten sich bisherige „Pandemien“ aber doch in Grenzen. Den Leuten wurde viel Angst gemacht, mit Medikamenten und Impfstoffen wurde sehr viel Geld verdient, aber das war’s dann nach ein paar Wochen auch. Ob die von uns allen teuer bezahlten Medikamente und Impfdosen tatsächlich zur Anwendung kamen oder vernichtet werden mussten, ist ja auch nicht so wichtig — das Geld war eingenommen, das Kapital hatte sich vermehrt, nun kann das Leben auch weitergehen, der Kapitalismus besteht ja schließlich nicht nur aus der Pharmaindustrie. Und die Szenarios, Pandemiepläne und Übungen waren dann so ernst auch wieder nicht gemeint, dass man ernsthafte Konsequenzen aus ihnen gezogen hätte. Ein kleiner Landrat aus der schleswig-holsteinischen Provinz, dessen Herz dem Katastrophenschutz gehört, zeigte sich darüber „etwas schockiert“, denn:

„Auf höherer Ebene gab es 2007 eine länderübergreifende Katastrophenschutzübung, wo quasi genau das Szenario der Pandemie durchgespielt wurde. Da ging es um ein Influenzavirus, aber da hätte man in der Auswertung viele der Probleme aus dem Frühjahr, beispielsweise bei der Schutzkleidung für medizinisches Personal, nachlesen können. Ich habe etwas den Eindruck gewonnen, dass diese Arbeitsergebnisse wirkungslos verpufft sind“ (1).

Die Auswertung der erwähnten Übung LUEKEX 2007 ergab übrigens auch, dass es an gesichertem Wissen fehle, ob und inwiefern Gesichtsmasken in Alltagssituationen das Infektionsrisiko wirksam verringern. Entsprechende Forschung wurde dringend angemahnt (2), hat aber natürlich nicht stattgefunden. Man hatte Wichtigeres zu tun, als Forschung zum vorbeugenden Gesundheitsschutz in den gewiss jederzeit drohenden schrecklichen Pandemien zu betreiben.

2020 war nun alles anders. Es fand sich mal wieder eine der üblichen Pandemien, die WHO hätte etwas Aufregung verbreiten können, Regierungen hätten Unmengen überteuerter unnützer — und potenziell womöglich sogar schädlicher — Impfdosen einlagern können, die Krankheit hätte auf der Hitliste der Todesursachen für wenige Wochen ungefähr den 8. Platz erklimmen können, das Publikum hätte sich mit der Neuauflage des Horrorfilms die Zeit vertrieben — und nach einem halben Jahr hätten viele nicht mehr gewusst, wie genau denn diese Krankheit im Frühjahr oder so eigentlich geheißen hatte. Die Welt wäre wieder ins Lot gekommen, bis zur nächsten „Pandemie“, die bei der derzeitigen Arbeitsweise der WHO garantiert spätestens in fünf Jahren ausgerufen wird.

Aber diesmal entstand, wo auch immer, die Einsicht, dass eine Pandemie — also eine die ganze Welt bedrohende schreckliche Krankheit — doch ein guter Ersatz für den militärisch wohl nicht mehr führbaren Dritten Weltkrieg sein könnte.

„Einsicht“ ist vielleicht übertrieben; es muss nicht unbedingt jemand rational und bewusst beschlossen haben, dass jetzt Krieg sein soll. Gesellschaftliche, also historische und politökonomische Gesetze setzen sich im Kapitalismus — ebenso wie in den vorangegangenen Gesellschaftsformationen — in der Regel hinter dem Rücken der Beteiligten durch. Diese müssen den Gesetzmäßigkeiten notwendigerweise folgen, bei Strafe ihres Untergangs, aber sie müssen sie nicht kennen oder verstehen. Es reicht, wenn sie spüren, was jetzt zu tun ist. Und das wurde gespürt: Schon lange wartete das Große Geld auf den nächsten Knall, von dem jeder wusste (und nicht nur spürte), dass er unvermeidlich ist. Die Anspannung wuchs.

Da fiel die Katastrophenwarnung der industriegesteuerten Virologie-Päpste und der WHO auf fruchtbareren Boden als sonst: Endlich war die erwartete Katastrophe da. Das hat etwas Entlastendes, Aktivierendes: Eine tatsächlich stattfindende Katastrophe eröffnet immerhin Handlungsmöglichkeiten, man muss nicht mehr wie das Kaninchen auf die Schlange starren, die jederzeit erwartet wird. In einer solchen Situation prüft man nicht, ob die Katastrophenwarnung zutreffend erscheint, und ein Vergleich mit vergangenen, heftigst übertriebenen Meldungen dieser Art kommt einem nicht in den Sinn: Wir haben lange vor dem erwarteten Knall gezittert, nun ist er endlich da, und wir können etwas tun. Der Gedanke, dass es sich vielleicht nur um einen Fake-Knall handelt beziehungsweise dass nur die Drostens dieser Welt einen Knall haben könnten, würde jetzt nur stören.

Von China lernen heißt siegen lernen

Verstärkend kam die Tatsache hinzu, dass der angebliche Schrecken aus China kam. Von der Hassliebe zu China sind das westliche Kapital und seine Massenmedien schon länger besessen: China ist ein aufstrebender Konkurrent, dem durchaus zugetraut wird, den „mächtigsten Industrienationen“ des Westens den Rang abzulaufen; China realisiert einen Kapitalismus, der über weite Strecken erfolgreicher zu sein scheint als die „westliche“ Spielart, und macht dabei gleichzeitig deutlich, dass es sich keiner westlichen Vorherrschaft unterordnen wird; China macht irritierenderweise deutlich, dass die bürgerlich-demokratische Fassade für die erfolgreiche Entwicklung einer kapitalistischen Nation gar nicht nötig ist; China wäre also der perfekte Todfeind — aber China ist gleichzeitig unverzichtbarer Handels- und Wirtschaftspartner der mächtigsten westlichen Industriekapitale, die ohne das „China-Geschäft“ kaum überleben würden, ob sie nun Apple oder Volkswagen heißen.

China ist unsere Zukunft. China ist aufregend. Dieses China befindet nun ein Virus für neu und gefährlich — und geht zunächst sehr unaufgeregt damit um. Sträflicher Leichtsinn, müssen „unsere“ Massenmedien krähen, Millionen werden sterben, weil China das Virus ignoriert und die Warner unterdrückt. Anschließend, man weiß nicht warum, schwenkt China um und verhängt drastische Einschränkungen und Verbote. Sträfliche Menschenrechtsverletzungen, müssen „unsere“ Massenmedien krähen, so etwas Schreckliches ist zum Glück in westlichen Demokratien völlig undenkbar.

Danach verkündet China, das Problem sei so gut wie gelöst, mit Ausnahme einiger Infektionen durch Einreisende aus dem Ausland. Da entstand wohl der Gedanke: Was die Chinesen können, müssten wir doch auch können. Jetzt sollten wir mal so richtig zuschlagen, scheint da ja sogar geholfen zu haben. Und der ganze umständliche und teure Firlefanz mit Demokratie und Menschenrechten stört doch eigentlich hier auch eher die Geschäfte, als dass er uns nützt. Also, auf ins Gefecht: Von China lernen heißt siegen lernen. — Wenn SARS-CoV-2 nicht in China aufgetaucht wäre, sondern zum Beispiel in Argentinien oder Kenia, dann würde es die „westliche Welt“ ungefähr so viel interessiert haben wie Ebola oder weniger, da es ja auch erheblich weniger gefährlich ist als der Ebola-Erreger.

Man kann nun darüber spekulieren, ob irgendjemand „Regie geführt“ hat und ob es identifizierbare Personen und (natürlich geheime) Gremien gibt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den Beschluss gefasst haben, „Corona“ für einen großen Krieg umzufunktionieren. Wirklich wichtig erscheint mir das nicht. Sicherlich ist es von zeitgeschichtlichem Interesse, handelnde Personen und konkrete Entscheidungsstrukturen zu untersuchen.

Man kommt dabei aber mitunter zu schnell bei sogenannten Verschwörungstheorien an. So kreischend, wie die Coronakrieger und ihre Massenmedien jeden Kritiker, jede Kritikerin als „Verschwörungstheoretiker“ denunzieren, erscheinen Verschwörungstheorien ja mitunter fast sympathisch. Sie haben aber das Problem, dass sie gesellschaftliche beziehungsweise politökonomische Prozesse personalisieren. Sie erzeugen die Illusion: Wenn diese und jene bösen Menschen nicht an diesen und jenen Fäden gezogen hätten, wäre uns das ganze Elend erspart geblieben. Wäre es aber nicht.

Die Zwänge der kapitalistischen Ökonomie setzen sich weitgehend unabhängig von einzelnen, namentlich zu identifizierenden Akteuren durch. Hätten nicht diese gehandelt, dann hätten’s eben andere getan, etwas früher oder etwas später, auf dieselbe Weise oder auf eine ähnliche. Kleinbürgerliche Intellektuelle — wie der Verfasser dieser Zeilen — neigen dazu, die Macht einzelner Köpfe — vorzugsweise des eigenen — zu überschätzen. Dass die handelnden Personen eher nur als Charaktermasken für die Umsetzung des stummen Zwangs der Verhältnisse zuständig und dabei weitgehend austauschbar sind, kränkt natürlich auch die eigene Überzeugung von der eigenen Einmaligkeit.

Ein Krieg nimmt Fahrt auf

Die Regierungen der führenden westlichen Industrienationen sind nicht alle gleichzeitig und mit gleicher Begeisterung in den Coronakrieg gezogen. Staatsmänner wie Emmanuel Macron sprachen schon frühzeitig von „Krieg“, während die von Boris Johnson und Donald Trump geführten Administrationen sich zunächst nicht so viel von der Sache versprachen. Aber wenn so ein Weltkrieg erst einmal Fahrt aufnimmt, kann man sich nicht entziehen. Die Länder der Peripherie folgten sowieso, mit sehr wenigen exotischen Ausnahmen — ob nun eher wegen ihrer gläubigen Orientierung am Vorbild der kapitalistischen Staaten der ersten Garde, oder eher wegen des üblichen diskreten Einflusses von westlichen Beratern, Investoren, Weltbank und IWF, WHO et cetera, das macht im Ergebnis kaum einen Unterschied.

Ein großer Krieg wird niemals allein um eines einzigen Zieles willen geführt. Und der Sinn des Krieges in der kapitalistischen Ökonomie, die Vernichtung von Kapital — möglichst ausschließlich zulasten der „Gegner“ und der eigenen Unterklassen —, taugt nicht so recht als offizielles Kriegsziel, das die Masse der Bevölkerung mitreißen könnte.

Die Bevölkerung ist allerdings nicht das Problem; die Corona-Story reicht völlig aus, um die nötige Kriegsstimmung zu erzeugen, und die Propagandamaschinerie versteht ihr Handwerk. Die einzelnen kriegführenden Mächte nützen jeweils die Gelegenheit, ihre Interessen durch den Krieg voranzubringen. Nachdem die Trump-Administration einen Kriegseintritt der USA nicht mehr verhindern konnte, verfolgt sie nun das Ziel, China zu schädigen, um den Niedergang der USA abzuwenden — de facto natürlich allenfalls etwas hinauszuzögern. Deutschland glaubt im Coronakrieg wichtige Schritte zur Realisierung seiner schon 1914 im „Septemberprogramm“ von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg formulierten geostrategischen Ziele voranzukommen: Beherrschung des vereinten Europas als Ausgangsbasis für den Griff nach der Weltmacht.

Deshalb werden alle Kriegsschäden im eigenen Land mit Unmengen frei erfundenen Geldes zugeschüttet — außer natürlich die Schäden derjenigen, die für das Funktionieren des Kapitalismus nicht systemrelevant sind.

Man wird, so die Kalkulation, damit besser durchkommen als Frankreich, das nach dem Ausscheiden Großbritanniens der einzige verbliebene Konkurrent „auf Augenhöhe“ um die Vorherrschaft in der Europäischen Union (EU) ist. Die übrigen großen Ökonomien innerhalb der EU, Italien und Spanien dürften sich nach Kriegsende nicht wieder erholen und fallen auf den Rang randständiger, von Deutschland oder Frankreich abhängiger Länder — wie Griechenland oder Portugal — zurück.

Um diesen Prozess unumkehrbar zu machen, ist es sinnvoll, den Krieg mit einer „zweiten Welle“ zu verlängern. Auch der mit dem Coronakrieg ermöglichte „Große Sprung nach vorn“ hin zu einer komplett auf elektronischer Kommunikation basierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der jede Aktivität für Wirtschaft und Staat jederzeit vollständig speicherbar, überwachbar, auswertbar und blockierbar ist, könnte durchaus noch weiter ausgebaut werden; wer weiß, wann sich wieder so eine gute Gelegenheit dafür bietet. In Friedenszeiten führt das ganze Gerede der Politik über die „Digitalisierung“ ja leider nicht dazu, dass man wirklich sichtbar vorankommt.

Der Kampf der zwei Linien

Andererseits ergeben sich hier auch innerkapitalistische Widersprüche im eigenen Land: Die Kriegskosten steigen mit jeder Woche, und das Erfordernis der Kapitalvernichtung ist weitgehend bereits erfüllt oder positiv ausgedrückt: Es ist jetzt Zeit, die Beute zu verteilen und eine neue Orgie der Kapitalverwertung zu starten. Deshalb mehren sich die Stimmen, der Staat möge nicht mehr alle coronageschädigten Unternehmen unterstützen, sondern nur noch diejenigen, die „überlebensfähig“ sind, also voraussichtlich zu den Kriegsgewinnlern zählen werden; und die per Corona-Sondergesetz ausgesetzten Insolvenzanträge sollten nun nicht mehr hinausgezögert werden. Die Pleitewelle ist gewollt, im kapitalistischen Neusprech heißt das „Strukturbereinigung“. Und es mehren sich in den großen, systemtragenden Medien die Stimmen, die zum Thema „Corona“ Fakten und Zahlen zu bedenken geben, die man noch vor wenigen Wochen nicht zur Kenntnis nehmen durfte, wenn man nicht als Covidiot und rechtsradikaler Aluhut-Verschwörungstheoretiker denunziert werden wollte.

Die Lage ist widersprüchlich: Nicht nur für die Beherrschung Europas und der Welt, sondern auch für den kurzfristigen Profit der Pharmaindustrie, der IT- und Internetwirtschaft — und, als Nebeneffekt, auch der Fahrradhändler und Pizzadienste — ist eine Intensivierung des Krieges wünschenswert, während der Autoindustrie, der Mineralölbranche und allem, was mit ziviler Luftfahrt verbunden ist, allmählich die Luft ausgeht. Offenbar ist die Entscheidung, ob und wie der Krieg weiterzuführen ist, noch umkämpft (3); das führt natürlich zu Dissonanzen und Widersprüchlichkeiten in den Massenmedien, die nicht mehr so genau wissen, in welche Richtung sie ihre Propagandakanonen richten sollen.

Wie konnten sie nur?

Als im Frühjahr binnen weniger Wochen in Deutschland aus der Corona-Hysterie der Corona-Staat wurde, das Infektionsschutzgesetz zum allgemeinen Notstandsgesetz umfunktioniert wurde und bürgerliche Grundrechte in unglaublichem und offensichtlich unbegründetem Ausmaß dem Ausnahmezustand geopfert wurden, stand man entsetzt und ungläubig vor dieser Entwicklung: Warum machen sie das? Wie können sie nur? Was kommt als Nächstes?

Mancher fühlte sich an 1933 erinnert, als mit Zustimmung der großen Bevölkerungsmehrheit im Handumdrehen der totale Staat errichtet wurde. Mir scheint, die Ereignisse des Jahres 2020 sind eher mit 1914 zu vergleichen, als scheinbar plötzlich — und in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen offenbar: jetzt endlich — der Weltkrieg „ausbrach“, der schon länger in der Luft gelegen hatte (4). Die Interpretation des aktuellen Geschehens als neue Form des (Welt-)Krieges im Atomzeitalter lässt jedenfalls etliche zunächst abstrus und unerwartet erscheinende Entwicklungen verständlicher werden.

„Krieg“ ist eine seit Jahrtausenden in unserer Kultur verwurzelte Erscheinung. Die Vorstellung vom „Krieg“ tradiert sich nicht nur im gesellschaftlichen Bewusstsein, sondern mindestens ebenso stark im kollektiven Unterbewussten. Derlei verschwindet nicht, nur weil es, in Deutschland beziehungsweise an seinen Grenzen, seit 75 Jahren keinen Krieg mehr gab — ein Zustand, an dessen Überwindung im Übrigen seit 1990 beharrlich gearbeitet wird, aber das ist eine andere Geschichte.

„Krieg“ bedeutet eine alternative Realität: Es gelten andere Gesetze, soziale Regeln und Moralvorstellungen, das gesamte Koordinatensystem, in das sich menschliches Handeln einfügt, ist im „Krieg“ ein anderes.

Selbstverständliche und grundlegende Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens sind außer Kraft, aus „Du sollst nicht töten“ wird „Töte!“. Diese Umdeutung aller moralischen oder ethischen Vorstellungen ist kein Problem — jetzt ist ja alles anders, es ist ja Krieg. Wenn der Krieg beendet ist, gelten ja wieder die Regeln des zivilen gesellschaftlichen Zusammenlebens; diese sind also quasi gar nicht berührt, aber während des Ausnahmezustandes „Krieg“ können sie natürlich nicht gelten.

Im Krieg müssen alle Angehörigen der kriegführenden Nation zusammenhalten, das Mitwirken, die Unterordnung und die Opferbereitschaft aller sind unbedingt erforderlich — hinsichtlich der Opferbereitschaft gilt natürlich eine Ausnahme für die Angehörigen der jeweils herrschenden Klasse, die es doch vorziehen, zu Kriegsgewinnlern zu werden. Zweifel am Krieg sind nicht erlaubt, wer auch nur leise Bedenken äußert, ist ein Vaterlandsverräter und gehört geächtet. Alles muss sich dem Krieg unterordnen. Es gilt Kriegsrecht.

Die Stunde der Exekutive

Der Krieg ist die Stunde der Exekutive. Das Parlament hat den Krieg zu billigen sowie gesetzliche und finanzielle Bedingungen zu bewilligen, danach hat es seine Schuldigkeit getan und spielt bis Kriegsende keine Rolle mehr. Für den Coronakrieg war mit dem Infektionsschutzgesetz bereits ein passendes Ermächtigungsgesetz vorhanden. Dieses wurde mit der Einfügung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (5) um die nötig scheinenden diktatorischen Vollmachten für den Bundesgesundheitsminister ergänzt, und Nachtragshaushalte waren zu bewilligen. Danach entscheidet die Exekutive allein, von der Generalität in Bundes- und Landesregierungen bis hinunter zum kleinsten Unteroffizier im dörflichen Ordnungsamt.

Krieg ist für die Militärs beziehungsweise im Coronakrieg für die kriegführenden Verwaltungen ein erhabenes Erlebnis. Wer im Frieden einen zeitraubenden und stressigen Job hatte, ohne Platz für ein nennenswertes Privatleben, ständig belauert und bekämpft von der Opposition und eigenen „Parteifreunden“, die nur auf einen Fehler warten, um Regierungsmitglieder zu Fall zu bringen und ihren Posten zu erobern, und meist ohne nennenswerte Wirkungen oder Erfolge (es gibt zahlreiche ehemalige Minister auf Bundes- und Landesebene, die nach mehrjähriger Amtszeit so gut wie keine Spuren hinterlassen haben) — der hat im (Corona-)Krieg plötzlich weitreichende Handlungsmöglichkeiten und kann hemmungslos in das Leben der Menschen hineinregieren, bis in die intimsten Details.

„Intim“ ist hier wörtlich zu verstehen. Beispielsweise dürfen in Schleswig-Holstein der Ministerpräsident und der Gesundheitsminister vorschreiben, dass beim Geschlechtsverkehr beide Partner — mehr als zwei sind sowieso verboten — eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen haben und ihre Anschrift für‘s Gesundheitsamt hinterlassen müssen (6).

Es soll ja Leute geben, die behaupten, der Genuss des Orgasmus sei zu steigern, wenn er mit einer beinahe tödlichen Strangulation einhergeht — ob die Herren dies vor Augen hatten und die Luftnot beim Sexualakt fördern wollten oder ob der Neid des Gesundheitsministers eine Rolle spielte, dessen Lebensabschnittsgefährte in New York lebt und deshalb im Coronakrieg nur per Internet mit ihm kommunizieren darf und der mangels eigener Gelegenheit nun auch anderen Leuten den Sex vermiesen möchte, ist nicht bekannt. — Bisher gelten diese Vorschriften nur für bezahlte sexuelle Dienstleistungen; dass die „Infektionsgefahr“ bei jedem Sexualkontakt mit Personen, die nicht demselben Haushalt angehören, ebenso hoch ist wie im Bordell, wird den Herren aber auch noch auffallen.

Wer plötzlich so viel bewegen kann und so viel Macht über das Leben anderer Menschen ausüben darf, der spürt sich endlich selbst und kann endlich glauben, wichtig zu sein. Dieses berauschende Machtgefühl stellt sich nicht nur ein, wenn jeder Provinzgeneral in seinem Operationsgebiet seine eigenen Gesetze erlassen kann, gern auch ganz andere als der Befehlshaber der Nachbarprovinz; mächtig, und zudem von der Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns entlastet ist man auch, wenn man die überraschenden Anweisungen der obersten Heeresleitung unvorbereitet umzusetzen hat, wie der Kieler Ministerpräsident im Falle der Schulschließungen (7).

Überhaupt ist die unbeschränkte Macht am schönsten, wenn man im Falle des Schiefgehens hinterher sagen kann, man habe ja nur Befehlen gehorchen müssen und sei deshalb für nichts verantwortlich. Die Älteren unter uns erinnern sich, wie lästig in unserer Jugendzeit die Kriegserzählungen der damaligen alten Männer waren und wie euphorisch sie von ihrer Kriegszeit erzählten; die Kriegsopfer, wenn sie denn überlebt hatten, schwiegen lieber. Die nächste Generation von Jugendlichen wird die verklärten Gesichter hassen lernen, mit denen ihre Großelterngeneration, die heutigen Entscheider und Entscheiderinnen, von ihrem Beitrag zur Rettung der Menschheit durch den Coronakrieg schwadronieren werden, während die Jugend die Scherben des Krieges zu kitten und die Kosten über Jahrzehnte abzuzahlen hat.

Die Linke tut, was zu erwarten war

Am Anfang des Ersten Weltkrieges stand der berühmte Ausspruch von Kaiser Wilhelm II.: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Auch im Coronakrieg gibt es keine Parteien mehr. In der Provinz sieht das so aus, dass die örtlich zuständige Bundestagsabgeordnete der Grünen gemeinsam mit ihren Kollegen von CDU und SPD und ihrer Kollegin von der Linken eine Presseerklärung (8) veröffentlicht, in der sie die Bevölkerung zur Folgsamkeit aufruft:

„Wir werben ausdrücklich dafür, sich über das Bundesgesundheitsministerium oder das Robert Koch-Institut über das Coronavirus zu informieren. Gerüchte oder Informationen aus unseriösen Quellen sollten nicht beachtet werden.“

Die Analogie zu Kaiser Wilhelms Krieg macht auch eine Erscheinung verständlicher, die viele Menschen in Ratlosigkeit und Verzweiflung gestürzt hat: die praktisch totale Abwesenheit einer linken Opposition zum Coronafeldzug, das komplette Einschwenken linker Organisationen und Publikationen und nahezu der gesamten linken oder linksliberalen Intelligenz auf die Linie eines Krieges, der doch ganz offensichtlich abzulehnen gewesen wäre.

1914 war „die Linke“ praktisch identisch mit der Sozialdemokratie, die ihrerseits eine sehr große und inhaltlich und organisatorisch breite Bewegung war. Zum sozialdemokratischen Grundwissen der Vorkriegszeit gehörten der Internationalismus, der Antimilitarismus und das Bewusstsein, dass der feindliche Gegensatz zwischen der Arbeiterklasse aller Länder einerseits und den verschiedenen nationalen Bourgeoisien andererseits verlief, nicht zwischen der Arbeiterklasse Deutschlands und der Arbeiterklasse Frankreichs und so weiter. Mit Kriegsbeginn war alles vergessen, Karl Liebknecht stand mit seiner Ablehnung der Kriegskredite in der SPD-Fraktion allein.

Die Linke war, damals wie heute, in ihren politischen Vorstellungen und Forderungen staatsfixiert, und ihre Funktionäre streb(t)en insgeheim oder offen Pöstchen im Staatsapparat an. Sozialismus, das hohe Ziel, erwies sich für die Sozialdemokratie dann ja auch in der „Revolution“ 1918 als der bloße Wunsch, die monarchistischen und bürgerlichen Regierungsfunktionäre durch sozialdemokratische Genossen zu ersetzen, ohne in Staat und Gesellschaft wesentliche Veränderungen auch nur zu versuchen.

Der Staat hatte der Linken zwar durch die Sozialistengesetze gezeigt, was er von ihr hielt, aber die Sozialdemokratie glaubte unerschütterlich und zunehmend an ebendiesen Staat, trotz aller verbalradikalen Auslassungen. So ist es wohl auch heute: Wenn der Staat den Kriegszustand ausruft, sich und sein Volk als in schwerer Not befindlich deklariert, dann darf diese Linke nicht beiseitestehen, sondern muss alle Kritik hintanstellen und mit in den Krieg ziehen.

Kritik an den Machenschaften der Pharmaindustrie und der von ihr abhängigen Medizin, Kritik an der stetigen Einschränkung demokratischer Grundrechte und dem Ausbau staatlicher Überwachung et cetera, allesamt Grundbestandteile linker Identität, müssen eben zurückgestellt werden in der Stunde der höchsten Not des Staates. Und wenn der Staat die Stunde der höchsten Not deklariert, dann wären kritischen Fragen nach der Berechtigung dieser Kriegserklärung nur Verrat. So erleben wir im Coronakrieg mit dem kompletten Versagen der Linken eigentlich nur eine Erscheinung, die wir seit mehr als 100 Jahren kennen und deren Wiederkehr zu erwarten war.

Es wäre interessant zu untersuchen (überschreitet aber meine historischen Kenntnisse), ob nicht auch 1918 und in den folgenden Jahren das Versagen der Linken im Krieg dazu beitrug, unzufriedene und orientierungslose Bevölkerungsschichten in die Arme rechter Gruppierungen zu treiben, so wie heute rechtsradikale und faschistische Gruppen nicht ohne Erfolg versuchen, in der spontanen Opposition gegen den Coronakrieg Boden zu gewinnen und in das Vakuum zu stoßen, das das Versagen der Linken hinterlassen hat.

Intellektuelle im Kriegszustand

Ähnliches gilt für die linksliberalen Intellektuellen. Ihre Vorfahren, die akademische Jugend 1914, waren zwar meist nicht „links“, hatten aber in der Jugendbewegung ebenso schwärmerische und utopische Ideen verfolgt wie die Studenten der 68er und 1970er-Jahre. 1914 waren sie begeistert davon, dass endlich Krieg war. Im Unterschied zu heute meldeten sich Studenten und Gymnasiasten, mitunter klassenweise, freiwillig an die Front und starben als unerfahrene Soldaten schnell. Heute ist die linksliberale Intelligenz weniger von Studenten im jugendlichen Überschwang geprägt, sondern vom arrivierten akademischen Mittelstand. Da beschränkt man sich auf die Propaganda und überlässt die Nachteile des Krieges lieber den Unterschichten.

Das Gerede über Solidarität, Vernunft und Mitmenschlichkeit, die man angeblich mit dem Tragen von Maulkörben und der Einhaltung noch der absurdesten Coronaregeln zeige, ist zwar genauso sendungsbewusst und verlogen wie die Kriegsbegeisterung 1914, aber das Homeschooling für‘s Kind im eigenen Kinderzimmer mit eigenem Computer ist doch recht komfortabel, und am Wochenende fährt man ins Wochenendhaus auf dem Land, wo es keine Masken gibt.

Die Opfer haben die anderen zu bringen, die arbeitslos mit drei Kindern in ihrer kleinen Sozialwohnung im Hochhaus hocken und die Kleinen weder in den Kindergarten noch auch nur auf den Spielplatz schicken dürfen. Trugen die Kriegsfreiwilligen mit höherer Schulbildung 1914 dazu bei, letztlich auch ihr eigenes Volk in Not und Unglück zu stürzen, das sie doch angeblich unbedingt vor dem bösen Feind beschützen mussten, so unterstützen ihre heutigen Nachfahren den Terror gegen die Alten, die als Opfer der als „Solidarität“ deklarierten Kampagne der Coronakrieger in ihren Heimen in Isolationshaft genommen wurden, ohne Tagesstruktur und ohne soziale Kontakte, ohne vernünftige medizinische Versorgung, ohne Hoffnung und ohne Aussicht auf ein baldiges Ende der Unterdrückung, im Falle von Uneinsichtigkeit — zum Beispiel wegen Demenz — medikamentös sediert oder mit richterlicher Genehmigung im Bett fixiert.

Die Widerlichkeit und Verlogenheit des Geredes von „Solidarität“ und „Schutz unserer Alten“ kann es durchaus mit der schwülstigen Kriegsverklärungsprosa von 1914 und den Folgejahren aufnehmen.

Diese linksliberalen Kriegsfreiwilligen stellen auch die Mehrheit des Personals der öffentlich-rechtlichen und privaten Mainstream-Medien. Allerdings versammelt sich hier ein besonderes Völkchen. Journalisten wurden sie, als sie noch jung waren, aus dem Streben nach Aufklärung und Verbreitung der Wahrheit heraus — ein ehrenwertes Motiv. Der stumme Zwang der Verhältnisse hat ihnen beigebracht, dass man mit diesen hohen Zielen meistens nichts wird, schon gar nicht ein festangestellter und gut bezahlter Redakteur. Mit Kritik und Aufklärung kommt man — selbst im Spätprogramm oder im Feuilleton — allenfalls dann durch, wenn man als einer der ersten den richtigen Riecher hatte, welches Thema „in der Luft“ liegt und deshalb von der Redaktionsleitung gnädig angenommen wird.

Die meisten haben nur gelernt, jedem gerade aufkommenden Thema als zweiter, dritter, x-ter Aufguss hinterherzulaufen; so bleibt ihre journalistische B-Ware gerade eben noch verkäuflich. Bei der nächsten Umorganisation oder Verlagsfusion können sie jederzeit entbehrlich werden. Wirklich zu ertragen ist diese Lage nicht, denn diese Menschen sind meist nicht dumm genug, den Widerspruch zwischen Anspruch und täglicher Realität einfach komplett zu ignorieren.

Das Aushalten kostet Kraft, und Alkohol. Da sie keinen lauwarmen Doppelkorn trinken, sondern teuren italienischen Rotwein, halten sie sich nicht für Alkoholkranke. Wenn man diese Menschen plötzlich zu Kriegsberichterstattern macht, blühen sie auf. Endlich können sie sich engagieren und ungebremst missionarisch tätig werden, an der Rettung der Menschheit oder des eigenen Volkes führend mitwirken — aufkeimende Zweifel an der Sinnhaftigkeit der kriegerischen Mission würden da nur störend wirken.

Der Schritt vom investigative Journalism zum embedded Journalism ist unter diesen Umständen nur klein. Das nur mühsam zu unterdrückende Gefühl, dass irgendetwas an diesem Krieg nicht stimmt und man eigentlich nur missbraucht wird, schlägt um in einen um so intensiveren Hass auf alle, die noch zu widersprechen oder auch nur kritisch zu fragen wagen. Der hasserfüllte Rufmord an allen Kritikern des Coronafeldzuges ist psychologisch notwendig, um jedes eigene Gespür dafür abzutöten, dass die Kritiker womöglich in dem einen oder anderen Punkt richtig liegen und man selbst endgültig zum Verräter an den eigenen Idealen geworden ist. Wenn sie nicht so viel Schaden anrichten würden, könnten einem die Damen und Herren Corona-Kriegsberichterstatter leidtun.

Kollateralschäden

Der Coronakrieg kommt — und das ist neu — ohne gezielte massenhafte Tötung aus. Allerdings gibt es, wie in jedem großen Krieg, eine unübersehbare Zahl von Toten, die als Kollateralschaden verbucht werden. Das gehört aber zum Krieg nun einmal dazu und ist kein Grund, auf den Krieg zu verzichten. Dass in der Folge des Coronafeldzuges in diesem und den nächsten Jahren Dutzende, wenn nicht Hunderte Millionen Menschen zusätzlich verhungern werden, stört niemand. Dass Hunderttausende wegen des weitgehenden Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung in der Peripherie vorzeitig sterben werden, interessiert auch nicht weiter. Die Vernichtung dieser Menschenleben ist nicht direkt beabsichtigt — dass der Coronakrieg zwecks Reduzierung der Weltbevölkerung erfunden wurde, halte ich für ein Gerücht.

Wahr ist aber: Diese Menschen sind nicht systemrelevant für den Kapitalismus. Der Erhalt ihres Lebens spielt deshalb in einem Krieg, der ja angeblich um die Rettung jedes einzelnen Greises und jeder Greisin geführt wird, natürlich keine Rolle.

Etwas anders sieht es mit dem ökonomischen Zusammenbruch der Länder der Peripherie aus: Hier mischen sich achselzuckend betrachtete Kollateralschäden wohl mit bewusstem Kalkül. Hat man bisher Bodenschätze, Land, nationale Unternehmen für den sprichwörtlichen Appel und ’n Ei kaufen können, werden diese Länder in Zukunft gezwungen sein, sich allein für den angefaulten Apfel zu verkaufen und auf das Ei zu verzichten. Das sind schon erfreuliche Aussichten für das Kapital, die eine Verlängerung des Krieges durchaus nützlich erscheinen lassen könnten.

Wie soll das alles enden?

Wenn die hier entwickelte Interpretation der „Corona-Maßnahmen“ als qualitativ neue Form des Weltkrieges ohne (atomare) Waffen zutrifft, dann sollten sich daraus gewisse Prognosen ableiten lassen.

Da stellt sich zunächst einmal die Frage, wann der Krieg denn endlich enden wird. Das kann lange dauern: Das kulturelle Muster „Krieg“ schließt in der westlichen Welt die historische Erscheinung des Dreißigjährigen Krieges ein. Auch die kriegerische Verteidigung der westlichen Werte am Hindukusch ist von diesem Zeitrahmen nicht mehr weit entfernt. Die als eher besonnen bekannte deutsche Bundeskanzlerin hat frühzeitig mitgeteilt, dass eine „neue Normalität“ (mit Maulkorb-Pflicht für alle — das Tragen der Maske ersetzt das Tragen des Parteiabzeichens der überparteilichen Kriegspartei) angestrebt wird, und man darf davon ausgehen, dass diese Formulierung nicht unbedacht war.

Das heißt, es geht der deutschen Führung nicht um einen kurzfristigen Feldzug, sondern — als eines der Kriegsziele — um eine grundlegende gesellschaftliche Umgestaltung auch im Inland, und derlei braucht seine Zeit. Dass auch die auswärtigen Kriegsziele einen längeren Krieg sinnvoll erscheinen lassen, wurde oben bereits ausgeführt. In den ersten Wochen des Coronafeldzuges konnte man der politischen Führung des Landes bei gutem Willen noch abnehmen, dass sie an die Drosten-Pandemie tatsächlich glaubte, und das erklärte Ziel war Flatten the Curve beziehungsweise die Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitswesens. Dieses Ziel war ganz offensichtlich schnell erreicht.

Der eigentliche Krieg begann wohl erst danach, und er ist auf Langfristigkeit angelegt: Die Pandemie dauert so lange, bis ein Impfstoff bereitsteht, wurde nun verkündet, womit eine Kriegsdauer von mehreren Jahren eingeplant ist. Aus propagandistischen Gründen musste die Verfügbarkeit eines Impfstoffes natürlich für die absehbare nahe Zukunft vorhergesagt werden, hier für Frühjahr 2021, was immerhin eine Kriegsdauer von einem Jahr bedeutet hätte; mehr konnte man dem Publikum noch nicht zumuten. Natürlich wusste jeder, dass die Entwicklung und Zulassung eines zuverlässigen Impfstoffes gegen eine neuartige Infektion normalerweise eher zehn als drei Jahre dauert, bei menschlichen Coronaviren außerordentlich schwierig ist und im Falle des HIV-Virus seit 35 Jahren nicht erreicht wurde.

Mit anderen Worten: Wenn man der Bundesregierung in dieser Phase die Zurechnungsfähigkeit nicht mehr absprechen will, dann muss es zu diesem Zeitpunkt schon die Planung gegeben haben, den Feldzug auf mehrere Jahre auszudehnen. Von sich aus wird die Regierung nicht von dieser Perspektive abrücken.

Eine weitere Frage ist: Wie kann und soll dieser Krieg überhaupt enden? Das kulturelle Muster „Krieg“ ist in unserer Vorstellung mit drei möglichen Ausgängen versehen: Sieg, Niederlage oder Waffenstillstand. Ein Sieg in diesem Krieg würde nach der immanenten Logik der Kriegspropaganda der vergangenen Monate bedeuten, das Virus auszurotten. Das ist offensichtlich unmöglich (9).

Viren dieser Art verschwinden nicht — werden aber mitunter über die Zeit durch verschiedene Mutationen harmloser —, und die Methodik des Krieges sorgt zusätzlich dafür, dass er nicht gewonnen werden kann: Mit der Definition eines positiven Ergebnisses eines PCR-Tests als „Covid-19-Infektion“ gäbe es auch Jahre nach dem Ableben des letzten SARS-CoV-2 noch den „Nachweis“ ständiger „Neuinfektionen“.

Das Virus kann nicht für „ausgerottet“ erklärt werden, der Krieg ist nicht zu gewinnen. Einen „Waffenstillstand“ kann das Virus leider prinzipiell nicht unterzeichnen, diese Variante fällt also auch aus. Bleibt nur die Niederlage. Kriegführende Parteien können angesichts der unausweichlichen Niederlage zu Verzweiflungstaten getrieben werden, die den vorangegangenen Kriegsverlauf an Sinnlosigkeit und Grausamkeit noch weit übertreffen.

Der April und Mai 1945 haben dafür erschreckende Beispiele geliefert. Keine schönen Aussichten. Nun kennt unser in langer kultureller Tradition verwurzeltes Bewusstsein allerdings neben den drei möglichen — beziehungsweise im Falle des Coronakrieges: faktisch unmöglichen — Kriegsausgängen auch noch irreguläre Fälle, wie etwa das sprichwörtliche „Hornberger Schießen“: Das Gefecht findet irgendwann nicht mehr statt, der Krieg schleicht sich aus, ohne dass man wüsste, ob jemand gewonnen hat und wenn ja, wer. Dieser „unmögliche“ Kriegsausgang zeichnet sich beispielsweise derzeit im Afghanistankrieg ab. Ob er auch für den Coronakrieg denkbar wäre?

Das würde allerdings voraussetzen, dass die Kriegführenden im Laufe der Zeit anderes im Kopf hätten und deshalb allmählich von ihrem Feldzug ablassen, ohne dass man nachher einen genauen Zeitpunkt des Kriegsendes feststellen könnte. Der Krieg müsste dafür, quasi unmerklich, an Wichtigkeit verlieren. Das kann lange dauern.

Eine andere, und noch weniger erfreuliche, Variante würde ein Kriegsende dadurch herbeiführen, dass eine neue, noch schlimmere — also diesmal vielleicht: real und nicht nur in der Fantasie der Drostens dieser Welt ausbrechende — Katastrophe alle Aufmerksamkeit und Kapazitäten auf sich zieht und der Coronakrieg davon in den Schatten gestellt und allmählich vergessen wird. Auch keine schöne Aussicht.

In guter alter marxistischer Tradition schließlich, wäre auch noch an eine tatsächlich positive Perspektive zu denken: Die Völker haben den Krieg satt und erzwingen mit machtvollen massenhaften Aktionen, Generalstreiks und so weiter seine Beendigung gegen den erbitterten Widerstand der herrschenden Klasse, die mit dem Kriegsende von einer Revolution hinweggefegt wird. Schön wär’s ja, aber für die Prophezeiung, dass der Coronakrieg so enden könnte, mangelt es mir derzeit an historischem Optimismus. Es ist ja heutzutage leichter, sich das Ende der Menschheit vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.

Leichter zu beantworten ist eine andere Frage: Was soll eigentlich aus der immens mächtigen Rüstungsindustrie und der Bundeswehr werden, wenn die klassische, konventionelle und nukleare Rüstung sich im Corona-Weltkrieg als unnötig erweist? Nun, um die Herren — Damen sind dort eher selten anzutreffen — muss man sich keine Sorgen machen. Zum einen wurde gerade die Bereitstellung von bis zu 15.000 Bundeswehrangehörigen für den Einsatz im Inneren im Coronakrieg beschlossen und damit klargestellt, dass die neue Art der Kriegsführung auch für die klassischen Militärapparate Perspektiven bietet.

Die Verhängung und Durchsetzung des Kriegsrechtes und der Einsatz gegen die eigene Bevölkerung waren dem soldatischen Denken noch nie fremd. Zum anderen reden die Strategen seit einigen Jahren vom Cyber War als dem zukünftigen Feld der Kriegsführung, und die boomende IT-Industrie, ohnehin in ihren Ursprüngen weitgehend militärisch geprägt, baut ihre bestehende enge Kooperation mit Rüstungsindustrie und Militär gern noch aus. Militärische Drohnen, mit oder ohne Bewaffnung, sind nur ein besonders auffälliges Beispiel der Integration von Schwerindustrie und IT-Industrie im Rüstungsgeschäft.

Die Rüstungsindustrie wird Wege finden, auch an der virtuellen Kriegsführung zu verdienen und Systeme zu entwickeln, die das Instrumentarium des noch etwas provisorisch aus dem Ärmel geschüttelten Coronakrieges für zukünftige Gelegenheiten optimieren. Und schließlich steht im virtuellen Weltkrieg nach dem Coronamuster auch dasjenige Kapital nicht im Regen, das noch im klassisch schwerindustriellen Teil der Rüstungswirtschaft gebunden ist: Für den Regime Change in Ländern der Peripherie mit unbotmäßiger Staatsführung werden Panzer und Fregatten auch in 20 Jahren noch gebraucht.

Der nächste Krieg fällt aus

Geradezu einfach ist die Antwort auf die Frage, sollte der Corona-Krieg beendet sein, wann denn das nächste Ereignis dieser Art zu erwarten ist? „Pandemien“ nach WHO-Art treten durchschnittlich alle drei bis fünf Jahre auf und werden das aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiterhin tun. Der nächste Coronakrieg wird aber erst einmal ausfallen. Denn ein großer Krieg mit der Vernichtung relevanter Teile des Kapitals — vorzugsweise im Ausland — wird im Kapitalismus zwar regelmäßig notwendig, aber die Zeitabstände sind erheblich größer.

Bei der nächsten „Pandemie“ wird der von der Europäischen Union so bezeichnete „Wiederaufbau“, mithin die neue Phase der Kapitalakkumulation und -expansion auf Kosten der von den arbeitenden Menschen zu zahlenden Steuern und sinkender Sozialleistungen, noch lange nicht beendet sein. Man darf also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass uns bei der nächsten Pandemie der Drosten erklären wird, warum es diesmal nicht so gefährlich ist und jeder Vergleich mit Covid-19 unzulässig ist, obwohl das nächste Virus vielleicht deutlich mehr Menschen tatsächlich sterben lassen wird als SARS-CoV-2. Was die PCR-Tests angeht, wird Drosten sich wieder erinnern, was er schon vor sechs Jahren wusste:

„Diese Methode ist so empfindlich, dass sie ein einzelnes Erbmolekül dieses Virus nachweisen kann. Wenn ein solcher Erreger zum Beispiel bei einer Krankenschwester mal eben einen Tag lang über die Nasenschleimhaut huscht, ohne dass sie erkrankt oder sonst irgendetwas davon bemerkt, dann ist sie plötzlich ein Mers-Fall. Wo zuvor Todkranke gemeldet wurden, sind nun plötzlich milde Fälle und Menschen, die eigentlich kerngesund sind, in der Meldestatistik enthalten“ (10).

Und wo bleibt nun der zivilisatorische Fortschritt? Der Coronakrieg ist, so die hier zur Diskussion gestellte These, eine neue Form des Weltkrieges, die alle für den Kapitalismus überlebensnotwendigen Funktionen eines großen Krieges erfüllen kann, ohne dabei die bisher als „militärisch“ betrachteten Waffen einzusetzen und ohne die direkte (!) Tötung von Menschen bewusst zu planen und umzusetzen.

Diese neue Art der Kriegsführung konvergiert mit den in den Militärapparaten der führenden Länder schon seit Jahren diskutierten und zunehmend praktizierten Formen des Cyber War und der „hybriden Kriegsführung“, ist also gar nicht in allen Aspekten wirklich neu. Der Fortschritt besteht nun darin, dass es auch ohne Abschaffung des Kapitalismus — die, Gott sei‘s geklagt, ja nicht anzustehen scheint — jedenfalls möglich wird, den finalen großen Knall des atomaren Weltkrieges zu umgehen.

Der Atomkrieg ist nicht etwa auszuschließen, aber immerhin auch bei Beibehaltung des Kapitalismus nicht mehr unvermeidlich nötig. Dasselbe gilt für das millionenfache Abschlachten von Menschen in den Metropolen. Konventionelle Kriege und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen sind damit nicht von diesem Planeten verschwunden, sondern werden im Kampf der Metropolen gegen die Peripherie und in den Stellvertreterkriegen zwischen Ländern der Peripherie weiter stattfinden. Auch dieser zivilisatorische Fortschritt ist, wie in so vielen anderen Fällen, also keinesfalls ein Grund zur reinen Freude. Aber immerhin: Unter den gegebenen Umständen ist es ein Fortschritt.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Norddeutsche Rundschau, 29. September 2020, Seite 10.
(2) „Bereits in der Übungsvorbereitung wurde deutlich, dass detaillierte, wissenschaftliche fundierte Erkenntnisse bezüglich des Nutzens von Barrieremaßnahmen mittels Mund-Nasen-Schutz (MNS) beziehungsweise Masken für die Allgemeinbevölkerung fehlen. Die Durchführung entsprechender epidemiologischer Studien ist für die Weiterentwicklung entsprechender Empfehlungen unverzichtbar.“, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Projektgruppe LÜKEX: Auswertungsbericht der dritten länderübergreifenden Krisenmanagementübung „LÜKEX 2007“ der Projektgruppe LÜKEX, Stand 15. April 2008, Seite 46.
(3) Kanzleramtsminister Helge Braun erwartete dementsprechend vom Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten — nach Monaten erstmalig persönlich und nicht als Videokonferenz — am 14. Oktober 2020. eine „historische Debatte“, vergleiche zum Beispiel Norddeutsche Rundschau, 15. Oktober 2020, Seite 15; die erwartete oder erhoffte Entscheidung im Kampf der zwei Linien blieb bei diesem Treffen freilich aus.
(4) Friedrich Engels schon 1887: „Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahl fressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, dass alle Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sie findet, der sie aufhebt …“, Marx/Engels, Werke MEW 21, Seite 350 folgende.
(5) Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz — IfSG) Paragraf 5.
(6) Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Corona-Bekämpfungsverordnung — CoronaBekämpfVO) vom 1. Oktober 2020, Paragraf 9 Absatz 2, Schleswig-Holstein.
(7) Daniel Günther im Interview, unter anderem Norddeutsche Rundschau, 28. August 2020, Seite 3: „Einschneidend war für mich der 12. März, als wir uns im Verlauf einer lange geplanten Sitzung der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin auf Schul- und Kita-Schließungen verständigt haben. Das war für mich nicht absehbar. Aber ab da wusste ich, dass wir uns im Krisenmodus befinden und Regieren ganz anders wird, als ich es in den zweieinhalb Jahren zuvor erlebt habe.“
(8) Dr. Ingrid Nestle (Grüne), Cornelia Möhring (Linke), Michael von Abercron (CDU) und Ernst Dieter Rossmann (SPD): Gemeinsamer Appell der Bundestagsabgeordneten des Kreises Pinneberg, 20. März 2020, https://www.ingrid-nestle.de/presse/gemeinsamer-appell-der-bundestagsabgeordneten-des-kreises-pinneberg/, zuletzt abgerufen 25. Oktober 2020.
(9) Übrigens ist auch die bei manchen Typen von Viren prinzipiell mögliche (fast) vollständige Ausrottung mitunter ein Pyrrhussieg — so vermeldete die Africa Regional Certification Commission (ARCC) Ende August 2020 jüngst stolz den Erfolg der Pockenimpfkampagne, mit der nun auch in Afrika das Poliovirus ausgerottet sei. Nur: Die erfolgreiche Ausrottung bezieht sich auf das „wilde“ Polio — geimpft werden muss weiter, denn jetzt gibt es „die anhaltende Bedrohung durch die aus dem Impfstoff stammende Kinderlähmung“, so der WHO-Generaldirektor für die Region Afrika, Matshidiso Moeti. In sechzehn Ländern komme es in unterimmunisierten Gemeinden derzeit zu Ausbrüchen von mutierten Impfviren, den „circulating vaccine derived polio virus (cVDPV)“, nach: Dr. med. Mabuse Nr. 247, September/Oktober 2020, Seite 8.
(10) Kutter, Susanne (Interview): Virologe Drosten im Gespräch 2014, „Der Körper wird ständig von Viren angegriffen“, Wirtschaftswoche 16. Mai 2014,(zitiert nach https://www.wiwo.de/technologie/forschung/virologe-drosten-im-gespraech-2014-der-koerper-wirdstaendig-von-viren-angegriffen/9903228-all.html, zuletzt abgerufen 25. Oktober 2020.