Der Kriegstourismus

Während es für Zuwanderer aus dem Süden immer noch schwer ist, in Deutschland Fuß zu fassen, rollt der Bund Flüchtlingen aus der Ukraine den roten Teppich aus.

Alle Flüchtlinge sind vor dem Gesetz gleich, aber manche sind eben gleicher. Deutschland hat jetzt neue Lieblingsflüchtlinge, die eine Sonderbehandlung erhalten. Wenn schon Flucht, dann empfiehlt es sich heutzutage, Ukrainer zu sein. Kommt jemand dagegen aus dem Jemen, Afghanistan oder Mali — auch keine paradiesischen Gegenden —, erwartet ihn mitunter ein rauher Umgangston. 10 Milliarden Euro im Jahr sind dem Bund die Neuankömmlinge wert, diese flüchten quasi in ein perfektes Sozialsystem hinein. Der Begriff „Rassismus“ ist für diese Ungleichbehandlung nicht ganz zutreffend. Vielmehr handelt es sich um eine politisch motivierte Entscheidung. Früher kümmerte sich Deutschland gnädig um Menschen aus Ländern, aus denen ohne die Katastrophenpolitik des Westens gar niemand hätte flüchten müssen — heute ist die Vorzugsbehandlung für Ukrainer ein Schachzug im Krieg gegen den Erzfeind Russland.

Man könnte fast zynisch werden: Nie war Flucht komfortabler als heute — allerdings nur, wenn man einen ukrainischen Pass hat. Breite Fluchtwege aller Art sind planiert, ab der ukrainischen Grenze reisen die Flüchtenden kostenlos mit der Bahn beispielsweise nach Deutschland. Von da aus erhalten sie dann Gratistickets für eine eventuelle Weiterreise innerhalb Europas. Ein Visum wird derzeit nicht verlangt (1). Dann fehlt nur noch eine rein formale Registrierung als Flüchtling. Der Pass genügt und schon hat man Anspruch auf diverse Sozialleistungen und auf medizinische Versorgung.

Bis zu diesem Punkt ähnelt das Verfahren dem von Asylbewerbern aus anderen Ländern — nur bei den Einreisebedingungen dürfte die Sache etwas anders liegen. Ukrainer, die gedenken länger in Deutschland zu bleiben, sollten einen Aufenthaltstitel nach § 24 Aufenthaltsgesetz beantragen. Der wird ihnen in der Regel umstandslos erteilt. Damit hat der ukrainische Flüchtling erhebliche Ansprüche automatisch erworben: Arbeitserlaubnis, bessere Sozialleistungen, eine reguläre Krankenversicherung sowie Familiennachzug werden problemlos eingeräumt.

Vom 24. Februar bis zum 3. Oktober 2022 wurden etwas mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine im Ausländerzentralregister registriert. Davon haben knapp 550.000 einen Aufenthaltstitel erhalten (2). Wie viele unregistrierte Ukrainer sich darüber hinaus momentan in der Bundesrepublik aufhalten, darüber gibt es keine offiziellen Angaben.

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages rechnet mit jährlichen Ausgaben von circa 10.000 Euro pro Flüchtling (3). Das wären dann etwa 10 Milliarden Euro im Jahr — allein zur Existenzsicherung der ukrainischen Flüchtlinge.

Darin sind eine Reihe von enormen Folgekosten noch nicht enthalten — etwa die medizinische Versorgung, deren Kosten in der Regel bei Weitem nicht von den Beiträgen für die Krankenversicherung getragen werden; die Einrichtung von Sprachkursen und Zehntausende neu einzustellende Lehrer, wenn der bislang kalkulierte Bedarf um hunderttausende Kinder erweitert wird, die überdies mehrheitlich vermutlich nicht ohne Weiteres in den normalen Schulbetrieb eingliedert werden können. Die Rentenkassen müssten mit neuen erheblichen Ansprüchen rechnen. Die Serie der Folgekosten ließe sich lange fortführen. Doch ich will es unmissverständlich sagen: Menschen zu helfen, die unverschuldet in höchste Not geraten sind und sich vor einem Krieg in Sicherheit bringen müssen, halte ich für eine großartige Tat, die ich unbedingt unterstütze.

Beinahe hätte ich mich zu dem Wort „humanitär“ verstiegen. Doch leider bedeutet die Erwähnung des Humanitären im gängigen Sprachgebrauch, dass man sich umgehend nach einem Luftschutzbunker umsehen sollte. Dass 20-jährige Wüten der NATO in Afghanistan wurde anfangs ja auch humanitär genannt — wenigstens von deutscher Seite.

Frauen retten, Brunnen bauen — so wünschte man sich den Einsatz der Bundeswehr zu nennen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Putins „militärischer Spezialoperation“ drängt sich auf. Und überhaupt darf man sagen, Putin hat einiges von den Sprachregelungen der NATO gelernt. Es ginge um „die Verteidigung unserer Sicherheit am Hindukusch“ hatte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck, flankiert vom grünen Außenminister Fischer, seinerzeit dekretiert. Das Problem ist nur, dass kein Afghane uns je bedroht oder gar angegriffen hätte. Und es dürfte auch keine afghanische Frau gegeben haben, die um NATO-Bombardements für ihre Befreiung gebeten hätte.

Eine Karikatur alles Humanitären

Da klingt es schon plausibler, dass Putin die Russen im Osten der Ukraine vor den pausenlosen Angriffen ukrainischer Nationalisten schützen will. Und für die Behauptung, dass Russland seine Sicherheit in der Ukraine verteidigen muss, gibt es leider viele schlagende Gründe. Es ist schon erstaunlich, wie die deutsche Gesellschaft, die nie besonders interessiert hat, was die Bundeswehr am Hindukusch wirklich macht und wie viele unschuldige Afghanen die 150.000 Bundeswehrsoldaten im Laufe der Jahre erschossen oder zerbombt haben, wie ausgerechnet diese Gesellschaft auf den Krieg Putins mit moralischem Schaum vor dem Mund reagiert, der unvermeidlich zur Karikatur alles Humanitären gerät.

Die humanitäre Hingabe trifft stets nur ein paar auserwählte Menschen, die zufällig am Horizont unserer Interessen auftauchen. Flüchtlinge, die aus Ländern stammen, die auch dank westlichen Engagements unbewohnbar geworden sind — Länder wie Syrien, Afghanistan, Irak oder Libyen —, werden gelegentlich sogar aus Seenot gerettet, meistens aber nicht. Europa hat grausame Mauern zur Abwehr dieser „Müden, Armen, geknechteten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen“ errichtet.

So gesehen fällt es schwer, den speziellen Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen als purlautere Folge des abendländischen Humanismus oder der berüchtigten „westlichen Werte“ zu verstehen. Dazu passt das geradezu messbare Schweigen unserer politischen und medialen Verlautbarungsmaschinen über die enorme Zahl ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland. Vermutlich sind es jetzt schon mehr als zu Zeiten der großen Flüchtlingskrise 2015. Doch was heute systematisch übersehen wird, führte vor gerade mal sieben Jahren das Land an den Rand eines Bürgerkrieges.

Nur einer konnte das Maul nicht halten: Friedrich Merz, Chef der CDU und ihr Kanzlerkandidat. Er sprach von einem „Sozialtourismus“ mit FlixBussen, die zwischen Ukraine und Deutschland hin und her pendeln. Er unterstellte dabei, dass ukrainische „Flüchtlinge“ in Deutschland Sozialhilfe kassieren und mit der „Stütze“ in der Tasche wieder in die Ukraine zurückfahren. Rein ökonomisch wäre das ein gutes Geschäft. Der Durchschnittslohn in der Ukraine beträgt zurzeit circa 255 Euro. Beim Jobcenter könnte der Flüchtling für sich und seine Familie schnell mal weit über 1000 Euro einstreichen. Ehrlich gesagt kann ich die Menschen sogar ganz gut verstehen. Man bietet ihnen hübsche Summen an, und sie anzunehmen ist wahrscheinlich nicht mal eine Straftat.

Doch kaum hatte Friedrich Merz seinen Verdacht ausgesprochen, musste er ihn auch schon zurücknehmen. Der gewaltige Shitstorm leuchtet ein: Wer will schon beim Führen Heiliger Kriege von erbsenzählenden Buchhaltern in seiner Andacht gestört werden? Und insofern hat man im Eifer des Gefechts auch vergessen, mal zu überprüfen, was an diesem Sozialtourismus denn dran sein könnte.

Reges Transportgeschäft

Nehmen wir mal die FlixBusse. Allein von Berlin aus starten täglich weit über 50 Busse Richtung Kiew. Von Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart und München sind es ungefähr zehn bis fünfzehn pro Stadt. FlixBus fährt aber nicht nur nach Kiew, sondern steuert noch ein halbes Dutzend anderer Destinationen in der Ukraine an. Und genau die Menge Busse, die Richtung Ukraine fährt, fährt auch wieder zurück nach Deutschland.

Dennoch ist es nicht leicht, einen Platz zu ergattern. Wer von Berlin nach Kiew will, muss im Moment circa eine Woche warten, bis dahin sind alle Busse vollständig ausgebucht. Von Köln oder Frankfurt aus dauert die Wartezeit sogar noch ein paar Tage länger. Vorsichtig geschätzt steuern täglich mindestens 120 FlixBusse aus Deutschland die Ukraine an. Das sind pro Tag etwa 6000 Menschen, im Monat um die 180.000 Menschen. Und genau die gleiche Anzahl fährt wieder zurück nach Deutschland.

Doch FlixBus ist wahrlich nicht das einzige Transportmittel in die Ukraine, wahrscheinlich bloß das Günstigste. Es gibt andere Busunternehmer, die Eisenbahn und natürlich auch jede Menge Privatwagen. Die Grenzen sind offen. Die Entfernungen überwindbar. Auch wenn wir die genauen Zahlen nicht kennen, es gibt ein wahrlich erstaunliches Ausmaß an Reisetätigkeit aus einem Land und in ein Land, das unter Putins völkerrechtswidrigem Angriffskrieg — wie man nicht müde wird, uns einzutrichtern — schwer leidet. Ein vergleichbares Fluchtgeschehen dürfte es noch nie gegeben haben.

Man darf davon ausgehen, dass die deutschen Behörden den Umfang dieser Reisen vom Kriegsgebiet ins Asylgebiet und zurück sehr viel genauer kennen, als ich mit meinen Mitteln errechnen kann. Da eine kleine FlixBus-Spritztour von Berlin nach Kiew und zurück circa 180 Euro kostet und somit sehr viel für die Verhältnisse eines durchschnittlichen ukrainischen Lohnempfängers, kann man sich auch vorstellen, woher das Geld dafür kommt und warum so viele Ukrainer hin und her flixen.

Stellt sich nur die Frage, warum die deutschen Behörden diesem systematischen und erheblichen Missbrauch von Sozialhilfe tatenlos zuschauen und Politik und Medien so gar kein Interesse daran haben, darüber ein Wörtchen zu verlieren. Ich kann mir nur eine Antwort vorstellen: Es geht darum, mittels indirekter Geldtransfers die Ukraine ökonomisch über Wasser zu halten.

Es gibt keinen Zweifel, ohne riesige Summen aus dem Westen wäre die Ukraine längst zahlungsunfähig. Vermutlich war das bereits vor dem Krieg schon so.

Die Kriegswirtschaft hat das Land weiter geschwächt. Und mit den Unsummen für militärisches Gerät dürfte sich das Land auf viele Jahrzehnte hoch verschuldet haben und sich längst völlig in der Hand seiner westlichen Zulieferer befinden.

Selbst dem blödesten deutschen Bildungsbürger dürfte langsam klar geworden sein, dass die USA Russland mit diesem Krieg zerschlagen wollen. Dabei drängt sich die Frage auf, wie das möglich sein soll ohne den einseitigen Einsatz von Nuklearwaffen. Damit wären wir wieder beim Modell Afghanistan. Inzwischen weiß man, wie der Westen die Sowjetunion in den Krieg in Afghanistan verstrickt hat. Dabei ging es nur um das eine kalte Kalkül, dass die Sowjetunion sich mit ihrer Invasion militärisch verausgabt und das ganze Reich am Hindukusch verendet. Mission accomplished!

Ich hatte es anfangs gesagt, es fällt sehr schwer, nicht zynisch zu werden: Aber sollte das die Strategie des Westens sein, dann spielt man auf Zeit. Noam Chomsky hat kürzlich an die „afghanische Falle“ erinnert als die USA ihren Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion „bis zum letzten Afghanen“ geführt habe (4). Heute müsste man sagen: bis zum letzten Ukrainer. Der generös akzeptierte „Sozialtourismus“ könnte ein Mittel sein, die Ukrainer bis zum Letzten bei der Stange zu halten in diesem Krieg der USA gegen Russland.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Einen knappen Überblick über die Leistungen für Flüchtlinge aus der Ukraine verschafft ein Infoblatt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/infoblatt-hilfe-gefluechtete-ukraine.pdf?__blob=publicationFile&v=11
(2) https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/ukrainische-fluechtlinge.html
(3) https://dserver.bundestag.de/btd/20/017/2001781.pdf#page=4
(4 https://www.heise.de/tp/features/Chomsky-In-der-Ukraine-ist-eine-diplomatische-Loesung-immer-noch-moeglich-7252690.html?seite=all