Der Landwirt-Lockdown

Angesichts der existenzgefährdenden Ampelpolitik sind Landwirte und weitere systemrelevante Branchen fest entschlossen, das Land lahmzulegen — ob ihnen das gelingt? Teil 3 eines Vor-Ort-Berichts.

Ein lahmgelegtes Land ist seit 2020 nichts Unvorstellbares mehr. Doch kann einer branchenübergreifenden Allianz aus Menschen in systemrelevanten Berufen das gelingen, was einem Corona-Maßnahmenstaat im Handumdrehen gelang? Ein ganzes Land zum Stillstand zu bringen, um dadurch eine Veränderung beziehungsweise das Erreichen eines politischen Ziels zu erwirken? In zwei Jahren hat die Ampelregierung die Landwirte mit immer absurderen Vorgaben ständig mehr in Bedrängnis gebracht. Mit der Streichung der als klimaschädlich deklarierten, aber für die Landwirte existenziell notwendigen Subventionen wurde eine rote Linie überschritten. Wochenlang kündigten nun die Landwirte für den Jahresbeginn 2024 große Proteste und Blockaden an. Nun ist es seit über einer Woche so weit: Die Landwirte erobern die Autobahnen und Innenstände des Landes. Teil 3 des Vor-Ort-Berichts dokumentiert die Stimmung aus dem Herzen der Bewegung: dem Großprotest in Berlin am 15. Januar 2024.

Wann hat sich zuletzt ein Traktor in das Regierungsviertel verirrt? Eine so mächtige Maschine mag in dieser Parallelwelt eine selten zu erblickende Sehenswürdigkeit sein. An jenem 15. Januar 2024 jedoch ist es fast unmöglich, sie zu zählen. Von allen Seiten strömen die Multi-PS-Gefährte sternförmig in die Wohlfühloase der volksfernen Volksvertreter.

Bereits in den frühen Morgenstunden sind die westlichen Zufahrtsstraßen von den motorisierten Titanen blockiert. Dem Betrachter bietet sich eine skurrile, fast schon postapokalyptisch anmutende Kulisse: Mitten in den breiten Berliner Straßen schlummern Achse an Achse Traktoren mit Rädern so hoch wie ein ausgewachsener Mann. Dazwischen brennen Feuerschalen und Feuertonnen, an deren lodernden Flammen sich die Landwirte Hände, Kaffee und Suppen wärmen. Der aufsteigende Dampf verleiht der gesamten Szenerie eine ganz eigenartige Atmosphäre.

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Fotos: Nicolas Riedl

Ein Protestler mit einer Hebebühne gestattet mir eine Mitfahrt in circa fünfzig Meter Höhe, um mir mit Augen und Kamera einen Überblick über die Szenerie zu verschaffen. In schwindelerregender und windiger Höhe kann ich bis in die Berliner Außenbezirke blicken. Von Westen rollt hektisch blinkend und hupend eine ganze Traktoren-Kolonne heran.

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Fotos: Nicolas Riedl

Es zeichnet sich am Horizont immer deutlicher ab: Berlin — oder zumindest Berlin-Mitte — ist heute in Bauernhand.

Hinter vorgehaltener Bauernhand

Wieder sicher am Boden angekommen, bedanke ich mich bei dem Hebebühnenfahrer und gebe ihm meine Manova-Visitenkarte. Das sollte im Nachhinein einer der wenigen Momente gewesen sein, bei dem sich die Protestler gegenüber Medienvertreter aufgeschlossen zeigten.

Im weiteren Verlauf des Vormittags hält sich die Bereitschaft der Landwirte, mit Medienvertretern zu sprechen, in Grenzen. Die mediale Hetze und die haltlosen Vorwürfe, etwa Robert Habecks herbeifabulierte Putin-Finanzierung, haben wohl Wirkung gezeitigt — derart, dass die Protestler Reporter mit Argwohn beäugen, und gerade dann, wenn sie eine Kamera mitführen.

Manche geben sich unter der Bedingung gesprächsbereit, namentlich nicht genannt werden zu wollen. Manche von ihnen sind selbst schon seit Jahren nicht mehr als Landwirte aktiv, kommen aber an diesem Tag, um ihre früheren Kollegen zu unterstützen. Sie wissen zu berichten, dass die bauernfeindliche Politik schon Jahrzehnte vor der Ampelregierung begonnen hatte. So hätten bereits Ende der 1990er-Jahre die Tiere zwangsweise mRNA-„Impfstoffen“ verabreicht bekommen, mit tödlichem Ausgang für einen nicht unerheblichen Teil des Viehbestandes. Andere berichten von vergifteten Böden und Gewässern sowie von unerfüllbaren Auflagen, die schon seit Jahren den Landwirten aufgebürdet würden. Was nun unter der Ampel geschehe, sei nur die konsequente Fortführung dessen, was sich bereits seit Jahrzehnten vollziehe.

Rukwieds Rückwärtsgang

Erwartungsgemäß konzentrierte sich der Protest rund um die Bühne am Brandenburger Tor. Nördlich der Protestkundgebungsfläche war der Reichstag hermetisch von Polizeiwannen abgeriegelt worden, um die dortigen Posteninhaber vor zu viel Realitätskonfrontation zu bewahren. Ebenso zugegen war die gepanzerte und schaufelbehangene Menschenräummaschine der Polizei, die vielen von den Coronaprotesten noch in Erinnerung sein dürfte. Die von den Bauernverbänden viel gepriesene Dialogbereitschaft beruhte nur bedingt auf Gegenseitigkeit, was sich unter anderem in der massiven Abriegelung des Parlaments zeigte.

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Fotos: Nicolas Riedl

Über die tiefgreifende Entfremdung zwischen dem Regierungsviertel und dem Land konnte auch kein Christian Lindner hinwegtäuschen, der krampfhaft versuchte, eine Gemeinsamkeit zwischen ihm und den Bauern herzustellen — seine Frau besäße nämlich ein Pferd auf dem Land. Dieser Anbiederungsversuch fiel freilich nicht auf fruchtbaren Boden. Man hätte glatt denken können, Lindner hätte zu „Don’t worry, be happy“ angestimmt, so viel wurde gepfiffen.

Allein der Lärmpegel verdeutlichte die geballte politische Energie, die sich hier gesammelt hatte. Neben den rund 5.000 Maschinen waren weit über zehntausend Teilnehmer zugegen. Der kleinrechnende Zahlensalat der Leitmedien wurde auch hier — wie schon bei den Corona-Demonstrationen — wieder serviert. Schätzungen hin oder her: Das Regierungsviertel war an diesem Tag dicht!

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Fotos: Nicolas Riedl

Eine solche Energiedichte kann selbstredend für die Politiker-Kaste gefährlich werden, wird sie nicht gebändigt und in ungefährliche Bahnen gelenkt. Wie das geht, demonstrierte Bauernverband-Präsident Joachim Rukwied, der seine Rede mit folgenden Worten beendete:

„Ziehen sie die Steuererhöhungen zurück, dann ziehen wir uns zurück!“

So kanalisiert man Veränderungsenergie. Der gesamte Protest und die ihm zugrunde liegenden Ursachen werden auf einen Teilaspekt reduziert und die Beendigung des Protestes an diesen gekoppelt. Dabei geht es um wesentlich mehr als um eine Steuererhöhung.

Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob sich die Landwirte mit diesen faulen Kompromissen besänftigen lassen. Selbst die mittlerweile von der Ampel bewilligten Eingeständnisse laufen darauf hinaus, dass die Landwirte eine höhere Belastung zu tragen haben als zuvor.

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Foto: Nicolas Riedl

Die Bauernbewegung samt der Branchen, die sich mit ihr solidarisieren, steht nun vor der Herausforderung, einen langen Atemzug zu holen und eine klare Zielvorstellung zu entwickeln. Ersteres ist bereits schwierig, denn die Witterungsbedingungen sind derzeit frostig. Zugleich rufen Verpflichtungen auf den Höfen, denen sich die Bäuerinnen und Bauern nicht lange werden entziehen können. Und an einer klaren Zielvorstellung abseits dessen, was die Landwirte alles nicht möchten, fehlt es ebenfalls. Das ist aber nicht verwunderlich, nach 16 Jahren der Angela-alternativlos-Merkel-Ära, die die politisch-gesellschaftliche Imaginationskraft der Deutschen schwer in Mitleidenschaft gezogen hat. Lässt sich Landwirtschaft gänzlich neu denken, abseits der bisherigen Agrarpolitik und der ins Haus stehenden Monokultur des New-Green-Deal-Smart-Farmings à la WEF, BlackRock & Co?

Ich werde die Bauernproteste weiter begleiten und im Gespräch mit Landwirten diesen Fragen nachgehen.