Der teure Schein

Die Kunden bezahlen einen hohen Preis für das Marketing, mit dem sie angelockt werden, wie aktuelle Untersuchungen zeigen.

Marke kostet, wie jeder und jede weiß. Oftmals wird der Markenname teuer mitbezahlt, obwohl er nichts über die Produktqualität aussagt. Experten nennen das den „Marketing-Rucksack“. Wie schwer der wiegt beziehungsweise wie teuer er ist, das haben zahlreiche Untersuchungen in den letzten Jahren gezeigt. Dieser „Rucksack“ ist in allen Branchen zu finden. Die Konzerne lassen sich auf diesem Weg von den Kunden die Werbung bezahlen. Dabei ist nicht die Qualität entscheidend. Es gibt Alternativen zu diesem Betrug an den Kunden.

In einer Veröffentlichung der Stiftung Warentest von Mai 2019 fasste die Verbraucherschutzorganisation in einer Übersichtsstudie unter dem Titel „Sauber sparen“ die Ergebnisse aus 21 Tests der Jahre 2017 und 2018 mit Qualitätsurteilen zu 371 Produkten zusammen (1). Diese Ergebnisse sind verblüffend. Bei Wasch- und Reinigungsmitteln, Kosmetik- und Körperpflegeartikeln schnitten die sehr viel billigeren Handelsmarken bei der Qualitätsbeurteilung etwas besser ab als die meist deutlich teureren Markenanbieter. Die Handelsmarken erhielten ein durchschnittliches Test-Qualitätsurteil von 2,5, die Markenanbieter dagegen nur die Note 2,7. Die Preisunterschiede waren jedoch erheblich:

„Die sechs günstigsten der besten Wasch- und Reinigungsmittel von Markenherstellern sind 138 Prozent teurer als die sechs günstigsten besten Handelsmarken. Bei Kosmetik kostet der Warenkorb mit Markenartikeln sogar 375 Prozent mehr als der von Handelsketten“ (2).

Das sind beeindruckende Zahlen. Die Wasch- und Reinigungsmittel der Handelsmarken kosten also nur 42 Prozent so viel wie die Markenprodukte, Kosmetikartikel kosten nur 21 Prozent (3). Und das bei gleicher oder sogar leicht besserer Qualität.

Den Preisaufschlag kann man relativ problemlos als Marketing-Rucksack bezeichnen, denn die höheren Kosten der Markenartikel kommen ja (per definitionem) gerade dadurch zustande, dass eine Marke aus dem jeweiligen Produkt gemacht wird. Um aus einem No-Name-Waschmittel eine Marke zu machen, muss viel Energie, Brain, Kraft und Geld in Werbung und Vertrieb, sprich Marketing gesteckt werden. Also können wir sagen: Markenartikel bei Wasch- und Reinigungsmitteln haben im Durchschnitt einen Marketing-Rucksack von 58 Prozent des Verkaufspreises! Und das, obwohl sie laut Untersuchungen der Stiftung Warentest qualitativ nicht besser, sondern sogar ein wenig schlechter sind als No-Name-Produkte.

Bei Marken-Kosmetik-Produkten beträgt der Marketing-Rucksack gar stolze 79 Prozent, also 79 Cent pro Euro Markenkosmetikprodukt zahlen wir rein für das Marketing. Und das, ohne dass die Markenkosmetika irgendwie besser wären.

Kurz: Lasst uns Markenartikel bei Wasch- und Reinigungsmitteln, Kosmetik- und Körperpflegeartikeln meiden! Hier könnten ungeheure Mengen an Fleiß, Kraft, Brain und Energie gespart werden, ohne dass sich unser Lebensstandard auch nur geringfügig verschlechtert. Im Gegenteil, qualitativ wären wir sogar ein klein wenig besser gestellt. Aber im Geldbeutel bliebe ein riesiges Mehr, weil wir dann nur noch 42 beziehungsweise 21 Prozent so viel für Wasch- und Reinigungsmittel beziehungsweise für Kosmetik- und Körperpflegeartikel ausgeben würden.

Lebensmittelqualität hängt nicht am Preis

Ähnliches gilt für Lebensmittel, wenn auch nicht in diesem enormen Umfang. Stiftung Warentest hatte im Sommer 2018 in einer Übersichtsstudie 72 Tests zu 1.739 Lebensmitteln ausgewertet (4). Auch bei diesen sehr umfangreichen Studien kam heraus, dass No-Name-Lebensmittel qualitativ genauso gut, wenn nicht leicht besser waren als Markenartikel. Die Handelsmarken erhielten die Note 2,8, die Markenartikel Note 3,0. Die Marken-Lebensmittel kosteten aber im Durchschnitt 83 Prozent mehr als No-Name-Lebensmittel — wie gesagt bei mindestens gleicher Qualität.

Marken-Lebensmittel waren also fast doppelt so teuer wie No-Name-Lebensmittel, ohne qualitativ besser zu sein. Anders gerechnet: Pro Euro, den wir für Marken-Lebensmittel ausgeben, fließen 45 Cent in die Marketing-Budgets der Konzerne, also sofort und direkt in die Werbeagenturen, an findige Vertriebsheere oder auf die Konten der Aktionäre. Also beinahe die Hälfte der Ausgaben für Marken-Produkte geben wir für heiße Luft aus.

Das ist enorm viel Geld. Die Big Ten der Lebensmittelindustrie sind Nestlé, Anheuser Busch, Pepsico, Coca Cola, Unilever, Mondelez, Kraft Heinz, Danone, Diageo, Archer Daniels Midland (5). Der Jahresumsatz dieser zehn beträgt derzeit weltweit etwa 500 Milliarden Euro (6). Insgesamt betrug der Jahresumsatz der 25 größten Lebensmittel- und Getränkekonzerne im Jahr 2017 bei 750 Milliarden Dollar und der Gewinn bei 137 Milliarden Dollar (7).

Die Bevölkerung Großbritanniens kauft etwa 50 Prozent ihrer Lebensmittel von den Großkonzernen (8). Wenn die Briten also statt sogenannter Marken-Lebensmittel No-Name-Lebensmittel kaufen würden, könnten sie fast ein Viertel ihrer Ausgaben für Lebensmittel einsparen (9) — ohne qualitative Einbußen bei ihrer Ernährung hinnehmen zu müssen, im Gegenteil, sie könnten sich dann sogar qualitativ besser ernähren. Das ist eine Menge Geld, die ausschließlich in den Marketing-Rucksack fließt, in heiße Luft, flotte Sprüche und bunte Bilder.

Lasst uns die Produkte der großen Lebensmittelkonzerne meiden! Dann leben wir nicht nur gesünder, sondern auch besser und können unser Geld anders verwenden.

Einzelstudien zu verschiedenen Produktgruppen

Betrachtet man statt der Übersichtsstudien von Stiftung Warentest einzelne Produktgruppen, so zeigen sich beispielsweise bei Handcremes mit derselben test-Note von Stiftung Warentest große Preisdifferenzen: Bei Aldi Süd gibt es Handcreme für 0,68 Euro pro 100 ml, die Nivea-Handcreme kostet mit 1,85 Euro das 2,7-fache davon und eine Creme von Shiseido kostet sage und schreibe 30 Euro, also das 44-fache der Aldi-Handcreme — und das bei genau derselben test-Bewertungsnote von 2,1 für alle drei Handcremes (10).

Bei Gesichtscreme für Männer reicht die Preisspanne von 3,40 Euro pro 100 ml für dm-Creme mit der test-Note 2,3 bis 80 Euro von Clarins, die ebenfalls die test-Note 2,3 bekam (11). Bei Deos geht die Preisspanne von 1,10 Euro für ein Aldi-Deo mit der test-Note 2,4 bis 16,40 Euro für ein Deo von Eucerin mit der test-Note 2,4 oder 24,80 Euro für ein Deo von La Roche-Posay mit der Bewertungsnote 2,5 (12). Bei Vollwaschmitteln reicht die Preisspanne bei vergleichbaren Testnoten von 0,11 Euro pro Waschgang — so Aldi — bis 0,26 Euro bei Persil oder 0,27 Euro bei Ariel (13).

Sehr stark sind die Preisunterschiede bei Zahncremes. Sie reichen von 0,52 Euro pro 100 ml bei einem Produkt von Rossmann bis 11,70 Euro für Colgate — bei gleicher Qualität (14). Markenzahncreme kostet also bei gleicher Putzleistung gut das 22-fache. Daher hatte die Drogeriemarktkette dm ja auch für Schlagzeilen gesorgt, als sie 2015 wegen einer verdeckten Preiserhöhung von Colgate schlichtweg die Zahncreme aus dem Sortiment nahm (siehe Bild unten). Der US-Konzern änderte für die Colgate-Zahncreme Dentagard — bei gleichem Preis — die Tubengröße von 100 ml auf 75 ml, was einer verdeckten Preiserhöhung von 33 Prozent entsprach. Die Drogeriekette dm empfand das als zu krassen Kundenbetrug und reagierte entsprechend (15).

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Bildquelle: ikz-online.de abgerufen 30. August 2020

Die nicht gerade besonders verbraucher-, aber sehr aktionärsfreundlichen Geschäftspraktiken von Colgate war mir bereits als Student der Volkswirtschaftslehre an der Ludwigs-Maximilians-Universität München aufgefallen. Prof. Eugen Leitherer erzählte im Rahmen seiner Marketing-Vorlesung Anfang der 1980er Jahre einmal mit Begeisterung, wie eine Beratungsgesellschaft bei dem US-Konsumgüterkonzern Colgate-Palmolive die geniale Idee hatte, die Zahnpasta-Tubenöffnung zu vergrößern. Das Resultat: Die Umsätze stiegen um über 30 Prozent, weil die Verbraucher unfreiwillig mehr verbrauchten als zuvor. Leitherer stellte dies als eine großartig gelungene, clevere Marketing-Maßnahme dar, die es nachzuahmen gelte. Also die Methode, Kunden so tief wie möglich in die Tasche zu greifen, ist bei Colgate alt, aber offenbar so wirksam, dass man sie auch 2015 wieder anwandte.

Übrigens gibt es auch bei anderen Produkten, beispielsweise Haushaltsgroßgeräten wie Kühlschränken oder Waschmaschinen erhebliche Preisunterschiede zwischen den verschiedenen Herstellern. Beispielsweise kostet ein großer Einbaukühlschrank von Siemens mit der test-Note 1,2 765 Euro und einer von Miele mit der schlechteren test-Note 1,5 1.600 Euro (16). Da aber bei Kühlsc+hränken von Stiftung Warentest praktisch nur Markenhersteller getestet wurden, kann man keine aussagekräftigen Schlüsse auf den Marketing-Rucksack ziehen.

Das gleiche gilt für Waschmaschinen, die von Stiftung Warentest unter anderem 2019 getestet wurden (17). Dort reicht die Preisspanne von 455 Euro für eine Maschine von Constructa mit test-Note 2,0 bis 940 Euro für eine Waschmaschine von Miele mit test-Note 1,6. Also auch hier gibt es durchaus erhebliche Preisunterschiede, insbesondere, wenn man die laufenden Betriebskosten mitberücksichtigt. Allerdings kann auch hier nicht gut auf den Marketing-Rucksack geschlossen werden, da im vergleichbaren test-Noten-Bereich praktisch nur namhafte Marken-Anbieter untersucht wurden.

Quer durch alle Produkte kommt Stiftung Warentest nach jahrzehntelangen Erfahrungen zu folgendem Ergebnis:

„Prominenz ist Geld wert. Deshalb bewerben so viele Unternehmen ihre Produkte mit Stars und Sternchen. Noch besser ist es für Hersteller, wenn die Ware selbst der Star ist — oder sogar Superstar: ein Markenname, der zum Synonym für eine Produktgruppe geworden ist. So wie zum Beispiel Deutschlands bekannteste Marke für Papiertaschentücher oder die für Klebestreifen oder die für Lippenfettstifte. Einer starken Marke sprechen Menschen eine gute Qualität zu — und das erlaubt einen höheren Preis. Dieses positive Image ist nicht in jedem Fall gerechtfertigt. Das erfahren test-Leserinnen und -Leser in so ziemlich jeder Ausgabe. Immer mal wieder erringen billige Eigenmarkenprodukte von Handelsketten sogar den Testsieg“ (18).

Lasst uns häufiger Stiftung Warentest lesen und dann viel heiße, aber teure Luft aus den Marketing-Rucksäcken entlassen! Das spart uns viel Kraft, Energie, Zeit, Brain und Ressourcen.

Der Blick auf ein bekanntes Produkt

Schauen wir nun konkret auf ein bekanntes und beliebtes Produkt, auf Cola, und versuchen wir herauszubekommen, wie hoch der Marketing-Rucksack bei Coca-Cola ist. Günter Faltin nennt den Marketing-Rucksack, „der einem Produkt aufgebürdet wird“, in seinem wegweisenden Buch „David gegen Goliath“ die „Differenz zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreis“ (19).

Was also auf jeden Fall in den Marketing-Rucksack hineingehört sind die offen ausgewiesenen Marketing- und Vertriebskosten. Zum Marketing-Rucksack müssen letztlich aber auch die Gewinnspannen gezählt werden, zumindest teilweise, zumindest besonders hohe Gewinne, denn Günter Faltin zitiert in diesem Zusammenhang den bekannten Händler-Spruch: „Der Gewinn entsteht im Einkauf.“ Und gerade viele zwischengeschaltete Händler sind für Günter Faltin ja ein besonderes gutes Indiz für einen großen, aufgeblasenen Marketing-Rucksack (20).

Ein Blick in die Jahresabschlüsse von Coca-Cola Inc. zeigt folgendes: Im Jahr 2019 gab das Unternehmen insgesamt 4.246 Millionen Dollar für Werbung, advertising expenses, aus, die Vertriebskosten, selling and distribution expenses, lagen im selben Jahr bei 2.873 Millionen US-Dollar (21). Der Gesamtumsatz, net operating revenues, des Unternehmens belief sich 2019 auf 37.266 Millionen US-Dollar (22). Also entfielen 11,4 Prozent auf Werbungskosten und 7,7 Prozent auf Vertriebskosten, zusammen also 19,1 Prozent vom Umsatz.

Ebenfalls 2019 betrug der Nettogewinn nach Steuern 8.985 Millionen US-Dollar (23), das entspricht 24,1 Prozent vom Umsatz. Das ist interessant. Der Gewinn ist also deutlich höher als die Werbungs- und Vertriebskosten zusammen. Demnach entfallen auf Marketing, Vertrieb und Gewinne 43,2 Prozent vom Umsatz.

Um die gesamte Höhe des Marketing-Rucksackes herauszubekommen, brauchen wir aber die komplette Differenz zwischen den Herstellungskosten und dem Verkaufspreis, betriebswirtschaftlich noch besser wären die Grenzkosten der Produktion, und müssen diese mit dem Endverkaufspreis vergleichen.

Die eigentlichen Herstellungskosten für die Produkte, cost of goods sold — COGS, werden im Jahresabschluss der Coca-Cola Inc. für 2019 mit 14.619 Millionen US-Dollar beziehungsweise 39,2 Prozent vom Umsatz angegeben (24). Das entspricht aber nicht den reinen Produktionskosten, denn darin sind unter anderem auch Transportkosten, direkte Steuern, Hedgekosten und andere Kosten enthalten (25). Coca-Cola Inc. schlüsselt die COGS leider nicht detailliert auf, zum Beispiel wie hoch die Materialeinzelkosten, also für die Zutaten, die direkt zurechenbaren Personalkosten, Abschreibungskosten, Heizkosten und so weiter sind.

Wie viel die eigentliche Herstellung von Coca-Cola, Fanta und ähnlichen Getränken beziehungsweise deren Sirup also tatsächlich kostet, mithin wie hoch die Kern- oder die Grenzkosten der Herstellung sind, kann aus dem Geschäftsbericht letztlich nicht abgeleitet werden. Und so können wir aus der Bilanz auch nur sehr schwer den eigentlichen Marketing-Rucksack von Coca-Cola und so weiter ermitteln. Wenn wir nur nach den Angaben im Jahresabschluss 2019 gingen, kämen wir auf einen Marketing-Rucksack von ungefähr 43 Prozent, also pro Euro Coca-Cola fließen 43 Cent an die Werbeagenturen, in die Vertriebsheere und direkt an die Aktionäre.

Da diese Zahl aber unvollständig und sicherlich zu niedrig ist, versuchen wir also einen anderen Weg, um die Größe des tatsächlichen Marketing-Rucksackes von Coca-Cola herauszubekommen.

Ende August 2020 kostete bei Aldi Süd eine 1,25-Liter-Pet-Flasche Coca-Cola 1,09 Euro, der Liter also gut 0,87 Euro. Eine 1,5-Liter-Kunststoffflasche der No-Name-Cola „Topstar“ kostete 0,45 Euro, der Liter also 0,30 Euro (26). Coca-Cola war damit also fast dreimal teurer als Topstar-Cola. Am Rande sei bemerkt, dass Familienmitglieder im Blindtest den Geschmacksunterschied zwischen Coca-Cola und Topstar-Cola nicht herausbekommen haben. Wir gehen davon aus, dass die Produktionskosten von Coca-Cola und Topstar-Cola in etwa identisch sein müssten, da die Hauptbestandteile von Cola, Wasser und Zucker, auf den Weltmärkten für beide in etwa dasselbe kosten und auch die Kosten der Abfüllanlagen beziehungsweise der Sirupbereitung keine gravierenden Unterschiede aufweisen dürften.

Es ist sehr schwer, vom Endverkaufspreis der Topstar-Cola in Höhe von 30 Cent pro Liter auf die tatsächlichen Produktionskosten zu kommen, wenn man dazu keine betriebsinternen Angaben hat. Denn man muss dafür alle Gemein- oder Overheadkosten abziehen sowie die Handelsspanne des Einzelhändlers wie Aldi und gegebenenfalls des Großhändlers, die Transportkosten und so weiter. Kurz: Es ist für außen stehende Analysten schier unmöglich, die echten oder direkten Produktionskosten pro Liter Topstar-Cola zu ermitteln.

Aber manchmal gehen die Anbieter mit ihren Verkaufspreisen nahe an ihre Grenzkosten oder an die tatsächlichen Produktionskosten heran, beispielsweise bei Lockvogel-Sonderangeboten. Wir haben ein solches im Mai oder Juni 2020 wahrgenommen. Damals kostete bei Aldi Süd eine 1,5-Liter-Flasche Topstar-Cola 29 Cent, ein Liter also etwa 20 Cent. Wir denken, man kann also davon ausgehen, dass die Grenzkosten der Produktion maximal 20 Cent betragen. Denn unter Grenzkosten würde ein vernünftiger Anbieter in normaler Marktlage — was im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland im Mai und Juni 2020 einigermaßen der Fall war — niemals sein Produkt anbieten, da er dann nicht einmal die variablen Kosten der Produktion decken kann.

Kurz: Wir denken, dass die Produktionskosten für Cola pro Liter maximal 20 Cent betragen. Vermutlich liegen die tatsächlichen Produktionskosten, insbesondere die variablen Kosten noch weit darunter, denn Zucker und Wasser sind äußerst preiswert. Das gilt nicht nur für Topstar-Cola, sondern auch für Coca-Cola in Deutschland.

Wenn wir also Produktionskosten von 20 Cent annehmen und der Endverkaufspreis für Coca-Cola 87 Cent bei Aldi beträgt, heißt das, dass die braune Limo vermutlich locker zum Vierfachen der Herstellkosten verkauft wird. Das lässt auf einen beachtlichen Marketing-Rucksack schließen. Von den 87 Cent Endverkaufspreis fließen also über 20 Cent direkt weiter an die Aktionäre von Coca-Cola Inc., denn die Gewinnquote lag 2019 bei etwa 24 Prozent.

Die allermeisten Aktionäre dürften noch nie eine Coca-Cola-Abfüllanlage von innen gesehen oder am Steuer eines Coca-Cola-Auslieferungslastwagens gesessen haben. Gut 16 Cent von den 87 Cent Endverkaufspreis fließen weiter an die Werbeagenturen und an die eloquenten Verkäufer, damit sie sich weiter schöne Bilder und flotte Sprüche ausdenken können.

Rechnen wir noch einmal anders nach. Ein Liter Coca-Cola kostet mit 87 Cent 2,9 Mal mehr als ein Liter Topstar-Cola. Anders ausgedrückt: Topstar-Cola kostet nur 34 Prozent so viel wie Coca Cola. Das heißt 66 Prozent vom Coca Cola-Preis sind Marketing-Rucksack. Das sind zwei Drittel. Das halten wir für eine realistische Größenordnung. Wenn Coca-Cola also im Endverkaufspreis bei Aldi 2,9 Mal teurer ist als Topstar-Cola, liegt das praktisch ausschließlich am riesigen Marketing-Rucksack, den die Coca-Cola Inc. für uns packt und uns so das Geld aus der Tasche zieht. Wir finanzieren damit im Wesentlichen heiße Luft, Marketing-Luft, viele schöne Bilder, flotte Sprüche und eine gewaltige Gewinnspanne.

Lasst uns diesen unnötigen Marketing-Rucksack abwerfen! Damit wird unser Leben nicht nur leichter, sondern auch besser.

Zahlen aus der Kosmetikindustrie

In dem Kapitel zu den Studien der Stiftung Warentest wurden mehrmals Kosmetikprodukte angesprochen. In einer wissenschaftlichen Studie von 2016 wurden Werbeausgaben der größten Kosmetikhersteller untersucht (27). Dazu wurden die Jahresabschlüsse der 10 Jahre von 2005 bis 2014 ausgewertet. Die durchschnittlichen Werbeausgaben in Prozent vom Umsatz betrugen in diesen 10 Jahren bei L‘Oréal 30,2 Prozent, bei Henkel, unter anderem Schwarzkopf, Dial, Syoss, 27,5 Prozent, bei Beiersdorf, unter anderem Nivea, Labello, Eucerin, 27,8 Prozent, bei Estée Lauder 26,2 Prozent und bei Shiseido 23,2 Prozent. Im Vergleich dazu betrugen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (R&D) im Verhältnis zum Umsatz bei L‘Oréal 3,4 Prozent, bei Henkel 2,7 Prozent, bei Beiersdorf 2,5 Prozent, bei Estée Lauder 1,2 Prozent und bei Shiseido 2,1 Prozent.

Das sind interessante Zahlen. Die Werbeausgaben betrugen bei diesen fünf Kosmetikherstellern also in etwa ein Viertel des Umsatzes und sie waren circa zehnmal so hoch wie die Aufwendungen für die Erforschung neuer, besserer Produkte. Das sind klare Prioritäten. Also man kann sagen, dass bei den Kosmetik-Markenherstellern der Marketing-Rucksack im Durchschnitt locker 25 Prozent beträgt.

Die Werbeausgaben der Pharmaindustrie

Bei unseren Medikamenten ist der Marketing-Rucksack ganz besonders groß und schwer. Das mag uns auf den ersten Blick überraschen, weil wir wenig Medikamentenwerbung sehen. Das stimmt. Denn direkte Medikamentenwerbung an Patienten ist in den meisten Industrieländern, so auch in Deutschland, verboten, weil sie Patienten zu Fehlanwendungen bringt (28). Die eigentliche Werbungs- und Marketing-Schlacht der Pharmariesen findet daher in den Arztpraxen, Krankenhäusern, auf Kongressen und in Fachzeitschriften statt.

Der unabhängige britische Arzt Ben Goldacre kommt in seinen umfangreichen Untersuchungen zur Pharmaindustrie zu dem Ergebnis: „Ein Viertel der Pharmaausgaben fließt ins Marketing, zweimal so viel wie in Forschung und Entwicklung, und das Geld dafür liefern wir über unsere Medikamente. Wir bezahlen für Arzneimittel den enormen Aufschlag von 25 Prozent, damit viele Milliarden Euro jährlich für die Herstellung von Materialien ausgegeben werden können, die Ärzte gezielt verwirren und die evidenzbasierte Medizin untergraben.“ (29) Nach Analysen anderer unabhängiger und sehr glaubwürdiger Experten betragen die marketingbedingten Preisaufschläge nicht nur 25, sondern im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent der Pharmabranche (30).

Die großen Pharmakonzerne geben etwa doppelt so viel Geld für Werbung und Vertrieb aus wie für Forschung und Entwicklung (31). Selbst die Gewinne sind in der Pharmaindustrie höher als die Ausgaben für Forschung und Entwicklung neuer oder besserer Medikamente (32). Die gewinnmaximierenden großen Pharmakonzerne arbeiten im Prinzip nach derselben Devise wie Coca-Cola Inc. oder andere Lebensmittelkonzerne: Im Grunde sind die Pharmaunternehmen große Marketing-Institutionen, die Gewinn erzeugen sollen. Das gelingt auch. Die Entwicklung neuer und besserer Medikamente kommt bei den Prioritäten der Konzernlenker erst an dritter Stelle, hinter Marketing und Gewinnen.

Wie das obige Zitat von Ben Goldacre zeigt, kommt speziell im Falle von Medikamenten belastend hinzu, dass wir über unsere dadurch überhöhten Krankenversicherungsbeiträge nicht nur heiße Luft bezahlen, sondern dass die Pharmaunternehmen durch das Pharmamarketing das Verschreibungsverhalten der Ärzte intensiv zu beeinflussen versuchen, damit diese häufig die teureren, schlechteren oder zumindest nicht besseren, weil profitableren Medikamente verschreiben. Die riesigen Marketingausgaben der Pharmakonzerne zielen laut Ben Goldacre und anderer unabhängiger Experten darauf, die evidenzbasierte Medizin zu untergraben, das heißt, die empirisch überprüften Ergebnisse zu den bestmöglichen Medikamenten zu verfälschen, um die Konzerngewinne zu erhöhen. Wenn aber nicht die evidenzbasiert überprüften Medikamente verschrieben werden, heißt das, dass den Patienten weniger geprüfte Medikamente verordnet werden.

Das Problem an der Sache: Wir können uns als Individuen oder als Patienten fast nicht gegen dieses System wehren, weil die ganzen Werbe- und Vertriebskampagnen ganz überwiegend über die Ärzte, Kliniken und Fachzeitschriften laufen. Wir können hier als normale Bürger also nicht einfach die heiße Luft der gigantischen Pharma-Marketing-Werberucksäcke ablassen, indem wir andere Produkte, sprich Medikamente kaufen. Hier hilft nur eine gesellschaftliche Lösung, sprich bessere Gesetze und Regulierungen. Denn die momentanen Gesetze ermöglichen sowohl die gigantischen Marketing-Rucksäcke der Pharmaindustrie wie auch deren gesundheitsschädigendes Verhalten. Hier wäre also dringend der Gesetzgeber gefragt.

Heiße Luft und flotte Sprüche

Ein ganz erheblicher Teil unserer tagtäglichen Ausgaben ist — für heiße Luft und flotte Sprüche. Egal ob Lebensmittel, Zahncreme, Waschmittel oder Kosmetika: Uns wird in der Werbung ständig weisgemacht, dass Markenartikel wertvoller und besser seien als No-Name-Artikel oder Handelsmarken. Das stimmt aber nicht. Stiftung Warentest beweist immer und immer wieder genau das Gegenteil. In der Regel sind Markenartikel qualitativ nicht besser als No-Name-Produkte oder Handelsmarken, sondern meist sogar einen Tick schlechter.

Dafür sind sie immer, aber auch immer sehr viel teurer. Irgendwer muss ja das ganze Marketing- und Werbe-Gedöns bezahlen. Das sind natürlich wir alle durch die überteuerten Produktpreise, auf die die ganzen Marketing-Ausgaben draufgeschlagen werden. Allein bei Lebensmitteln verschwenden wir fast die Hälfte unseres Geldes, wenn wir Markenartikel kaufen. Bei Waschmitteln, Zahncreme, Kosmetika und so weiter ist es oft noch sehr viel mehr.

Also lasst uns die Konsequenz daraus ziehen: Vermeiden wir sogenannte Markenwaren bei unseren tagtäglichen Ge- und Verbrauchsartikeln! Fallen wir nicht länger auf den Werbe-Schwindel herein! Und engagieren wir uns für eine Verminderung der unsinnigen Werbeflut.


Quellen und Anmerkungen

(1) Stiftung Warentest 5/2019: „Sauber sparen“
(2) Ebd.
(3) Eigene Berechnung: 100 geteilt durch 238 ist gleich 0,42, also 42 Prozent, 100 geteilt durch 475 ist gleich 0,21, also 21 Prozent
(4) Stiftung Warentest 8/2020: „Preiswert hält mit“ sowie 5/2019 „Sauber sparen“
(5) https://www.pharma-food.de/die-10-groessten-lebensmittelhersteller-2020/ Stand 30.8.2020
(6) https://www.youtube.com/watch?v=M4BBSkmm0MA Stand 30.8.2020. Eine leicht verschiedene Reihenfolge findet sich bei Aufschnaiter, Ulrike von (2019), Deutschlands Kranke Kinder: Wie auf Anweisung der Regierung Kitas und Schulen die Gesundheit unserer Kinder schädigen, Hamburg, tredition, S.246.
(7) Aufschnaiter S.246
(8) Vortrag Aufschnaiter: https://www.youtube.com/watch?v=M4BBSkmm0MA Stand 30.8.2020
(9) Rechnung: 50 Prozent Markenartikel, davon 45 Prozent Marketing-Aufwand: 0,5 Mal 0,45 ist gleich 0,225 oder 22,5 Prozent aller Lebensmittelausgaben.
(10) Stiftung Warentest 12/2018
(11) Stiftung Warentest 6/2017
(12) Stiftung Warentest 6/2019
(13) Stiftung Warentest 10/2018
(14) Stiftung Warentest 1/2019
(15) https://www.ikz-online.de/wirtschaft/ein-viertel-weniger-inhalt-dm-stellt-colgate-an-pranger-id11027804.html Stand 1.9.2020
(16) Stiftung Warentest 5/2017
(17) Stiftung Warentest 11/2019
(18) Stiftung Warentest 5/2019, Hervorhebung Gürtler/ Kreiß
(19) Faltin DAGG S.182ff.
(20) Faltin DAGG S.183
(21) Coca-Cola Jahresabschluss 2019, Annual Report Form 10-K, S.50: https://investors.coca-colacompany.com/filings-reports/annual-filings-10-k/content/0000021344-20-000006/0000021344-20-000006.pdf, zuletzt geprüft am 06.08.2020
(22) Coca-Cola Jahresabschluss 2019, S.31
(23) Coca-Cola Jahresabschluss 2019, S.68
(24) Coca-Cola Jahresabschluss 2019, S.68
(25) Coca-Cola Jahresabschluss 2019: „shipping and handling costs“ S.74, taxes imposed directly on the Company“ S.74, „reductions in net operating revenues“ S.84, „hedge costs“ S.94
(26) https://www.supermarktcheck.de/aldi-sued/sortiment/cola/ Stand 30.8.2020
(27) Nicht veröffentlichte Masterthesis 2016
(28) Vgl. Angell, Marcia (2005): Der Pharma Bluff — Wie innovativ die Pillenindustrie wirklich ist. KomPart., Bad Homburg, S. 134
(29) Goldacre, Ben (2013): Die Pharma-Lüge — Wie Arzneimittelkonzerne Ärzte irreführen und Patienten schädigen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, S. 349.
(30) Vgl. Angell und Gotzsche, Peter C. (2015), Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert, München, riva Verlag
Gotzsche 2015.
(31) Vgl Angell 2005, S. 38 und 129f.
(32) Angell 2005, S. 68