Der Utopie-Irrtum

Wir brauchen nicht nur eine Vision für eine bessere Welt, sondern viele, die nebeneinander verwirklicht werden können.

Auf der Suche nach einem guten Leben für alle, nach einer Vision oder Utopie, wird oft der Fehler begangen, anzunehmen, dass nur eine bestimmte Art zu leben die richtige sei. Es soll eine einheitliche Vision geschaffen werden, der alle Menschen sich unterzuordnen haben. Das war der große Fehler des Sozialismus ebenso wie jeder anderen Bewegung, die eine „gute Gesellschaft“ aufbauen wollten, und ist auch die Fehlannahme eines jeden Staates. Menschen sind zu verschieden, zu vielfältig, als dass ein „One size fits all“-Modell mit der Lebenswirklichkeit der Vielen vereinbar wäre. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Viel sinnvoller ist es, eine Gesellschaft der Pluralität, eine „Gesellschaft der Gesellschaften“ zu leben.

Auf der Suche nach einer Utopie oder einer Vision stellt sich unvermeidlich die Frage: Ist es möglich, eine Vision, eine Utopie für die ganze Menschheit zu entwickeln? Es gab in der Geschichte mehrere Versuche, das zu tun, der Pseudosozialismus der Sowjetunion war nur das größte und bekannteste Beispiel. Alle sind sie gescheitert oder haben zu Despotie und Unterdrückung all jener geführt, die sich nicht in das Idealbild des Bürgers, wie er sich in der entsprechenden Utopie darzustellen hat, einfügten.

Eine Utopie birgt immer die Gefahr blutiger Regime. Das hat einen einfachen Grund: Jede Vision, jede Utopie ist ein hermetisch abgeschlossenes Idealbild, ein ideologisches Gesamtkonzept. Entwickelt von nur einem oder einer Handvoll Menschen fußt sie auf dem Idealbild des Menschen, wie er für exakt diese Utopie zu sein hat. So verlangt eine sozialistische Utopie einen fleißigen Arbeiter, der stolz sein Werk verrichtet und die Solidarität hochhält, während eine nationalistische oder völkische Utopie des patriotischen, seinem Volk verbundenen Kriegers bedarf.

Das Problem dabei ist: Es gibt ihn nicht, diesen Einheitsmenschen. Jeder Mensch ist individuell und einzigartig, mit seinen ganz bestimmten Wünschen, Bedürfnissen und Werten. Ein homogenes Utopia zu gründen führte demnach auch stets zu dem Versuch der Umerziehung, der Belehrung, Bestrafung, und zur Auslöschung mehr oder weniger großer Teile einer Gesellschaft.

Der Rest hat sich in Vergangenheit und Gegenwart oft widerwillig oder aus reinem Opportunismus angepasst. Von einer idealen Gesellschaft, in der jeder Mensch frei leben, sich selbst und seine Potenziale voll verwirklichen kann, ist ein solches System der Homogenisierung, Unterdrückung und Auslöschung weit entfernt. Zudem ist ein solches geschlossenes Weltbild sehr störanfällig. Jedes unvorhergesehene Ereignis, jede winzige Störung erschüttert ein homogenes Utopia bis ins Mark, führt schnell zu Chaos und Gewalt.

Doch was ist die Alternative? Sollen wir weiter vor uns hinleben, das Gegebene einfach hinnehmen, uns weiter ausbeuten, unterdrücken lassen? Ein Leben führen ohne Vision, ohne Sinn und Ziel? Sollen wir uns dem kapitalistischen Irrsinn, der uns auf direktem Weg der Auslöschung entgegenführt einfach unterwerfen? Ein Leben für die Interessen des Kapitals — missbraucht als Versuchskaninchen für gentechnische Experimente, verdammt zum Zwangskonsum gefährlicher Gentherapeutika, abhängig von Geld und einem Arbeitsplatz, auf dem Altar der Profite geopferte Verfügungsmasse? Natürlich nicht.

Ein Leben ohne Vision, ohne Werte und Ziele ist inhaltsleer, führt in Apathie und Verzweiflung, genau dahin, wo wir uns momentan befinden. Natürlich brauchen wir Visionen, brauchen auch Utopien. Aber die Betonung liegt hier auf dem Plural.

Nicht eine einheitliche Massenutopie, als vorgefertigte Ware von der Stange kann das Ziel sein, sondern vielmehr eine Gesellschaft, die sich aus vielen unterschiedlichen Ideen, Lebensentwürfen und Projekten zusammensetzt: eine Gesellschaft der Gesellschaften, welche die ganze Bandbreite einer pluralistischen Gesellschaft abbildet.

Small is beautiful

Eine neue Gesellschaft bedarf einer neuen Struktur. Idealerweise ist das kein starres Ziel, das irgendwann erreicht wird und sich nicht wieder ändern darf. Im Gegenteil, die neue Struktur muss genauso wandelbar sein wie das Leben selbst. Menschen identifizieren sich mit Dingen, die sie überschauen können, zu denen sie einen Bezug haben. Je größer die Zusammenhänge sind, desto mehr sind die Menschen von der Gesellschaft, in der sie leben, entfremdet.

Die heutigen Gesellschaften sind der Inbegriff der Entfremdung. Aufgeblähte Institutionen, riesige Konzerne und undurchschaubare Finanzstrukturen bestimmen derzeit unser Leben. Die so entstehende Entfremdung wird versucht zu neutralisieren, indem Eliten geschaffen werden, die dann für alle Menschen Entscheidungen treffen. Das tun sie natürlich stets mit Blick auf ihren eigenen Vorteil, und somit nicht im Interesse der anderen Menschen, sondern nur in ihrem eigenen.

So entstehen Macht, Reichtumskonzentration und strikte Hierarchien. Auf diese Weise hat sich eine Gesellschaft entwickelt, an der die meisten Menschen nur passiv teilnehmen. Wollen wir dagegen eine Welt schaffen, welche die Menschen aktiv gestalten, die im Interesse aller Menschen ist, kann das nicht im Rahmen solcher Institutionen geschehen — und wir können auch nicht auf „die richtigen“ Eliten warten.

Viel sinnvoller ist eine Gesellschaft der kleinen Einheiten. Diese entstehen nebeneinander, wie die Zellen eines Körpers, und bilden ein vielfältiges, buntes Mosaik. Nebeneinander können die unterschiedlichen Werte gelebt und Lebensentwürfe verwirklicht werden. Diese beginnen in den einzelnen Haushalten, Häuserblöcken, Stadtteilen und Dörfern. Klassische Kleinfamilien können hier neben noch klassischeren Großfamilien ebenso leben, wie kunterbunte Lebensgemeinschaften, Kommunen oder Einzelpersonen.

Jeder kann seine Werte in seinem Lebensumfeld verwirklichen, kann sie leben und auch nach außen tragen. Seien es die völkisch orientierten, hierarchischen Dorfgemeinschaften; die offenen Kommunen, die alles teilen; die Kollektivhöfe und -betriebe, die keine Hierarchien kennen; die Kleinbürger; die religiösen Gemeinschaften. All dies kann nebeneinander bestehen und leben. Voraussetzung ist, dass nicht Menschen oder Gruppen versuchen, ihre Überzeugungen, ihren Lebensentwurf anderen aufzuzwingen. Allerdings ist das auch nur notwendig, wenn man einen einheitlichen Staat mit einheitlichen Regeln für notwendig befindet, denen jeder Einzelne unterworfen werden muss.

Künstliche Interessen

Die Vereinheitlichung aber ignoriert die individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Gegebenheiten zugunsten des „Staatswohls“. Ein solcher Einheitsstaat ist aber ein künstliches Konstrukt, dessen Interessen mit den in ihm lebenden Menschen nichts zu tun hat. Er schafft eine künstliche Vereinheitlichung von Menschen, die sich nicht vereinheitlichen lassen, weil sie dies gar nicht wollen oder brauchen. Sobald ein derartiges Konstrukt etabliert ist, wird unglaublich viel Energie darauf verwendet, es zu verwalten und zu unterhalten, Feinde auszumachen, die es bedrohen und diese auszuschalten.

Zudem wird ein riesiger propagandistischer Aufwand betrieben, die Menschen davon zu überzeugen, die Interessen des Staates zu ihren eigenen zu machen. Erdachte Regeln werden den Menschen aufgezwungen, die durch Steuern, Abgaben und Gebühren um einen großen Teil ihrer Einkünfte gebracht werden. Ein Staat ist ein System, das den größten Teil seiner Ressourcen darauf verwendet, sich selbst zu erhalten.

Eine Gesellschaft der Gesellschaften benötigt keinen bürokratischen Überbau. In ihr organisieren sich die Menschen vor Ort, in ihrer Gemeinschaft, ihrem Dorf, ihrem Stadtteil. Das heißt nicht, dass es keine Kontakte, keine Vernetzung gibt.

Im Gegenteil: Wie in den Zellen des Körpers ist ein ständiger Austausch zentraler Bestandteil einer solchen Gesellschaft. Denn eine Gesellschaft, die nicht zentralistisch von oben organisiert wird, benötigt Zusammenarbeit, Austausch und Selbstverwaltung. Sie ist jedoch die sinnvollere Art der gesellschaftlichen Gestaltung. Denn hier haben die Menschen überschaubare Strukturen, die sie verstehen und überblicken können, an denen sie selbst partizipieren. Entfremdung kann auf diese Weise kaum entstehen, und wenn doch, dann ist es möglich, die bestehenden Strukturen jederzeit zu verändern.

Diese kleinen Einheiten, die Zellen, können aus geografischen, sachlichen, technischen, ideellen oder ethischen Ursachen entstehen, ebenso wie aus grundlegenden Bedürfnissen. Auf gleichem Raum können gleichzeitig verschiedene Einheiten existieren, an denen auch jeder Mensch partizipieren kann. So kann jemand gleichzeitig Mitglied einer Erzeugergenossenschaft, eines Philosophenzirkels, eines Tischlerkollektivs, als Bewohner Mitglied des Stadtteil- oder Dorfrates sein. Jeder hätte aber auch das Recht, nichts davon tun zu müssen.

Recht auf Faulheit

Selbstverwaltung klingt aus der heutigen Perspektive nach einem unerträglichen Aufwand. Es klingt, als müsse man sich nach acht oder mehr Stunden Arbeit noch mal zusätzlich mit anderen Menschen und Angelegenheiten befassen. Kein Wunder, dass dazu niemand den Willen und/oder die Kraft hat. So ist es aber nicht zu verstehen. Denn in einer selbstverwalteten Gesellschaft findet die Selbstverwaltung im Prozess des Arbeitens und Lebens statt, sozusagen nebenbei. Gleichzeitig wächst mit dem Maß der Identifikation auch der Grad der Entlastung des Einzelnen. Zudem ist es kein Naturgesetz, dass Menschen acht oder mehr Stunden arbeiten müssen.

Ganz im Gegenteil ist es möglich und auch wünschenswert, diese Zeit drastisch zu verkürzen. Heutzutage wird viel Arbeitszeit überflüssigerweise aufgewandt. Das liegt daran, weil in der heutigen Welt das Leben an Geld und dieses wiederum an die Arbeit geknüpft ist. Wer leben will, muss also arbeiten. Dafür müssen Arbeitsplätze geschaffen werden, damit ein jeder Mensch eine Lebensgrundlage hat. So werden auch sinnfreie Arbeiten geschaffen, Unternehmen gegründet, die zerstörerische, aber vollkommen überflüssige Dinge produzieren.

Der Gesellschaft als Ganzes ist damit aber nicht geholfen, im Gegenteil. Es wird sinnlos Energie und Zeit verschwendet für Dinge, die nichts als Schaden an Mensch und Natur anrichten. In einer Gesellschaft jedoch, die sich selbst verwaltet und vor Ort für alles sorgt, was sie zum Leben benötigt, fällt die Notwendigkeit der Lohnarbeit weg. Die Menschen leben dann nicht vom Geld, das sie als milde Gabe im Gegenzug für ihre Arbeit erhalten, sondern von dem, was sie selbst an- und aufbauen oder produzieren.

Durch die Selbstverwaltung fällt zudem die ganze Bürokratie weg, die unglaublich viel Energie schluckt, ohne jedoch wirklich einen Mehrwert zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Schon vor mehr als 100 Jahren kamen Philosophen und Ökonomen zu der Erkenntnis, dass eine Fünf-Stunden-Woche möglich sei.

Auf diese Weise kann eine Gesellschaft der Gesellschaften es sich auch leisten, dass Einzelne temporär oder auch dauerhaft einfach nichts tun. In seinem Werk „Das Recht auf Faulheit“ sprach sich Paul Lafargue, Schwiegersohn von Karl Marx, schon im 19. Jahrhundert für einen Gegenentwurf des allgemein sozialistischen Ausrufs des „Rechtes auf Arbeit“ aus. Lafargue stellte fest, dass die Sozialisten und Sozialdemokraten sich mit dem „Recht auf Arbeit“ der Logik der kapitalistischen Überproduktion unterwarfen, und damit das bestehende System der Ungleichheit und Ausbeutung zementierten.

Es wird jedoch nur eine Minderheit sein, die sich in einer Gesellschaft der Gesellschaften auf die faule Haut legt. Jeder Mensch möchte sein Leben mit Sinn und Tätigkeit füllen. Dieses Bedürfnis könnte ein jeder dann ganz natürlich in der Gesellschaft verwirklichen. Da es keinen Zwang zum Geldverdienen, keinen ökonomischen Druck gibt, steht es einem jeden frei, seine individuellen Fähigkeiten und Vorlieben zu entdecken und zu entfalten. Dadurch leistet er zugleich einen Beitrag für die Gesellschaft, denn eine solche prosperiert dann, wenn jeder Mensch mit seinem Leben zufrieden ist und seinen Beitrag zum großen Ganzen mit Freude erbringt. Zudem ist es auch möglich, die Tätigkeit jederzeit zu wechseln. Es ist gar nicht notwendig, Jahrzehnte dieselbe Tätigkeit auszuführen.

Gesellschaft der kleinen Einheiten

Vorstellbar wäre, dass erst einmal jede kleine Einheit, also jeder Stadtteil, jede Gemeinschaft, jedes Dorf, für sich seine Lebensmittel anbaut und Handwerke betreibt. Dinge, die größere Werkstätten, Manufakturen und Ähnliches erfordern, können in übergeordneten Zusammenhängen organisiert werden. Betriebe können im Kollektiv, also von Freiwilligen aus allen kleinen Zellen organisiert werden, oder sie können zur freien Verfügung eingerichtet werden, sodass jeder der ein bestimmtes Produkt benötigt, sie benutzen und es herstellen kann. Die Produkte werden nach Bedarf verteilt.

Bedenkt man zudem, dass die heutige Wirtschaft auf den schnellen Konsum kurzlebiger Produkte basiert, die schon nach wenigen Monaten bis Jahren nicht mehr funktionieren und ausgetauscht werden müssen, kann man sich vorstellen, wie viel Arbeitszeit und auch Ressourcen eine Gesellschaft sparen kann, die langlebige Produkte, die sich jederzeit reparieren lassen, herstellt.

In diesen größeren Zusammenhängen könnte jede Zelle ein Mitspracherecht haben, um darüber zu befinden, was wie und wo hergestellt, angebaut und verteilt wird. Auch ist ein beständiger Austausch zwischen den kleinsten Einheiten möglich. Jeder Mensch kann sich dann in verschiedenen Zusammenhängen ausprobieren, einbringen und seine Fähigkeiten entdecken und ausweiten.

Eine zentrale Bildungsstätte ist dann auch nicht mehr notwendig, denn der Mensch lernt im Tun, lernt von und mit anderen und eignet sich jene Fähigkeiten und Kenntnisse an, die seinen Interessen entsprechen. Niemand müsste dann einen Beruf für den Rest seines Lebens ausüben. Stattdessen können die Menschen ihren Interessen und Neigungen folgen, die sich im Laufe eines Lebens oft ändern können.

Wer auf höhere Bildung nicht verzichten oder sich mit Fragen der Philosophie, der Naturwissenschaft beschäftigen möchte, kann jederzeit eine freie Schule oder Universität gründen, sich mit anderen Interessierten austauschen und forschen. Denk- und Forschungsverbote wird es dann nicht mehr geben, weil die wirtschaftsgesteuerte Forschung von heute durch eine reine Forschung der Neigung und Neugier ersetzt wird. Wo Denkverbote etabliert werden, kann ein jeder jederzeit eine neue Schule, eine neue Interessengemeinschaft finden.

Miteinander statt gegeneinander

Auf diese Weise leben die einzelnen Gruppen, Familien und Gemeinschaften nicht nebeneinander her, sondern miteinander. Wie in der Natur gibt es stetige Überschneidungen, ein lebendiges Miteinander. Diese Form des Lebens ist das, was man Chaos nennen könnte. Sie ist jedoch kein zerstörerisches Chaos, sondern ein hoch produktives, kreatives und beflügelndes.

Chaos bedeutet nicht, dass es keine Ordnung und keine Regeln gibt. Jede Lebenszelle kann für sich selbstständig Regeln festlegen. Jedoch dort, wo Zellen aufeinandertreffen, also zum Beispiel in einem Dorf oder Stadtteil, müssen gemeinsame Regeln gelten. Diese werden aber nicht zentral diktiert, sondern von den sie Betreffenden gemeinsam festgelegt. Zudem kann auch Mitsprache jedes Einzelnen bestehen, wie Mechanismen und Prozesse festgelegt werden, mittels derer Regeln beschlossen und geändert werden. Solche Regeln dürfen jedoch nicht die freie Entfaltung der einzelnen Gemeinschaften einschränken oder bestimmten Ideologien oder Gesellschaftsformen Vorschub leisten. Sie bilden nur den Minimalkonsens einer Gesellschaft der Gesellschaften, einen verbindlichen Rahmen, in dem ein buntes Gemälde des Lebens selbstständig entstehen kann.

Durch diese Zusammenarbeit und den Austausch wächst auch das Verständnis füreinander. Wer mit andersdenkenden und -lebenden Menschen zusammenarbeitet, lebt und streitet, der versteht die Denkweise dieser Menschen, ihre Einstellung und Werte. Auf diese Weise fällt es viel schwerer, sie zu Feinden zu erklären, seine eigene Ideologie zu überhöhen und zum einzig richtigen Weltbild zu erklären. Es wächst die Akzeptanz dafür, dass Menschen nun einmal unterschiedlich sind, unterschiedliche Werte haben und ihre Leben dementsprechend ausrichten. Feindbilder, Kriege und andere Verbrechen sind dann viel unwahrscheinlicher. Denn eine Gesellschaft, die jedem Menschen ein gleichwertiges Partizipationsrecht gewährt, weist in der Regel eine geringere Kriminalitätsrate als eine hierarchische auf. Erkenntnis und Verstehen fördern Verständnis und damit auch Empathie.

Eine überregionale Vernetzung mit anderen Städten, Dörfern und Kommunen ist jederzeit möglich. Diese dient nicht nur der Zusammenarbeit an bestimmten Projekten, beispielsweise einer überregionalen Wasserversorgung, sondern auch dem Austausch und dem friedlichen Zusammenleben. Für solche Zwecke kann ein Rat gegründet werden, der aus mehreren Delegierten aller beteiligten Einheiten besteht, aber keine Gesetzgebungsbefugnis hat, sondern nur dem Austausch dient und Ideen entwickelt. Verbindliche Entscheidungen werden dann wieder in den kleinsten Einheiten getroffen und im Rat nur bestätigt. Auf diese Weise bleibt ein hohes Maß an Selbstverwaltung erhalten.

Gegenseitige Achtung

Eine solche Gesellschaft der Gesellschaften fördert auch eine Kultur der Genügsamkeit. Denn jeder Wunsch ist mit persönlichem Arbeits- und Organisationsaufwand verbunden. So ist jeder Einzelne gezwungen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was er für ein gutes Leben tatsächlich braucht und was vielleicht nur von der Werbeindustrie angeregte Konsumwünsche ohne Mehrwert waren. Auch wachsen der gegenseitige Respekt und die Achtung anderer Menschen und Strukturen. Denn das Leben wird wieder zurück vor die Haustür geholt, und damit sind die Auswirkungen eigenen, rücksichtslosen Verhaltens direkt spürbar.

Das fördert auch das Bewusstsein für die Natur, die uns mit allem versorgt, was wir brauchen. Denn wer zum Beispiel rücksichtslos die Gewässer um sich herum verschmutzt, der wird feststellen, dass ihm dadurch kein Wasser zum Trinken mehr bleibt. Die hohe Identifikation mit der Gesellschaft kann die Bereitschaft steigern, sich für diese einzusetzen, seine Mitmenschen zu unterstützen und selbst aktiv sein zu wollen. Da es jedoch natürlich ist, dass Phasen der Aktivität sich mit solchen des Rückzugs abwechseln, gibt es auch dafür die Möglichkeit — ohne um Wasser, Brot und Obdach fürchten zu müssen.

Denn anstatt das persönliche Leben an Geld zu knüpfen, können alle Erzeugnisse einer Stadt oder eines Dorfes zusammengetragen und nach Bedürfnis auf alle verteilt werden. So muss niemand fürchten, nichts zu Essen zu bekommen. Miete müsste unter diesen Bedingungen überhaupt nicht mehr bezahlt werden, und auch Steuern fallen weg, da der gigantische Apparat der Institutionen schlicht nicht mehr existiert. Eine Welt ohne Geld, und damit ohne Armut, aber auch ohne Reichtum und damit Macht ist möglich. Hierarchien fallen weg, wodurch die individuelle Freiheit erst möglich wird und Selbstverwaltung zur Normalität.

Eine solche Gesellschaft der Gesellschaften steht voll und ganz im Gegensatz zu unserem heutigen System. Doch es ist eine Gesellschaft, die Freiheit verspricht und die Menschen aus ihrer vereinsamenden Entfremdung befreit. Sie kann den Menschen wieder einen Sinn in ihrem Leben vermitteln, sie wieder mit Dingen in Berührung bringen, die ihnen wichtig sind, und ihre persönliche Weiterentwicklung fördern. Zugleich kann sie heilsam nicht nur für den Menschen sein, sondern auch für die Natur, von der wir ein Teil sind und mit der wir leben. Dies ist eine Vision, die sich lohnt zu verfolgen.


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