Der völkerrechtliche Nihilismus
Im Manova-Exklusivgespräch mit Walter van Rossum erläutert der Politikwissenschaftler Norman Paech, wie die mächtigsten Staaten die internationale Rechtsordnung umschiffen, wenn sie ihren Macht- und Sicherheitsinteressen zuwiderläuft.
Norman Paech ist emeritierter Professor für Staatsrecht. Nach dem militärischen Überfall der NATO auf Serbien wurde Paech als unbestechlicher Streiter für das Völkerrecht bekannt. Seitdem befindet er sich pausenlos im Einsatz. Denn das Völkerrecht wird entweder instrumentalisiert, wenn es den eigenen Interessen dient, oder es wird schlicht ignoriert. Wie sich am Beispiel des israelischen Angriffskrieges gegen den Iran zeigt. Dabei wurde das Völkerrecht auf zweierlei Weise gebrochen. Erstens handelt es sich eindeutig um einen Angriffskrieg — für das Recht auf Selbstverteidigung, auf das sich Israel berief, gab es keinerlei Grundlage —, zweitens hatte Israel vorsätzlich Atomanlagen beschossen, was nach geltendem Völkerrecht strikt untersagt ist. Nach diesem Überfall konnte man ein paar Stunden lang etwas Seltenes beobachten: Politik und Medien der westlichen Wertegemeinschaft waren irritiert. Dann hat man sich schnell wieder gefasst, und ein deutscher Bundeskanzler bedankte sich sogar bei den Israelis dafür, dass sie die „Drecksarbeit“ übernommen hätten.
Und nachdem die USA ihrerseits den Iran und seine Atomanlagen bombardiert hatten, war für die Krieger einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ die Sache rasch vom Tisch.
Am 7. Oktober 2023 überwindet eine bewaffnete Truppe von Palästinensern die Mauern des Gefängnisses von Gaza und tötet dabei angeblich über 1000 israelische Zivilisten. Wir wissen zwar mittlerweile, dass die Geschichte, so wie sie kolportiert wird, nicht ganz stimmt. Die Tötung von Zivilisten bedeutet unzweifelhaft eine schwere Völkerrechtsverletzung, aber was man im Eifer der Empörung vergaß: Der Aufstand gegen die Kolonialmacht Israel, seine Institutionen und Militärs, ist vom Völkerrecht gedeckt. Hochgradig verbrecherisch hingegen sind das Ausmaß und das Vorgehen Israels gegen die Bewohner des Gaza-Streifens. Im Anschluss an die Ereignisse des 7. Oktobers wurden die Verhältnisse im Nahen Osten neu geordnet — Völkerrecht wurde dabei komplett ignoriert.
Ganz anders in Sachen Ukraine. Hier kann man nicht oft genug vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands sprechen und damit die Zeitenwende zur Kriegstüchtigkeit rechtfertigen. Formal mag es sich um einen Angriffskrieg handeln, doch die politischen und geostrategischen Kontexte legen nahe, diesen Krieg als einen defensiven Angriffskrieg zu bewerten und nicht als imperialen Angriffskrieg. Die Propaganda des Westens verbietet eine solche Differenzierung.
Walter van Rossum im Gespräch mit Norman Paech
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