Die Barbaren sind wir

Der Westen hat sich in einer Hybris der Arroganz verloren und glaubt, er könne nichts mehr von anderen Kulturen lernen — dabei ist sein Hauptexportschlager Krieg.

Der Tod in Gaza findet als Liveshow Eingang ins Leben der westlichen Wertegemeinschaft. Wie ein Feuerwerk können Israelis das Sterben in Gaza beobachten. Es ist, als könne man von erhöhten Podesten nach Gaza schauen, fotografieren, den Sieg genießen, applaudieren. Diese absurde Vorstellung — eine Vorstellung, ein Event, vom Recht zu töten — muss uns Menschen fragen lassen: Sind wir der Menschlichkeit noch fähig? Ist die Fähigkeit zur Empathie auf dem Weg in den eigenen skrupellosen Narzissmus verloren gegangen?

Der Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser ist der bestdokumentierte Genozid der Geschichte. Eine Ausstellung von DPA-Fotos im „Sprechsaal“, Marienstraße 26, in Berlin-Mitte zeigt auf stille Weise, das Töten mehr als Sterben bedeutet. In Gaza wird ein Kompendium von Gewalttätigkeiten umgesetzt. Hunger, Krankheit, Schmerz aller Art schafft sich ein Experimentierfeld des Grauens.

Das Grauen des Holocaust an den europäischen Juden durch Deutschland war und ist keine Lizenz zum Töten für den Staat Israel. Grausamkeiten bleiben Grausamkeiten – egal wer sie verübt.

Das stellvertretende Töten durch die israelische Armee für Machtinteressen europäischer und US-amerikanischer Globalisten – die gegenwärtige Form des Kolonialismus – ist durch keine noch so gut konstruierte Schauergeschichte zu rechtfertigen.

Kein 7. Oktober rechtfertigt die Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung.

Warum verweigert Israel internationale Untersuchungen zum 7. Oktober 2023? Warum werden Nachweise, die den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse dieses Tages belegen, nicht zur Kenntnis genommen? Warum hat der Internationale Strafgerichtshof plötzlich keine Bedeutung mehr? Der Nahe Osten wird mit theatralisch vorgetragenen Kriegsgründen zum Abschuss freigegeben.

Das öffentliche Töten als Ausdruck von Stärke ist eine tragische Umkehrung jüdischer Geschichte. Die Ablehnung menschlicher Kooperation durch einen Vernichtungskrieg ist die Absage an jede Form von Solidarität. Doch es gibt keine Lizenz zum Töten für Israel.

Nach einer Vision der CIA, des Mossad und anderer europäischer Geheimdienste ist schon seit den 1990er-Jahren die Lizenz zum Töten in den Nahen Osten getragen worden.

Sieben Länder standen auf dem 1996 enthüllten „Clean Break“ Plan der US-amerikanischen Regierung: Irak, Libanon, Syrien, Libyen, Somalia, Sudan und der Iran. Diese Länder auszuschalten war die Absicht. Jetzt, als letztes Land, wird der Iran angegriffen.

Abgesehen davon, dass nach dem Militärexperten Scott Ritter nur Atombomben die Anlagen zur Anreicherung von Uran ausschalten könnten, hätte niemand –auch nicht aus diesem theatralisch als Gefahr vorgetragenen Grund – das Recht dieses Land anzugreifen. Israel, ein Staat mit heimlich entwickelten Atombomben zur Bedrohung der Nachbarstaaten, greift ein Land an, dessen Fähigkeit zur friedlichen Kooperation in seiner Literatur immer wieder besungen wird.

In Tausendundeiner Nacht werden 1000 Nächte von Scheherazade und ihrem Mann, dem Sultan Schahryar beschrieben. Sie heiratete den Sultan Schahryar, obwohl er jede Frau, wegen des Verrats seiner ersten Frau nach der ersten gemeinsamen Nacht töten ließ. Doch Scheherazade will ihn. Sie erzählt ihm 1000 Nächte lang Geschichten, deren Fortsetzung er für die nächste Nacht erwartete. Scheherazade hat den Sultan durch ihre Fähigkeit des literarischen Erzählens berührt, er gibt das Töten als Waffe auf und wendet sich mit ihr in der 1001. Nacht dem Leben zu.

Eine solche Bedeutung der Kunst im menschlichen Zusammenleben, stellt viele Fragen an die Brutalität unseres Alltags. Können wir nichts von anderen Kulturen lernen? Sind wir so wenig neugierig auf das Leben? Müssen wir, mit Hilfe von als Politik getarnter Mordlust, die Welt in Brand setzen?

Diese Verachtung jeder Menschlichkeit ist unerträglich. Welche Erde stellen sich die Herren und Damen in ihren elitären Entscheidungsebenen vor? Was meinen sie, mit ihren siegreichen Zerstörungen erreichen zu können?

Ich kann aus eigener Anschauung berichten, dass nichts, was hier als Gewissheit über die Verhältnisse im Iran berichtet wird, wahr ist.

Diese, ihre islamische Revolution hat letztendlich eine riesige Entwicklung des Landes in Gang gesetzt: Den Analphabetismus beseitigt, Universitäten gegründet, industrielle Entwicklung trotz der Sanktionen erarbeitet. 60 Prozent der Abgänger des Ingenieurstudiums sind Frauen. Seit 2.000 Jahren hat der Iran keinen Krieg begonnen. Der Iran und seine Geschichte haben die ganze Menschheit bereichert.

Wollen oder sollen wir wieder die Kreuzzüge in alle Himmelsrichtungen führen? In der Ukraine wird die Orthodoxe Kirche faktisch verboten, im Nahen Osten werden die Schiiten im Libanon, in Syrien und jetzt im Iran angegriffen. Warum?

Ein Mullah in Qom sagte uns, nachdem wir Tee getrunken und ein Gastgeschenk erhalten hatten: Wir haben doch alle denselben Gott. Warum weiß dieser Imam das – und wir nicht?

Es gibt kein von einem Gott auserwähltes Volk – oder alle Völker sind von ihren Göttern auserwählt. Die USA und Israel müssen die Welt nicht retten, genauso wenig wie Europa. Führung braucht mehr als Macht. Die menschliche Kultur ist mindestens so reich wie die Tierwelt. Wie kommt es, dass in unserer Kultur alles Fremde zur Bedrohung wird, oder aber alles Fremde im Lifestyle nicht mehr fremd sein darf?

Auf keinen Fall darf das Denken den Journalisten und Politikern überlassen werden. Sie fühlen sich auserwählt, Entscheidungen zu fordern und zu treffen – Entscheidungen, die ständig Unglück produzieren. Welche Vorstellungen außer Kampf und Vernichtung, als „Kriegstüchtigkeit“ propagiert, schenken sie uns, ihrem Publikum?
Fragen wir, wer sind sie? Und fragen wir, wer wir sind?
Wer sind wir?
Wir – die westliche Wertegemeinschaft – zusammengehalten durch alles Schöne, Gute, Wichtige und Richtige.

Wir bringen Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit in die Welt.
Wir wissen, was Meinungsfreiheit in der Welt zu bedeuten hat.
Wir setzen Geschlechtergerechtigkeit, Rassengleichheit, die Befreiung der Sexualität weltweit durch.
Wir verbinden die Menschen digital über den Globus.
Wir haben die technischen Mittel zur Verschmelzung von Mensch und Maschine – als unendliche Geschichte des unendlichen Fortschritts. Unser Transhumanismus führt endlich ins Glück.

Gibt es irgendetwas, das wir nicht wissen?
Gibt es irgendetwas, das wir lernen sollten?
Haben wir irgendetwas vergessen?

Es gibt nur die Grenzen, die wir ziehen, militärisch, ökonomisch, kulturell, weltweit.
Wir haben ein weltweites Finanzregime durchgesetzt.
Wir sanktionieren weltweit, wen oder was auch immer.
Wir führen Kriege zur Erziehung der Menschheit und wozu noch?
Zur Unterstützung der Macht des Guten!

Denn wir wissen um das Böse.
Denn wir erkennen das Böse.
Wir müssen der Hegemon, der Leader sein, denn wir haben die Apparate des Guten:

Die US-amerikanische Armee mit der NATO als ihrer Ostflanke,
die ukrainische Armee zum Kampf gegen Russland.
Die US-amerikanische-NAVI als Protektion des Guten im Pazifik.
Die israelische Armee zur Bekämpfung des Terrors im Nahen Osten.
Überall auf dieser Erde können wir Krieg führen, das Gute erwartet unseren Krieg.

Das WEF, der Inbegriff des Fortschritts eines beglückenden Transhumanismus.
Die High-Tech-Börsen und die Plattformindustrie haben wir zur Regelung unseres Finanzregimes ermächtigt,
denn dieses westliche Wir hat die Macht.

Um mich über das Ausmaß meiner Ohnmacht hinweg zu täuschen, bedarf es vieler medialer Gute-Nacht-Geschichten zur eigenen Güte.

Vor allem bedarf es des Bösen – von der afrikanischen Killerbiene, zum Virus, zum Russen.
Wir wollen die Diktatoren, die Mullahs, die Hamas, die Hisbollah
als Ausdruck von Unkultur nicht vergessen.
Der Chinese wartet schon lauernd auf seine Rolle.
Gut, dass jeder westliche Schüler weiß wie China regiert werden muss.

Die Personalisierung unseres Geschichtsbildes, die Dämonisierung von Personen und Gruppen, ist keine Politik, sondern Dummheit.
Sie erzählt über die Beschriebenen nichts – und alles über uns.
Der Feind ist immer die eigene Frage als Gestalt! (Carl Schmitt)

Sind wir überhaupt in der Lage, Fragen an und über uns zu stellen?‚
Unser eigenes Handeln aus der Distanz zu betrachten?
Erlaubt die permanente Emotionalisierung gegen die Bösen ein Nachdenken?
Unsere Hybris kennt keine Fragen.

Was wir auf der Welt anrichten ist uns nicht einmal ein Rätsel.

Die Politik wurde zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.
Der Krieg zur Normalität der Politik.

Die Möglichkeit der Verständigung wird ersetzt
durch den Schrei nach Sieg oder Endsieg.
Keine Diplomatie, kein Vertrag wird akzeptiert
beim Kampf um das Gute.
Wir schaffen eine Welt, in der alles zum Krieg wird.
Und wir erstaunen, wenn dieser Krieg uns erreicht.

Aber es gibt sie, die Anderen. Sie sehen uns.
Sie erkennen unser Handeln.
Wir wissen nichts über sie.
Sie aber verstehen, was wir wollen:
die Macht!

Vielleicht sollten wir aufhören, die Welt mit unserer Güte zu kolonialisieren.
Der Narzissmus unserer wertewestlichen Welt überträgt sich in menschliches Leben auf allen Ebenen als Katastrophe.

Unter dem Vorwand von Kriegsgegnerschaft hetzen wir die Ukraine in einen Krieg gegen Russland.
Unter dem Vorwand von Gesundheitspolitik stehlen wir den Afrikanern ihr Immunsystem. Unter dem Vorwand von Freiheit bereiten wir uns auf einen Krieg gegen China vor.
Unter dem Vorwand von gedachten Bedrohungen überfallen wir den Iran.
Kein Land ist vor unseren Regime-Changes sicher.

Es reicht, unsere Moral wird nicht gebraucht. Hören wir auf die Welt mit unserer Güte zu beglücken.

Denn die Barbaren sind wir.