Die Befreiung der Geburt

Im Rubikon-Mutmachgespräch erläutern der Philosoph Bertrand Stern und Frank-Robert Belewsky, Experte für natürliche Geburt, wie Machtinteressen auf Geburtsvorgänge Einfluss nehmen.

Die Geburt ist politisch. Anders als es landläufig angenommen wird, ist die Geburt keineswegs eine private Angelegenheit. Die politische Komponente tarnt sich so gut, dass sie gar nicht mehr als politisch wahrgenommen wird. Dabei beginnt die Machtergreifung über den Menschen bereits bei der Geburt, wenn nicht sogar schon bei der Zeugung. Die Geburt ist der alles entscheidende Moment, in welchem der Zeitrahmen weniger Minuten darüber entscheidet, ob der Mensch gebrochen und traumatisiert zur Welt kommt oder in Liebe und Geborgenheit. Erstere Variante prädestiniert den Menschen zu seinem Dasein als entwurzeltem Untertan, der zeit seines Daseins nach einem Ersatz für seine erlebten Mängel lechzt und damit für die Angebote der Mächtigen leicht empfänglich ist. Der Experte für natürliche Geburt Frank Robert Belewsky und der Philosoph Bertrand Stern legen im neuen Mutmach-Gespräch die strukturelle Unterjochung der Geburt und der Mutterschaft schonungslos offen und zeigen konkrete Auswege aus der systematischen Traumatisierung der Geburt.

Welches Licht der Welt ein Neugeborener erblickt, ist wesentlich. Ist es das kalte Neonröhrenlicht eines Entbindungssaals oder das rote, warme, dem Mutterleib nachempfundene Licht eines in Ruhe, Diskretion und Entspannung befindlichen Geburtsraumes?

Auch das Wie ist ebenso entscheidend. Wird der Mensch — wie heute weitestgehend üblich — brutal per Kaiserschnitt aus dem Mutterleib rausgeschnitten? Oder darf er auf natürlichem Wege, ohne eine widernatürlich terminierte „Geburt-Boarding-Time“, in verbindender, vitalisierender und erdender Weise durch die Scheide zur Welt kommen? Darf er just in dem Moment des Zur-Welt-Kommens direkt Augenkontakt mit der Mutter aufnehmen und an ihre Brust gelegt werden? Oder wird er erst einmal auf einer kalten Wage vermessen, gewogen und einem Objekt gleichkommend quantifiziert?

In den meisten Fällen der Geburten in der westlichen Welt stellt die traumatisierende Variante die Norm dar. Dabei handelt es sich nicht um Zufall, wie Bertrand Stern und Frank-Robert Belewsky ausführen. Die Spur der biopolitischen Kontrolle über die Geburt durch Macht- und Wirtschaftsinteressen führt geschichtlich weit zurück. Die Kontrolle über die Art und Weise, wie Mütter ihre Kinder empfangen und neun Monate später gebären, stellt die elementare Grundlage für die Herrschaftssicherung dar. Menschen, die qua ihrer Geburt gebrochen sind, eignen sich ideal, um sie den unterschiedlichsten politischen Ideologien und Agenden anheimfallen zu lassen.

Menschen, die bei ihrer Geburt von ihren dessen bewussten Eltern vor diesen traumatisierenden Dynamiken beschützt wurden, werden dann im Laufe ihres jungen Lebens vor oder während der Schulzeit entweder medikamentiert oder psychiatrisiert. Abweichungen von der Norm duldet das System nicht. Doch es gibt Hoffnung, wie die beiden Gäste im Gespräch mit Friederike de Bruin ausführen. Denn dieses System zerbricht vor unseren Augen an seiner Starrheit und seinen immer offener zutage tretenden Widersprüchen. Dieses sowieso schon im Zerfall befindliche Monstrum eines Systems zu bekämpfen lohnt sich nicht, da ein solches Vorhaben die Kräfte bündelt, deren es für die Errichtung einer menschlicheren Welt mit ebenso menschlichen wie liebevollen Geburtsvorgängen bedarf.

Wie derartige Geburtsvorgänge im Detail aussehen und welcher irrtümlichen Glaubenssätze Eltern sich entledigen sollten, schildern Belewsky und Stern im bislang umfangreichsten, tiefgründigsten und radikalsten Rubikon-Mutmachgespräch. Es ist ein Mutmachgespräch, welches ein ganz und gar körperbetontes Thema zum Gegenstand hat. Daher wurden diesmal keine Mühen gescheut und das Gespräch nicht digital per Zoom, sondern vor Ort, in einem Berliner Geburtshilfehaus, mit mehreren Kameras in physischer Präsenz der Gesprächsteilnehmer abgehalten.


Friederike de Bruin im Gespräch mit Frank-Robert Belewsky und Bertrand Stern