Die Bereicherungs-Ökonomie

Mit Zuckerbrot und Peitsche sorgen die Systemgewinner dafür, dass eine gefährliche Wirtschafsweise weiterhin Geld auf ihre Konten spült. Teil 1.

Es gibt ihn: den Klassenkampf der Reichen gegen die Armen. Ja, man kann sagen: gegen den Rest der Welt. Wenn wir uns dieser Tatsache nicht bewusst werden, ist es uns auch in Zukunft unmöglich, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Bereicherungs-Ökonomie funktioniert, indem der Profit als Ideal dargestellt und verherrlicht wird und der Bereicherung keinerlei Grenzen gesetzt werden. Gleichzeitig werden mögliche Alternativen auf allen Kanälen systematisch delegitimiert. Nur durch ungebremste Bereicherung, könne die Wirtschaft am Laufen gehalten werden. Der Fetisch der Maßlosen ist vor allem das unbegrenzte Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, das stolz vorgezeigt wird. Wir hätten heute bessere Chancen denn je, im Einklang mit der Biosphäre und ohne Kriegsbedrohung zu leben. Dafür aber müssten wir die Bereicherungs-Ökonomie abschütteln, die seit Jahrhunderten, vor allem aber seit wenigen Jahrzehnten, unsere Geschicke bestimmt.

Vorwort

Dieser Artikel ist im Februar 2020, also noch vor der Corona-Zäsur, entstanden. Am 16. Juli 2020 erschien in der Global Times, Chinas Zeitung für die Weltöffentlichkeit, ein Artikel mit dem Titel „Chinas BIP stieg im zweiten Quartal um 3,2 Prozent und ist nach COVID-19 die erste große Volkswirtschaft, die wieder zu Wachstum zurückkehrt“.

Die von der Weltwirtschaft abhängigen Menschen sind von den „Pandemie“-Maßnahmen der meisten Regierungen der Welt dramatisch betroffen und so mancher Mensch fragt sich, ob ein strategischer Vorteil Chinas quasi „geplant“ war oder sich jetzt doch wenigstens aus der Corona-Zäsur ergibt. Ich möchte und kann das nicht bewerten, jedes Bestreben nach Verstehen ist jedoch von großer Wichtigkeit. Der folgende Artikel liefert einen grafisch ausgedrückten statistischen Überblick, der helfen sollte, sich ein differenziertes Bild zu machen. Ausgegangen wird dabei von der bedeutenden „einen Zahl“, dem Brutto-Inlandsprodukt (BIP).

Die Macht der Bereicherungs-Ökonomie

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Das gilt auch für die folgenden Grafiken der „Political Arithmetic“, die zum großen Teil für sich selbst sprechen.

Ich habe „zur Lage der Welt“ ein paar Grafiken zusammengestellt. Es sind „Schnappschüsse“ und sie sind nicht „neutral“. So wie alle Statistiken und Grafiken nicht neutral sind. Sie sind das, was der Engländer William Petty vor 344 Jahren „Political Arithmetick“ (1) nannte. William Petty gilt gemeinhin als der Begründer der Volkseinkommensberechnung (2) und schon Karl Marx nannte ihn „den Vater der politischen Ökonomie und gewissermaßen den Erfinder der Statistik“ (3).

Die Zahlen, die den hier vorgestellten Grafiken zugrunde liegen, sind zwar nicht „neutral“, aber sie beruhen auf korrekten Daten. Und sie geben einen erhellenden Einblick für jeden, der sich ein wenig Zeit nimmt, sich in sie zu vertiefen. Dazu möchte ich einladen.

Warum kann so eine Darstellung niemals „neutral“ sein? Weil es immer Menschen mit Intentionen sind, die die Zahlen sammeln, auswerten oder auswerten lassen und als „Überzeugungsargument“ einsetzen. Das heißt aber nicht, dass die Argumente in jedem Fall falsch sind. Wir brauchen Überzeugungen — diese sollten aber den Menschen, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Biosphäre dienen.

Wollen wir einen eigenen Weg gehen, dann brauchen wir Klarheit.

William Petty nutzte die Zahlen als „Kampfansage“ (4). Er wollte in Irland mit Hilfe von Zahlen, Kataster und Kartierung (5) das frisch geraubte Land nach der Niederschlagung des irischen Aufstandes 1641 bis 1651 unter den Engländern aufteilen — und dabei selbst ein großes Stück abbekommen (6). Und er wollte England zu seinem Status als Weltmacht verhelfen (7). Auch das Jahrhunderte später entwickelte Konzept des „Bruttoinlandsproduktes“, das auf den ersten Anregungen von William Petty fußte, diente zuerst den USA zur Unterstützung der Organisation der Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg (8). Später diente „diese eine Zahl“ (9) dem Westen, um der Welt zu zeigen, dass durch den Kapitalismus „ständiges Wachstum und Wohlstand“ gebracht wird.

Diese Zahl des „BIP“ war also von Anfang an eine Kampfansage vor allem gegen die „gefährliche“ Sowjetunion und zur Umschmeichelung der ehemaligen Kolonien, die sich für den Sozialismus interessierten. Elend, Ungleichheit, Neokolonialismus und Diktate des IWF sollten durch die Wachstumsideologie ausgeblendet werden. Und auch heute noch wird allerorts diese Schiene durch die Mainstream-Ökonomen bedient. Die Überschrift heißt dann gerne zum Beispiel „Wachstum des Wohlstandes“.

Wir sind aber nicht gezwungen, uns dem „Klassenkampf der Reichen“ (10) gegen den Rest der Welt unterzuordnen. Ich will daher eine andere Überschrift wählen, die der Realität wohl entscheidend näherkommt: Die Macht der Bereicherungs-Ökonomie (11).

Diese Ökonomie funktioniert dadurch, dass Profit als Ideal dargestellt und verherrlicht wird und der Bereicherung keinerlei Grenzen gesetzt wird. Mehr noch: Diese Ökonomie sagt, nur so könne es gehen, nur durch die Freigabe, ja die grenzenlose Förderung der Bereicherung könne Wirtschaft am Laufen gehalten werden. Stolz zeigen sie dann das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes.

Ich möchte natürlich nicht bestreiten, dass die Menschen dieser Welt mit größter Anstrengung und getrieben in diesem Bereicherungs-Steigerungsspiel des Kapitalismus Gewaltiges bewegen. Man mag es Wohlstand nennen, aber jedenfalls ist es ihre Leistung! Die Menschen dieser Welt schaffen diesen „Wohlstand“ übrigens gemeinsam, wie schon seit Jahrhunderten der Welthandel beweist, der in den letzten Jahrzehnten noch einmal exorbitant zugenommen hat.

Wobei wir aber noch nicht darüber gesprochen haben, wie dieser „Wohlstand“ innerhalb der Länder und weltweit verteilt wird. Aus der Perspektive, wie dieser „Wohlstand“ verteilt ist und wie „im Vorübergehen“ die Natur zerstört wird, erscheint die angebliche Leistung jener, die ein System geschaffen haben, indem sie ganz ohne Arbeit wie von selbst reich werden, alles andere als großartig.

Die „Leistung“, der Bereicherungsgewinner ist vor allem, dass sie die Zügel, die Peitsche und manchmal auch das Zuckerbrot in der Hand halten und dafür Sorge tragen, dass sich die bedrohlich gefährliche Wirtschaftsweise immer weiter zu ihren Gunsten entwickelt. Der Konsumwohlstand wachsender Märkte ist nur eine Begleiterscheinung, die oft nur scheinbar die Interessen der Menschen abdeckt. Die Spitzen der Bereicherungsgewinner denken anders: Auch wenn es schon lange für breite Schichten nur mehr Fake-Wohlstandszuwachs gibt, muss das Konzept hochgehalten werden — und sei's auch drum, wenn die Biosphäre nachhaltig zerstört wird. Und sei's auch drum, wenn wieder einmal ein Krieg, vielleicht auch ein Weltkrieg notwendig wird. Und das alles können sie, die Führer dieser Bereicherungs-Ökonomie, so steuern und propagieren, weil sie die Macht haben, Millionen, ja Milliarden von Menschen Anweisungen zu geben. Sie können es aber nur, solange diese Menschen mitspielen.

Es ist auch diese Macht, die sich zuerst in den Zahlen zum „Bruttoinlandsprodukt“ widerspiegelt. Und was sich aus diesem Blickwinkel zeigt, soll die folgende Grafik ersichtlich machen.

Bild

Abbildung 1: Die Macht der Bereicherungs-Ökonomie (1/2)

Die Zahlen hinter dieser Grafik sind die Angaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2018. Jede dargestellte Fläche entspricht der Größe dessen, was jährlich in jedem Land der Welt neu an Produkten und Dienstleistungen erarbeitet wird — alles umgerechnet nach Wechselkursen des Jahres auf US-Dollar Basis (12). Das Bild ist sozusagen ein Schnappschuss von 2018. Die Idee, die Daten in einem „Erdkreis“ anzuordnen, stammt von Juan Carlos von Howmuch.net (13). Die von mir verwendeten Daten stammen von der Weltbank (14). Es sind die ersten 53 Länder namentlich angeführt und nach Kontinenten und Sinnzusammenhang geordnet, die restlichen 152 Länder sind en bloc dargestellt (15).

Was zeigt diese Grafik? Man muss sich ein wenig in sie vertiefen und sich die Größenordnungen ansehen.

Nach „offizieller“ Leseart wäre man vielleicht geneigt, zu sagen: Toll, die Amerikaner waren so fleißig und die „armen“ 152 Länder, sie haben so wenig. Aber ob nur die Amerikaner fleißig waren oder auch die Menschen in den 152 „Rest“-Ländern, ob alle Amerikaner reich sind oder ob es auch Reiche in den 152 Ländern gibt, darüber sagt die Grafik nichts aus. Theoretisch könnte es auch unter den 152 Ländern solche geben, die gar nicht aufscheinen, obwohl sie reich und glücklich sind, wenn sie nur ihre Werte nicht in Geldform erwirtschaften. Denn in dieser einen Zahl „Bruttoinlandsprodukt“ werden nur Geldwerte gemessen.

Das Bruttoinlandsprodukt sagt nichts darüber aus, wie viele Millionen Menschen in „reichen“ Ländern durch die Supermärkte gehen und sich so gut wie nichts davon kaufen können, was hier angeboten wird.

Es sagt nichts darüber aus, wie hoch der Mindestlohn ist, ob man trotz Arbeit Lebensmittelmarken benötigt oder sich bei Suppenküchen den Hunger stillt, wie 36 Millionen Menschen in den USA 2009 (16).

Und die Zahl sagt nichts darüber aus, wie viel Arbeit in den „armen“ Länder geleistet wird, um die Reichen der „reichen Länder“ reich zu machen (35). Sie sagt nichts darüber aus, dass Näherinnen in Bangladesch für 0,15 bis 0,30 US-Dollar bis zu 16 Stunden pro Tag schuften (17) und gerade deshalb nur wenig Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften, also auf der Grafik als „klein“ erscheinen, obwohl sie einen bedeutenden Anteil an der Produktion von Kleidung für die Welt erwirtschaften.

Das Bruttoinlandsprodukt sagt auch nichts darüber aus, wie viele Maßnahmen in einzelnen Ländern gesetzt wurden, um die Biosphäre im Interesse der Profitgier zu zerstören oder um die Natur zu schützen.

Aber das BIP sagt uns etwas über die Machtverhältnisse auf der Welt! Es sagt etwas darüber aus, wo das Geld — die Investitionen — hinfließen und wo sie nie hinkommen, weil die Reichen glauben, es dort nicht vermehren zu können. Die ökonomische Macht sagt auch etwas über die politische, die mediale und die militärische Macht — und vor allem über die Geldmacht.

Aber Vorsicht, das Bild trügt auch diesbezüglich noch in einem anderen Sinn: Es zeigt nur die Staaten. Es zeigt nicht die Macht der transnationalen Konzerne, Banken, Schattenbanken und Netzwerke. Diese stützen sich gerne auf das Imperium USA. Sie können sich aber im Bedarfsfall auch zum Beispiel auf Deutschland oder einen anderen Staat in ihrem Einflussbereich stützen.

Der Block der westlichen Kapitalorganisation

Schauen wir hier auf diesen Einflussbereich: Ich habe in der folgenden Grafik alle westlichen Staaten mit einem roten Schleier zusammengefasst und alle Staaten, die zur Gruppe der „Blockfreien“ gehören, nur mit „halben Einfluss" mitgerechnet. Die so genannten „Beobachter“ der Blockfreien habe ich zu einem Viertel aus dem Einflussbereich ausgeklammert. Dann ergibt sich etwa folgendes Bild:

Bild

Abbildung 2: Die Macht der Bereicherungs-Ökonomie (2/2)

Es ist schon beeindruckend, wie groß die Macht des „westlichen Blocks“, hinter dem die Macht der Kapitalnetzwerke und Konzerne steht, grafisch dargestellt erscheint. Aber wiederum Vorsicht! Das Bild stellt eine Wirklichkeit dar, aber nicht DIE Wirklichkeit. Keine Macht ist uneingeschränkt. Der größte Teil der Menschen, die innerhalb dieses „West-Blocks“ leben, haben gar kein objektives Interesse an dem Bestehen dessen, was ich „Bereicherungs-Ökonomie“ nenne. Die Vasallenrolle vieler Länder ruft ebenfalls Widerstand hervor. Es gibt in allen Positionen Menschen, die für echte Demokratie und soziale Gerechtigkeit einstehen. Aus diesen und weiteren inneren Gründen kann dieses Machtkartell auch unerwartet zerbrechen. Wir dürfen uns also von dem monolithischen Bild nicht einschüchtern lassen. Trotzdem ist es wichtig, der (noch) bestehenden Realität ins Auge zu sehen.

Und was sehen wir? Wir sehen diese riesige rote Fläche und nur wenig außerhalb.

Ich habe China und Russland und auch den „kleinen“ Iran ganz aus dem „West-Kapital-Block“ draußen gelassen. Ist das richtig? Es gibt doch auch dort westliche Konzerne, die in diesen Ländern tätig sind.

These über die unterschiedliche Rolle des Staates

Hinter dieser von mir gewählten Darstellungsweise steckt folgende These: Es gibt einen großen Unterschied, und der betrifft die Rolle des Staates. In den westlichen Ländern hat schon seit langem das große Kapital die Führung über die Staaten „ihrer“ Länder übernommen. Finanziell geben die Privatbanken und die privaten Geldbesitzer dem Staat Kredit — und nicht umgekehrt. Die Nationalbanken sind privat oder staatsunabhängig oder arbeiten für „ihren“ Staat. Das große Kapital verfügt über die Investitionsmacht, was so viel heißt wie: „Wenn ihr nicht macht, was wir wollen, so ziehen wir unser Geld ab“. Es regieren „die Märkte“. Angela Merkel hat das in einem ehrlichen, schwachen Moment so ausgedrückt:

„(...) wir (werden) Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie (...) marktkonform ist“ (18).

Über geeignetes Führungspersonal — zum Beispiel von Blackrock „eingebracht“ —, über Lobbying, Kontrolle der Mainstream-Medien, Einflussnahme auf Gesetzestexte, auf Universitäten und Institutionen, die Gründung von „Think-Tanks“ und immer über Erpressung und Bestechung macht das ganz große Eigentum im „westlichen Block“ ganz selbstverständlich den Staat zu „seinem Staat“.

Die Zivilgesellschaft wird dabei so weit als möglich auch eingespannt oder bleibt außen vor. Das soll nicht heißen, dass der Staat nicht mehr über die ihm eigentümliche „Staatsmacht“ verfügt. Nein, ganz im Gegenteil, aber die Macht wird im Sinne der Bereicherungs-„Eliten“ instrumentalisiert. Und diese Staaten, in denen das reibungslos läuft, sind in der westlichen (Medien)-Welt „die Guten“!

Hier haben wir den großen Unterschied: Zumindest in China, Russland und dem Iran hat der „West-Kapital-Block“ vermutlich so gut wie keinen erheblichen Einfluss auf den Staat. In Russland war es unter Jelzin anders und im Iran unter dem Schah Reza Pahlavi, den der Westen durch „Regimechange“ an die Macht brachte. Heute spielt der Staat in diesen Ländern wohl eine andere Rolle als im Westen. Er steht — vermutlich auch in Erinnerung an sozialistische Zeiten — über dem großen Eigentum. Er wird im Wesentlichen nicht von diesem diktiert. Die Rolle des Staates macht den Unterschied. Das ist meine These (20).

Mit dieser These verbinde ich folgende grobe Wertung:

Staaten, die vom großen Eigentum gekapert wurden, sind besonders gefährlich, weil Staat, Superreiche und Konzernmacht zusammen gegen die Bedürfnisse der Menschheitsfamilie handeln.

Mit „Sozialismus“, wie manche meinen, hat das aber nichts zu tun. Staaten, die über dem großen Eigentum stehen, sind jedoch nicht automatisch die Guten, da auch sie ihre Macht zur Willkür gegen die Menschen nutzen können. Die Lösung ist nur tatsächliche Demokratie, die sowohl die Macht des großen Eigentums als auch des Staates mit entschiedenen Obergrenzen versehen und sie im politischen und ökonomischen Bereich kontrollieren muss.

Der Umstand, dass die Staatsmacht Chinas, Russlands und weniger anderer Länder sich dem Zugriff des „West-Kapital-Blocks“ entzieht (19), erklärt, warum der westliche Block auf diese Länder so böse ist, obwohl sie sich doch auch mehr oder weniger zur „freien Marktwirtschaft“ bekennen. Und das macht den „West-Kapital-Block“ so wütend, allen voran die USA und ihren militärisch-industriellen Finanz- und Medienkomplex. Sie wollen auch die Macht über die Staaten in China, Russland, Iran haben.

Man kann sich gut vorstellen, wie Neocons oder ihnen entsprechende „Demokraten“ des „Neuen amerikanischen Jahrhunderts“ über so einer Landkarte, wie oben dargestellt, sitzen und ihre Augen leuchten: Zuerst bringen wir den Iran in unsere Gewalt, dann Russland und schließlich steht China alleine da ...

Aber wie immer werden solche Rechnungen ohne den Wirt gemacht. Das dürfen wir nicht vergessen, auch wenn die „Doomsday Clock“ von den Atomwissenschaftlern gegen Atomkrieg am 23. Januar 2020 mit erschreckend wahren Begründungen auf 100 Sekunden vor Weltuntergang gestellt wurde (21).

Außerhalb des „West-Kapital-Blocks“

Um in der Darstellung der roten Fläche des westlichen Blocks nicht alle Länder einzubeziehen, die diesem westlichen Block ausgeliefert zu sein scheinen, habe ich die Blockfreienbewegung als Kriterium genommen, um diese Länder als teilweise außerhalb des „West-Kapital-Blocks“ zu kennzeichnen. Warum gerade die „Blockfreienbewegung“?

In einer Erklärung (22) der Blockfreienbewegung vor dem Weltsicherheitsrat am 10. Januar 2020 weist diese Bewegung — die aus 122 Staaten und 17 Beobachterstaaten besteht — unter anderem auf die Notwendigkeit der Einhaltung des Gewaltverbots der Vereinten Nationen — Verbot militärischen Eingreifens — hin (34). Sie fordert die Rücknahme von Zwangsmaßnahmen gegen Mitgliedstaaten, die Einhaltung der Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und ruft zur Stärkung ihrer Rolle als Antikriegskraft und den Einsatz für eine multipolare Welt auf. Sie ist etwas deutlich anderes als der „West-Kapital-Block“.

Werfen wir einen Blick auf die große Zahl der Länder, die der Blockfreienbewegung (23) angehören oder sie wohlwollend beobachten:

Bild

Abbildung 3: Die blockfreien Länder — dunkelblau: Mitglieder; hellblau: Beobachter (24)

Und greifen wir noch als ein weiteres begründendes Beispiel folgendes heraus: Die Abstimmung in der UNO von 2017 (25) über den Atomwaffenverbotsvertrag. 78 Prozent der Länder, die sich zur Blockfreienbewegung rechnen oder ihr nahestehen, haben für die Ächtung aller Atomwaffen gestimmt. Aus dem „westlichen Block“ waren es nur die Länder Österreich, Schweiz, Irland, Schweden und Neuseeland! Wer sich für die Beibehaltung der Bedrohung allen Lebens mit Atomwaffen entscheidet, mag sich zu den „Guten“ rechnen — er kann es niemals sein.

Die Betrachtung der Blockfreien als Gegenstück zum „West-Kapital-Block“ ist natürlich nur eine Möglichkeit der Betrachtung. Eine andere Möglichkeit wäre zum Beispiel die Betrachtung von Zusammenschlüssen wie den der BRICS-Staaten (26). Natürlich ist keine Betrachtungsweise widerspruchsfrei.

Die Verteilung der Weltbevölkerung und das BIP pro Kopf

Um die Macht des „West-Kapital-Blocks“ im Vergleich zur Größe seiner Bevölkerung zu zeigen, habe ich nun eine Grafik gezeichnet, die die Bevölkerung der Erde maßstabsgetreu darstellt. Dabei sind die Länder in derselben Position wie in Abbildung 1 dargestellt — aber eben in den entsprechenden Größenordnungen, wodurch sich das Bild verzerrt, aber der Wirklichkeit einer multipolaren Welt näherkommt:

Bild

Abbildung 4: Die Verteilung der Weltbevölkerung 2018 (27)

Wie klein ist nun der „westliche Block“ — im Wesentlichen: USA, Europa, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, Kanada, Israel!

Um nun zu zeigen, wie der „Reichtum“ im Vergleich zur Bevölkerungsgröße verteilt ist, habe ich die folgende Grafik entworfen:

Bild

Abbildung 5: Bruttoinlandsprodukt pro Kopf — die Zahl ist in amerikanischer Schreibweise dargestellt. 1,000 bedeutet Tausend.

Hier sieht man nun an der Größe der Kreise, wie viel in einem Land an „Reichtum“ im Durchschnitt pro Kopf versammelt ist. Die enorme Ungleichverteilung innerhalb der „reichen“ Länder ist hier nicht zu erkennen, ich komme in den weiteren Folgen dieser Artikelserie auf diese Frage zurück.

Aber man suche sich einmal die Kreise von China oder Indien — die man kaum erkennen kann — oder jenen der 152 „Rest“-Länder. Und man vergleiche diese Kreisgröße mit jener der USA oder Deutschlands. Man kann daran schön erkennen, dass die Einschätzung, China werde bald zur neuen Weltmacht im Sinne des heutigen Imperiums USA aufsteigen, mit großer Vorsicht zu betrachten ist.

Das häufig verbreitete Bild, die USA treten ab und China wird die Rolle der USA übernehmen, ist unsinnig und verhindert eine konkrete Betrachtung einer konkreten Wirklichkeit.

Die Macht der USA und des „West-Kapital-Blocks“ wird dabei unterschätzt und das Machtstreben Chinas überschätzt. Natürlich kann der „West-Kapital-Block“ zusammenbrechen, es kann Finanzzusammenbrüche, Kriege und Sonstiges (28) geben. Der Dollar kann seine Rolle als Weltreservewährung einbüßen und China will natürlich einen gewissen Einfluss gewinnen. Aber lineare Bilder, die suggerieren, was zuerst die USA gemacht haben, werden dann die Chinesen machen, sollten als irreführend erkannt werden.

Die Bereicherungs-Ökonomie hat die Welt gespalten

Die Bereicherungs-Ökonomie hat die Welt mehr gespalten denn je und die Bedrohungen — militärisch, sozial, ökologisch — enorm gesteigert statt abgebaut. Dies gilt auch, wenn für manche, die die Zahlen in ihrem Sinn der „Political Arithmetic“ geschickt nutzen, alles so nett und adrett und nach wachsendem Wohlstand aussehen soll (29, 30).

Hier noch ein Zahlenvergleich der „Politischen Arithmetik“, den David S. Landes (31) in seinem Buch „Wohlstand und Armut der Nationen“ anführt:

„Der Unterschied zwischen dem Pro¬-Kopf-Einkommen in der reichsten Industrienation, sagen wir der Schweiz, und der ärmsten nicht-industrialisierten Nation, Mosambik, beläuft sich auf ungefähr 400 zu 1. Vor zweihundertfünzig Jahren betrug das Verhältnis zwischen reichsten und ärmsten Nationen vielleicht 5 zu 1, und der Unterschied zwischen Europa und beispielsweise Ost- oder Südasien (China oder Indien) lag bei etwa 1,5 oder 2 zu 1.“

Europa war also vor 250 Jahren — etwa zu Beginn dessen, was wir Kapitalismus nennen — maximal doppelt so „reich“ wie China. Die USA spielten damals keine Rolle. Heute, nach Jahrzehnten des „Aufholens“ von China gegenüber den heute bestimmenden USA liegt das Verhältnis noch immer bei 6,4 zu 1 zu Gunsten der USA (32).

Und der Begründer der Klassischen Ökonomie, Adam Smith, schrieb 1776 in seinem berühmten Werk „Der Wohlstand der Nationen“:

„Für einen sehr reichen Mann muss es wenigstens fünfhundert Arme geben, und der Überfluss der wenigen setzt die Dürftigkeit der vielen voraus“ (33).

Für die Superreichen 250 Jahre später muss es wohl nicht fünfhundert, sondern zigmillionen Arme geben. Das ist die Realität, die von Herrschenden und ihren Meinungsbildungseinrichtungen bisher bravourös, aber nun doch immer brüchiger ausgeblendet wird.

Ja, die Menschheit könnte heute ein gutes Leben im Einklang mit der Biosphäre und ohne Kriegsbedrohung besser erreichen denn je. Aber das geht nicht mit der Fortsetzung der Bereicherungs-Ökonomie, die seit einigen Jahrhunderten, vor allem aber seit wenigen Jahrzehnten unser aller Geschick bestimmt. Das müssen wir dringend und allumfassend erkennen und daraus Konsequenten ziehen, die zu einer Neuen Ökonomie führen müssen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Philipp Lepenies: „Die Macht der einen Zahl“ Seite 31, Verlag Edition Shurkamp 2013
Anmerkung: Die ursprüngliche Schreibweise bei William Petty war „Political Arithmetick“.
Vergleiche z.B. auch: Norbert Häring — Buchbesprechung: https://norberthaering.de/buchtipps/buchbesprechung-die-macht-der-einen-zahl/?lang=de
(2) ebenda, Seite 23
(3) Karl Marx, Das Kapital, Band 1, 1867, Marx-Engels-Werke Band 23, Seite 288, Dietz-Verlag Berlin 1962
(4) Philipp Lepenies: ebenda, Seite 33
(5) ebenda, Seite 25
(6) ebenda, Seite 25 und 35
(7) ebenda, Seite 33
(8) ebenda, Seite 103
(9) ebenda, Buchtitel
(10) Warren Buffett: „There’s class warfare, all right”, Mr. Buffett said, „but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.” https://www.nytimes.com/2006/11/26/business/yourmoney/26every.html?_r=0%20Referenz:%20https://beruhmte-zitate.de/zitate/126606-warren-buffett-es-herrscht-klassenkrieg-richtig-aber-es-ist-mei/
Vergleiche auch (gut für's Gemüt): https://www.youtube.com/watch?v=U46bbmFaq74
(11) Wenn wir uns der „Political Arithmetic“ widmen, so darf man nicht vergessen, kaum jemand sammelt Daten aus der Perspektive jener, die hier im „Klassenkampf von Oben“ bekämpft werden. Kaum jemand sammelt Daten über die Ungerechtigkeit und die Ausbeutung der Arbeiter und der Völker. Die Daten, die es gibt, werden von Einrichtungen wie der Weltbank, der Credit Suisse oder staatlichen Ämtern gesammelt. Will man sie nutzen, so muss man sich ihrer Anordnung der Daten beugen. Da steckt natürlich Subjektivität drinnen! Nun lassen sich diese Daten auch teilweise im Sinne der 99 Prozent der Menschheit auswerten. Aber die Ergebnisse haben das Handicap, dass die Daten ursprünglich von den falschen Leuten zur Bestätigung der falschen Ideologie (Klassenkampf von Oben) gesammelt wurden.
(12) Ich habe bewusst nicht die kaufkraftbereinigte Interpretation dieser Daten genommen, weil die Wechselkursumrechnung auch etwas über die bestehenden Machtverhältnisse aussagt.
Credit Suisse gibt auch folgendes Argument: In der Einleitung zu ihrem Global Wealth Report heißt es: „In allen Ländern befindet sich jedoch ein großer Teil des persönlichen Vermögens im Besitz von Haushalten in den obersten Perzentilen der Verteilung, die dazu neigen, international mobil zu sein und ihr Vermögen mit erheblicher Häufigkeit über Grenzen hinweg zu bewegen. Für solche Personen ist der vorherrschende Fremdwährungskurs für internationale Vergleiche am wichtigsten. Es gibt also ein stärkeres Argument für die Verwendung offizieller Wechselkurse in Studien über das globale Vermögen.“ https://www.credit-suisse.com/about-us/en/reports-research/global-wealth-report.html
(13) https://howmuch.net/articles/distribution-worlds-wealth-2019
(14) https://databank.worldbank.org/data/download/GDP.xls
(15) Von 12 Ländern gibt die Weltbank keine Daten an — unter anderem nicht von Venezuela und Syrien. Die Gestaltung der Grafik erfolgte mit dem Programm „Geogebra“
(16) DER STANDARD: https://www.derstandard.at/story/1234507098842/reportage-big-mama-lebt-von-der-suppenkueche
(17) https://saubere-kleidung.de/asien/bangladesch/ https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/gipfel-der-textilbranche-bangladesch-das-dilemma-der-naeherinnen-von-dhaka/19443666.html?ticket=ST-1867445-pgXMGeqL7LNdFUuygmZN-ap4
https://www.focus.de/finanzen/news/tid-28299/kleidung-aus-billiglohn-laendern-in-fast-jedem-kleiderschrank-stecken-billig-klamotten_aid_868874.html
https://mit-kleidung-die-welt-fairaendern.com/infos-aus-dem-kleiderschrank/lohn-einer-naherin/
(18) https://archiv.bundesregierung.de/archiv-de/dokumente/pressestatements-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-und-dem-ministerpraesidenten-der-republik-portugal-pedro-passos-coelho-848964
(19) Nachträgliche Anmerkung aus den Erfahrungen der Corona-Zäsur: Es ist schwer zu erkennen, ob nicht doch zumindest eine „Fraktion“ der westlichen Superreichen auch in Ländern wie China einen erheblichen Einfuß haben. Bill Gates und andere sind immer wieder gern gesehene „Staatsgäste“ in China und es sieht bei grober Betrachtung durchaus so aus, als ob die WHO die Entscheidungen Chinas beeinflussen kann (oder umgekehrt). Zum Wohle der Völker der Welt scheinen diese Wechselwirkungen nicht zu sein. Das kann man wohl zu Recht als eine Lehre aus der Corona-Zäsur mitnehmen.
(20) Diese These schließt keine Wertung der ökonomischen oder politischen Regime in diesen Ländern ein. In China und auch in Russland scheint mir aber eines wahrscheinlich: Es gibt eine Tradition kommunistischer Regime, die den Staat an die erste Stelle setzten. Sie wissen, wie das geht.
Diese These sagt auch nicht, dass der Staat gar keine eigene Macht mehr hat. Ganz im Gegenteil, je mehr er Fremdinteressen gegen die Bevölkerung durchsetzen will, desto mehr Macht muss er beanspruchen. Und es gibt niemanden außer einer aufgeklärten Öffentlichkeit, der seinem Machtstreben Einhalt gebieten könnte.
Kurz sei angerissen: Für mich sollte es ein Gleichgewicht zwischen den drei Kräften geben: Staat, Eigentum und Zivilgesellschaft — jeder in seiner Rolle. Und die Demokratie, die von der ganzen Bevölkerung ausgeht, muss auch die wesentlichen ökonomischen Regeln festlegen. Dann erst können wir von echter Demokratie reden!
(21) Vgl. z.B.: Interview von AcTVism Munich mit Prof. Peter Kutznick: https://www.youtube.com/watch?v=UBxusYK7NVM&feature=youtu.be
Und: https://kenfm.de/tagesdosis-11-2-2020-100-sekunden-bis-zum-juengsten-gericht/
(22) https://namazerbaijan.org/pdf/Statement24.pdf
(23) https://en.wikipedia.org/wiki/Non-Aligned_Movement
(24) https://de.wikipedia.org/wiki/Bewegung_der_Blockfreien_Staaten#/media/Datei:NAM_Members.svg
(25) https://de.wikipedia.org/wiki/Atomwaffenverbotsvertrag
(26) BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. Vergleiche zum Beispiel: https://www.dw.com/de/brics-immer-noch-ein-alternatives-machtzentrum/a-51272066
(27) http://api.worldbank.org/v2/en/indicator/SP.POP.TOTL?downloadformat=excel
(28) Anmerkung im Nachhinein: Sonstiges, wie zum Beispiel das weltweite Aufziehen einer Ersatzbedrohung in Form einer Pandemie, die keine ist.
(29) Der Standard 2019: https://www.derstandard.at/story/2000098090011/gewinnen-wir-den-kampf-gegen-armut-wirklich-grafik-loest-streit
Bill Gates 2019: https://twitter.com/BillGates/status/1086662632587907072/photo/1?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1086662632587907072&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.derstandard.at%2Fstory%2F2000098090011%2Fgewinnen-wir-den-kampf-gegen-armut-wirklich-grafik-loest-streit
Makronom 2017: https://makronom.de/ist-die-weltweite-armut-nur-wegen-china-zurueckgegangen-19969
(30) Anmerkung im Nachhinein: Dieses „friedliche“ Bild ist durch die Corona-Zäsur ja wohl dahin!
(31) David S. Landes: „Wohlstand und Armut der Nationen“, S. 16, Berlin, Taschenbuch Verlag 2002
(32) BIP pro Kopf USA: 62.641 US-Dollar; BIP pro Kopf China: 9.771 US-Dollar (nach den Daten der Weltbank)
(33) Adam Smith: „Der Wohlstand der Nationen“ 1776, Seite 983 — Andersseitig.de: https://books.google.at/books/about/Der_Wohlstand_der_Nationen.html?id=QWwlDwAAQBAJ&redir_esc=y (kann über Google Play kostenlos abgerufen werden).
(34) „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ — CHARTA DER VEREINTEN NATIONEN UND STATUT DES INTERNATIONALEN GERICHTSHOFS, KAPITEL 1, ARTIKEL 2 ABSATZ 4. Zitiert nach Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeines_Gewaltverbot
(35) Vergleiche zum Beispiel: „Im Jahr 2004 hat die Auslandsverschuldung der Länder des Südens den historischen Höchststand von 2.597,1 Mrd. Dollar erreicht. 333,7 Mrd. Dollar flossen aus den Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der GUS an Schuldendienstzahlungen zurück in den Norden. Das war mehr als viermal soviel, wie die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe in diesem Jahr (78,6 Mrd. Dollar). Trotz aller bisherigen Schuldenerlasse schätzt der IWF, dass die Schuldendienstzahlungen an den Norden im Jahr 2006 auf 377,2 Mrd. Dollar steigen werden.“
https://www.tdh.de/fileadmin/user_upload/inhalte/04_Was_wir_tun/Themen/Kinderrechte/Materialien_zum_Download/OEffentliche_Armut.pdf
https://journals.openedition.org/sjep/372
https://www.brot-fuer-die-welt.de/blog/2020-iwf-schuldenerlass-und-g20-moratorium-reicht-das/
https://norberthaering.de/reform-der-wirtschaftswissenschaft-dossiers/assa/