Die digitale Kolonie
Europa ist längst von Software aus den USA abhängig und lebt unter US-Überwachung.
In jedem Rathaus, in jeder Kommune läuft Microsoft Office. Unsere E-Mails gehen über Outlook, unsere Akten entstehen in Word oder Excel, und all das geschieht auf amerikanischer Software. Doch was viele übersehen: Jedes dieser Programme ist Teil eines weitverzweigten Überwachungsapparats. Daten, die in Europa entstehen, landen über US-Cloudserver, über Hintertüren oder über Unternehmensrichtlinien in Amerika. Behörden wie NSA oder FBI haben, rechtlich abgesichert durch den CLOUD Act, Zugriff auf alles, was auf US-Servern liegt. Was heißt das konkret? Wenn ein deutscher Abgeordneter ein vertrauliches Dokument über Outlook versendet oder eine Kommune ihr Sozialamt digitalisiert, kann dieses Wissen, technisch und rechtlich, auch in Washington landen. Europa liefert sich freiwillig aus. Wir sind längst kein Partner auf Augenhöhe mehr, sondern digitaler Außenposten.
Von der Leyens Loblieder auf Intel — ein Bärendienst für Europas Souveränität
Ursula von der Leyen jubelte noch im Mai 2025 öffentlich über den geplanten Intel-Standort in Magdeburg und sprach von einem „strategischen Meilenstein für Europas digitale Zukunft“. Doch was sie verschweigt: Europa hätte längst eigene Möglichkeiten, ein unabhängiges Chipprogramm aufzubauen. In den Niederlanden sitzt mit ASML der weltweit einzige Hersteller für sogenannte EUV-Belichtungsmaschinen, also die Hightech-Geräte, die man braucht, um moderne Mikrochips überhaupt fertigen zu können.
Statt diese Schlüsselrolle strategisch zu nutzen und ein europäisches Ökosystem rund um ASML, Infineon und kleinere Forschungszentren aufzubauen, setzt Brüssel weiter auf US-Konzerne. Intel bekommt Subventionen in Milliardenhöhe, und Europa bleibt Konsument statt Architekt seiner digitalen Infrastruktur. Man gewinnt den Eindruck: Wer in Washington gute Laune verbreitet, wird in Brüssel hofiert.
Die europäische Chipproduktion — stark in der Technik, schwach in der Strategie
Europa besitzt hervorragende Maschinenbaukompetenz. Unternehmen wie ASML (Niederlande), ASM (ebenfalls NL), Carl Zeiss SMT (Deutschland) oder EVG (Österreich) liefern das technische Rückgrat der globalen Chipfertigung. Doch das Problem liegt woanders: Wir entwerfen kaum eigene Chips.
Aktuell liegt Europas Anteil an der weltweiten Chipproduktion bei rund 9 Prozent. In den 1990er-Jahren waren es noch über 40 Prozent. Das EU-Chips-Act-Programm will bis 2030 auf 20 Prozent kommen, eine ehrgeizige Zielmarke. Doch selbst Experten halten das für unrealistisch. Die Industrieorganisation SEMI spricht realistisch von 11 bis 13 Prozent. Der Grund: fehlende Koordination, zu wenig Forschung, zu viele politische Versprechungen ohne Durchsetzungskraft.
Vierte Hoffnung Dresden? Nur auf dem Papier
Ein Hoffnungsschimmer scheint das Werk von TSMC in Dresden zu sein, gemeinsam mit Bosch, Infineon und NXP. Rund 10 Milliarden Euro sollen dort investiert werden, die Hälfte davon aus Steuermitteln. Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Die Fabrik wird von TSMC geleitet, einem taiwanischen Konzern mit engen Verbindungen zu den USA. Europa bezahlt mit, bekommt aber keinen echten Zugriff auf Know-how oder strategische Mitbestimmung.
Wir finanzieren also fremde Projekte, ohne daraus langfristige Unabhängigkeit zu gewinnen. Ein gefährliches Spiel. Und einer, der es offen anspricht, ist schwer zu finden.
Friedrich Merz, CDU, soll nach seinem letzten Treffen mit Donald Trump im Juni 2025 erleichtert gewesen sein, dass der ehemalige US-Präsident „gut gelaunt“ war. Man muss sich das vorstellen: Die deutsche Politik zittert vor den Launen eines Mannes, der öffentlich über „Deals“ spricht, bei denen Europa nur Verlierer sein kann.
Ohne eigene Chipentwürfe bleibt jede Fabrik wertlos
Eine Chipfabrik zu bauen, das klingt fortschrittlich, doch ohne eigene Entwürfe nützt sie wenig. Man stelle sich eine hochmoderne Druckerei vor, die keine eigenen Texte hat und nur Aufträge aus dem Ausland drucken darf. Genauso ist es mit einer Chipfabrik: Sie braucht Baupläne, technisch präzise Entwürfe, die genau festlegen, wie ein Mikroprozessor funktionieren soll.
Doch genau das fehlt Europa. Moderne Chipdesigns, etwa für programmierbare Prozessoren (FPGA), freie Architekturen wie RISC-V oder Hochleistungsrechner (HPC), werden fast ausschließlich in den USA und Asien entwickelt. Europa kann zwar bauen, aber nur das, was andere ihm vorgeben. Wer keine eigenen Chips entwirft, bleibt abhängig, auch mit eigenen Fabriken. Wir sind erpressbar — technisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Und das mit Ansage.
Digitale Souveränität braucht echte Unabhängigkeit
Was also tun? Europa braucht ein eigenes, strategisch finanziertes Mikroprozessorprogramm, vom Chipdesign über die Produktion bis zur Software. Statt Milliarden in Rüstung und Panzer zu investieren, wäre dieses Geld besser in digitale Infrastruktur angelegt.
Es braucht:
- eine europäische Chipdesign-Agentur, ähnlich wie Airbus — für zivile wie staatliche Anwendungen,
- massive Investitionen in Halbleiter-Start-ups und Open-Source-Architekturen wie RISC-V,
- öffentliche IT-Infrastruktur ohne Microsoft — etwa eigene Betriebssysteme, Mailserver, Cloudlösungen,
- Sicherheitsrichtlinien, die Datensouveränität garantieren — keine Datenabflüsse in Drittstaaten.
Schlussfolgerung: Wenn wir jetzt nicht handeln, verlieren wir alles
Europa steht an einem digitalen Wendepunkt. Wir sind abhängig, wir sind transparent, wir sind verwundbar, technisch, wirtschaftlich, geopolitisch. Wenn wir so weitermachen, werden wir nicht nur Beobachter des digitalen Zeitalters sein, sondern ein abhängiger Erfüllungsgehilfe.
Wir dürfen unsere technologische Zukunft nicht von der Laune machtbesessener Politiker und Wirtschaftsbosse abhängig machen, egal ob sie Trump, Musk oder Xi heißen.
Souveränität heißt nicht nur verteidigen, sondern gestalten. Die Technologie der Zukunft, ob Chips, Software oder Cloud, darf nicht nur in fremden Händen liegen. Sie muss demokratisch, souverän und europäisch sein. Sonst gehören unsere Ideen und Daten irgendwann nur noch denen, die bereit sind, am meisten dafür zu verlangen.