Die einzige Weltmacht
Donald Trump inszeniert sich als Friedensstifter in der Ukraine, doch das löst ihn nicht aus dem seit jeher definierten Korsett amerikanischer Interessen.
Das Treffen von US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin am 15. August 2025 in Anchorage, Alaska, hat Hoffnungen auf Frieden geweckt. Bei der Abschlusskonferenz war über den Köpfen die Parole „Pursuing Peace“(Frieden anstreben) zu lesen. Doch fragt man sich: Gab es jemals eine amerikanische Regierung, die wirklich nach Frieden gestrebt hat?
Schon wenige Tage nach dem Treffen in Anchorage empfing Donald Trump am 18. August den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Begleitet wurde er von den Staatsoberhäuptern Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Finnlands sowie dem NATO-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Inzwischen fällt es schwer, sich einen Reim auf die dann folgenden widersprüchlichen Nachrichten aus Europa und Anweisungen aus dem Weißen Haus zu machen. Beispielsweise hat die US-Regierung den Verkauf von 3.350 Marschflugkörpern des Typs ERAM (Extended Range Active Missiles) mit einer Reichweite von 450 Kilometern an die Ukraine genehmigt. Die Kosten betragen rund 730 Millionen Euro – bezahlt wird alles von der EU.
Arbeitsteilung USA – Europa
Doch wie immer in der Geschichte von Imperien geht alles nach längst entwickelten Plänen. Ein Beispiel dafür sind die Anweisungen, die US-Verteidigungsminister Pete Hegseth der „Ukraine-Kontaktgruppe“ (auch Ramstein-Gruppe) bei seinem ersten Besuch in Brüssel am 12. Februar 2025 erteilt hat. Schon bei seiner Ankunft im NATO-Hauptquartier schrieb er auf X, die NATO sei „kein diplomatischer Club“, sondern müsse „eine stärkere und tödlichere Kraft“ werden. Klingt nicht gerade nach Friedensbemühungen.
In seiner Rede betonte der US-Verteidigungsminister die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Führung bei der Unterstützung der Ukraine, was unter anderem bedeute, mehr Munition und Ausrüstung zu liefern und die Verteidigungsindustrie zu fördern. Er fuhr fort:
„Und was noch wichtiger ist, informieren Sie Ihre Bürger offen über die Bedrohung, der Europa ausgesetzt ist. Dazu gehört auch, ihnen klarzumachen, dass dieser Bedrohung nur durch höhere Verteidigungsausgaben begegnet werden kann. Zwei Prozent sind nicht genug; Präsident Trump hat fünf Prozent gefordert, und ich stimme ihm zu.“
Er sei auch gekommen, um unmissverständlich klarzumachen, dass sich die US-Regierung nun vorrangig auf eine ernste Gefahr für ihr Land und dessen Grenzen fokussieren müsse – das heißt auf den indopazifischen Raum, auf das kommunistische China, durch das die ureigensten nationalen Interessen Amerikas bedroht seien:
„Gemeinsam können wir eine Arbeitsteilung schaffen, die unseren Interessen in Europa und im Pazifik dient. In meinen ersten Wochen als Verteidigungsminister unter der Führung von Präsident Trump haben wir vielversprechende Anzeichen dafür gesehen, dass Europa diese Bedrohung erkennt, versteht, was getan werden muss, und sich der Aufgabe stellt.“
Abarbeitung der von Pete Hegseth genannten Punkte
Informieren Sie Ihre Bürger offen über die Bedrohung, der Europa ausgesetzt ist.
Das ist auf mannigfaltige Weise geschehen, und wir werden täglich mit Unterstützung der Medien aufs Neue vor der drohenden Gefahr eines russischen Angriffs gewarnt. Verteidigungsminister Boris Pistorius konfrontierte die Bevölkerung eines Tages damit, dass es nun darum gehe, kriegstüchtig zu werden und sowohl die Bundeswehr als auch die Gesellschaft entsprechend aufzustellen. Der CDU-Abgeordnete und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter träumt davon, nicht nur Ölraffinerien, Militäreinrichtungen und Hauptquartiere, sondern auch Ministerien, Kommandoposten und Gefechtsstände in Russland anzugreifen. Gleichzeitig darf er immer wieder öffentlich dazu auffordern, dem „Diktator Putin“ Einhalt zu gebieten und der Ukraine den Marschflugkörper Taurus zu liefern.
Während der Militärhistoriker Sönke Neitzel meint: „dieser Sommer könnte der letzte im Frieden sein“, kann sich die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas einen russischen Angriff erst ab 2028 vorstellen. Annalena Baerbock warnt auf ihre Weise:
„Wenn die russischen Truppen immer weiter vormarschieren, dann wissen wir nicht, wo sie dann Halt machen. Dann kommt Polen (…) und dann kommt Brandenburg beziehungsweise Deutschland.“
Und in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen fragt der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn, was denn die schönste Schuldenbremse nütze, wenn der Russe vor der Tür stehe. Beweise für eine solche Absicht Russlands werden nicht erbracht.
Die Verteidigungsindustrie stärken
„Sondervermögen“
Während Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Wahlkampf eine Aussetzung der Schuldenbremse noch vehement ausgeschlossen hatte, einigten sich die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD nur neun Tage nach der Bundestagswahl 2025 mit einer radikalen Kehrtwende auf ein milliardenschweres Finanzpaket. Dabei geht es um ein sogenanntes Sondervermögen (im Klartext Sonderschulden) von 500 Millionen Euro für Investitionen in die Infrastruktur und um die Aussetzung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse für Verteidigungs- und Sicherheitsaufgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen. Am 18. März 2025 stimmte der kurz vor der Konstituierung des neuen Bundestags einberufene alte Bundestag dem Finanzpaket zu. Am 21. März gab auch der Bundesrat grünes Licht für die notwendigen Änderungen der Grundgesetzartikel 109, 115 und 143.
Jetzt sind plötzlich die schon seit Jahrzehnten so dringend benötigten Gelder für die Infrastruktur da. Dass damit zum Beispiel Schultoiletten und Schulgebäude renoviert werden, können wir uns wahrscheinlich abschminken.
Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf Kriegsvorbereitungen. Es geht vor allem darum, den reibungslosen Transport von in Holland angelandeten US-amerikanischen Militärfahrzeugen aller Art über intakte Straßen und sanierte Brücken durch das Transitland Deutschland an die NATO-Ostflanke zu gewährleisten, informiert uns Generalleutnant André Bodemann in einem aufschlussreichen BR-Interview: „Was passiert, wenn Putin angreift.“
Wehrpflicht
Nach langen Debatten hat das Bundeskabinett am 28. August 2025 ein Gesetz zur Einführung eines neuen Wehrdienstes beschlossen. Ab dem 1. Januar 2025 sollen Männer und Frauen zu ihrem 18. Geburtstag einen Online-Fragebogen erhalten. Dieser enthält Fragen zu ihrer Einstellung zum Wehrdienst, zu körperlicher Fitness und zum Bildungsstand. Während Männer verpflichtet sind, den Fragebogen auszufüllen, können Frauen freiwillig teilnehmen.
Wen die Bundeswehr für den Wehrdienst für geeignet hält, der wird zur Musterung eingeladen – unterliegt jedoch noch nicht einem Zwang zum Wehrdienst. Ab 2027 wird die Musterung für Männer dann verpflichtend. Wer sich weigert, dem droht ein Bußgeld. Doch, so Verteidigungsminister Boris Pistorius: „wenn die Zahlen nicht reichen, dann werden wir den Mechanismus in Gang setzen müssen. Dann wird es einen Parlamentsbeschluss für die Wehrpflicht geben müssen.“ – Freiwilligkeit also nur solange es passt. Danach wird zwangsrekrutiert.
Mehr Munition und Ausrüstung
Der Rüstungskonzern Rheinmetall will seinen Standort in Unterlüß in der Lüneburger Heide zum größten Munitionswerk Europas ausbauen. Dafür hat das Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag in ein Werk für Artilleriemunition investiert. Zur Eröffnung Ende August erschienen auch NATO-Generalsekretär Mark Rutte, Verteidigungsminister Boris Pistorius und SPD-Chef Lars Klingbeil. Eine weitere neue Munitionsfabrik soll in Bulgarien entstehen.
Es geht also alles nach Plan – allerdings nicht im Interesse Deutschlands oder Europas, sondern nach den Vorgaben der US-Regierung.
Kontinuität der Agenda – Streben nach Vorherrschaft
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ihren Anspruch auf die alleinige Beherrschung der Welt nie wirklich aufgegeben. An einer echten Partnerschaft oder konstruktiven Zusammenarbeit waren sie nie ernsthaft interessiert – das zeigen zahlreiche illegale Kriege, Regimewechsel, Farbrevolutionen und False-Flag-Operationen immer aufs Neue. Der Ukraine-Konflikt war sowohl unter US-Präsident Joe Biden als auch jetzt unter Präsident Donald Trump – so Außenminister Marco Rubio – „ein Stellvertreterkrieg zwischen den Atommächten: zwischen den USA, die der Ukraine helfen, und Russland.“
Schon die NATO wurde 1949 gegründet „um die Amerikaner drin zu halten, die Russen draußen und die Deutschen unten“, so der oft zitierte Ausspruch des ersten NATO-Generalsekretärs Lord Ismay.
Die sogenannte Wolfowitz-Doktrin, 1992 vom damaligen Verteidigungsminister Dick Cheney freigegeben, plädiert unverhohlen dafür, dass Amerika nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion alles tun müsse, um den Status einer Supermacht und eines globalen Hegemons zu bewahren. Dazu gehöre es, China, den Iran und insbesondere Russland, daran zu hindern, so mächtig zu werden, dass sie die USA ernsthaft herausfordern könnten.
Hier eine Passage aus der Doktrin:
„Unser oberstes Ziel ist es, das Wiederauftreten eines neuen Rivalen – auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo – der eine ähnliche Bedrohung darstellt, zu verhindern. Dies ist das vorrangige Anliegen einer neuen regionalen Verteidigungsstrategie und erfordert, alles zu tun, um eine feindliche Macht daran zu hindern, eine Region zu dominieren, deren Ressourcen dazu ausreichen würden, eine Weltmacht entstehen zu lassen.“
In seinem 1997 veröffentlichten Buch The Grand Chessboard: American Primacy and its Geostrategic Imperatives geht es dem Autor Zbigniew Brzezinski, einem ehemaligen Berater der US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und Jimmy Carter, ebenfalls um Strategien zur Verhinderung des Aufstiegs einer konkurrierenden Supermacht, die die globale Vorherrschaft der USA herausfordern und den Hegemon bedrohen könnte.
Die RAND Corporation (Research ANd Development), ein Think Tank zur Beratung der US-Streitkräfte, veröffentlichte 2019 einen Bericht mit dem Titel Extending Russia – Competing from Advantageous Ground (Russland überdehnen – Von vorteilhaftem Terrain aus konkurrieren), eine Art Drehbuch für die Destabilisierung und Schwächung Russlands. Darin ging es unter anderem darum, die stark vom Öl- und Gasexport abhängige Wirtschaft der russischen Föderation durch Handels- und Finanzsanktionen zu treffen und dafür zu sorgen, dass Europa die Lieferungen durch Bezug von amerikanischem Erdgas ersetzt. Auf dem Gebiet der Meinungsmanipulation und Propaganda empfiehlt die Corporation, das Bild Russlands in der europäischen Öffentlichkeit zu schädigen, die Ukraine mit Waffen zu beliefern und einen Regimewechsel in Weißrussland zu fördern. Letzteres ist nicht gelungen.
Am 12. Oktober 2023 veröffentlichte Die Weltwoche eine detaillierte Rekonstruktion der ukrainisch-russischen Friedensverhandlungen in Istanbul im März 2022 (Autoren: Hajo Funke und Harald Kujat) . Die Chancen für eine Beendigung des Krieges waren erfolgversprechend – bis der Westen intervenierte. Die Weltwoche schreibt: „Am 9. April 2022 traf Boris Johnson unangemeldet in Kiew ein und erklärte dem ukrainischen Präsidenten, dass der Westen nicht bereit sei, den Krieg zu beenden. Laut dem britischen Guardian vom 28. April hatte Premierminister Johnson den ukrainischen Präsidenten „angewiesen, keine Zugeständnisse an Putin zu machen.“
Es geht den Vereinigten Staaten augenscheinlich nicht um Frieden oder einen „Deal“, sondern letzten Endes um die Eindämmung – ja, Zerschlagung – Russlands. Verteidigungsminister Hegseth spricht in diesem Zusammenhang von „Arbeitsteilung“: Während die USA sich anschicken, den Rivalen China aus dem Feld zu schlagen, sollen Amerikas europäische Proxies in der Ukraine mit Waffenlieferungen und Milliardenverträgen auf Kosten der eigenen Bürger aushelfen. Willige Vollstrecker, die mit Unterstützung der Mainstream-Medien nur eines kennen: Drohen, Sanktionieren, Abschrecken, Feindbildpropaganda, Dämonisierung des Feindes, Nichtbeachten russischer Interessen und roter Linien sowie Beharren auf Waffenstillstand, weil Putin – so geben sie vor – nur die Sprache der Stärke verstehe. Die NATO sei eben kein „diplomatischer Club“, schrieb Pete Hegseth, wie oben erwähnt, bei seiner Ankunft in Brüssel auf X., sondern „müsse eine stärkere und tödlichere Kraft werden.“ China aus dem Feld zu schlagen hat Vorrang. Danach wird man sich wieder Russland zuwenden, so muss man annehmen. In der Zwischenzeit übernimmt die europäische „Koalition der Willigen“.
Folgen für die deutsche Bevölkerung
Bundeskanzler Friedrich Merz begründete die gigantischen neuen Schulden wie folgt: „Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes!“
Whatever it takes! heißt auf Deutsch: Koste es, was es wolle! Die Folgen sind überall sichtbar. Die mutwillig herbeigeführte schleichende Deindustrialisierung bedeutet Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut und ein marodes Sozialsystem.
Friedrich Merz ist sich dessen durchaus bewusst, nimmt es aber in Kauf, wenn er beim Parteitag der niedersächsischen CDU offen und ungerührt das Ende von Sozialstaat und Wohlstand in Deutschland ankündigt: „Ich werde mich durch Worte wie ‚Sozialabbau‘ und ‚Kahlschlag‘ und was da alles kommt nicht irritieren lassen. Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir heute volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“
Die „Koalition der Willigen“ – das war doch einst die Bezeichnung für diejenigen Staaten, die 2003 unter dem Vorwand, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, den völkerrechtswidrigen Angriff der USA auf den Irak unterstützten. Eine sogenannte Shock-and-Awe-Operation mit einer halben Million Toten. Damals war Deutschland nicht dabei.
Es erstaunt immer wieder, wie viele willige Helfer bereit sind, destruktive fremde Mächte aufgrund irgendwelcher persönlicher Interessen bei der Zerstörung des Wohlstands und des Wohlergehens der eigenen Mitbürger zu unterstützen.