Die Euphorie der Kriegslustigen
Wer ernsthaft behauptet, Menschen seien naive Propagandaopfer, weil sie sich vorstellen können, dass westliche Regierungschefs weißes Pulver inhalieren, der ist entweder selbst naiv — oder ein Propagandist.
Da fühlten sich aber die drei Herren ertappt. Journalisten kamen in das Abteil des Sonderzugs nach Kiew, den Friedrich Merz, Keir Starmer und Emmanuel Macron für ihren Trip in die Ukraine nutzten. Dort machte sich das Trio für europäische Hilfeleistungen stark und auch für eine Fortführung des Krieges in welcher Form auch immer. Und das am Rande weltpolitischer Dynamiken, die sich Schritt für Schritt einem Waffenstillstand und vielleicht sogar einem Frieden annähern. Macron versteckte ein Taschentuch, Merz einen Löffel — und schon wurde kolportiert, dass die drei Herren der Schöpfung Koks konsumiert hätten und nicht auf dem Plan hatten, gleich noch mal auf Medienvertreter zu treffen.
Nun ist in der Tat nicht ersichtlich, ob an den Vorwürfen, die angeblich erstmals vom US-Radiomoderator Alex Jones bei X erhoben wurden, etwas dran ist. In dem Taschentuch können einfach auch nur präsidiale Popel gewesen sein, die Monsieur le Président den Presseleuten so nicht präsentieren wollte. Und vielleicht hat sich der neue Bundeskanzler mit dem Löffel, den er in seinen Händen versteckt hielt, auch vorher einfach nur ein Herzmittel ins Wasser eingerührt — der Mann ist immerhin fast 70 Jahre alt.
Dass man von Medien- und Regierungsseite aber dann so tut, als würde man etwas völlig Abwegiges für möglich halten, nämlich dass Staatsleute — oder solche, die sich dafür halten — koksen, das ist wirklich ziemlich vermessen. Besonders wenn man den außenpolitischen Trip im Blick behält, auf dem dieses Trio sich seit geraumer Zeit befindet.
Drogen der Herren des Universums
In den 1850er-Jahren gelang es der Forschung, das Kokain aus Cocapflanzen zu isolieren. Bereits die ersten Europäer, die den südamerikanischen Kontinent betreten hatten, beobachteten die Ureinwohner dabei, wie sie die Blätter dieser Pflanzen kauten, und dies zu allerlei Anlässen: etwa um lange Märsche durch unwegsames Gelände durchzustehen, schwere Arbeitsaufträge zu verrichten oder aber, um in Kriege zu ziehen. Dass das Kokain auch Schmerzen stillte, fand man im Zuge seiner Isolierung heraus. Ab den 1880er-Jahren nutzte man es als Lokalanästhetikum. Kokain war seinerzeit frei zugänglich, und in gesellschaftlichen Kreisen wurde es wegen seiner berauschenden Wirkung geschätzt. Dass das Zeug süchtig machte, fand man erst später heraus.
Euphorie, Aktivitätssteigerung und Selbstüberschätzung: Diese Wirkung hat Kokain, wenn man es sich durch die Nasenlöcher zieht. Es kommt außerdem zu einer Enthemmung des Redeflusses. Zum Größenwahn und zur Großmannssucht ist es von dort ab nicht mehr weit. Kokain wird heute besonders häufig von Männern konsumiert — es gilt als Leistungsdroge. Unter dem Einfluss von Kokain glauben die Konsumenten, dem Druck im Alltag und vor allem im Berufsleben gerecht zu werden. Denn es stimuliert und putscht auf; wer es sich nasal einverleibt, verspürt zumeist sofort Wirkung: Urplötzlich glaubt man sich unschlagbar, geht jeder Herausforderung aggressiv entgegen, das Negative verschwindet aus der Wahrnehmung — und damit auch Gefahren oder Unabwägbarkeiten.
Wer schnupft, der macht sich in gewisser Weise die Welt untertan.
Im Milieu der Banker und Versicherer wurde über Jahrzehnte gekokst. Yuppies nannte man junge, aufstrebende, stark leistungsfixierte und auf den eigenen finanziellen Vorteil bedachte Arbeitskräfte aus der Finanzbranche, die das Koks nutzten, um ihren Mann stehen zu können — mit den Yuppies der Achtzigerjahre, die sich begrifflich aus den Anfangsbuchstaben der Bezeichnung „young urban professionals“ zusammensetzten, etablierte sich ein neues, ein hartes, realitätsvergessenes und überhebliches Ethos in der Arbeitswelt der Finanzwirtschaft. Man sprach von den „Masters of the Universe“, wenn man Broker und Banker meinte und hatte dabei jene Action-Figuren für Kinder im Sinn, die zur damaligen Zeit immens erfolgreich waren. Sie waren bereit zu jeder Schandtat, die sich in bare Münze umsetzen ließ. Diese kokaingetriebene Schicht ging keiner Konfrontation aus dem Weg; sie zog in den Krieg gegen den Staat, dessen Einfluss zu verkleinern sie als Chance für eine gewinnbringende deregulierte Zukunft betrachtete — ja, die Kokser fühlten sich unschlagbar, kein Gegner konnte es mit ihnen aufnehmen.
Aufgeputscht nach Russland
Das Kokain bewirkte, was es auch bei den südamerikanischen Ureinwohnern zur Folge hatte: Es steigerte den eigenen Schneid, die Rauflust — eben auch dann, wenn man ein gar nicht so geübter Krieger war.
Man muss die Geschichte des Neoliberalismus immer auch unter dem Aspekt des Kokains sehen.
Zwar ist die neoliberale Ideologie keine Kreatur des Drogenkonsums, aber die Droge hat die Ideologie mit einer Kampfeslust ausgestattet, die sie vorher so nicht hatte. In den höheren Etagen der Versicherungspaläste und Bankwolkenkratzer zog man das weiße Pulver durch die Nüstern und teilte die Welt auf, wie Diktatoren in Feierlaune. Im Grunde ist das nicht neu: Wer in den Krieg zog, ward noch immer vor die Frage gestellt, wie man sich denn motivieren, die Angst nehmen, sich selbst ins unbegrenzte Vertrauen setzen kann. An dieser Stelle kommen Rauschmittel ins Spiel.
Hier empfiehlt sich ein Blick in Norman Ohlers Buch „Der totale Rausch“, eine Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum im Dritten Reich und speziell während der Kriegsjahre. Zwar wurde in der Wehrmacht nicht gekokst, aber ein Rauschmittel war nötig, um die Soldaten aufzuputschen und moralisch über Wasser zu halten. Amphetamine wurden im großen Stil hergestellt und unter dem Namen Pervitin an die Wehrmacht verkauft. Der Feldzug gegen Frankreich war ein Produkt verstärkten Pervitin-Konsums. Man sprach vom Blitzkrieg — denn die Deutschen schienen nie müde zu werden und immer schneller zu reagieren als die französische Armee. Das war dem Aufputschmittel geschuldet. Später stieß man in die Weiten Russlands vor — wieder mit Pervitin im Gepäck. Aber dieses Russland schien nie zu enden, Moskau war viel zu weit weg — Paris war 1939 etwas mehr als 170 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, Moskau hingegen lag 1941 knapp 1.200 Kilometer vom deutschen Einflussgebiet weg —, sodass das Pervitin nicht bis zum Ende des Feldzuges wirkte. Im Gegenteil, nach spätestens zwei Wochen trat der regelmäßige Konsument in eine Phase starker Müdigkeit und Depression ein — der Soldat war ab da nicht mehr leistungsfähig.
Eine Gesellschaft, die sich dem Krieg verschreibt, muss man sich immer auch als eine Drogengesellschaft vorstellen.
Der Rausch scheint nötig zu sein, um mit dem Druck umgehen zu können, den der Krieg erzeugt.
Von Angesicht zu Angesicht mit dem eigenen Ableben zu stehen — wie will man das verarbeiten, wenn man den Dienst an der Waffe im Einsatzgebiet tut? Noch mal: Ob die drei Herren, ob Merz, Macron oder Starmer nun tatsächlich beim Koksen erwischt worden sind, kann man nicht sagen. Bestenfalls gibt es Indizien, aber keine Beweise. Dass jedoch sofort von offizieller Seite entkräftet wird und die Vorstellung zu einem Hirngespinst von besonders abwegiger Sorte stilisiert wurde, ist einerseits kurios und andererseits ziemlich realitätsvergessen. Denn Westeuropäer, die nach Russland aufbrechen, um dort das Kriegsgeschäft zu betreiben, waren zuweilen durchaus in aufgeputschter Laune.
Kokainrückstände im Bundestag
So völlig an den Haaren herbeigezogen, wie man es hernach hinstellen wollte von Regierungsseite und im Staatsfunk, ist diese Vorstellung eingedenk von Männern, die seit Wochen für den Krieg trommeln und sich dauernd in ihrer brachialen Rhetorik überbieten, ja nun wahrlich nicht. Seit Monaten klingen diese Herren so wie jene Banker aus Edelbüros in der 80. Etage eines Wolkenkratzers, von denen vorher die Rede war: Sie machen Geschäfte, teilen Ressourcen untereinander auf, wollen Reibach machen. Im Krieg und im marktradikalen Geschäftsleben wäre der Konsum von Mitteln, die den Größenwahn erst so richtig ausgeprägt erscheinen lassen, nun wirklich kein Wunder. Im Gegenteil, der Rausch hilft dabei, die letzten Restzweifel der Menschlichkeit auszumerzen. Er macht hemmungslos — und Skrupel kann man in diese Sphären nicht gebrauchen.
Und überhaupt soll man bitte nicht so tun, als sei die Politik in Deutschland frei von Suchtmitteln. Vor einem Vierteljahrhundert erfuhr die deutsche Öffentlichkeit noch völlig ungeniert davon, dass auf den Toiletten des Bundestages Rückstände von Kokain gefunden wurden. Das Sat1-Magazin Akte 2000 berichtete exklusiv darüber. Sehr angetan war man in Berlin von dieser Berichterstattung nicht. Aber offenbar funktionierte der Journalismus in Deutschland wenigstens noch so gut, dass man dennoch darüber berichtete. Heute hilft man den politischen Akteuren, indem man Stimmen, die sich den Drogenkonsum hoher Politiker vorstellen können, als rechtsoffen hinstellt oder für Kreml-Narrative zugänglich bezeichnet. Damals empörte man sich in der Öffentlichkeit sogar darüber, dass die Staatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht sah, der zu Ermittlungen berechtigen würde.
Der Medienbetrieb half der Politik damals also nicht beim Vertuschen, vorauseilend einen Verdacht zu entkräften: 2025 ist das aber Usus.
„Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind.“ So rappte einst Falco — und das schon in den Achtzigern. Damals war bereits klar, dass dieser Schnee etwas ist, was überall rieselt; jedes Kind kennt ihn, weiß, dass es schneit. Koks war und ist weiterhin die Droge einer aggressiven Welt — das Aufputschmittel für Wirtschaftskriege und Materialschlachten, das Stimulans für ein globales Klima, in dem es auf Attacke und Offensive ankommt. Es ist richtig, dass die drei megalomanen Staatsmänner im Waggon eines Zuges in die Ukraine nicht bewiesenermaßen gekokst haben; und ja, es mag auch zutreffen, dass selbst die Indizienlage dünn ist — aber jeden, der den Verdacht äußerte, gleich zum Opfer rechter oder russischer Propaganda zu machen, ist seltsam wirklichkeitsvergessen. Denn der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, den findet man überall — besonders da, wo brachiale Parolen skandiert werden und man sich kraftmeierisch auf die Brust schlägt und größenwahnsinnig den eigenen drohenden Niedergang nicht mehr erkennt.