Die Fassadendemokratie

Wirkliche Macht entfaltet sich im Verborgenen — die meisten bleiben ihren Mechanismen gegenüber blind.

Durch Wahlen und die Inszenierung politischer Dramen wird uns glauben gemacht, wir partizipierten am politischen Geschehen unserer Gesellschaft. Jonathan Cook jedoch führt in seinem Artikel aus, dass die tatsächliche Macht unter der Oberfläche dieser ablenkenden und vergänglichen Spielereien herrscht und wirkt — im Geheimen. Denn nur dort kann sie sich — mit Hilfe der Medien — entfalten und vermehren.

Wenn es etwas gibt, das mich zum Schreiben — vor allem dem Schreiben dieser Blog-Posts — drängt, so ist es das dringende Bedürfnis, uns das Konzept „Macht“ verstehen zu lassen. Macht ist die Kraft, die unser aller Leben und Tod fast vollständig bestimmt. Es gibt kein wichtigeres Thema. Nur dadurch, dass wir das Konzept „Macht“ verstehen und damit auch überwinden, können wir uns befreien — als Individuen, als Gesellschaften und als Spezies.

Deswegen ist es schlicht verblüffend, dass sich die Medien — angeblich ein freier Markt der Ideen — abgesehen vom Schattentheater der Parteienpolitik und der Promi-Skandalgeschichten nie direkt mit der Frage der Macht auseinandersetzen.

Und doch ist dieser Mangel an Interesse daran, Macht zu analysieren und zu verstehen, gar nicht überraschend, sind doch die Unternehmensmedien das wesentliche Instrument — oder, aus einem anderen Blickwinkel, der zentrale Ausdruck — von Macht.

Ganz offensichtlich ist es für die Macht von extremer Wichtigkeit, sich im Geheimen entfalten zu können. Definitionsgemäß wird Macht dadurch, dass sie als solche entlarvt wird, geschwächt.

Ist sie erst enttarnt, wird sie mit Fragen zu ihrer Legitimität, ihren Methoden, ihren Absichten konfrontiert. Macht will nicht gesehen werden, nicht beschränkt werden, will nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Macht will die vollkommene Freiheit, um sich vermehren zu können und im Idealfall noch mehr Macht zu gewinnen.

Deswegen macht sich echte Macht so unsichtbar und undurchschaubar wie möglich. Wie ein Pilz kann auch Macht nur im Dunkeln wachsen. Deshalb fällt es unendlich schwer, so über sie zu schreiben, dass es jene verstehen, die unter ihrem Bann stehen — wie meistens die meisten von uns. Denn Worte sind unzureichend, wenn man beabsichtigt, mit ihnen die Geschichte wirklicher Macht zu beschreiben, weil Macht die Sprache vereinnahmt.

Oberflächlicher Wellenschlag

Beachten Sie — ich beziehe mich hier auf Macht, nicht auf die Mächtigen, weil Macht weniger als eine Gruppe von Menschen oder eine Intrige verstanden werden sollte denn als Fleisch gewordene Idee, als eine ideologische Matrix von Strukturen, eine Möglichkeit, die Welt zu verstehen. Sie besitzt ihre eigene Logik — unabhängig von jenen Menschen, die als mächtig angesehen werden. Ja, Politiker, Prominente, das Königshaus, Banker und CEOs sind ein Teil des physischen Ausdrucks von Macht. Sie sind aber nicht „Macht“ — eben weil sie sichtbar sind. Genau die Sichtbarkeit ihrer Macht macht sie verletzbar und potenziell entbehrlich — das genaue Gegenteil von Macht.

Die missliche Lage, in der sich aktuell Prinz Andrew von England oder Harvey Weinstein in den USA befinden, verdeutlicht, wie tückisch Macht sein kann — sagt aber gleichzeitig nichts Bedeutsames über die Macht an sich aus. Umgekehrt jedoch steckt ein Fünkchen Wahrheit in der eigennützigen Rechtfertigung derer an der Macht — so zum Beispiel Unternehmensvorstände von Exxon oder BP —, wenn sie in den seltenen Fällen, in denen sie hinterfragt werden, antworten:

„Wenn wir uns weigern, unsere Arbeit — also bei der Zerstörung des Planeten wegzuschauen — zu tun, wird es jemand anders an unserer Stelle tun.“

Man sollte sich Macht weniger in Bezug auf Individuen vorstellen denn als das tiefe Wasser eines Sees, wobei die Mächtigen das Kräuseln der Oberfläche darstellen. Diese kleinen Wellen kommen und gehen, das gesamte Wasser darunter bleibt jedoch unbewegt.

Oberflächlich betrachtet sind Geschichten das Mittel der Wahl, hinter dem sich Macht verbirgt. Sie braucht Narrative — vor allem über jene, die mächtig erscheinen —, um politische und soziale Dramen zu inszenieren, die uns davon ablenken, über die tiefere Macht nachzudenken. Noch elementarer jedoch ist Macht auf eine Ideologie angewiesen. Ideologie verhüllt Macht — IST realiter Macht —, weil aus ihr die Unsichtbarkeit der Macht entspringt.

Eine Ideologie stellt uns die Annahmen zur Verfügung, mit der wir die Welt wahrnehmen. Diese halten uns aber auch davon ab, zu hinterfragen, warum manche Menschen offensichtlich zum Herrschen geboren wurden oder warum sie riesige Anwesen umzäunen dürfen — obwohl dieses Land doch einst allen gehörte —, warum sie Unmengen ererbten Geldes horten dürfen oder dafür bejubelt werden, große Mengen von Arbeitern auszubeuten oder warum sie ungestraft davonkommen, wenn sie den Planeten ersticken, bis alles Leben darauf ausgelöscht wird.

So ausgedrückt, scheint keine dieser Vorgehensweisen normal. Würde uns ein Mars-Bewohner besuchen, würde er sie alle als krankhaft wahnsinnig ansehen, als unwiderlegbaren Beweis für die Selbstzerstörungswut unserer Spezies. Diese Bedingungen jedoch sind die ungeprüfte, nicht hinterfragte Kulisse unseres Lebens — wie die Dinge nunmal sind und vielleicht auch immer sein werden. Das System halt.

Ja — jene Individuen, die von den das System aufrechterhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Strategien profitieren, werden hin und wieder zur Rechenschaft gezogen. Selbst die Strategien an sich werden gelegentlich einer genaueren Prüfung unterzogen. Die Annahmen hinter den Strategien werden jedoch selten hinterfragt — ganz gewiss nicht in dem, was wir „Mainstream“ zu nennen gelernt haben.

Wenn man bedenkt, dass fast niemand von uns von dem System profitiert, dem wir bei jeder Stimmabgabe in den Wahlen unsere Zustimmung erteilen, ist das eine erstaunliche Tatsache.

Nur sehr wenige von uns sind Machthaber, genießen großen Reichtum, leben auf großen Anwesen, besitzen Unternehmen, die Tausende der Frucht ihrer Arbeit berauben oder profitieren von der Zerstörung des Lebens auf der Erde.

Und dennoch bleibt die Ideologie, die all die Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Unmoral zu rechtfertigen versucht, nicht nur bestehen, sondern erzeugt Jahr für Jahr noch mehr Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Unmoral.

Wir sehen dieser Entwicklung passiv und größtenteils gleichgültig zu, weil wir glauben — weil man uns glauben gemacht hat —, dass wir machtlos sind.

Erneuerung wie Doktor Who

Sie sind jetzt wahrscheinlich frustriert, weil die Macht noch immer nicht beim Namen genannt wird. Ist sie nicht der Kapitalismus im Spätstadium? Oder vielleicht Neoliberalismus? Globalisierung? Neokonservatismus? Ja, wir können sie nun als Ideologie, die all diesen notwendigerweise unscharfen Begriffen zugrunde liegt, identifizieren. Wir sollten uns jedoch bewusst sein, dass sie noch etwas tiefer Liegendes ist.

Macht besitzt immer eine ideologische sowie eine physische Form. Sie hat beide Seiten. Sie existierte bereits vor dem Kapitalismus und wird auch nach ihm existieren — wenn dieser uns nicht vorher umbringt.

Die Konsolidierung und Selbsterneuerung der Macht zieht sich durch die ganze Geschichte der Menschheit — wie der Titelheld der langjährigen britischen Science-Fiction-TV-Serie Doktor Who —, während verschiedene Gruppierungen lernten, sie sich zunutze zu machen, sie an sich zu reißen und sie eigennützig einzusetzen. Macht ist bis heute wesentlicher Bestandteil menschlicher Gesellschaften. Jetzt hängt unser Überleben als Individuen und als Menschheit davon ab, einen Weg zu finden, wie wir Macht neu erfinden, wie wir sie zähmen und gerecht untereinander aufteilen — und sie damit auflösen können. Dies ist die ultimative Herausforderung.

Diesen Schritt — einen Schritt, der in unserer derzeitigen Bedrängnis unabdingbar ist, um den Tod unseres gesamten Planeten zu verhindern —, muss die Macht ihrerseits verhindern. Macht kann sich nur selbst aufrechterhalten, indem sie uns darüber täuscht, was sie in der Vergangenheit getan hat und in der Zukunft tun wird — und darüber, ob es Alternativen gibt. Die Macht erzählt uns, sie sei gar keine Macht, sie sei Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit, Ethik, Schutz vor der Anarchie oder der wilden Natur, also unvermeidlich. Und um die Tatsache zu verschleiern, dass dies nur Geschichten sind — und dass diese, wie alle Geschichten, nicht wahr oder gar das Gegenteil von Wahrheit sein könnten —, bettet sie diese Geschichten in eine Ideologie ein.

Wir werden zu dem Glauben angehalten, dass allein die Medien im weitesten Sinne die Autorität besitzen, uns diese Geschichten zu erzählen und sie als Lehrmeinung zu verbreiten. Sie sind die „Objektive“, durch die uns die Welt enthüllt wird. Eine Wirklichkeit, die durch die Linse der Macht gefiltert wird.

Die Medien bestehen nicht nur aus Zeitungen und TV-Nachrichtensendungen. Macht hat unseren imaginativen Horizont auch durch alle Arten „populärer“ Unterhaltung im Griff — von Hollywood-Filmen und YouTube-Videos bis zu Social Media und Video-Spielen.

In den USA beispielsweise befinden sich fast alle Medien im Besitz einer Handvoll von Unternehmen, die vielfältige machtbezogene Interessen verfolgen. In unseren modernen Gesellschaften drückt sich Macht in Reichtum und Besitztum aus — und Unternehmen stehen an der Spitze dieser Machtstruktur. Die Unternehmen und deren Funktionsträger — denn die Geschäftsführer kontrollieren die Macht nicht wirklich; sie werden von ihr kontrolliert — nennen fast die Gesamtheit der Rohstoffe des Planeten und des Reichtums ihr eigen. Bezeichnenderweise setzen sie ihr Geld dafür ein, Aufmerksamkeit für sich und ihre Marken zu kaufen, während sie sich gleichzeitig Unsichtbarkeit für die tiefe(re) Macht erkaufen.

Um ein Beispiel zu nennen: Rupert Murdochs Macht sowie seine negativen persönlichen Eigenschaften und immer wieder auch der schädliche Einfluss seiner Zeitungen sind für uns sichtbar. Aber es ist ja nicht nur so, dass seine Medienkanäle sich an der Beeinflussung und Kontrolle dessen, worüber wir täglich sprechen — zum Positiven oder Negativen — beteiligen. Sie kontrollieren die ganze Zeit auch, was wir fähig sind, zu denken oder nicht zu denken. Das ist wahre Macht. Und diese Rolle wird niemals erwähnt werden — weder von einer Murdoch-Organisation oder von einem angeblichen Rivalen in der Konzernmedienlandschaft. Aus sehr nachvollziehbaren Gründen bleibt dies Blogs wie diesem vorbehalten.

Dies macht Medienkonzerne zu einer wesentlichen Säule der Macht-Matrix. Ihre Journalisten sind wissentlich oder unwissentlich Knechte der Konzernmacht — meist natürlich unwissentlich.

Die Verschleierung der Macht

Diese Gedanken entstanden durch den außergewöhnlichen Kommentar eines berühmten Journalisten der Konzernmedien über „Macht“. Jonathan Freedland ist ein leitender Kolumnist beim angeblich liberalen Guardian und ein britisches Äquivalent zu Thomas Friedman oder Jeffrey Goldberg. Die tiefe Macht unsichtbar zu machen, während er gleichzeitig die Mächtigen kritisiert, ist sein Job. Seine Methode besteht darin, durch die Schilderung kurzlebiger Dramen die wahre Macht zu verschleiern.

Deshalb war es faszinierend zu beobachten, wie Freedland jüngst versuchte, „Macht“ zu definieren — in einer Kolumne, die Menschen davon abbringen sollte, Bernie Sanders als den Kandidaten der Demokraten zu unterstützen. Dies schrieb er in Bezug auf Macht:

Wenn uns die jüngsten Ereignisse an etwas erinnern, dann daran, dass Macht das A und O der Politik ist …

Vor allem hat eine (politische) Partei an der Macht die Fähigkeit, die Bedingungen zu schaffen, die dafür sorgen, diese Macht auch zu behalten …

Was so manchen kampferprobten Veteranen vergangener Wahlkämpfe der Linken zum Verzweifeln bringt, ist die Einsicht in die Macht der Macht — eine so offensichtliche Wahrheit, dass man sie kaum erwähnen muss. „Nichts. Ohne Macht gibt es nichts“, wütete James Carville. Als Drahtzieher von Bill Clintons Sieg im Jahr 1992 stand er an der Spitze der letzten erfolgreichen Bemühungen der Demokraten, einen republikanischen Präsidenten zu entmachten.

Der erste Schritt besteht jedoch darin, die Bedeutung (der Macht) zu akzeptieren — anzuerkennen, dass die Macht des Sieges die Conditio sine qua non der Politik ist, buchstäblich das, ohne das nichts existiert.

Beachten Sie, dass Freedland von Anfang an seine Definition von Macht so begrenzt, dass damit Macht weniger untersucht oder einer genauen Prüfung unterzogen wird, sondern eine Unterstützung, eine Beihilfe erfährt. Er behauptet etwas Bedeutsames, nämlich die Wichtigkeit der „Einsicht in die Macht der Macht — eine so offensichtliche Wahrheit, dass man sie kaum erwähnen muss“ —, um dann gleich die „Macht der Macht“ ganz entschlossen zu verschleiern.

Womit sich Freedland stattdessen auseinandersetzt, ist eine geringere Art der Macht — Macht als sichtbares politisches Drama, die Illusion, dass wir, die wir aktuell keine echte Macht besitzen, durch die Wahl von Kandidaten Macht ausüben können — Kandidaten, die bereits wegen ihrer ideologischen Unterwürfigkeit der Macht gegenüber ausgewählt wurden, in einem politischen und wirtschaftlichen System, das darauf ausgerichtet ist, der Macht zu dienen; in einer medialen und kulturellen Landschaft, in der jene, die etwas gegen die wirkliche Macht zu unternehmen versuchen oder sie herausfordern, als „Verschwörungstheoretiker“, „Aluhut-tragende“ Linke oder verrückte Sozialisten abgetan werden oder die schließlich als Subversive, als Gefahr für die Gesellschaft, weggesperrt werden — ein Schicksal, das bekannterweise Chelsea Manning und Julian Assange ereilt hat.

Die Tatsache, dass Freedland die Macht verschleiert — auch vor sich selbst —, offenbart sich in seiner unbesonnenen Bemerkung, Bill Clintons Wahlkampfberater habe eine „linke Kampagne“ geführt. Selbstverständlich konnten weder Clinton noch sein Wahlkampf je als „links“ bezeichnet werden, wenn erst das der Macht dienende Narrativ entlarvt war.

Während Freedland sich darüber grämt, dass sich die politische Macht in den USA und im Vereinigten Königreich nach rechts verschoben hat, verfällt er dem irreführenden Trost, dass kulturelle Macht — „die Medien, die Universitäten, die Unterhaltungsindustrie“, wie er sie nennt — als liberal-linkes, wenngleich unwirksames, Gegengewicht gegen die politische Macht der Rechten fungieren kann.

Ich habe jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die Medienwelt und die Welt der Unterhaltung — und Freedland ist Teil davon — eben genau dazu da sind, die Macht zu erhalten, sie zu rationalisieren, Propaganda für sie zu machen und sie so zu verfeinern, dass sie besser verborgen werden kann. Sie sind wesentlicher Bestandteil des Schattenspiels, des Verschleierns echter Macht.

Die Rechts-Links-Dichotomie ist innerhalb der sehr genau umschriebenen Grenzen, die er und seine Kollegen vorschreiben, Teil dieses Verschleierungsprozesses.

Freedlands scheinbare Analyse der Macht veranlasst ihn natürlich nicht dazu, sich in bedeutsamer Weise mit den aktuell drängendsten und wesentlichsten Fragen auseinanderzusetzen — Fragen, die mit dem Wesen der Macht und ihrer Funktionsweise eng verstrickt sind:

  • Wie wir die orthodoxe wirtschaftliche Lehrmeinung so auf den Kopf stellen können, dass wir den bevorstehenden Kollaps des globalen Finanzsystems verhindern — eines Systems, das abwegigerweise auf der Prämisse unendlichen Wachstums auf einem endlichen Planeten basiert
  • und wie wir, wenn wir als Spezies überleben sollen, mit einer Unternehmensmacht umgehen wollen, die durch die aggressive Kultivierung eines ungezügelten, profitgetriebenen Konsumverhaltens den Planeten zu Tode verschmutzt.

Diese Fragen werden in den Konzernmedien stets nur am Rande behandelt — auf eine Weise, die die tiefe Macht weder gefährdet noch bedroht.

Pannen im System

Die Macht, auf die Freedland sich konzentriert, ist keine wirkliche Macht. Er ist nur daran interessiert, Donald Trump die „Macht“ wegzunehmen und sie einem vermeintlich „wählbaren“ Kandidaten der Demokratischen Partei wie Pete Buttigieg oder Michael Bloomberg zu übergeben — und nicht einem angeblich „unwählbaren“ Sanders. Oder Boris Johnson von einer „moderaten“, fügsamen Labour Party die Macht wegnehmen zu lassen, die an die Ära Tony Blairs erinnert und nicht an den „abschreckenden“ demokratischen Sozialismus, den er (Freedland) und seine Kollegen so unermüdlich zu unterminieren versuchen, seit Jeremy Corbyn an die Spitze der Labour-Partei gewählt wurde.

Anders ausgedrückt: Freedland und das ganze Spektrum der Konzernmedien sind nur an einer Diskussion darüber interessiert, wer einer oberflächlichen, flüchtigen Macht am besten zu dienen vermag — ohne je die wirkliche Macht zu definieren oder sie auch nur zu erwähnen.

Hierfür gibt es einen guten Grund. Wenn wir nämlich verstünden, was Macht wirklich ist — dass sie sich auf Ideen stützt, mit denen wir jeden Augenblick unseres Wachseins zwangsgefüttert wurden; Ideen, die unseren Geist versklaven und die sich nun anschicken, uns umzubringen —, könnten wir beschließen, dass das ganze Machtsystem, nicht nur sein neuestes schönes oder hässliches Antlitz, hinweggefegt werden muss. Dass wir mit völlig neuen Ideen und Werten neu beginnen müssen. Und dass wir uns nur dann von unseren derzeitigen krankhaften, selbstzerstörerischen Ideen befreien können, wenn wir aufhören, den loyalen Funktionsträgern der Macht wie Jonathan Freedland zuzuhören.

Die momentanen Versuche, Sanders daran zu hindern, die Nominierung der Demokraten zu gewinnen, helfen zumindest dabei, uns die Augen zu öffnen.

Die demokratische Partei ist eine der beiden Parteien in den USA, deren Rolle, wie auch die der Konzernmedien, darin besteht, die tiefe Macht zu verbergen. Sie soll die Illusion einer Auswahlmöglichkeit schaffen und damit die Öffentlichkeit im Drama der Politik gefangen halten. Dies bedeutet nicht, dass es keine Unterschiede zwischen der Republikanischen und der Demokratischen Partei gäbe. Es gibt sie — und für manche Menschen sind sie bedeutsam und möglicherweise wesentlich. Diese Unterschiede jedoch sind, vom Standpunkt der Macht aus gesehen, völlig trivial.

Tatsächlich zielt Macht darauf ab, diese trivialen Unterschiede aufzublähen, so dass sie wie große Unterschiede erscheinen. Aber welche Partei auch immer an die „Macht“ kommt — die Konzerne werden weiterhin den Planeten plündern und zerstören; sie werden uns weiter in Profit bringende Kriege treiben und sie werden weiterhin riesige, meist unkontrollierte Reichtümer anhäufen. Und sie werden dies tun können, weil die Spitzen der Republikanischen und Demokratischen Partei an ihre derzeitigen Positionen gelangten, weil sie ihre Brauchbarkeit der tiefen Macht gegenüber bewiesen haben und ausgewählt wurden.

Das bedeutet nicht, dass es nie Pannen im System gab. Fehler kommen vor, wenngleich sie normalerweise schnell ausgebügelt werden. Das System ist nicht allmächtig — jedenfalls jetzt noch nicht. Unsere Situation ist nicht zwangsläufig hoffnungslos; der Kampf jedoch ist unermesslich hart, weil die meisten von uns noch nicht dahintergekommen sind, was Macht ist, und deswegen auch nicht wissen, wie man sich ihr entgegenstellt.

In der Hoffnung, unsichtbar zu bleiben, musste Macht historische Kompromisse schließen, sich defensiv verhalten. Um ihre Legitimität abzusichern, hat sie im Westen schließlich den erwachsenen Männern und später den Frauen das Wahlrecht eingeräumt. So drückt sich Macht nicht mehr dadurch aus, dass sie offen oder verdeckt mit physischer Gewalt droht, um die (öffentliche) Ordnung aufrechtzuerhalten — nun fabriziert sie über Bildungssysteme und die Konzernmedien einen ideologischen Konsens, also unsere derzeitige Passivität unserer bevorstehenden Selbstauslöschung gegenüber.

(Die Androhung der Gewalt wird nur verschleiert und kann sich all jenen enthüllen, die die Legitimität der Macht anzweifeln oder ihren Abstieg in die Selbstzerstörung anzuhalten versuchen — Extinction Rebellion wird das mehr und mehr spüren, je weiter sie einen tiefen und systemischen Wandel verlangt.)

Der erbarmungslose Drang der Macht, unseren von ihr geschaffenen unersättlichen Appetit als Konsumenten zu befriedigen sowie ihre Besessenheit, mit technologischen Problemlösungen zu Effizienz- und Profitmaximierung zu gelangen, verursachen manchmal diese Pannen. Sie eröffnen neue Möglichkeiten, diese Macht zu offenbaren. Die Social Media mit ihrer revolutionären Veröffentlichung von Informationen sind ein neueres Beispiel hierfür. Durch eigennützige Narrative über „fake news“ im linken Spektrum — aufgebläht durch der Macht dienliche fake news im rechten Spektrum — sowie durch drastische Veränderungen der Algorithmen, die die schnell entstehenden Gegen-Narrative der Linken verschwinden lassen, versucht die Macht nun verzweifelt, diesen Flaschengeist wieder in seine Flasche zurückzustopfen.

Vor allem anderen kämpft Macht darum, die Illusion ihres gütigen, wohlmeinenden Wesens und üblichen Dienens aufrechtzuerhalten — trotz der tatsächlichen Gegebenheiten wie der Erwärmung des Planeten, der unkontrollierbaren Buschbrände in Australien, milden Wintertemperaturen in der Antarktis, dem Massensterben der Insekten und der Flut von Plastik, die die Ozeane erstickt. Ihre Bemühungen, sich an den klimatischen und übrigen Umwelt-Katastrophen zu bereichern, während sie sich gleichzeitig weigert, anzuerkennen, dass allein sie diese Katastrophen zu verantworten hat, könnten jedoch nach hinten losgehen.

Die Sander‘sche Bedrohung

Sanders sowie Jeremy Corbyn im Vereinigten Königreich sind solche Pannen, die von aktuellen Gegebenheiten hervorgebracht wurden. Sie sind die ersten Zeichen eines zaghaften politischen Aufwachens der Macht gegenüber — was manchmal in Bausch und Bogen als „Populismus“ abgetan wird. Sie sind das unvermeidliche Ergebnis der wachsenden Schwierigkeiten, mit der sich Macht konfrontiert sieht, während sie jede letzte Beschränkung ihrer unersättlichen Habgier aufzuheben, dies aber zu vertuschen versucht.

Es gab Zeiten, da waren jene, die den Preis der Macht bezahlten, unsichtbar, waren in entrechteten, städtischen Slums weit entfernter Länder zu finden. Die Folgen jedoch der zunehmenden Widersprüche und Ungereimtheiten der Macht — um es genau zu sagen, des globalen Kapitalismus im Spätstadium — ploppen nun auch an ihrer Wiege auf, wo sie nicht so leicht ignoriert oder dementiert werden können. Zunehmenden Bereichen westlicher Gesellschaften — Kernorten der Macht — wird bewusst, dass es eines gravierenden Wandels bedarf — nicht nur eines kosmetischen.

Genau so, wie sie sich früher eines Corbyn entledigen musste, muss sich Macht heute eines Sanders entledigen, weil beide seltene Exemplare sind — Politiker, die sich nicht vom derzeitigen politischen Paradigma gefangen halten lassen.

Weil sie der Macht nicht kulthaft huldigen wie die meisten ihrer Kollegen, drohen solche Politiker, die wahre Macht zu enttarnen. Diese wird sich schließlich jedes Instruments bedienen, jene zu zerstören. Wenn möglich, zieht Macht es jedoch vor, sich weiter in Unsichtbarkeit zu hüllen und die Farce der konsumgetriebenen „Demokratie“ aufrechtzuerhalten, die sie inszeniert hat, um ihre eigene Macht zu konsolidieren und auszuweiten. Sie bevorzugt unsere Komplizenschaft.

Die Democratic Party versucht Sanders nicht deswegen schon in den Vorwahlen auszuschalten und einen Macht-Funktionsträger wie Buttigieg, Biden oder selbst Elizabeth Warren zu krönen — oder wenn nötig, sogar einen Milliardär wie Michael Bloomberg einzufliegen —, weil Sanders ganz allein die weltumspannende Macht des pathologischen Kapitalismus und Konsumismus zu Fall bringen könnte, sondern weil die Macht beim Versuch, ihn zu stürzen, immer mehr ins Rampenlicht geriete, je näher er dem Haupt-Schattenspiel, der Präsidentschaft, käme. Die Sprache macht es übrigens schwer, diese Dynamik zu beschreiben, ohne auf Metaphern zurückzugreifen, die die Macht verspielt menschlich klingen lassen — und nicht strukturell und ideologisch.

Die anderen Kandidaten entpuppen sich als zunehmend unfähig dazu, Sanders’ Nominierung zu kippen; auch die geheime Manipulation der Vorwahlen hat sich als viel schwieriger als erwartet erwiesen. Also musste die Macht öffentlicher, als es ihr lieb war, die Muskeln spielen lassen. So wird gerade ein Narrativ verbreitet, das Sanders genauso zerstören soll, wie die Antisemitismus- und Brexit-Narrative dazu dienten, Corbyns Graswurzelbewegung im Keim zu ersticken. Im Falle Sanders bereiten die Konzernmedien ein gebrauchsfertiges Russland-Narrativ gegen ihn vor, sollte er der Macht näherkommen — ein Narrativ, das bereits gegen Trump verfeinert wurde.

(Über Trumps Verhältnis zur Macht könnte man einen gesamten weiteren Artikel schreiben. Als einer ihrer Funktionsträger stellt er keine ideologische Bedrohung der Macht dar, ist jedoch ein potenzieller Harvey Weinstein oder Prinz Andrew — wenn nötig, würde er geopfert. Das Russiagate-Narrativ hat der Macht auf zweierlei Art gedient: Es hat Trumps ego-basierte Politik gezähmt, um sicherzugehen, dass er die tiefe Macht nicht sichtbarer macht und somit gefährdet. Zudem hat es ein unwiderstehliches politisches Drama geschaffen, das den Widerstand gegen Trump kanalisiert und zerstreut und dabei das Bedürfnis der Linken befriedigt, irgendetwas zu unternehmen — obwohl sie in Wirklichkeit damit Trump und die tiefe Macht nur stärken.)

Auf den Leim gegangen

Ende letzter Woche, als der erdrutschartige Sieg für Sanders in Nevada abzusehen war, haben die westlichen Medien Behauptungen von ungenannten „US-Beamten“ veröffentlicht — die Russen sähen den Senator aus Vermont als Agenten an und sie würden entweder ihm oder Trump zur Wahl zu verhelfen. Niemand wurde als Quelle dieser Behauptungen identifiziert; auch wurde weder eine Erklärung dafür geliefert, wie Sanders als Agent dienen könnte, noch gab es Beweise dafür, wie die Russen Sanders zu einem Sieg verhelfen könnten. Macht braucht weder Fakten noch Beweise, selbst wenn ihre Behauptungen offenkundig den demokratischen Prozess zerrütten.

Macht existiert hauptsächlich im Reich des Narrativs und der Ideologie. Dies ist eine Story, die schlicht durch Wiederholung zur Wahrheit wird — wie Corbyns „Antisemitismus-Krise“.

Weil Macht Macht ist, kann sie den grundlegendsten Regeln der Logik trotzen. Wie sonst könnte ein unbestätigtes, nicht bewiesenes Narrativ über russische Einmischung bezüglich Sanders’ Wahlkampf wichtiger sein als die tatsächliche Einmischung von anonymen „US-Beamten“ in der Absicht, Sanders’ Wahlkampf zu schaden? Wie konnten die Medien mit solch undemokratischen, unverantwortlichen Bemühungen, das Ergebnis der US-Wahlen zu manipulieren, hausieren gehen — wenn nicht wegen der Unfähigkeit oder des Unwillens des gesamten Presse-Corps, seine Kritikfähigkeit für die demokratischen Prinzipien einzusetzen, die aufrechtzuerhalten sie behaupten? Oder weil sie in Wirklichkeit nicht uns, das Volk und unsere Interessen, repräsentieren, sondern schlicht Sklaven eines Machtkultes sind.

Wie schon oft von mir berichtet, fand sich Corbyn in einer Falle gefangen, in der nun auch Sanders steckt. Jegliche Unterstützer — auch Juden —, die den Antisemitismus der von Corbyn geführten Labour Party leugneten oder anführten, dass die Behauptungen bezüglich des Antisemitismus instrumentalisiert wurden, um ihm (Corbyn) zu schaden, wurden als Beweis dafür zitiert, dass Corbyn tatsächlich Antisemiten für die Partei gewonnen hatte.

Wenn man aufgrund der Beweise schlussfolgerte, dass Corbyns Labour-Partei nicht antisemitisch war, wurde dies als ein Beweis für Antisemitismus gehandelt. Sobald Corbyn jedoch dem Druck der Medien und seiner Partei nachgab und die Alternative akzeptierte — dass nämlich unter seinen Augen ein Antisemitismus-Problem entstanden war —,wurde er auch indirekt dazu gezwungen, zuzugeben, dass da etwas an ihm und seinen Werten war, das dem Antisemitismus ermöglichte, Fuß zu fassen. Er sah sich also so oder so verurteilt — und genau so stellt Macht sicher, dass sie letzten Endes gewinnt.

Wenn es uns nicht gelingt, unsere kritischen Fähigkeiten zu entwickeln, mit denen wir der Propaganda der Macht widerstehen, hat diese alle Karten in der Hand und kann sie ihren Interessen entsprechend ausspielen. Ähnlich kann das Russland-Narrativ wieder und wieder geschrieben und umgeschrieben werden, um Sanders zu schaden. Wenn er sich vom Russland-Narativ distanziert, wird dies als Beweis dafür angeführt, dass er ein Handlanger der Russen ist. Wenn er jedoch den Vorwurf der geheimen Absprachen zwischen Trump und Russland unterstützt — so wie er es getan hat —bestätigt er das Narrativ, dass Russland sich in die Wahlen einmischt, was dann wiederum, wenn nötig, so gedreht werden kann, dass Sanders ein weiterer russischer Agent ist.

Die Botschaft lautet: „Wenn Du Trump oder Sanders Deine Stimme gibst, wird Putin im Weißen Haus sitzen. Wenn Du ein Patriot bist, wählst Du besser die sichere Variante — Buttigieg, Biden oder Bloomberg.“ Paradoxerweise könnte eine der Pannen in einem US-Wahlkampf zwischen zwei Milliardären bestehen, einer „Entscheidung“ zwischen Trump und Bloomberg. Sollte Macht zu erfolgreich damit werden, das Wahlsystem nur zu ihren Gunsten zu manipulieren und zuzulassen, dass Geld allen politischen Einfluss kauft, riskiert sie damit, für ein größeres Publikum als je zuvor sichtbar zu werden.

All dies sollte nicht als düster oder konspirativ angesehen werden, obwohl natürlich jeder, der Macht nicht verstehen kann oder sich weigert, sie zu verstehen, diesen Eindruck bekommen könnte. Es entspricht der Logik der Macht, ihre Macht so weit wie möglich auszuüben und zu konsolidieren. Und Macht hat über Jahrhunderte, über Jahrtausende Macht für sich selbst angehäuft. Unser Unvermögen, diese einfache Wahrheit zu verstehen, ist eine Art politisches Analphabetentum — verursacht durch unsere Verehrung der Macht und unsere Unterwerfung ihr gegenüber.

Jene, die vom Drama der Macht, den kleinen Wellen an der Oberfläche, gefesselt sind — und das sind meistens die meisten von uns —, sind Akteure und weniger Beobachter der Geschichte der Macht. Und deswegen können wir nur die anderen Akteure sehen sowie die Kämpfe zwischen den Mächtigen und den Machtlosen, zwischen den Machtlosen und Machtlosen — aber nicht die Macht an sich.

Wir betrachten das Schauspiel, ohne die Bühne zu sehen, auf der sich dieses Schauspiel abspielt.

Macht ist genau genommen mehr als das Drama oder die Bühne. Sie ist das unsichtbare Fundament, auf dem die Bühne gebaut wurde.

Um eine andere Metapher zu verwenden — wir sind wie die Soldaten auf früheren Schlachtfeldern. Wir schlachten Menschen ab — oder werden von ihnen abgeschlachtet —, denen wir gleich sind, die als Feind definiert wurden, und Generäle, Politiker und Journalisten, die einem angeblichen Ideal dienen, von dem wir über die leersten Parolen hinaus nicht die leiseste Ahnung haben, feuern uns an.

Macht ist die Struktur der Gedanken, von denen wir meinen, wir könnten sie kontrollieren; sie ist ein Rahmen für die Ideologien, von denen wir meinen, wir hätten sie gewählt; für die Werte, von denen wir meinen, wir hätten uns dafür entschieden, sie zu schätzen, und auch für den Horizont unserer Vorstellungen, von denen wir meinen, wir hätten sie erschaffen. Macht existiert nur so lange, wie wir ihr durch blinden Gehorsam zustimmen. In Wirklichkeit ist sie aber der schwächste Widersacher — wir können sie einfach dadurch überwinden, dass wir unseren Kopf erheben und die Augen öffnen.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „How We Stay Blind to the Story of Power“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.