Die Furcht vor der Freiheit

Das Bedingungslose Grundeinkommen verspricht ein Leben ohne Angst — und wird massiv bekämpft.

Die SPD will „Hartz IV überwinden“, Robert Habeck von den Grünen sieht darin eine „Garantiesicherung“ — Varianten des Grundeinkommens sind in aller Munde. Und das ist gut so. Obwohl der Produktivitätsfortschritt uns allen längst ein leichteres Leben ermöglichen würde, hält die Politik weiter am Arbeitszwang fest. Der Widerwille gegen angebliches Sozialschmarotzertum ist auch bei den meisten Deutschen so ausgeprägt, dass die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens, BGE, auf viel Widerstand stößt. Zu Unrecht: Das BGE würde den Wert bisher unbezahlter Arbeit honorieren und ungeahnte Kreativität freisetzen. Die seit langem praktizierte „Antrags- und Schnüffelbürokratie“ hätte ein Ende. Aber vielleicht wollen einflussreiche Kräfte gar nicht auf ihre lieb gewordenen Repressionsinstrumente verzichten — auf Arbeitsmarktregeln, die Erwerbslose demütigen und gleichzeitig für Arbeitende eine Drohkulisse aufbauen.

Der Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges gibt Robert Habeck einen guten Rat. Er meint es ja nur gut mit dem Spitzengrünen, dem er weltanschaulich wohl sehr nahesteht: Habeck habe seinen „ersten großen Fehler gemacht“. Gemeint ist nicht etwa die immer noch sehr NATO-treue Außenpolitik seiner Partei oder das nur allzu offenkundige Buhlen um eine öko-neoliberale Koalition mit der Union; nein, der Strauchlende habe „seine Partei in einen Wettlauf nach links geführt, zurück in überwunden geglaubte Traumtänzerei“. Träume sind für den knallharten „Realisten“ Jörges wohl ein rotes Tuch, er ist der staubtrockene Guru all derer, die sich abgefunden haben. Habecks Plan einer „Garantiesicherung“ — ohnehin ein nicht völlig bedingungsloses Grundeinkommen, das jedoch eine Reihe sozialer Grausamkeiten, etwa Sanktionen, abmildern würde — erregt den Zorn des Mainstream-Meinungsmachers.

Befriedigt zitiert er Detlef Scheele, Chef der Bundesanstalt für Arbeit: „Drangsalieren, das findet in den Jobcentern nicht statt.“ Hunderttausenden Betroffenen dürfte dieser Satz nur Wut und Hohngelächter entlocken. Jörges wichtigster Vorwurf gegen den Habeck-Plan: Es werde kein Gedanke an jene verschwendet, „die ihn mit ihrer Arbeit, ihren Steuern finanzieren müssten. Ganz schlimm würde sich das Ausschütten sozialer Wohltaten auswirken, wenn sich die Konjunktur wieder verdüsterte. „Ein Massaker“, lautet Jörges Resümee. Er diffamierte Habeck als einen etwas verstiegenen „Schriftsteller“, der „im Milieu der Waldorfschulen groß geworden“ sei und versucht sich so wohl in die Herzen jener „einfachen Leute“ zu schreiben, deren Interessen dem Stern-Aushängeschild schon immer egal waren. Indirekt appelliert Jörges an vernünftigere Grüne, ihren Chef zurückzupfeifen.

Immerhin: über ein Grundeinkommen wird gesprochen, wenn auch in unterschiedlichen Abstufungen der „Bedingungslosigkeit”: von Grünen und SPD zumindest und — allerdings in teilweise hysterischer Abwehrhaltung — auch in anderen Parteien. Das Thema ist aus seinem Nischendasein herausgetreten, ist nicht länger nur ein Diskussionsthema vermeintlich skurriler, weltfremder Randgruppen. Und gerade die negativen Reaktionen aus dem politischen und publizistischen Establishment könnten uns auf die Spur bringen:

Wenn wir uns anschauen, wer alles dagegen ist — und warum —, bekommen wir eine Ahnung davon, wofür das Bedingungslose Grundeinkommen gut wäre.

Das gebeugte Grundgesetz

Holen wir etwas weiter aus und zitieren wir aus den ersten Abschnitten unseres geheiligten Grundgesetzes:

„Artikel 1: Die Würde des Menschen kann von den staatlichen Organen je nach Kassenlage gewährt werden.

Artikel 2: Jeder, der sich im Behördendschungel durchzuschlagen weiß und selbst demütigende Auflagen der staatlichen Stellen erfüllt, hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Kommt Ihnen an diesen Verfassungsartikeln etwas merkwürdig vor? Richtig, sie stehen so nicht im deutschen Grundgesetz. Tatsächlich heißt es schlicht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. (…) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Was helfen aber Verfassungsnormen, wenn die Behörden in der Praxis eher so entscheiden, als wären meine satirischen Paragrafen gültig? Wer heute Hartz IV beziehungsweise Arbeitslosenunterstützung beantragt, steht unter Generalverdacht, ein Sozialschmarotzer zu sein. Er muss sich vor den Sachbearbeitern bis aufs Hemd ausziehen, auf Befehl schlecht bezahlte Jobs annehmen oder sinnlose Umschulungsmaßnahmen absolvieren.

„Erlösung vom Arbeitszwang“

Die Behörden verhalten sich bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen immer engherziger, dabei würde ihnen der immense Produktionsfortschritt endlich mehr Großzügigkeit ermöglichen. Die Wirtschaft stellt immer mehr Waren mit der Arbeitskraft von immer weniger Menschen her. Folgt man der Logik der Arbeitsgesellschaft, ist dies eine Tragödie, für den gesunden Menschenverstand wäre das eigentlich ein Grund zur Freude. Die französische Schriftstellerin Viviane Forrester schrieb in „Der Terror der Ökonomie“:

„Sollte die Erlösung vom Arbeitszwang, vom biblischen Fluch, nicht logischerweise dazu führen, die eigene Lebenszeit freier einteilen, freier durchatmen zu können, sich lebendig zu fühlen, ohne herumkommandiert, ausgebeutet und in Abhängigkeit gehalten zu werden?“

Statt mehr Freiheit hat die industrielle Massenproduktion aber nur zweierlei bewirkt: mehr Unfreiheit für die vom Arbeitsprozess Ausgeschlossenen und mehr Leistungsdruck auf jene, die man gnädigerweise noch an ihm teilhaben lässt.

Wer hätte gedacht, schreibt Forrester, „dass eine Welt, die auch ohne den Schweiß auf der Stirn so vieler Menschen auszukommen vermag, sogleich zur Beute einiger weniger würde und dass man nichts Dringlicheres zu tun haben würde, als die überflüssig gewordenen Arbeiter gnadenlos in die Enge zu treiben.“ Ihr Resümee: „Warum sollten wir nicht zunächst nach einem Modus der Umverteilung und des Überlebens suchen?“

Die Freiheit, „nein“ zu sagen

Den Begriff „Grundeinkommen“ verwendet Viviane Forrester nicht. Dafür tut dies Götz Werner umso intensiver. Seit Jahren tingelt der Chef der Drogeriekette dm unermüdlich durch Vortragssäle und Talkshows, um für seine Idee zu werben. Mit seinem Standardwerk „Einkommen für alle“, legte er eine zusammenhängende Theorie des Grundeinkommens vor. Sie basiert in ihrer ethischen Begründung letztlich auf dem Recht auf Leben und auf Freiheit.

„Denn das Recht auf Freiheit beinhaltet sehr wesentlich das Recht, nein sagen zu können. Es beinhaltet zum Beispiel das Recht, eine bestimmte Arbeit abzulehnen. (…) Die Freiheit, nein zu sagen, hat aber nur der, dessen Existenzminimum gesichert ist.”

Wirklich neu ist der Gedanke nicht: Bereits im 19. Jahrhundert plädierte Paul Lafargue für ein „Recht auf Faulheit“ als Bedingung für die volle Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit. Er meinte damit allerdings nicht völlige Tatenlosigkeit. Zur Finanzierung von mehr Freizeit für alle schlug er vor, unproduktive Mitglieder der Gesellschaft wieder der Arbeit zuzuführen. Bertrand Russel plädierte in „Lob des Müßiggangs“ (1957) explizit für ein Grundeinkommen. Der Philosoph und Psychotherapeut Erich Fromm schrieb vor 40 Jahren:

„Das garantierte Einkommen würde nicht nur aus dem Schlagwort ‚Freiheit‘ eine Realität machen, es würde auch ein tief in der religiösen und humanistischen Tradition des Westens verwurzeltes Prinzip bestätigen, dass der Mensch unter allen Umständen das Recht hat zu leben.“

Grundeinkommen oder „Mindestsicherung“?

Seit die Massenarbeitslosigkeit als strukturelles Phänomen stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen ist, wird in verschiedenen Staaten der Welt ein Grundeinkommen diskutiert. In Brasilien gibt es das BGE sogar schon als Grundrecht, allerdings meist nur auf dem Papier. In dem kleinen brasilianischen Dorf Quatinga Velho wurde ein Projekt gestartet, das die Wirksamkeit eines Bedingungslosen Grundeinkommens in der Praxis erproben sollte. Bruna und Marcus, zwei junge Aktivisten hatten das Projekt 2009 praktisch im Alleingang gestartet, finanziert aus Spenden. Jeder der etwa 100 Einwohner der Gemeinde bekam für unbegrenzte Zeit monatlich 30 Real (circa 12 Euro). Die Ergebnisse waren überaus ermutigend: Die Menschen ruhten sich nicht in der „sozialen Hängematte“ aus, sondern nahmen ihr Leben aktiv in die eigene Hand.

Viel beachtet wurde auch das finnische Grundeinkommen-Experiment. Die 2.000 Probanden (ausschließlich vorher arbeitslose Menschen) erhielten monatlich 560 Euro. Da es sich um eine westliche Industrienation handelte, sollten die Ergebnisse auch Aufschlüsse über die Anwendbarkeit der Maßnahme in Deutschland geben können. Tatsächlich macht der finnische Feldversuch einen sehr positiven Eindruck, wenn man einzelne Menschen nach ihrer Geschichte und ihren Gefühlen befragt, anstatt nur „grundsätzlich“ und überfliegerhaft zu argumentieren. Juva Järvinen etwa bezeichnete den Brief, der ihn zum Teilnehmer des Experiments machte, als „Brief ins Gefängnis, in dem es heißt: Sie sind frei!“ Er braucht das BGE heute nicht mehr und verdient sein Geld mit dem Schnitzen schamanischer Trommeln, die er im Internet verkauft.

Klein reden, was es nicht geben darf

Die Mainstream-Presse versuchte jedoch mit auffälliger Einmütigkeit, die Aktion klein zu reden und Erwartungen zu dämpfen. Meist wurde von einer gemischten Bilanz, von „durchwachsenen“ Ergebnissen geredet. Der Grund: Es sei den Teilnehmern zwar subjektiv psychisch deutlich besser gegangen, einen messbaren Beschäftigungseffekt hätte das Grundeinkommen jedoch nicht gehabt.

So nörgelte etwa tagesschau.de nach nur einem Monat Laufzeit an dem Experiment herum und vergaß nicht, darauf hinzuweisen, das BGE sei bei großflächiger Anwendung „unbezahlbar“.

Es ist aber nicht Hauptaufgabe des Grundeinkommens, Menschen „in Arbeit zu bringen“; vielmehr soll in einer automatisierten Welt mit tendenziell immer weniger (sinnvollen) Arbeitsplätzen eine menschenwürdige Existenz auch ohne Arbeit gesichert werden.

Dass Menschen überdies bei Grundeinkommens-Bezug auch Zeit für demütigende Behördengänge sparen, dass ihre Initiative honoriert wird, wenn die Sozialbehörden den Zusatzverdienst nicht gleich wieder einkassieren — das sind positive Nebeneffekte, die bei nur einem Monat Laufzeit des Experiments eben noch nicht bei allen „Probande“ zum Tragen kamen.

Über die Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens gibt es verschiedene Ansichten. Manchmal wird nur ein Betrag in Höhe der Mindestsicherung beziehungsweise des Hartz-IV-Satzes von 364 Euro plus Wohnungskosten gefordert, manchmal auch bis zu 1.500 Euro. Ersteres würde, weil knapp berechnet, den Arbeitszwang nicht völlig beseitigen; letzteres würde vermutlich die Motivation, zu arbeiten tatsächlich, wie Kritiker befürchten, schwächen. Der Betrag müsste also in der Gesellschaft ausgehandelt werden und würde wohl zwischen den Extremen liegen. Hätte man den Mut, die Idee zu realisieren, würde sie eine ganze Kette positiver Folgen nach sich ziehen.

Eine Fülle von Vorteilen

  • Leistungsempfänger und Sachbearbeiter in Behörden sparen sich Kräfte, die sie bisher im aufreibenden Kampf gegeneinander verschleißen. Gleichzeitig spart der Staat in erheblichem Maße Verwaltungskosten.
  • Wer dazuverdient, wird nicht mehr wie vorher mit Abzügen bei den Transferleistungen bestraft. Das BGE hätte eine ähnliche Funktion wie ein Steuer-Freibetrag. Die Menschen würden ermutigt, sich einen höheren Lebensstandard, zusätzlich zum Grundeinkommen, zu erarbeiten.
  • Arbeitslosigkeit hat heute immer weniger mit persönlichem Versagen zu tun, während gleichzeitig Druck und Demütigungen für die Betroffenen zunehmen. Das Paradox, dass es in Zeiten zunehmender Automatisierung zwar Arbeitslose geben muss, diese aber als Faulenzer diskriminiert werden, wird durch das Grundeinkommen aufgehoben.
  • Auch Kinder bekommen ein Grundeinkommen. Unterhaltsstreitigkeiten sind somit meist gegenstandslos. Kinder sozial schwacher Eltern werden nicht mehr automatisch „mit bestraft“.
  • Der freie Zugang zum Studium ist garantiert, auch für Kinder ärmerer Eltern. Auf dem Bildungssektor findet weniger soziale Auslese statt.
  • Das Rentenproblem ist wenigstens insoweit gelöst, als eine Mindestrente (das Grundeinkommen) nie unterschritten wird. Altersarmut wird abgefedert.
  • Arbeitnehmer sind durch Arbeitgeber nicht mehr so leicht erpressbar. Niemand arbeitet mehr für Dumpinglöhne. Arbeitgeber sind angehalten, attraktive Jobs zu schaffen oder unattraktive besser zu bezahlen.
  • Jeder wird durch die Grundsicherung ermutigt, seiner eigenen Berufung zu folgen. Wer die Arbeit macht, die ihm Freude bereitet, wird sie in der Regel auch gut machen.
  • Bisher unbezahlte, gesellschaftlich wertvolle Arbeit wird endlich gewürdigt. Zum Beispiel wären Hausfrauen und Mütter nicht mehr von ihren allein verdienenden Männern abhängig. Nachbarschaftshilfe, Pflege älterer Menschen, politisches Engagement, Ehrenamt und gemeinnützige Arbeit scheitern nicht mehr am Zwang, anderswo seine Brötchen verdienen zu müssen.

Würdigen, was wertvoll ist

Noch ein Wort zur sogenannten Schattenarbeit, also unbezahlter, scheinbar selbstverständlicher Arbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird: Götz Werner rechnet aus, „dass in Deutschland im Jahr rund 56 Milliarden bezahlte Arbeitsstunden geleistet werden — zeitgleich jedoch 96 Milliarden unbezahlte Arbeitsstunden.“ Der dm-Gründer schlussfolgert: „Fragen wie ‚Arbeitest du oder bist du nur zu Hause bei den Kindern?‘ haben in diesem Jahrhundert keinen Platz mehr.“ Das Bedingungslose Grundeinkommen ist somit auch eine Antwort auf die Wertediskussion. Wie viel ist uns als Gesellschaft die Arbeit von Müttern und Vätern wert, wie viel freiwillige Altenpflege zuhause oder Kunst, die sich nicht nach den Marktgesetzen richten will? Im bisherigen System ist die Antwort klar. Diese Leistungen sind (fast) nichts wert; erwiesenermaßen gesellschaftsschädliche Arbeit wie die von Spekulanten wird dagegen königlich honoriert.

Kritiker des Grundeinkommens sind keineswegs nur bei den „Marktradikalen“ zu finden; auch Linke und Gewerkschafter zeigen sich skeptisch. Götz Werner erklärt das Phänomen des teilweise heftigen Widerstands gegen sein Konzept so: Jeder Bürger betrachtet sich selbst zwar als idealen Bezieher des Grundeinkommens, unterstellt aber seinem Nachbarn, dieser würde sich mit dem unverdienten Geldsegen auf die faule Haut legen.

In der Tat sind viele so sehr damit beschäftigt, ihrem „faulen“ Mitmenschen seine Existenzsicherung zu missgönnen, dass sie gar nicht darüber nachdenken, welche Vorteile ein BGE für sie selbst hätte.

Es scheint, als ob die Not des Nachbarn ihnen mehr Befriedigung bereiten würde als das eigene Glück.

Mythos „Sozialschmarotzer“

Man muss auch in einer relativ reichen Gesellschaft vernünftig wirtschaften. Herumgeisternde Reste einer sozialdarwinistischen Ideologie und die Vorstellung, dass ehrliche Leute für ihr Brot anständig arbeiten sollten, sind jedoch in unserer Überflussgesellschaft anachronistisch. Gerade SPD-Politiker wie Martin Schulz und Hubertus Heil nehmen den Begriff „Arbeit“ schon gar nicht mehr ohne den Zusatz „hart“ in den Mund. Dabei würde der Produktionsfortschritt, der uns heutzutage vor allem unter dem Stichwort „Digitalisierung“ verkauft wird, schon längst auch „weiches“ Arbeiten erlauben. Also Berufstätigkeit, die auf die Leistungsgrenzen, individuellen Rhythmen und Lebensbedürfnisse der Menschen Rücksicht nimmt, anstatt sie unter der Knute der Profitgier zum Äußersten anzutreiben.

Die übertriebene Verklärung der Arbeit wurzelt noch in der Selbstversorger-Mentalität einer Agrargesellschaft. Damals musste das tägliche Brot einem kargen Boden in Schweiß treibender Plackerei abgerungen werden.

Und wenn der Kampf ums Dasein gar nicht mehr nötig wäre, weil er kollektiv längst gewonnen ist? Unsere Wirtschaft produziert heute weit mehr Waren des täglichen Gebrauchs, als wir überhaupt konsumieren können.

Hier wäre gerechte Verteilung nötig, und die ist auch eine Frage des politischen Willens. Politiker appellieren nach wie lieber an die „Selbstverantwortung“ vieler armer Schlucker als an die gesellschaftliche Verantwortung der wenigen, die den Löwenanteil der Arbeitserträge an sich raffen. Klaus Sambor vom Wiener „Runden Tisch BGE“ schreibt: „Dass die schrankenlos explodierenden Kapitaleinkommen mit Schulterzucken hingenommen werden, während Menschen ohne ‚Erwerbsarbeit‘ wegen ein paar hundert Euro zu ‚Sozialschmarotzern‘ erklärt werden, denen sozialer Ausschluss droht, ist (…) paradox.“

Auch der Einkommensbegriff, auf dem das alte System beruht, ist überholt. Dieses wird nur als verdientes Einkommen für geleistete Arbeit (in der Vergangenheit) interpretiert, nicht als ermöglichendes Einkommen (für die Zukunft). Letzteres ist ja die Voraussetzung für den Erhalt der Arbeitskraft sowie für den Konsum, der wieder die Wirtschaft ankurbelt.

Argumente gegen das Bedingungslose Grundeinkommen (und Antworten darauf)

Ist ein Grundeinkommen überhaupt finanzierbar?

Vielfach wird bezweifelt, dass sich ein Staat, der schon unter den heute unvermeidlichen Ausgaben stöhnt, ein Grundeinkommen leisten könnte. Hierzu gibt es aber bereits Berechnungen.

Wichtig ist: Für das BGE muss nicht neues Geld erschaffen werden. Viele bisherige Sozialleistungen, etwa Arbeitslosenunterstützung, Renten, Studienzuschüsse, würden entfallen — es sei denn, der Bedarf übersteigt die Höhe des Grundeinkommens (zum Beispiel bei Pflegebedürftigen). Entfallen würden ja auch immense Kosten für den bürokratischen Aufwand, den eine „Bedürftigkeitsprüfung“ verursacht. Außerdem ist die Verfügbarkeit von Geld immer eine Verteilungsfrage. Ich bestreite, dass das Geld für ein BGE nicht vorhanden wäre. Ein Politiker, der das sagt, meint eigentlich: „Es wird von einem mächtigen Personenkreis zurückgehalten, an dessen Privilegien ich nicht zu rühren wage.“

Warum müssen auch „Reiche“ ein Grundeinkommen bekommen?

Erstens erspart man sich den bürokratischen Aufwand, der entstünde, wenn jeder Bundesbürger nachweisen müsste, dass er „arm genug“ ist. Zweitens gibt es andere Möglichkeiten, Personen mit zu viel Geld zu belasten: durch eine erhöhte Mehrwertsteuer auf Luxusgüter, Steuern auf Spekulationsgewinne, Vermögenssteuer und so weiter.

Würde bei einem Grundeinkommen überhaupt noch jemand arbeiten?

Einen gewissen Prozentsatz von „faulen“, antriebsschwachen Menschen wird es immer geben. Teilweise handelt es sich um pathologische Fälle, die jedoch geheilt, nicht bestraft werden müssten. Es mag auch Fälle von „Schmarotzermentalität“ geben. Allerdings können wir diesen Personen weder das Recht auf Leben absprechen, noch wäre ein Arbeitszwang wirklich sinnvoll. Mit großem bürokratischem Aufwand könnten dadurch nur sehr mäßige Leistungen erpresst werden. Wie beim Thema Terrorprävention meine ich: Man darf nicht ein ganzes Volk tyrannisieren, nur um das Fehlverhalten Einzelner völlig auszuschließen.

Was ist mit Arbeiten, die niemand gern tut?

Würden sich in einem „Volk der Künstler und Faulenzer“ die Müllberge auf den Straßen anhäufen und zum Himmel stinken? Der Film „Grundeinkommen“ von Enno Schmidt und Daniel Häni nennt drei Möglichkeiten für den Fall, dass keiner bestimmte, notwendige Arbeiten verrichten will: von 1. Man bezahlt sie besser. 2. Wir machen diese Arbeit selbst (so wie es zum Beispiel in Hausgemeinschaften einen Treppenputzdienst gibt). 3. Wir automatisieren die Arbeit. Als vierte Lösung könnte man hinzufügen: Die Arbeit bleibt tatsächlich ungetan. Was wäre zum Beispiel, wenn keiner mehr Waffen produzieren will? Das BGE würde eher ethisch fragwürdige Firmen in Existenznot stürzen, nicht integre Projekte.

Sollten wir nicht lieber Vollbeschäftigung anstreben, weil Arbeit auch persönliche Erfüllung bedeutet?

Im alten Wirtschaftssystem müssen wir arbeiten, um zu leben. Arbeit gilt als einzige Legitimation, zu existieren, und darauf beruht ihr Erpressungspotenzial. Selbst ein Hersteller von Landminen könnte Kritik an seinem Beruf mit dem Hinweis auf von ihm geschaffene Arbeitsplätze abwehren.

Bei steigender Produktivität werden sinnvolle und nützliche Arbeiten von immer weniger Menschen in immer weniger Stunden ausgeführt. Wenn wir dennoch am Dogma der Vollbeschäftigung festhalten, bedeutet das, dass wir zunehmend schädliche und unnütze Arbeit kreieren müssen, damit alle (egal was) arbeiten können. Genauso sieht unsere Welt heute aus.

Das gesellschaftliche Ziel muss also lauten: Weniger Arbeit wagen! Wenn wir bedürfnisorientiert wirtschaften wollen, muss auch die künstliche Erzeugung von (ursprünglich gar nicht vorhandenen) Bedürfnissen zur Profitmaximierung eingedämmt werden. Dieser Weg muss jedoch sozial abgefedert werden: durch ein BGE. Ziel einer neuen Ordnung wäre nicht mehr Vollbeschäftigung, sondern die Vollversorgung aller Bürger mit allen wirklich wichtigen Gütern und Dienstleistungen sowie die optimale Balance aus Freizeit und erfüllender Arbeit.

Ist die Idee eines Grundeinkommens nicht eine Utopie?

Hinter diesem Argument steht eine verbreitete resignative Haltung, die Annahme, „die Mächtigen“ würden Maßnahmen zugunsten der sozial Schwachen ohnehin nicht zulassen. Durch die Passivität vieler Bürger werden solche Befürchtungen oft zu selbst erfüllenden Prophezeiungen. Jede soziale Verbesserung in der Geschichte hat einmal als „undurchführbare“ Utopie begonnen. Das öffentliche Interesse am BGE ist in den letzten Jahren rapide gewachsen. Wenn eine „kritische Masse“ interessierter Bürger erreicht ist, könnte der Durchbruch schnell kommen.

Kleines Fazit

„Gute Ideen“, sagte Albert Einstein, „erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen scheint“. Also wagen wir, das Undenkbare zu denken; dann wagen wir, es auch zu wollen; und schließlich wagen wir, zu handeln!


Literatur zum Thema:

Götz Werner: „Einkommen für alle“, Verlag Kiepenhauer & Witsch
Yannick Vanderborght: „Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags“, Campus Verlag
Viviane Forrester: „Der Terror der Ökonomie“, Goldmann Verlag
DVD: Enno Schmidt, Daniel Häni: „Grundeinkommen“. Kostenloser Download