Die Gunst der Stunde

Während der Sudan in blutigen Konflikten versinkt, versuchen radikal-islamistische Netzwerke in dem geschundenen Land, an Einfluss zu gewinnen.

Die Lage im Sudan ist dramatisch. Während sich Militär und die Rapid Support Forces (RSF) einen brutalen Machtkampf liefern, ist die Zivilbevölkerung zwischen die Fronten geraten. Immer häufiger tauchen Hinweise auf, dass sich in dem entstehenden Chaos auch islamistische Gruppen wie IS oder Al-Qaida bewegen — ob gezielt oder opportunistisch, bleibt unsicher. Klar ist hingegen: Die staatlichen Strukturen zerfallen, und genau das zieht Extremisten an. Wie stark ihr Einfluss bereits ist, lässt sich von außen kaum beurteilen — aber viele, die das Geschehen verfolgen, sehen die Entwicklung mit großer Sorge.

Seit dem Sturz von Omar al-Baschir im Jahr 2019 kommt der Sudan nicht zur Ruhe. Ein stabiles Regierungssystem hat sich bis heute nicht etabliert. Stattdessen ringen Militär, RSF und verschiedene zivile Gruppen um Macht und Einfluss — oft auf Kosten der Bevölkerung. Viele Menschen leiden unter hoher Inflation, Versorgungsproblemen und ständiger Unsicherheit. In diesem Durcheinander haben sich an vielen Orten bewaffnete Gruppen gebildet, die keiner klaren Ordnung folgen. Wer auf welcher Seite steht, ist oft schwer zu durchschauen — und kann sich von Woche zu Woche ändern.

Rückkehr extremistischer Kämpfer

UN-nahe Quellen berichten über die Rückkehr ehemaliger IS-Kämpfer in den Sudan, insbesondere aus Libyen. Diese Rückkehrer, die unter anderem in Sirte aktiv waren, sollen nach ihrer Einreise teilweise in sudanesische Sicherheitsbehörden oder verbündete Strukturen aufgenommen worden sein. Dabei ist unklar, inwieweit diese Integration bewusst geschah oder Ausdruck mangelnder Kontrolle ist. Einige dieser Kämpfer haben laut lokalen Quellen spezielle militärische Ausbildungen erhalten — was international Besorgnis auslöst.

Berichte über Gewalt gegen Zivilisten

Seit Monaten gibt es zahlreiche Berichte über schwere Übergriffe auf die Bevölkerung im Sudan durchgeführt von Soldaten der sudanesischen Armee und ihren Milizen.

In mehreren Landesteilen sollen Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert oder sogar ohne Gerichtsverfahren getötet worden sein. Besonders grausam: Auch sexualisierte Gewalt scheint gezielt eingesetzt zu werden.

Ganze Dörfer wurden niedergebrannt oder geräumt, oft nur, weil man den Bewohnern Nähe zur RSF unterstellte. Ob die Vorwürfe stimmten, spielte offenbar keine Rolle. Wer am falschen Ort lebt, wird schnell verdächtigt — mit fatalen Folgen.

Ethnische und religiöse Spannungen nehmen zu

Was als Machtkampf zwischen Militär und RSF begann, ist längst mehr als ein politischer Konflikt. Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass auch ethnische und religiöse Spannungen eine Rolle spielen. Angehörige von Minderheiten oder Menschen mit abweichenden politischen Ansichten geraten zunehmend ins Visier. Beobachter schlagen Alarm: Die Muster erinnern an frühere Konflikte in der Region — mit gezielten Angriffen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Sorge wächst, dass sich die Gewalt entlang ethnischer Linien weiter zuspitzen könnte.

Die Rolle ausländischer Akteure wie Katar, der Türkei, des Iran oder anderer Regionalmächte ist umstritten.

Medienberichte und Analysen deuten auf eine indirekte Unterstützung einzelner Milizen oder militärischer Einheiten hin, sei es durch finanzielle Mittel, Waffenlieferungen oder Ausbildung.

Dies trägt zur weiteren Destabilisierung der ohnehin fragilen innerstaatlichen Ordnung bei und erschwert mögliche Vermittlungsversuche.

Sudan als möglicher Rückzugsort für den IS?

Einige Studien warnen davor, dass der Sudan sich allmählich zu einem Rückzugs- und Reorganisationsraum für den sogenannten Islamischen Staat entwickeln könnte. So soll die IS-nahe Publikation Al-Naba in einer Januar-Ausgabe 2025 dazu aufgerufen haben, den Sudan als sicheren Hafen für Kämpfer aus Nachbarländern zu nutzen. Die Kombination aus politischem Chaos, schwacher Kontrolle und geostrategischer Lage könnte diesen Prozess begünstigen.

Beobachten statt Bewerten

Die Lage im Sudan ist volatil, vielschichtig und von außen schwer zu durchdringen. Zwar liegen zahlreiche Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen, eine mögliche Unterwanderung staatlicher Strukturen durch Extremisten sowie eine zunehmende Einflussnahme durch externe Akteure vor — dennoch ist Vorsicht bei der Bewertung geboten. Eine klare Trennung zwischen Täter und Opfer, gut und böse, lässt sich in einem so komplexen Umfeld kaum ziehen.

Eine präzise und unvoreingenommene Berichterstattung über die Vorgänge vor Ort bleibt daher unerlässlich — ohne vorschnelle Bewertungen oder Empfehlungen. Nur auf dieser Basis kann sich ein vertieftes Verständnis der Krise entwickeln.