Die Kraft der Anziehung
Anstatt dem, was wir wollen, hinterherzulaufen, können wir es zu uns kommen lassen.
Jahrtausende des Eroberns und Eindringens in fremde Gebiete haben ihre Spuren in uns hinterlassen. Der Stärkere gewinnt, der Schnellste macht das Rennen. Das Männliche dominiert, das Weibliche gilt als passiv. Eine bahnbrechende Entdeckung stellt dieses Weltbild auf den Kopf und ermutigt dazu, die Dinge umzudrehen und anders anzugehen. Gedanken für Menschen, die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen, um in ihre schöpferische Kraft zu kommen.
Bei der Entstehung neuen Lebens, so lautet eine bereits vor einigen Jahren durchgeführte Studie, soll es die Eizelle sein, die das Spermium auswählt (1). Bisher wurde davon ausgegangen, dass Spermien in der Manier von Kriegern auf die Eizelle zustürzen. Der Schnellste und Stärkste soll den Sieg davontragen. Frauen gelten daher als passiv und Männer als aktiv. Offensichtlich handelt es sich hierbei um einen Mythos. Es ist die Eizelle, die wählt — kraftvoll, intelligent und anspruchsvoll.
Wenn sich die Spermien nähern, setzt die Eizelle eine chemische Botschaft in Form einer speziellen Flüssigkeit ab. Diese Botschaft ist selektiv: Einige Spermien werden angezogen und andere ignoriert. Nicht alle werden eingeladen. Noch erstaunlicher ist, dass jede Eizelle ihre eigenen Vorlieben hat. Es geht hierbei nicht um die Frage der Geschwindigkeit, sondern der Kompatibilität. Sobald ein Spermium es schafft einzutreten, schließt die Eizelle gewissermaßen sofort die Tür. Es wird eine chemische Reaktion ausgelöst, die verhindert, dass andere eindringen können.
In der Hoffnung, der Auserwählte zu sein, tritt das Spermium, das zu den kleinsten Zellen des menschlichen Körpers gehört, vor die Eizelle, die zu den größten Zellen gehört. Sie entscheidet, mit wem sie sich verbindet und neues Leben entstehen lässt. Mit dieser Entdeckung kippt nicht nur die Vorstellung von der weiblichen Passivität. Auch das angenommene Lebensprinzip, dass der Schnellste und Stärkste gewinnt, wird damit in Frage gestellt.
Fatale Ohnmacht
Nicht der macht das Rennen, der als Erster ankommt, sondern der, der passt.
Bei dem Zusammentreffen entsteht ein schöpferischer Zeugungsfunke, der auch symbolisch verstanden werden kann. Entscheidend ist hierbei nicht das eindringende, sondern das anziehende, empfangende Element. In einer Welt, in der wir darauf gepolt sind, das, was wir haben wollen, entweder zu erobern oder ihm hinterherzulaufen, ermutigt diese Entdeckung zu einer anderen Verhaltensweise.
Was können wir tun, um das, was wir erreichen möchten, an uns zu ziehen? Wie werden wir sozusagen magnetisch für das, was wir uns wünschen? Und: Wie lösen wir uns von dem Gedanken, Opfer der Ereignisse zu sein, um in die Eigenverantwortung und damit in unsere schöpferische Kraft zu kommen? Die Frage kann verstörend wirken. Sind wir denn nicht Opfer skrupelloser, machtorientierter Eliten? Sind die vergewaltigte Frau, der in den Krieg geschickte Mann, das hungernde Kind etwa selber schuld?
Als ich Krebs hatte und von Eigenverantwortung sprach, wurde ich von manchen kritisiert: Sollen die Kranken sich das auch noch zumuten? Haben sie nicht schon genug mit ihrer Krankheit zu tun? Ich stelle die Gegenfrage: Wem nützt es, wenn ein Mensch sich als ohnmächtiges Opfer fühlt? Wer hat etwas davon, wenn wir glauben, wir seien klein und schwach? Wer profitiert, wenn möglichst viele denken, sie seien hilflos und könnten nichts machen?
Wohl in keinem Fall die Betroffenen. Und um die geht es. Es geht um die Kranken, die Armen, die Verfolgten, diejenigen, denen ein Mitleid nicht weiterhilft, das ihnen die Würde nimmt.
So dringend notwendig Hilfe in Notsituationen ist — es kann abwertend sein, jemanden für so klein zu halten, dass er sich selbst nicht helfen kann und auf Rettung von außen angewiesen ist oder aus Hilfe Abhängigkeit zu machen.
Innere Kraft
Ich stelle nicht in Frage, dass es Opfer gibt. Jemandem in Gaza zu sagen, er sei seines Glückes Schmied, ist wohl an Zynismus nicht zu überbieten. Ich richte mich an Menschen, die gerade nicht im Überlebenskampf sind und noch Handlungsspielraum haben, die solche Texte hier lesen können und die Möglichkeit haben, sich auf ihre Kraft zu besinnen.
Die Überzeugung von der eigenen Schwäche und Ohnmacht macht uns unterlegen, gefügig und unterwürfig. Nur wer an seine Stärke glaubt, kann etwas ausrichten.
Als ich mit einer potenziell tödlichen Krankheit konfrontiert war, fand ich die Vorstellung hochgradig beängstigend, die Verantwortung an andere abzugeben. Fremde Menschen, Spezialisten in einem vor allem auf Profit ausgerichteten System sollten darüber bestimmen, ob ich am Leben bleibe oder nicht?
Ich nahm die Verantwortung zu mir und lernte es, zu meditieren, zu visualisieren und darauf zu achten, welche Informationen in mir unterwegs sind. Ich habe gewissermaßen in mir ein Feld der Heilung geschaffen und mich daran gemacht, es zu pflegen. Ich habe versucht, Blockaden zu überwinden, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Knoten aufzulösen, damit die Lebensenergie wieder frei fließen kann. Ich habe erfahren, welche Möglichkeiten ich habe, Dinge anzuziehen und mein Leben zu gestalten.
Handgreiflich werden
Von dieser Erfahrung ausgehend behaupte ich: Das kann nicht nur ich. Das können im Prinzip alle Menschen. Alle haben eine Kraft in sich, die ihnen hilft zu heilen und ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu formen. Was für einen gilt, gilt für alle. Wie im Kleinen, so im Großen. Ich kann das behaupten, weil ich privilegiert bin. Meine Hautfarbe ist weiß, beziehungsweise gebräunt, weil ich in der Nähe des Mittelmeeres lebe. Ich kann es mir leisten, ehrenamtlich zu schreiben und Arbeiten für die Gemeinschaft zu machen, für die ich kein Geld bekomme.
Ich nutze mein Privilegiert-Sein, um andere zu ermutigen, an ihre innere Kraft zu glauben, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und das zu manifestieren, was sie sich wünschen; das heißt, Dinge „handgreiflich“ zu machen, um ihre Ideen Realität werden zu lassen.
Ich appelliere, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was für Möglichkeiten wir haben und was wir, selbst wenn unser Leben in Gefahr ist, noch tun können.
Ich glaube daran, dass viel mehr in uns steckt, als wir denken. In den dreißig Jahren meiner Lehrtätigkeit habe ich immer wieder erlebt, wie Menschen jeden Alters Hindernisse und Blockaden überwunden haben und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln konnten. Ob es um Gesundheit, das Erlernen von Fremdsprachen oder das Gestalten des eigenen Lebens geht: Die Ereignisse hängen davon ab, was wir für möglich halten und was nicht.
Eine Frage der Ausrichtung
Denke ich, dass ich es nicht wert bin, vom Leben beschenkt zu werden, oder gehe ich davon aus, dass das Leben es gut mit mir meint, auch und vielleicht gerade dann, wenn es mir Hindernisse in den Weg legt, an deren Überwindung ich wachsen kann? Das Leben war diesbezüglich großzügig mit mir. Ich habe erfahren, wie sich materielle Unsicherheit und Fremdsein anfühlen, und wie es ist, die Familie zu verlieren. Ich habe erlebt, zurückgewiesen, verleugnet und ausgestoßen zu werden und weiß, wie es ist, wegen einer Freundin vom ersten Ehemann verlassen zu werden und den zweiten zu Hause bis zu seinem Tod zu pflegen.
Diese Ereignisse habe ich nicht als Opfer erlebt. Ich habe sie nicht erduldet. Ich allein bin verantwortlich für das, was mir passiert. Wie verhalte ich mich? Wie gestalte ich meinen Lebensraum? Anziehend oder abstoßend? Einladend oder zurückweisend? Das habe ich in der Hand. Ich habe es in der Hand, wie ich den Menschen begegne: ob ich lächle oder nicht, offen bin oder verschlossen, maskiert oder echt.
Wenn ich offen bin, begegnet mir Offenheit. Wenn ich freundlich bin, sind die Menschen um mich herum freundlich. Wenn ich im Vertrauen bin, begegnen mir schöne Dinge. Wenn ich daran glaube, alles zu haben, was ich brauche, dann habe ich alles, was ich brauche. Das ist meine Erfahrung. Ich bekomme das, was ich gebe. Hierin liegt das Geheimnis.
Ich muss zuerst geben. Ich muss damit anfangen, das auszusenden, was ich empfangen will. Wie derjenige, der nach einer Weltreise nach Hause zurückkommt und feststellt, dass das Gesuchte die ganze Zeit schon da war, weiß ich, dass alles schon da ist. Die Frage ist nur, woran ich andocke und mit was ich mich verbinde. Wovon lasse ich mich befruchten? Wofür öffne ich mich, um neues Leben entstehen zu lassen? Die Eizelle hat die Wahl. Ich auch.