Die Landschaft meines Lebens

Die Poetik-Ecke XXXXIII würdigt Anna Eggenwirth, die im August 2025 gestorben ist.

„Die Freiheit verwundbar zu sein in der Unausweichlichkeit“: Anna Eggenwirth hat zwei Poetik-Ecken gestaltet und zu einigen Sammelecken Gedichte beigesteuert. Außerdem ist sie mit einem Sachbeitrag bei Manova hervorgetreten. Im August ist sie dahin gegangen, „wo das Ende die Unendlichkeit berührt“. Mit dieser Poetik-Ecke würdigt der Literatursalon die Autorin, die über viele Jahre Gedichte geschrieben — drei Ordner voll, so ihre Tochter — und eine eigene Kunst entwickelt hat: die Kunst, das alltägliche Leben und das Schreiben miteinander zu verschmelzen.

Vorbemerkung der Literaturredaktion: Anna Eggenwirth hat in ihren Gedichten nicht nur Kernbereiche des Menschlichen ebenso behutsam wie direkt herausgeschält, sondern auch neue Sprachbilder kreiert wie „Im Gehölz der Gedanken“ und viele mehr.

Sie war eine jener Stimmen bei Manova, bei denen das Politische als Persönliches auftrat. Die in dieser Abschiedsecke enthaltene Rede an den Krebs, dem sie erlag, steht beispielhaft dafür. Leid und Glück, Schmerz und Hoffnung, Nähe und Distanz, aber auch Einsicht ins Unausweichliche, Zeit und Raum, Geburt, Ende und Unendlichkeit und wie der Mensch mit alledem klarkommt: Das sind die wiederkehrenden Themenkreise.

Dass dabei Normen aufgelöst werden, versteht sich. Die Irritationen, die durch „verletzte“ Sprachregeln entstehen, sind Ausgangspunkte auf der Suche nach einem anderen Sinn. In der Ursubstanz von Anna Eggenwirths Texten schimmert etwas durch, das Goethe in seinem Faust dem Materialismus entgegenhält und das er das „Urweibliche“ nennt.

Eine Lichtung am Weg

Es kam so unerwartet
im Gehölz der Gedanken

Das Verweilen
Warten
Schauen

Angeschaut
durchfährt ein Wind
das Holz im Gras

In seinem Streben
Nicht aufvermessen
Nicht aufgesetzt

Ein Wipfel von Beschwingtheit
geht durch die Poren
Die Ohren halten ein

Der Fächer raschelt
Im AngehaltenSein.

Ein Angekommen.
SEIN


Du Krebs In Mir

Hör mir gut zu ...
Ich kenne deine Fühler
nach mir zu langen!
Kenn auch den Vater
und die zwei Tanten.
Sie sind nicht mehr
das, was sie waren.

Doch ich bin hier.
Ich schau Dich an!
Das Eckchen, wo du schläfst
ist mir so klar.
Bis in die kleinste Ritze!

Du kannst ruhig weiterschlafen.
Brauchst heute nicht zu flitzen!

Und Morgen ...
Und auch Über-Morgen ...
... da wird der Winterschlaf
Dich überkommen ... !

Ich decke Dich in Liebe zu.
Mit durch-sichtigen
kristallinen Fäden
nach Weber-Art geflochten -
Nicht nur im Kreuz
So starr und steif
verschlungen!

Die Fäden, die ich um Dich leg ...
... sie sind beweglich
Nach allen Seiten!
Und riechen nicht nach Nikotin!
Und Asche!

Ich werde mich jetzt von dir trennen.
Mach Schluss! Mit deinem Rennen!
Zieh dich zurück!

Ich weiß -
Du weist mir meine Grenze
wachst mit Dem Einen Auge
und hörst mit Jenem Ohr
wie Klänge in mir Tönen.

Du hast noch Zeit!
Brauchst nicht
Nach mir nun aus-zu-holen ...
Nach mir dich aus-zu-strecken.

In meinem Fleisch
in meinen Poren
Da wird dir etwas gar nicht schmecken
Das, was die ganze lange Zeit
mich hat so An-ziehend
für dich gemacht...

Ade!

Du hast die ganze Welt!
dich weiterhin
auch umzuwandeln
und umzuziehen.
In andere Gemächer
meines Hauses!
HIER werd‘ ich LACHEN!

Kannst es noch einmal
Woanders auch versuchen ...
Ich werd‘ dich nicht verfluchen
Wenn du mir neue Grenzen zeigst!

Falls du mich hier
nun doch in deinen Fängen hast ...
die Kerne und die Pole
lässt verblassen
SO HABEN WIR JETZT EIN DUETT
MIT SOLOSTIMME IM DUELL
Den Takt bestimmen wir ZWEI nicht.

DEN
HAT DIE LIEBE FÜR DAS LEBEN

UND DAS STEHT HIER
AUF BEINEN ZWEI
MIT HÄNDEN UND MIT FÜSSEN
Ich werd‘ dich damit grüßen!

Die Zigaretten sind gegangen
Willst du mich jetzt noch fangen?
Komm, such dir später
Eine neue Ecke

Die Landschaft meines Lebens
Ist noch sehr WEIT, so weit!

Du kriegst meinen Hut erst
Wenn ich dort angekommen bin
Wo
Das Ende die Unendlichkeit berührt
Die Tür aufgeht.

DANN ERST
GEB ICH IHN DIR.

DANN.
IST.ES.GUT.


EinGebetHeuteAnDieKunst

Die Kunst
sich so viel zu sehen
um sich gehen lassen zu können

Die Kunst
sich so viel zu sehen
um sich in Ruhe lassen zu können
Wenn das Einfallende
sich entfalten will
in seiner Zeit
und Abgeschiedenheit.
In der Schranke von Dunkel nach Hell.

Das Zwie-Licht ist eine Dämmerung
Wie
Das Zwei-Licht der Kuss
Der tiefsten Zärtlichkeit ist.

Die Kunst
einander loszulassen
um sich ineinander zu halten.
Die Kunst
sich ineinander loszulassen
um einander zu halten.
Die Kunst
sich fallen zu lassen.

Die Kunst auch
zu wissen
den nächsten Schritt nicht zu ‚wissen‘.
Die Kunst
es nicht wissen zu wollen.

Die Kunst der Eingebung.
Die Kunst
sich zu lassen.
Die Kunst das zu tun.

Die Kunst
die Spirale des Karmas
nicht hintereinander zu schalten.

Die Gabe
zu erkennen
und zu leben
Dass ein Karma
Das ich lebe
ein Karma auflösen kann

Wie auch die Möglichkeit
anzunehmen
ein InSichfolgendes
zuzulassen.

Die Gabe
Mein Leben
nicht als Maßstab der Dinge
zu setzen.
Denn als Teil.

Die Gabe
zu unterscheiden
zwischen
verletzender Obsession
und
befreiender Notwendigkeit.

Die Kraft
Durchströmende Liebe
gemeinsam zu gestalten
Auf den Wegen
der Bejahung.

Ohne Wunden
zu hinterlassen
die die Verzweiflung nähren.

Die Freiheit
in der Angst
zuzulassen
Verwundbar zu sein
Und zu verwunden
in der Unausweichlichkeit

Für einen neuen Fluss.

Das Vertrauen
dass sich Gebundenes
lösen wird
Wie
Gelöstes sich binden wird.

Die Zuversicht
Auf dem Weg zu sein
Und die Achtung davor
Dass ich nicht allein gehe

Und Letztlich

Die Gelassenheit
Gerede und Geschichten
als das zu nehmen
Was sie sind.

Die Klarheit
Menschliche Offenheit
zu bewahren.

Die Ausdauer
Übergestülpte Mäntel
An sich abgleiten zu lassen.

*

Schweigen
annehmen zu können
Als Schweigen.