Die lockende Zukunft

Es bringt nichts, sich nur am Alten abzuarbeiten — wir müssen im Geist ein Bild jener Welt kreieren, in der wir leben wollen. Teil 2/3.

Journalisten und andere Autoren produzieren eine Menge kritischer Artikel über unsere Gesellschaft, die sie dominierenden Organisationen sowie über einzelne Personen des öffentlichen Lebens. Wir echauffieren uns kurz über deren Benehmen, fühlen uns vielleicht zeitweise moralisch überlegen, doch im Grunde genommen ändert sich dadurch nichts. Es ist empfehlenswert, sich die Nachrichten von vor 30 Jahren anzuschauen — die Parallelen zu heute sind erschreckend. Vielleicht ist es auch deshalb so weit gekommen, weil wir wenig über Alternativen debattieren und kaum aus eingefahrenen Denkmustern ausbrechen. Noch immer hängen wir vielfach dem naiven Glauben an, dass sich irgendetwas zum Besseren wenden wird, wenn wir gemeinsam — gewappnet mit Pappschildern und Parolen — unseren Unmut in den Straßen kundtun. Der Autor möchte mit einer kleinen Serie von Artikeln einen Beitrag dazu leisten, Ideen unter die Menschen zu bringen, die helfen könnten, unsere Gesellschaft zu verändern. Es geht darum, ein Bild der Zukunft zu erschaffen, in der wir leben wollen. Wir haben dann einen Plan im Kopf, ein Ziel, welches es zu diskutieren und vielleicht zu erreichen gilt. Je genauer wir dieses definieren, desto besser werden für uns die Wege sichtbar, die dorthin führen.

Beginnen wir an der Stelle, an der wir im ersten Teil aufgehört haben, nämlich warum wir Machtstrukturen neu gestalten wollen. Dazu haben wir zuvor dargelegt, dass einzelne Personen nicht in der Lage sind, komplexe Systeme wie unser Gesellschaftssystem zu überschauen und somit die besten Entscheidungen zu treffen. Es gibt aber noch andere Gründe, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten.

Die transformativen Prozesse der Gesellschaft werden zur Folge haben, dass einigen Menschen sehr große Einkommensquellen versiegen. Manch einer wird daher zu drastischen Mitteln greifen, um diese Entwicklung zu stoppen. Eine Dezentralisierung von Machtstrukturen hat den Vorteil, dass die Beeinflussung oder sogar Eliminierung einzelner Personen keinen strategischen Nutzen haben wird.

Ziel ist es, eine gut informierte Masse zu bilden, welche sich in einer ständigen Selbstreflexion befindet und in der Lage ist, Einfluss auf produktive sowie legislative Prozesse auszuüben.

Die Selbstreflexion wird durch kritische Mitglieder gewährleistet, welche Informationen für den Rest der Mitglieder zusammentragen. Dabei können wir davon ausgehen, dass sich zu jedem Projekt Kritiker finden werden, die ihre Vorbehalte hegen oder von Natur aus zu den Pessimisten zählen.

Auch werden unterschiedliche Projekte unterschiedliche Kritiker hervorbringen, sodass jeder mal zum Zuge kommen kann. Nutzen wir diese unsere Eigenschaft und verstehen wir sie als Bereicherung. Manche Kritik wird sicherlich Prozesse verlangsamen, aber wir können sicher sein, dass die Ergebnisse eine hohe Qualität aufweisen werden.

Auch die geistigen Aspekte sollen an dieser Stelle angesprochen werden. Personenkulte und Führungsfiguren verleiten die Menschen dazu, sich selbst nicht mehr mit einem Thema auseinanderzusetzen und stattdessen auf die Kompetenz anderer zu vertrauen. Das mag bequem sein, kann sich aber auch negativ auswirken und sollte daher vermieden werden. Ziel ist es, die Menschen zu animieren, am gesellschaftlichen Gestaltungsprozess aktiv teilzunehmen, sei es durch physische Arbeit, Knowhow oder Informationsbeschaffung. Es ist begrüßenswert, wenn Menschen auch untereinander über aktuelle Themen und Problemstellungen diskutieren, sich austauschen und Überzeugungsarbeit leisten. Und das werden sie auch, sobald sie merken, dass sie Verantwortung für die Gestaltung ihres Umfelds haben.

Ein weiterer Grund, den man ansprechen sollte, liegt in uns selbst.

Das Erringen von Macht in jeglicher Form sowie ihre Ausübung verändern den menschlichen Geist. Er tendiert dazu zu glauben, anderen Geistern überlegen zu sein und gelangt früher oder später zu der Überzeugung, dass seine Dominanz gerechtfertigt und seine Herrschaft eine logische Konsequenz ist, die es zu verteidigen gilt.

Diese niederen Beweggründe werden wir uns hoffentlich als Gesellschaft bewusst machen, sodass wir sie bei uns selbst wie auch bei anderen erkennen und transzendieren, anstatt sich mit ihnen zu identifizieren und ihnen zu erlauben, weiterhin unsere Gesellschaft zu formen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Mensch dennoch dazu neigen wird, seine Aufmerksamkeit überdurchschnittlichen Persönlichkeiten zu schenken, ihre Ideen aufzunehmen und als die eigenen anzunehmen. Den Rahmen, innerhalb welchem wir das geschehen lassen, könnte die von uns geschaffene Plattform geben.

Vielleicht werden wir einen Rat entstehen lassen, ähnlich einem Ältestenrat, in dem Menschen vertreten sind, die ein signifikant hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Menschen werden in diesen Rat direkt gewählt werden können, jedoch nicht alle paar Jahre, sondern stetig. Das Wahlsystem wird so aufgebaut sein, dass die Repräsentanz durch den Rückhalt innerhalb der Bevölkerung ständig aktualisiert wird. Dabei werden uns einfache digitale Mechanismen behilflich sein. Sinkt durch gewisse Entscheidungen oder Gegebenheiten der Rückhalt in der Bevölkerung, wird diese Person durch jemanden abgelöst, dessen Rückhalt in der Bevölkerung größer ist. Die Masse wird mit der Zeit lernen, die richtigen Menschen in den Rat zu wählen. Sie werden lernen zu unterscheiden, welche Menschen egozentrische Ziele verfolgen und welche sich höheren Zielen verschrieben haben und diesen dienen wollen.

Das Werkzeug

Um die neue Idee manifestieren zu können, werden wir, wie schon im ersten Teil angesprochen, ein neues Werkzeug entwickeln müssen, welches uns hilft, die uns angeborene Schwarmintelligenz für uns nutzbar zu machen. Das Fundament, nämlich die Vernetzung untereinander, haben wir bereits mithilfe des Internets geschaffen. Auch haben wir sowohl viele Methoden der Datenerhebung und Datenverarbeitung als auch Visualisierungsmethoden von Informationen in Diagrammen oder auch sogenannten „Physik-Simulationen“ entwickelt. Im Internet entstanden innerhalb der letzten zwei Dekaden einige Modelle von Funktionen, die in unser entstehendes Werkzeug integriert werden könnten.

Wir Menschen schufen eine allgemein zugängliche Informationsquelle wie Wikipedia, zu der theoretisch jeder beitragen kann, auch wenn sie unseriös und intransparent organisiert ist und ihr noch Visualisierungsmethoden zur Vernetzung von Wissensbereichen fehlen. Doch das Konzept ist vorhanden. Wir haben mehrere Plattformen wie „Facebook“, auf denen wir Profile von uns selbst erstellen, uns selbst darstellen und uns vernetzen können. Und wir haben Plattformen zur „Demokratie-Simulation“ wie die App „Democracy“, auf der wir parallel zu Abstimmungen im Bundestag selbst abstimmen können. Wieso nicht all diese Modelle zu einer Plattform vereinen? Eine solche Plattform könnte uns als Hauptinstrument dienen, uns neu zu organisieren, uns Informationen zu beschaffen und vor allem Demokratie zu üben. Üben deshalb, weil wir unerfahren in direktdemokratischen Prozessen sind, und uns Probleme erwarten, die wir nicht in der Lage sind vorherzusehen.

Ich appelliere an dieser Stelle an den Leser, die ihm angeborene Fähigkeit der Fantasie zu nutzen und sich diese Plattform vorzustellen, sie sich vor seinem geistigen Auge zu erschaffen und zu betrachten.

Ich sehe ein soziales Netzwerk, in dem jedes Mitglied Zugriff auf alle Informationen des Netzwerks hat. Ich sehe die Meinungen der Mitglieder visualisiert in Diagrammen mit ständig aktualisierten Daten der Mitglieder, die ihre Meinung mithilfe von uns bekannten Schaltflächen wie „mag ich“ oder „mag ich nicht“ und noch weiteren kundtun. Ich sehe die Änderungen, die innerhalb der Meinungen durch neue Informationen entstehen. Ich sehe, welche Menschen hohes Vertrauen innerhalb der Mitglieder genießen, und kann durch Recherche in unserer Datenbank analysieren, was dieses Vertrauen begründet. Ich sehe, wer Hilfe braucht, wo Informationen fehlen oder wo meine Fähigkeiten benötigt werden. Ich habe eine Übersicht über die derzeitigen Projekte und die vielleicht herrschenden Probleme, über das Budget, über die Geldflüsse. Und ich stimme ab, immer wieder stimme ich über Projekte und Ideen ab und darf dabei meine Wahl verändern, falls neue Erkenntnisse vorliegen.

Ziel ist es, ein digitales Abbild unserer Gesellschaft zu erschaffen, das jedes Mitglied mitgestalten kann und auf dessen Informationen jeder Zugriff hat. Es soll uns helfen, unsere Produktivität in die richtige Richtung zu lenken.

Wahrscheinlich werden wir ganz neue Organisationsmethoden entwickeln müssen, wie zum Beispiel „Kompromiss-Phasen“, in denen die verschiedenen Interessen erörtert und Kompromisse erarbeitet werden. Außerdem müssen wir uns überlegen, welche Mehrheit ausreicht, um Impulse freizusetzen. Einfache Mehrheiten können zur Spaltung der Mitglieder führen, was vermieden werden sollte, da Spaltungen die Gemeinschaft schwächen werden. Doch dürfen wir zuversichtlich sein, dass die Organisation gelingen wird, solange wir die gemeinsamen Interessen verwirklichen.

Und was ist mit den unterschiedlichen Interessen? Diese Frage zu beantworten ist wahrlich interessant, da sie das Bild der gesellschaftlichen Formation, welche wir anstreben wollen, zu Ende zeichnen wird. Die unterschiedlichen Interessen könnten wir in der Form befriedigen, in der wir es jetzt tun. Im Grunde können wir zwei Wirtschaftssysteme simultan betreiben. Ein System, in dem wir unsere gemeinsamen Bedürfnisse befriedigen, und eines, in dem wir verschiedenen Interessen nachgehen. Das erste wird das uns vereinende System sein, in das jeder Mensch integriert werden könnte und das die Grundlage unserer hiesigen Existenz bildet. Innerhalb diesem sorgen wir gemeinsam für die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse. Wir werden dabei die uns inhärente Verbundenheit wiederentdecken und wir erschaffen das Fundament für einen gesellschaftlichen Frieden, nach dem wir uns alle sehnen. Im zweiten System können wir die alten und primitiven, uns spaltenden Verhaltensmuster ausleben, ohne dass sie zu einem Überlebenskampf ausarten, schließlich wollen wir eine Hochzivilisation werden.

Hochzivilisation

Da mein Ziel ist, das Wort in aller Munde zu bringen, möchte ich es an dieser Stelle neu definieren, um Missverständnissen entgegenzuwirken. Der eine oder andere Leser wird vielleicht überzeugt davon sein, dass wir bereits jetzt eine Hochzivilisation sind. Dem muss ich leider widersprechen. Die Mitglieder unserer Gesellschaft sind zwar zivilisiert, aber nicht hochzivilisiert. Ein hochzivilisierter Mensch ist sich vieler Illusionen bewusst, denen wir noch unterliegen. Beispielsweise der illusionären Idee unserer selbsterschaffenen Identität, welche sich bei den meisten Menschen unserer Zivilisation auf Name, Herkunft, Gesellschaftsstatus, Glaube, Hab und Gut und gegebenenfalls politische Orientierung beschränkt, sowie der direkten Folge dieser Idee in Form einer Gesellschaft, in der das Eigentum eine überaus wichtige Rolle spielt.

Hochzivilisiert zu sein bedeutet, den Kreis seiner Verantwortung zu vergrößern, sich der Einheit mit seiner Umgebung inklusive aller Lebensformen bewusst zu sein. Es bedeutet, Herr über sein Ego und seinen Verstand zu sein.

Mit einem hochzivilisierten Menschen ist es schwer, in Konflikt zu geraten, da er den Angriff als eine Form von Unbewusstheit erkennt und vergeben wird.

Ein hochzivilisierter Mensch wird nicht ins Kino gehen und sich anschauen, wie sich Menschen massenweise abschlachten. Er wird auch kein Vergnügen dabei verspüren, aggressive Musik zu hören, und keinen Sinn darin erkennen, materielle Dinge anzuhäufen, um damit zu prahlen oder sein Selbstwertgefühl zu steigern. Er hat jedoch ein tiefes Wissen über die Natur der Dinge, über die hier herrschenden Konzepte und Ideen, wie das der Spaltung, der Resonanzen, Klänge und der darauf aufbauenden Welt. Dieses Wissen schöpft er nicht aus Büchern und dem Internet, sondern aus seinem tiefsten Inneren, zu dem er durch Meditation und Geistesschulung Zugang hat. Schriften sind für den Anfang hilfreich, um zu Konzentration zu verhelfen und eine gewisse Orientierung zu bieten, doch ist der Hochzivilisierte sich dessen bewusst, dass Worte nur Symbole von Symbolen und somit zweifach von der Wirklichkeit entfernt sind. Ihn dürstet es nach Erfahrung, nämlich nach Erfahrung der universellen Einheit.

Das sind nur einige Eigenschaften hochzivilisierter Menschen, und ich lade den Leser dazu ein, die besten und edelsten menschlichen Eigenschaften zu den Eigenschaften eines hochzivilisierten Menschen dazuzuzählen.

Damit endet der zweite Teil der Artikelserie. Im nächsten Teil werden wir den Weg, welchen wir einschlagen könnten, etwas genauer beschreiben. Wir werden detaillierter auf das Werkzeug und seine Funktionen eingehen sowie versuchen, die Natur der Bewegung zu schildern.


In seinem Buch „Wahrheit und Frieden — Wege in die Hochzivilisation“ führt Gustav Viktor Śmigielski seine Ideen weiter aus.