Die Reise der Heldin
Kerstin Chavents Buch „Der Königsweg“ zeigt: Statt über die alte Welt zu schimpfen, sollten wir uns aktiv zu Menschen entwickeln, die eine neue, bessere gestalten können.
Jetzt haben wir es denen da oben aber gezeigt! In unzähligen Artikeln, Reden und privaten Statements haben wir alles seziert und vor einen imaginären Richterstuhl gezerrt, was uns am Zustand der Welt aufregte. Und jetzt? Wie geht es uns selbst, nachdem wir über Jahre beharrlich in die Dunkelheit gestarrt haben? Haben wir etwas Wesentliches erreicht? Und wie steht es eigentlich um unsere eigene Qualifikation als Chefankläger? In Kerstin Chavents neuem Buch „Der Königsweg“ werden Oppositionelle auf für sie manchmal unbequeme Weise mit sich selbst konfrontiert, ohne dass die üblichen Verdächtigen aus Politik und Wirtschaft aus der Verantwortung entlassen werden. Wir spüren: Dort, wo wir jetzt stehen, können wir nicht bleiben. Der Ist-Zustand ist in vielfacher Hinsicht defizitär. Aber diese Erkenntnis allein zeigt uns noch kein Ziel. Wir müssen uns selbst auf den Weg machen und eine Art Heldenreise absolvieren, sagt die Autorin — aus der alten Sicherheit, die erdrückend geworden ist, hin zu einer neuen Stabilität in freier Gemeinschaft mit anderen. Frieden und Freiheit sind wünschenswert, aber wie friedens- und freiheitsfähig sind wir eigentlich? Die Revolution beginnt mit notwendigen Umwälzungen bei uns selbst. Diese Grundthese verdeutlicht Kerstin Chavent anhand faszinierender Einblicke aus Philosophie, Spiritualität, Psychotherapie und Politik. Dieses vielschichtige zeitkritische Werk ist zugleich ein Weckruf und in letzter Konsequenz sogar eine Anleitung zum Glücklichsein.
Eine Sache fand ich bei Udo Lindenberg, der ja mittlerweile politisch sehr angepasst wirkt, gut. In seinem Lied „Kleiner Junge“ richtet Lindenberg flammende Anklagen gegen bestimmte Personen und Gruppierungen: „Was ist mit Gott? Mit dem Papst? Mit den Politikern? Den Terroristen?“ Völlig überraschend ruft er dann mit eindringlich werdender Stimme ins Mikrofon: „Und was ist mit dir?“ Dadurch ändert sich der Charakter des Lieds völlig. Bisher schwelgte der Hörer selbstgerecht in einer Konsenssuppe und konsumierte behaglich, wie Lindenberg seine Gegner zerlegte, die auch die der meisten seiner Fans gewesen sein dürften. Plötzlich aber werden wir auf uns selbst zurückgeworfen. Was ist mit uns? Sind wir nicht für so vieles, was schiefläuft, mit verantwortlich? Und könnten wir nicht selber mehr tun, damit es besser wird?
Das mag vielen Lesern bekannt vorkommen. Aber es ist überhaupt nicht Kerstin Chavents Anspruch, etwas als Erste und Einzige zu sagen. Sie sitzt gleichsam auf den Schultern von Riesen der Geistesgeschichte, hat auch selbst viel für ihr inneres Wachstum getan und blickt gerade deshalb sehr weit ins Land. Als ich ihre Artikel im Magazin „Rubikon“ erstmals las, war ich nur so halb zufrieden. Mein Gedanke war: „Das stimmt, Kerstin, aber das habe ich doch schon so oft gehört.“ Zum Beispiel die These, jeder solle auf seine Gedanken achten, denn sie könnten sein Schicksal beeinflussen. Ich las weiter, und meine Bewunderung wuchs. Kerstin Chavent vertiefte und verbreiterte ihre zentralen Themen. Sie wurde persönlich, aber auch politisch, wandte ihre Erkenntnisse geschickt auf aktuelle Themen an, analysierte alles aus einer Perspektive tiefer Humanität und auch mit einem spirituellen „Spin“.
Der Verantwortliche im Spiegel
Die Autorin ist keine Flachland-Geografin; alles an ihrem Werk besitzt Tiefe und streift das Geheimnis. Unbefriedigt lässt das allenfalls jene, die unter „anspruchsvoll“ verstehen, dass jemand seine Aussagen durch intellektuelles Wortgeklingel verschlüsselt und Leser durch unnötige Verständniswiderstände plagt. Chavent schreibt „straight“ und für alle, die an ihren Themen interessiert sind. Anspruchsvoll, fordernd ist sie in anderer Hinsicht.
Sie lässt politischen Dauernörglern nicht durchgehen, dass diese ihre Zeigefinger fortwährend auf die „Versager“ der hohen Politik richten, ohne den Blick in den Spiegel zu wagen, in dem sich eigene Schwächen und blinde Flecken zeigen. Kerstin Chavent scheint ihren Lesern zwischen den Zeilen immer wieder zuzurufen: „Und was ist mit dir?“
Das kann provozierend sein für jene, die dergleichen nicht gewöhntsind. Ich bin über Jahrzehnte mit verschiedensten Konzepten der Spiritualität, der Psycho- und Körpertherapie, der Kulturgeschichte und Philosophie in Berührung gekommen. Trotz dieses Vorwissens entdeckte ich in Kerstin Chavents Artikeln und jetzt in ihrem Buch immer wieder Neues und Inspirierendes. Wie muss „Der Königsweg“ erst auf Menschen wirken, für die das alles Neuland ist, weil sie sich bislang überwiegend dem Betrachten und Erleiden aktueller Politik gewidmet haben? Das Buch muss wie ein unerschöpfliches Füllhorn wirken, dem Erkenntnisse entströmen. Viele Autoren wissen sehr viel. Bei Chavent ist aber noch etwas anderes zu spüren: Weisheit. Dies meint vor allem das Denken in großen Zusammenhängen und auf mehr als einer Betrachtungsebene, die Erschließung der Tiefendimensionen eines Phänomens.
Für Kerstin Chavent haben alle Vorgänge im Außen eine psychisch-spirituelle Innenseite. So wenig wie die Realität für sie „Flachland“ ist, sind Menschen innen hohle Körper oder außenreizgesteuerte Roboter. So interessiert sie sich auch bei oppositionellen Narrativen stets nicht nur für das Gesprochene, sondern auch für die Person des Sprechers. Hinter allen Konzepten stehen Menschen mit ihren Prägungen und Geschichten — auch und gerade hinter den vermeintlich „objektiven“.
Denn Objektivität ist nur ein Tarnbegriff für interessen- und gefühlsgeleitete Subjektivität, die sich selbst nicht als solche zu erkennen geben will.
Vom Holzweg zum Königsweg
Ein Königsweg ist in der ursprünglichen Wortbedeutung ein Pfad durch einen Park oder Wald, den zu begehen in Zeiten der Monarchie nur dem König erlaubt war. Er führte zu besonders schönen Plätzen und Ausblicken. Deshalb sollte nicht „jeder“ ihn gehen können. Der Monarch sollte, was sich ihm bot, ungestört genießen können. Ein solch elitäres Konzept verfolgt die Elitenkritikerin Kerstin Chavent in ihrem Buch natürlich nicht. Eher sollte jeder Leser, jede Leserin selbst „souverän“ werden und sich die Krone aufsetzen, nicht um andere zu beherrschen, sondern um sich dem Beherrscht-Werden zu entziehen. Der Königsweg ist, was Anhänger der dominierenden Narrative vielleicht für einen Holzweg halten, was aber in vielen Windungen zum Ziel führen kann.
„Der Königsweg ist kein leichter Weg“, schreibt Kerstin Chavent. „Er ist keine Prachtstraße für einen gemütlichen Sonntagsspaziergang, kein bequemer Boulevard, auf dem die Prinzessin zum Ball schreitet. Der Königsweg ist ein holpriger Pfad, ein schmaler Grat, den wir alleine gehen müssen. Immer wieder stellt er uns auf die Probe: Verhält es sich wirklich so? Sind die Dinge tatsächlich so, wie sie uns überliefert wurden? Sind die Probleme die, die im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen? Oder ist es in Wirklichkeit vielleicht ganz anders?“
Bequemlichkeit also ist es am wenigsten, was wir auf dem Chaventschen Königsweg erwarten können. Die Autorin führt uns eher auf eine Heldenreise, welche naturgemäß nicht gemütlich, sondern mit Herausforderungen gespickt ist. Man kann durchaus Raymond Ungers unlängst erschienenes Buch „Die Heldenreise des Bürgers“ danebenlegen, in dem der Aufbruch aus einer zu eng gewordenen alten Heimat auf dem Weg über allerlei Abenteuer hin zu einer selbstbestimmten neuen Stabilität beschrieben wird — durchaus mit Bezug zu konkreten politischen Aufreger-Themen von heute. Mehr noch als das Schema der Heldenreise nach Joseph Campbell schwebt Kerstin Chavent dabei das Tarot vor. Das traditionelle Kartenset steckt voller prägnanter Archetypen, die charakteristische Lebensstationen und Herausforderungen des Menschen symbolisch beschreiben.
Aus dem Protest ins Handeln
„Vor uns liegt eine Heldenreise, ein echtes Abenteuer. Der Fragende ist bereit, sich das Menschen- und Weltbild anzuschauen, das zu der aktuellen Situation geführt hat. Sind wir auf dem richtigen Weg? Werden wir besser, wenn wir mit technischen Hilfsmitteln nachgerüstet werden? Wohin führt uns die Vorstellung, dass wir eine Art biologische Maschinen sind, an denen beliebig herumgeschraubt werden kann? Ist die Würde des Menschen noch unantastbar, wenn die Maschine uns immer mehr auf den Leib rückt und uns zunehmend zum Objekt macht? Was macht den Menschen zum Menschen? Was für eine Welt sind wir dabei, zu erschaffen?“
Der Held, die Heldin, das sind immer wir. Das Warten auf einen von außen zu uns herniedersteigenden Erlöser ist müßig. An einer zentralen Stelle des Buches heißt es:
„Wie finden wir aus dem Protest ins Handeln? Wie verbinden wir uns mit etwas Höherem, ohne auf den Retter zu warten? Kurzum: Wie finden wir in unsere Kraft, um eine Welt zu gestalten, wie wir sie uns wünschen?“
Und weiter:
„Der Königsweg ist ein Weg durch das Chaos hindurch. Er ist eine Einladung, sich die aktuellen Ereignisse im Zusammenhängenden anzusehen. Er wird Gefühle wecken. Wir werden an Grenzen stoßen, die es zu überwinden gilt. Wer hierzu bereit ist, wer offen dafür ist, sich berühren zu lassen, der wird reich belohnt werden. Auf die Ent-Täuschung folgt die Erkenntnis, die tief in uns verborgen ist: Wir sind Schöpferwesen. In uns verbirgt sich ein Funke, der nur darauf wartet, neu entfacht zu werden, eine Macht, die uns im Laufe der Zeit abhandengekommen ist.“
Das kräftezehrende „Dagegen“
Hier stoßen wir wieder auf die „unbequeme“ Chavent, die es uns nicht durchgehen lässt, eher hundertmal über die Dunkelheit zu klagen, als auch nur einmal selbst ein Licht anzuzünden. „Der Königsweg bietet uns an, uns nicht weiter zu beschweren und uns leicht zu machen. Hierzu müssen wir bei uns selbst ansetzen. Im Außen, das haben wir in den vergangenen Jahren zur Genüge erfahren, können wir nichts erreichen.
Hier sind wir ohnmächtig. Je mehr wir gegen etwas ankämpfen, desto größer wird das Problem. Wir füttern es förmlich mit unserer Aufmerksamkeit. Immer mehr schieben wir nach. Immer dunkler wird es um uns herum. Immer mehr wird uns unsere Lebensenergie abgesogen.“ Es stimmt: Wer kennt nicht den Seelenzustand kraftloser Zermürbung, der sich einstellt, wenn sich nach jahrelangem pflichtschuldigem Konsumieren der Nachrichten nichts wirklich Entscheidendes bewegt — nach fruchtlosem Sich-Aufbäumen und Wieder-Zusammensacken angesichts der eigenen scheinbar vollständigen Machtlosigkeit?
Ist es zielführend, angesichts so offensichtlicher und dramatischer Fehlleistungen der Politik — egal, ob wir dabei an einen Lauterbach, Habeck oder Biden denken — zuerst einmal bei uns selbst nach Fehlern zu suchen? Machen wir es den „Tätern“ damit nicht zu leicht? Nein.
Das „Achte auf Deine Gedanken“ artet nämlich bei Kerstin Chavent nicht zum vernichtenden Selbst-Bashing aus. Es ist nicht Weltflucht, keine Ausweichbewegung vor den auch politisch bedingten Herausforderungen dieser Zeit. Es ist die Grundlage dafür, endlich wirklich aktiv in der Welt zu wirken.
Ohne Projektionen. Ohne Eigenblindheit. Ohne das zermürbend-depressive ständige „Opferbewusstsein“.
Kritikerin der Kritischen
So ist Kerstin Chavent als Kritikerin der Kritischen auch eine Provokation im politischen Milieu. Für ein Magazin, das auf Spiritualität und Psycho-Ratgeber spezialisiert ist, scheint sie auf den ersten Blick besser geeignet zu sein. Dennoch hat sie sich für das politische Umfeld entschieden. Und das ist gut so. Das Licht fließt dorthin, wo besonders viel Dunkelheit ist. Und damit meine ich nicht eine eventuelle politische Uneinsichtigkeit im Umfeld „alternativer Medien“. Eher ein mangelndes Gefühl vieler Oppositioneller für sich selbst und die eigenen Motive, welches gerade dort häufig zu finden ist, wo nach außen gerichtete Aktivität und Kritik dominieren.
Chavents Sprache ist bildhaft. Sie verliert sich nicht in den Sphären purer Abstraktion. Ihr Geist verknüpft Assoziationen aus verschiedensten Wissensgebieten, aus Politik, Spiritualität, Psychologie, Mythos, aus Filmen und Kunst. Wenn man so will, ist ihr Ansatz weiblich, wie auch ihre Vorliebe für Matriarchatsforschung zeigt — sofern man als „männlich“ eine gnadenlos zielgerichtete Stringenz versteht, als weiblich dagegen ein nach allen Seiten offenes Suchen und Verknüpfen unter Einbeziehung der Herzintelligenz.
Dies ist ein kluges Buch gegen die Selbstüberschätzung des Verstandes, der als Diener des Menschen nützlich, als sein Herr dagegen eine Fehlbesetzung ist.
Kerstin Chavent hat dazu, wie sich Manova und zuvor der Rubikon als Magazin aufgestellt haben, Wesentliches beigetragen. Denn man kann in den Statuten eines neu gegründeten Mediums noch so hohe Ideale bezüglich der Vereinigung von Innen- und Außenwelt, Gesellschaft und Psychologie, Politik und Spiritualität verkünden — es hilft nichts, wenn sich keine Autorinnen finden, die solche Ideen mit Leben erfüllen: beharrlich und inspiriert, Text um Text. Es ist daher eine große Freude, nun Kerstin Chavents Magnum Opus in Händen zu halten. Die Frage bei bücherschreibenden Artikelautoren ist ja immer, ob es ihnen gelingt, über Einzelbetrachtungen hinaus den großen Bogen zu schlagen, den Zusammenhang zu wahren, aus verschiedensten Szenen und Impressionen eine große „Erzählung“ zu stricken. Kerstin Chavent hat dies geschafft — nach außen hin scheinbar mühelos. Wobei erahnbar ist, wie viel gelebtes und erlittenes Leben, wie viele Begegnungen, Brüche und Syntheseversuche hinter ihrem scheinbar leichten und transparenten Stil stecken.
Krankheit als Signal zum Aufbruch
Wer ist Kerstin Chavent? Was sie auf die Spur ihrer persönlichen Heldenreise gesetzt hat, sind zum großen Teil auch biografische Brüche, von denen sie freimütig erzählt. „Für mich begann das Abenteuer, als ich mich aus der familiären Grund- und Bodenmentalität löste, in letzter Minute einen Beamtenvertrag nicht unterschrieb und mich auf ein selbstbestimmtes Leben in Frankreich einließ.“ Das ist die berufliche Urentscheidung, die sie getroffen hat. Noch einschneidender war für sie jedoch ein gesundheitlicher Zusammenbruch.
„Als ich im Jahr 2012 an Krebs erkrankte, wusste ich, dass ich mich auf mich verlassen konnte. Was ich nicht wusste, war, wie verdreht die Welt ist, in der ich lebe. Bis zu meiner Erkrankung vertraute ich der Medizin. Ich wähnte mich in einem Rechtsstaat, wählte grün und glaubte das, was in den Geschichtsbüchern steht und über die großen Medien verbreitet wird. Die Wucht der Behandlung jedoch machte mich stutzig: Sind Krebszellen wirklich bösartige Monster? Wie können Körperzellen böse sein? Kann ein aggressives, lebensbedrohliches Protokoll dauerhaft zur Heilung führen? Sind die Feinde wirklich da, wo uns gesagt wird? Gibt es überhaupt Feinde? Oder gibt es vor allem Unternehmen, die Feindbilder brauchen?“
Kerstin überlebte ihre schwere Krankheit. Mit dieser Erfahrung im Rücken wurde sie zu einer vehementen Gegnerin der Corona-Politik, die 2020 über uns hereinbrach, sowie auch der Ideologie des Transhumanismus. Als die Gesundheitspolitik mit Corona in unseren Körper und unser Leben einzudringen versuchte, wurde für sie auch das Private politisch. Mit der Erkenntnis dessen, was schiefgelaufen ist, deutete sich auch die Lösung an.
„Was krank macht, sind vor allem Stress, Angst, Misstrauen, Isolation und Bewegungsmangel, also genau das, was während der Coronazeit verordnet wurde. So war für mich offensichtlich, dass etwas Grundsätzliches nicht stimmt. Etwas läuft fundamental schief. Diejenigen, die wir als unsere Vertreter gewählt haben, entscheiden zunehmend über unsere Köpfe hinweg. Unser Leben ist eine Mischung aus Kontrolle, Konsum, Wachstumsdrang, Geltungsbedürfnis, Dauerreichbarkeit, Vereinsamung, Abgestumpftheit und Sinnlosigkeit.“
Machtkritik und Selbstkritik gehören zusammen
Das Erwachen der Autorin zur Selbstverantwortung, zu der sie in einer persönlichen medizinischen Notlage fand, ließ sich übertragen auf das Feld der Politik: Ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Autoritäten schien angebracht.
„Dennoch halten die meisten Menschen an dem Gedanken fest, dass alles doch noch irgendwie gut wird. Sind wir nicht insgesamt auf dem richtigen Weg? Der Staat ist wohlwollend, die Regierung vielleicht inkompetent, doch redlich bemüht. Die Wissenschaft ist seriös, die Pharmaindustrie gemeinwohlorientiert, die Technik menschengerecht und die zunehmende Digitalisierung des Lebens harmlos. Für die meisten ist der Gedanke abwegig, dass diejenigen, die sie gewählt haben, dass die Behörden und Institutionen, die in jedem unserer Lebensbereiche so peinlich genau auf unsere Sicherheit zu achten scheinen, vielleicht nicht im Sinne des allgemeinen Wohls handeln könnten.“
„Esoterikern“, so das bequeme Vorurteil, fehlt es grundsätzlich an politischem Scharfblick. Und wenn sich doch mal einer zu einem politischen Statement versteigt, so ist dieses — Sie dürfen raten! — selbstverständlich „rechts“. An der spirituell geprägten und weltanschaulich unabhängigen Kerstin Chavent könnten sich aber manche Polit-Kämpfer gerade linker Provenienz ein Beispiel nehmen.
Weder fehlt es der Autorin an Biss noch an Scharfblick. Sie lässt ihre Leser nur nicht in einem fruchtlosen Zustand abgrundtiefer Verzweiflung zurück, sondern zeigt Möglichkeiten auf, Handlungsalternativen, Visionen.
Und auch beim Thema Machtmissbrauch lautet ihre unbehagliche Frage immer: „Und was ist mit dir?“ Würde man über Kerstin Chavent sagen, sie sei gütig und ausgleichend, so würde man ihren kritischen Biss verkennen, der auch den Blick in die Dunkelheit der Menschheitsgeschichte nicht scheut. Sagte man, sie sei eine „vernichtende“ Kritikerin der politischen Verhältnisse, so ginge das ungemein Konstruktive ihres Ansatzes verloren. Machtkritik und Selbstkritik gehören zusammen.
Eine Hymne an uns alle
„Herrschaft ist nur möglich, wenn Menschen bereit sind, sich beherrschen zu lassen. Diese Erkenntnis ist so erschreckend wie befreiend. Denn sie macht deutlich, wo sich die eigentliche Macht befindet. Es sind im Grunde genommen nicht die Herrschenden, die entscheiden, diejenigen, die sich an der Spitze der Pyramide befinden, sondern jeder Einzelne von uns und wir alle zusammen. Mit diesem Verständnis beginnt der Königsweg. Er fordert uns auf, uns damit auseinanderzusetzen, was uns dazu gebracht hat, uns von globalen Giganten wie Google, Microsoft, Apple, Amazon, Nestlé, Exxon Mobile oder General Motors steuern zu lassen. Was macht uns zunehmend gleichgültig der Freiheit gegenüber, der Würde, der Größe und Stärke in uns? Vor allem aber: Wie kommen wir aus dieser Nummer wieder heraus?“
Und, mit deutlichem Verweis auf das Milgram-Experiment: „Wie können wir es verhindern, zu tun, was man uns sagt, nur weil es von einer sogenannten Autorität kommt?“
Paradoxerweise wurde das kollektive Corona-Trauma auch zu einem „Call to Adventure“, ohne den eine Heldenreise ja gar nicht erst beginnen könnte.
„Viele Menschen haben sich durch die Ereignisse der vergangenen Jahre aufrütteln lassen. Viele sind aufgestanden. Sie sind dorthin gegangen, wo ihnen kalter Wind entgegenschlug. Sie haben es riskiert, aus den eigenen Familien ausgeschlossen zu werden, verleugnet von ihren Freunden, gemieden in ihrer Nachbarschaft. Sie haben ihre Arbeit verloren, ihre Existenzgrundlage, ihre Sicherheit. Sie wurden beleidigt, beschimpft, diskreditiert, diffamiert, bedroht. (…)
Sie haben die Chance genutzt. Sie haben sich nicht kleinmachen lassen von dem, was gegen sie gerichtet wurde, sondern haben es angenommen, um sich aus einer für sie untragbaren Situation zu befreien. (…) Sie haben hingeschaut, wo sie am liebsten die Flucht ergriffen hätten. In ihre eigenen Schatten sind sie getreten und haben Licht in das innere Dunkel gebracht. Sie sind zu Künstlern geworden, Lebenskünstlern. Nicht mit stolzgeschwellter Brust steigen sie das Siegertreppchen empor. Keine Medaille ziert sie, keine Hymne wird für sie abgespielt. Kein Ruhm ist ihr Lohn, sondern das tiefe innere Wohlsein, bei sich selbst geblieben zu sein, als es darauf ankam.“
Lassen wir das eine Weile auf uns wirken: Es ist eine wunderbare Hymne auf uns alle — die Wahrheitssucher, die Oppositionellen, die Pfadfinder des Neuen in dunkler Zeit.
Ein wichtiger Aspekt des Buchs „Königsweg“ ist der Gegensatz von patriarchalischen und matriarchalischen Konzepten. Wenn man so will, präsentiert Kerstin Chavent hier nicht nur weibliche Spiritualität, sondern sogar weibliche Politik. Der problematische Status Quo wird so beschrieben:
„Ideologie, Gesetz und Hierarchie bilden das Zentrum des patriarchalen Monotheismus. Hieraus erwächst die Grundlage der wirtschaftlichen, politischen, militärischen und religiösen Strukturen der modernen Gesellschaft: Konkurrenzkampf, Krieg, Kolonialismus, Imperialismus, Ausbeutung der Natur, Abwertung und Instrumentalisierung der Frau. Ganz oben auf der Leiter steht der Herrgott, eine Art Weltraumgendarm, dessen unerbittliches Auge alles überwacht. Wie sein Gott ist auch der Patriarch immer nur gütig zu seinen gehorsamen Kindern. Die ungehorsamen werden bestraft.“
Die schöne neue Welt mit KI, QR-Code, Genspritze und Totalüberwachung ist die logische Fortsetzung und Steigerung einer Entwicklung, die schon mit dem Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat begann. Ersteres bot „steinzeitliche Konzepte“ im guten Sinne.
„Die matriarchal orientierte Solidargemeinschaft garantiert acht Lebensrechte von vitalem menschlichem Interesse: das Recht auf Heimat, das Recht auf Arbeit und Zusammenarbeit, das Recht auf Feste und Feiern, das Recht auf Bindungssicherheit, das Recht auf freie Partnerwahl, das Recht auf Visionen, das Recht auf ein liebevoll begleitetes Sterben und das Recht auf Versöhnung und Wiedergutmachung, wenn vorgenannte Lebensrechte verletzt werden.“
Im Sinne einer allumfassenden Vernetzung und gegenseitigen Abhängigkeit aller Lebensaspekte ist eine Verbesserung der politischen Verhältnisse zugleich die beste Therapie. Umgekehrt: Schon „es sich gut gehen zu lassen“ bedeutet Widerstand gegen jene Kräfte, die uns das Menschliche auszutreiben versuchen.
Auch das Schlechte, das wir allenthalben beobachten, hat insofern sein Gutes, weil es uns in die Aktivität, mehr noch: in die Transformation zwingt.
„Der Druck, den wir gerade von allen Seiten erfahren, ist notwendig, um alle uns zur Verfügung stehenden Ressourcen zu aktivieren. Wir würden uns nicht in Bewegung setzen, wenn es nur ein bisschen ungemütlich für uns wäre. Rasch würden wir wieder in die alten Gewohnheiten verfallen. Bis tief in uns hinein müssen wir fühlen, dass etwas unwiderruflich vorbei ist. (…) Dieses Chaos, in das wir fallen, ist kein zerstörerisches. Es ist nicht darauf ausgerichtet, uns zu vernichten. Es ist ein neuer Raum, der sich für uns eröffnet, und der nichts zu tun hat mit der künstlichen Ordnung, die der alte Fortschritt immer weiter vorantreibt.“
Eine befreite Menschheitsfamilie
Wohin soll das alles führen? Eine befreite Menschheitsfamilie, bestehend aus Individuen, die sich nicht nur aus politisch bedingter Gefangenschaft, sondern auch aus traumabedingter Verstrickung und Selbstsabotage befreit hat, baut gemeinschaftlich an einer besseren Zukunft.
„Wir erkennen uns in all unseren Facetten und in unserer Verschiedenartigkeit an und machen uns gemeinsam an die Arbeit. Die Wahlverwandtschaften, die wir bilden, werden kein tragisches Ende nehmen. Denn wir haben gefunden, was Frieden möglich macht. Die innere Kraft ist freigelegt. Wir hatten den Mut, aufzustehen und uns auf den Weg zu machen. Den Gefahren haben wir ins Auge geblickt und sind ihnen nicht ausgewichen. Wir haben gesehen, wohin uns eine fehlgeleitete Technologie führt und eine Maschine, die Gott spielt. (…) Die alten Programme sind gelöscht. Wir haben uns erinnert und uns leicht gemacht für die Etappe, die nun vor uns liegt.“
So ist auch der Bedeutungs- und Glaubwürdigkeitsverlust der alten Parteien, Vorbilder und Denkrichtungen an sich nichts Schlimmes. Wir wurden enttäuscht. Das ist besser, als weiter in der Täuschung zu verharren. Der Schmetterling streift sein Puppenkleid ab, das wie eine leblose, papierene Hülle zu Boden fällt. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass er seine wahre Bestimmung findet, indem er „abhebt“.
„So haben viele der alten Institutionen ausgedient. Der Apfel ist faul und muss vergehen. Der alte Körper löst sich auf und wird zu einem Humus, der neues Leben nährt. Die Erinnerung an die alte Welt wird als fernes Echo zurückbleiben, das uns wie ein Mahnmal aus weiter Ferne daran erinnert, wie sehr wir uns einmal geirrt haben und wie knapp wir einer Welt ohne Verbindungen, ohne Herzenswärme und ohne Liebe entkommen sind. Nun steht es an, eine neue Geschichte zu schreiben. Nicht Militärexperten werden sie verfassen, sondern Menschen, die sich der unbegrenzten Schöpferkraft bewusst sind, die in ihnen steckt.“
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